Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen körperlichem, seelischem und sozialem Wohlbefinden. Armut, existenzielle Ängste oder die finanzielle Abhängigkeit von der Familie können krankmachend bzw. krankheitserhaltend sein und schränken die individuellen Verwirklichungsmöglichkeiten beträchtlich ein. Die Basis jedes Sozialstaates ist ein garantierter Zugang zu Rechten und Möglichkeiten finanzieller Absicherung. Soziale Leistungen sind keine Almosen, sondern Rechtsansprüche für jene Menschen, welche die Zugangsvoraussetzungen dafür erfüllen.
Ursachen und Auswirkungen psychischer Belastung
Ausgebrannt, vollständig innerlich erschöpft, zu nichts mehr Lust: Immer mehr Arbeitnehmer:innen leiden am sogenannten „Burnout“. Am Ende stehen oft lange Krankenstände oder die völlige Berufsunfähigkeit. Häufig fängt „Burnout“ mit übergroßem Arbeitseifer an. Bleiben „Belohnungen“ dafür aus, kommt es zu einer „Schieflage” zwischen dem, was man investiert, und dem, was man dafür bekommt.
Bin ich gefährdet?
Sie verschieben oder verkürzen Ihren Urlaub regelmäßig, weil es die Arbeit erfordert. Auch wenn Sie Arbeit regelmäßig mit nach Hause nehmen müssen, sind Sie burnoutgefährdet. Burnout ist keine Krankheit aber das Ergebnis von chronischem Stress durch die Arbeit. Wichtige Kennzeichen von Burnout sind Erschöpfung, Zynismus und eine geringere berufliche Leistungsfähigkeit. Nehmen Sie diese Anzeichen ernst. Möglicherweise sind Sie bereits mitten im Burnout, wenn Sie sich am Morgen in die Arbeit quälen, Ihnen Menschen, die für Sie einmal wichtig waren, gleichgültig werden oder wenn Sie keinen Sinn (mehr) in Ihrer Arbeit sehen, bedrückt sind und sich ständig erschöpft fühlen.
Was sind psychische Erkrankungen?
„Psychische Störungen stellen Störungen der psychischen Gesundheit einer Person dar, die oft durch eine Kombination von belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen gekennzeichnet sind.“ (WHO, 2019, S.1) Häufig haben psychische Störungen mehrere Ursachen gleichzeitig. Das heißt, sie lassen sich nicht auf einen einzelnen Grund zurückführen, sondern müssen ganzheitlich betrachtet werden. Von arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen können wir sprechen, wenn die Erkrankung direkt von arbeitsbezogenen Risikofaktoren negativ beeinflusst wird. Arbeitsstressoren können eine auslösende Wirkung haben.
Die gängigsten arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen sind:
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- Depressionen
- Angststörungen
- Burnout-Syndrom (Einstufungsdiagnose)
Darüber hinaus gibt es Zusammenhänge von arbeitsbedingten, psychischen Belastungsfaktoren zu einigen somatoformen und psychosomatischen Störungen. Auch Suchterkrankungen (z.B. Alkoholsucht) und Schlafstörungen können von der Arbeit mitbedingt sein.
Gängige arbeitsbedingte Einflussfaktoren (Auszug)
- „Job Strain“ (Hohe Anforderung bei zu geringem Tätigkeitsspielraum)
- Geringe soziale Unterstützung
- Arbeitsplatzunsicherheit
- Gewalt
- Geringe Bedeutsamkeit der Arbeit
- Schwierige Emotionsarbeit
- Geringe Entwicklungsmöglichkeiten
- Überlange Arbeitszeiten
- Belastung durch Schichtarbeit
- Belastung durch Wochenendarbeitszeit
- Überwiegend durch Arbeitgeber:innen bestimmte Arbeitszeitvariabilität
- Arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit
- Unzureichende Arbeitspausen
Weitere mögliche Einflussfaktoren sind beispielsweise auf der Webseite zur Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung nachzulesen.
Warum ist das Thema relevant?
