Was kann man gegen Zwangsstörungen tun – Therapieansätze

Zwangsstörungen können das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen. Glücklicherweise gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die gute Erfolge versprechen.

Hintergründe und Erscheinungsformen von Zwangsstörungen

Barbara Heiniger Haldimann, eine Schweizer Psychologin und Psychotherapeutin, beschreibt in ihrem Buch über Zwangsstörungen die Geschichte dieser Erkrankung. Früher gehörten sie zu den rätselhaftesten psychischen Störungen. Im 19. Jahrhundert beschrieb man Zwänge entweder als Teufelswerk oder als Bestandteil von Depressionen. Seit der Wende ins 20. Jahrhundert werden Zwangsstörungen als eigenständiges Syndrom betrachtet. Den Symptomen (Gedanken und Handlungen) wurde mehr Bedeutung beigemessen. In der Behandlung wurde nach den Hintergründen der Symptome gesucht, die Krankheitszeichen wurden aber nicht direkt behandelt.

Symptome der Zwangsstörung

Zwanghafte Menschen sind oft ausdauernd, fleißig, konsequent, planvoll und verantwortungsbewusst. Die Betroffenen leiden darunter, dass sich ihnen immer wieder „unsinnige“ Gedanken aufdrängen und/oder der unwiderstehliche Drang entsteht, bestimmte Handlungen auszuführen. Beispiele hierfür sind zählen, kontrollieren, die Hände waschen, Gegenstände reinigen oder Listen erstellen. Die Unterdrückung dieser Impulse bewirkt einen hohen Leidensdruck und eine große Angst davor, dass ein Unglück geschieht oder jemand anderer zu Schaden kommt, wenn diesem Impuls nicht sofort nachgegeben wird. Da die Erleichterung nach der Ausführung der Zwangshandlung nur kurze Zeit besteht, beginnt ein Teufelskreis aus belastenden Gedanken und den vermeintlich beruhigenden Ritualen.

Behandlungsmöglichkeiten bei Zwangsstörungen

Zwangsstörungen können in der Regel mit gutem Erfolg behandelt werden. Im Zentrum einer erfolgreichen Psychotherapie stehen spezielle Techniken, die darauf abzielen, den Betroffenen unter professioneller Aufsicht daran zu hindern, seine Rituale durchzuführen. Im Rahmen der Übungen wird entweder stufenweise vorgegangen, oder der Betroffene wird sofort dazu aufgefordert, das zwanghafte Verhalten vollkommen zu unterdrücken. Auch wird die berufliche bzw. soziale Umgebung der Betroffenen analysiert. Nicht selten kommen dabei Probleme zum Vorschein, die die Zwangsstörung aufrechterhalten. In der Therapie werden dann Möglichkeiten gesucht, diese Lebensumstände, den Umgang mit problematischen Situationen und deren Bewertung zu verändern.

Kognitive Verhaltenstherapie

Die besten Behandlungserfolge zeigt die kognitive Verhaltenstherapie. Zu Beginn bespricht der Therapeut mit dem Patienten die konkrete Vorgehensweise. Eine Methode in der kognitiven Verhaltenstherapie sind Expositionsübungen, die als besonders wirksam gelten. Bei diesen Übungen wird der Patient mit dem Reiz konfrontiert, der normalerweise sein zwanghaftes Verhalten auslöst, ohne dass er dem inneren Druck nachgeben darf. Jemand, der einen Ordnungszwang hat, muss zum Beispiel Unordnung in seinen Kleiderschrank bringen und darf die Kleider anschließend nicht wieder sortieren. Die Exposition erfolgt so, dass die Herausforderungen von Mal zu Mal gesteigert werden oder aber der Betroffene gleich zu Beginn der Therapie mit seiner größten Angst konfrontiert wird.