Psychische Aspekte gewinnen im Arbeitnehmer:innenschutz kontinuierlich an Bedeutung, da sich die Arbeit im Wandel befindet und sich der relative Anteil an Dienstleistungen am Gesamt-Bruttoinlandsprodukt seit Jahrzehnten erhöht. Gleichzeitig haben die Krankenstandstage aufgrund psychischer Diagnosen im letzten Jahrzehnt zugenommen: „Wurden 2010 6,9 % aller Krankenstandstage durch psychische Erkrankungen verursacht, erhöhte sich dieser Anteil innerhalb von zehn Jahren auf 11,4 % im Jahr 2021“ (WIFO, 2022, S.2). Tendenz steigend.
Vielfach unterschätzt werden negative Folgen psychischer Belastung, welche sich zwar nicht in einer psychischen Erkrankung niederschlagen, jedoch trotzdem schädlich sind. Das britische Amt für Statistik schätzt, dass 20 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter unter Symptomen leidet, die mit psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, aber nicht die Diagnosekriterien einer psychischen Störung erfüllen. Diese mit psychischen Erkrankungen einhergehenden Symptome können jedoch die Lebensqualität und das Funktionsniveau des Einzelnen bereits erheblich beeinträchtigen.[1] Dazu zählen Symptome wie Schlafprobleme, chronische Müdigkeit, Irritierbarkeit und Sorgen. Jede 5. arbeitende Person leide demnach an Symptomen, welche mit psychischen Erkrankungen assoziiert sind.
Beachtenswert sind auch die komplexen Wechselwirkungen von arbeitsbezogen psychischen Belastungsfaktoren mit physiologischen Erkrankungen. Im Arbeitnehmer:innenschutz beschränkt sich die Relevanz psychischer Faktoren nicht auf psychische Erkrankungen, sondern beinhaltet psychosomatische Auswirkungen der Arbeitsbelastung. Diese äußern sich beispielsweise in einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Störungen des Magen-Darm-Trakts, Muskel-Skelett-Erkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen. Auch die Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit kann relevant werden.
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Um mit den vielfältigen Belastungsfaktoren gut umgehen zu können, braucht es „Ressourcen“. Zusätzlich zu individuellen Ressourcen, können organisationale Ressourcen helfen, die Arbeitsbelastung besser zu bewältigen. Organisationale Ressourcen sind unter anderem: Gutes Führungsverhalten, gut funktionierende Abläufe und Arbeitsorganisation (inkl. adäquate Personalplanung), zufriedenstellende Gratifikation, ausreichende Erholungszeiten, Vereinbarkeit mit Privatleben bzw. flexible Arbeitszeitmodelle, Ganzheitlichkeit, Sinnhaftigkeit, Unterbrechungsfreiheit, positive soziale Interaktion, organisationale Gerechtigkeit und Lern-/Entwicklungsmöglichkeiten.
Die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung kann dabei helfen, gefährliche psychische Arbeitsbedingungen zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen an der Quelle zu bekämpfen.
Soziale Absicherung bei psychischer Erkrankung
Im Folgenden finden Sie eine Auflistung verschiedener finanzieller Leistungen, die Menschen mit psychischen Erkrankungen beziehen können.
- Krankenversicherung: Unter bestimmten Voraussetzungen und auf Antrag bei der Österreichischen Gesundheitskasse ist eine Mitversicherung bei Eltern für psychisch kranke Menschen im Erwachsenenalter (auch zeitlich unbegrenzt) möglich (§ 123 ASVG - Anspruchsberechtigung für Angehörige). Nähere Informationen: www.jusline.at www.gesundheitskasse.at
- Krankengeld: Das Krankengeld hat die Funktion den Verdienstausfall aufgrund der Arbeitsunfähigkeit während der Zeit der Erkrankung teilweise zu ersetzen. Nähere Informationen:www.gesundheitskasse.at
- Arbeitslosengeld: Zur Sicherung der finanziellen Lebensgrundlage bei Arbeitslosigkeit kann unter bestimmten Voraussetzungen das Arbeitslosengeld bei dem AMS beantragt werden. Nähere Informationen: www.ams.at www.oesterreich.gv.at
- Notstandshilfe: Ist die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erschöpft, kann bei dem AMS Notstandshilfe beantragt werden. Nähere Informationen: www.ams.at www.oesterreich.gv.at
- Rehabilitationsgeld: Stellt die Pensionsversicherung keine dauernde Invalidität oder Berufsunfähigkeit fest und wurden ausreichend Pensionsversucherungszeiten gesammelt, kann Rehabilitationsgeld beantragt werden. Die Auszahlung leistet die Krankenversicherung, welche auch für die Unterstützung zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zuständig ist. Nähere Informationen:www.gesundheitskasse.at
- Waisenpension: Die Waisenpension ist eine Leistung, die den hinterbliebenen Kindern nach dem Tod eines versicherten Elternteiles eine soziale Absicherung garantiert, wenn die verstorbene Person zum Zeitpunkt des Todes Anspruch auf eine Alterspension oder eine Invaliditäts,- Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitspension gehabt hätte. Für psychisch kranke Menschen ist es unter bestimmten Voraussetzungen möglich, die Waisenpension auch im Erwachsenenalter zu beziehen. Nähere Informationen:www.oesterreich.gv.at
- Erhöhte Familienbeihilfe: Den Erhöhungsbeitrag zusätzlich zur regulären Familienbeihilfe erhalten Eltern, deren Kind in jungen Jahren erkrankt und daher erwerbsunfähig geblieben ist. Der Antrag ist beim jeweiligen Finanzamt zu stellen und kann 5 Jahre rückwirkend eingebracht werden. Nähere Informationen:www.oesterreich.gv.at
- Sozialhilfe / Mindestsicherung: Personen, die aus eigenen Mitteln den Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können, haben die Möglichkeit bei der Sozialabteilung der zuständigen Bezirkshauptmannschaft bzw. dem Magistrat einen Antrag auf Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung stellen. Nähere Informationen:www.oesterreich.gv.at
- Ausgleichszulage: Wenn die Pension unter bestimmten Richtsätzen liegt, kann bei der zuständigen Pensionsversicherungsanstalt unter gewissen Voraussetzungen die Ausgleichszulage beantragt werden sodass ein Mindesteinkommen gesichert werden kann. Nähere Informationen:www.oesterreich.gv.at
- Rezeptgebührenbefreiung: Personen mit Einkommen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz bzw. Personen, die aufgrund von Erkrankung überdurchschnittliche Ausgaben für Medikamente haben, können bei der Österreichischen Gesundheitskasse eine Rezeptgebührenbefreiung beantragen. Nähere Informationen: www.oesterreich.gv.at www.gesundheitskasse.at
- Befreiung ORF Gebühr: Bei körperlicher oder finanzieller Hilfsbedürftigkeit ist eine Befreiung von den ORF Gebühren per Antragsstellung möglich. Nähere Informationen:orf.beitrag.at
- Pflegegeld: Das Pflegegeld ist ein pauschalierter Beitrag zur Abgeltung des pflegebedingten Mehraufwandes. Es ist an den geschätzten Pflege- bzw. Unterstützungsbedarf pro Monat gebunden und wird von der Pensionsversicherungsanstalt bzw. der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft ausgezahlt. Nähere Informationen:www.oesterreich.gv.at
Weitere Unterstützungsmöglichkeiten
- Vollmacht: Familienmitglieder oder Freunde und Freundinnen können sich von erkrankten Personen mit einer Vollmacht ausstatten lassen, um Behördenwege für sie zu erledigen. Nähere Informationen:www.oesterreich.gv.at
- Erwachsenenschutzrecht (früher: Sachwalterschaft): Ab 1. Juli 2018 gibt es vier verschiedene Arten der Erwachsenenvertretung, die den betroffenen Personen - ihren Bedürfnissen entsprechend - unterschiedlich viel Selbstbestimmung ermöglichen. Nähere Informationen:www.oesterreich.gv.atwww.vertretungsnetz.at
Rehabilitation und Wiedereingliederung
Für Arbeiter:innen gilt der Begriff Invalidität, für Angestellte der Begriff Berufsunfähigkeit und für Selbstständige der Begriff Erwerbsunfähigkeit. Seit 1. Jänner 2014 gelten dabei für Arbeiter:innen und Angestellte neue Regelungen - und zwar für alle, die nach dem 31. Dezember 1963 geboren sind. Ist eine Person vorübergehend invalide oder so schwer krank, dass sie zeitweise nicht arbeiten kann, erhält sie Rehabilitationsgeld und soll wieder in den Arbeitsprozess integriert werden. Wer seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann, wird umgeschult und bekommt Umschulungsgeld. Nur bei dauerhafter Invalidität oder wenn eine Umschulung nicht zweckmäßig oder zumutbar ist, wird eine Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- bzw. Erwerbsunfähigkeitspension gewährt.
Es gilt der Grundsatz Reha vor Pension. Das heißt: Zunächst wird geprüft, ob die Erwerbsfähigkeit durch medizinische oder berufliche Rehabilitation wiederhergestellt werden kann. Die nötigen medizinischen, berufskundlichen und arbeitsmarktbezogenen Gutachten erstellt die einheitliche Begutachtungsstelle „Kompetenzzentrum Begutachtung“. Betroffene sollten sich zuerst mit ihrer behandelnden Ärztin bzw. ihrem behandelnden Arzt in Verbindung setzen. Anschließend wird gegebenfalls ein Antrag auf Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitspension gestellt. Seit 1. Jänner 2017 besteht ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation für jene Personen, die auf Grund ihres Gesundheitszustandes die Voraussetzungen für eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension erfüllen bzw.
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Psychische Gesundheit und Krisenintervention
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestimmt die sogenannte psychosoziale Gesundheit als Zustand des Wohlbefindens, in dem ein Mensch seine Fähigkeiten ausschöpfen, die alltäglichen Sorgen bewältigen, produktiv arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen. Bei der psychosozialen Gesundheit spielen äußere und innere Gesichtspunkte zusammen - Wohlbefinden, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, soziale Beziehungen, Arbeitsbedingungen, finanzielle Mittel, Sicherheit, erbliche Vorbedingungen etc. Sie ist, zumindest bedingt (in bestimmtem Ausmaß), beeinflussbar.
Krisen sind keine Krankheit. Wenn ein Mensch in einer Krise steckt, haben sich Belastungen zugespitzt, die er allein zunächst nicht mehr meistern kann. Gefühle von Ausweglosigkeit und Verzweiflung können dann zu Gedanken über Selbstverletzung, Selbstmord oder zu Verhalten, das andere oder einen selbst schädigt, führen. Diese und ähnliche Erkrankungen müssen von Fachkundigen, die gemeinsam mit Ihnen herausfinden müssen, wie Ihnen geholfen werden kann, behandelt werden. Mit Menschen sprechen zu können, die Ähnliches erlebt haben, ähnlich oder ganz anders auf das Erlebte reagieren, kann helfen.
Psychische Krisen sind von psychiatrischen Krisen bzw. Notfällen (BMASGPK) zu unterscheiden. Einem psychiatrischen Notfall liegt meist eine akute psychische Erkrankung zugrunde (zum Beispiel Drogenmissbrauch, Schizophrenie) bzw. ein akutes körperliches Leiden, das zu psychiatrischen Symptomen führt (zum Beispiel eine Gehirnblutung).
Was gegen Burnout hilft
Psychisch gesunde Arbeitsbedingungen ermöglichen psychisch gesundes Arbeiten. Daher muss die Arbeit von dem:der Arbeitgeber:in auch psychisch gesund gestaltet werden. Die Realität sieht oft anders aus: eine hohe Arbeitsmenge, kurzfristige Termine, wenig Personal und Ressourcen, Umstrukturierungen uvm. sind an der Tagesordnung. Arbeiterkammern und Gewerkschaften fordern daher schon lange die Anerkennung von Burnout als Berufskrankheit - Betroffene benötigen ein Anrecht auf eine umfassende Behandlung durch die Unfallversicherungsanstalt, zeitlich unbefristete medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation oder finanzielle Entschädigungen.
Menschen, die durch ihre Arbeit Schaden erleiden, müssen abgesichert sein - das muss für Burnout ebenso gelten wie für körperliche Schäden. Arbeitsbedingte psychische Erkrankungen sind trotz vielfältigster Präventionsbemühungen weit verbreitet und gehören zu den häufigeren arbeitsbedingten Erkrankungen. Um diese an der Quelle zu bekämpfen, ist der Arbeitsschutz inzwischen deutlich differenzierter geworden und verfolgt einen ganzheitlicheren Ansatz.