Lesen Sie auch: Überraschungen für den Partner

Während der Drang, dem üblichen Ritual zu folgen, anfangs übermächtig scheint, erlebt der Patient, wie der Druck langsam nachlässt - auch ohne, dass er dem Zwang nachgibt. Durch diese bewusste Erfahrung gewinnt er ein Stück weit die Kontrolle über sein Verhalten zurück. Zu Beginn der Therapie dauert es allerdings eventuell mehrere Stunden, bis sich dieser Effekt einstellt. Zur Bewältigung von Zwangsgedanken werden die Patienten dazu aufgefordert, die unangenehmen Gedanken zuzulassen. Denn das Unterdrücken führt dazu, dass diese noch häufiger auftreten. Wenn sich die Betroffenen darauf einlassen und sich direkt mit den Gedanken auseinandersetzen, sind sie in der Lage, ihre Zwänge zu besiegen. Außerdem erklärt der Verhaltenstherapeut dem Patienten, wie Zwänge entstehen, und hilft ihm, ungünstige gedankliche Muster zu verändern. Die kognitive Verhaltenstherapie wird sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern eingesetzt. Unterstützend wirken Methoden zum Stressabbau wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung oder ein Achtsamkeitstraining.

Medikamentöse Behandlung

Bei der Behandlung mit Medikamenten haben sich vor allem jene Mittel durchgesetzt, die positiv auf die Stimmung wirken. Eine besonders gute Wirkung zeigen dabei Antidepressiva, die auf den Neurotransmitter Serotonin einwirken, sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Die rein medikamentöse Therapie verspricht zwar eine recht zügige Besserung, doch treten die Zwänge eventuell nach Absetzen des Arzneimittels sehr bald wieder auf. Deshalb sollte eine Kombination von Medikamenten und Psychotherapie angewandt werden. Einem großen Teil der Zwangserkrankten helfen sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) - eine spezielle Gruppe von Antidepressiva. Sie müssen in der Regel deutlich höher dosiert werden als bei der Behandlung von Depressionen. Durch die Einnahme von SSRI verringert sich bei den meisten Betroffenen die innere Anspannung. Die Zwangssymptome lassen nach. Sie verschwinden aber meist nicht komplett und kehren nach Absetzen der Medikamente verstärkt wieder zurück. Eine begleitende kognitive Verhaltenstherapie ist daher immer zu empfehlen. Auch bei Kindern gilt diese Vorgehensweise. Sind die Zwänge stark ausgeprägt, werden zusätzlich zur kognitiven Verhaltenstherapie auch bei ihnen Medikamente, vor allem SSRI wie beispielsweise Fluoxetin, eingesetzt.

Selbsthilfegruppen

Zusätzlich sind Medikamente hilfreich. In Selbsthilfegruppen finden Betroffene ebenfalls Unterstützung durch den Austausch mit anderen. Die Selbsthilfe bei einer Zwangsstörung stellt einen wichtigen ergänzenden Baustein in der Behandlung einer Zwangsstörung dar. Zum einen sind Selbsthilfezentren oftmals für Betroffene ein erster Anlaufpunkt für eine Beratung. Sie helfen, bei der Aufklärung des Erkrankten mitzuwirken und so einen adäquaten Umgang mit der Störung zu fördern. Zum anderen spielen Selbsthilfegruppen eine Rolle dabei, nach einer Behandlung Rückfälle zu vermeiden. Zudem eignet sich Selbsthilfeliteratur als Mittel zur eigenen Unterstützung.

Tipps für Angehörige

Auch Angehörige spielen eine Rolle bei der Behandlung von Zwangsstörungen: Sie sollen die Erkrankten zur Therapie ermutigen. Eine Zwangsstörung ist nicht nur für den Patienten eine Belastung, sondern auch für alle, die mit ihm zusammenleben. Die zeitaufwendigen Zwangshandlungen gehen zulasten der Partner und Familie. Mitunter wird ihnen sogar abverlangt, sich dem Zwang zu unterwerfen, indem sie beispielsweise ebenfalls überzogene Hygieneregeln einhalten. Folgende Tipps sind hilfreich für Angehörige, um mit der schwierigen Situation fertig zu werden:

  • Das Zwangsritual lässt sich vom Patienten willentlich nur begrenzt und mit großem Kraftaufwand kontrollieren. Die Aufforderung, sich zusammenzureißen, sowie Diskussionen über die Sinnlosigkeit des Tuns helfen daher nicht weiter. Das einzig wirklich Hilfreiche ist eine Therapie.
  • Ermutigen Sie daher den Betroffenen, sich therapeutische Hilfe zu suchen.
  • Unterstützen Sie den Betroffenen nicht in seinem Ritual. Helfen Sie ihm beispielsweise nicht, vor dem Verlassen des Hauses sämtliche Elektrogeräte zu kontrollieren oder Dinge für ihn zu zählen, um ihn zu beruhigen. Auf Dauer stabilisieren Sie dadurch nur das Zwangsverhalten.
  • Loben Sie ihn für Fortschritte, aber kritisieren Sie ihn nicht, wenn sich die Symptome auch wieder einmal verstärken - beispielsweise, wenn der Betroffene unter Druck steht. Solche Schwankungen in der Symptomstärke sind normal.
  • Lassen Sie sich vom Zwang des Betroffenen nicht vereinnahmen. Gehen Sie weiterhin Ihren Hobbys nach, treffen Sie Freunde und versuchen Sie, auch mit dem Zwangserkrankten im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zu unternehmen.
  • Setzen Sie dem Betroffenen klare Grenzen für das, was Sie bereit sind, in Kauf zu nehmen, und was nicht.
  • Wenn Sie mitunter entnervt und zornig sind (und das ist unvermeidlich!), sollten Sie deutlich machen, dass sich dies auf die Symptome bezieht und nicht auf den Erkrankten selbst.

Wie können Sie als Betroffene zur Genesung beitragen?

  • Vertrauen Sie sich jemandem an.
  • Lassen Sie Ihre Zwänge nicht Ihr Leben bestimmen - gehen Sie dagegen vor!
  • Stärken Sie Ihre Ressourcen: Menschen brauchen einen sicheren Rückhalt. Stabile Beziehungen zu Freunden, Bekannten und Verwandten sind ein wichtiger Sicherheitsfaktor.
  • Welche Zwänge haben Sie? Überprüfen und verändern Sie Ihre Einstellungen und Bewertungen und relativieren Sie Ihre Gedanken.

Menschen mit Zwangsstörungen haben häufig das Bedürfnis, das Schicksal vollkommen kontrollieren zu müssen und sehnen sich nach 100%iger Sicherheit. Sie benötigen die Stützung Ihres Selbst und der Spontanität, nicht nur das Anstreben von Entweder-Oder-Lösungen.

Lesen Sie auch: Erwachsenen-ADHS: Symptome und Diagnose

Die Rolle der Selbstsicherheit und des Selbstbildes

In der Psychotherapie bei Zwangsstörungen stehen die Stärkung der Selbstsicherheit und die Entwicklung eines positiven Selbstbildes im Vordergrund. Wichtige Veränderungsschritte sind oft: Konflikte aushalten lernen; mit sich selbst nachsichtiger sein; sich erlauben, eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Interessen zu vertreten; sich selbst Wut und Ärger erlauben; Unsicherheiten und innere Widersprüche aushalten; Risiken eingehen und sich schwierigen Situationen stellen; sich den eigenen Ängsten/Befürchtungen stellen; negative Gefühle annehmen lernen; bewusster und mehr im Moment zu leben. Auch der Umgang mit Schuld und mit Selbstvorwürfen, das Abgeben von Verantwortung und Kontrolle können ein wichtiges Element der Psychotherapie bei Zwangsstörungen sein.

Umgang mit schwierigen Lebensphasen

Zwangsgedanken und Zwangshandlungen treten vermehrt in schwierigen Lebensphasen, bei Veränderungen, bei äußeren Belastungen und bei Stress auf. In diesem Sinne können sie als ein Warnsignal der Seele gedeutet werden: bei starker Verunsicherung und bei drohender Überlastung. Viele Betroffene werten sich für ihre "schrägen" Gedanken selbst ab, versuchen ihre "dummen" Gewohnheiten vor anderen zu verbergen. Sie schämen sich massiv vor anderen und ziehen sich von Freunden und Familie zurück. Die Einsamkeit, das erlebte Versagen und die Selbstabwertung führen oft zu einer Verschlimmerung der Symptomatik.

Unterscheidung von Tics

Tics sind von Zwängen klar zu unterscheiden: Tics sind plötzliche unwillkürliche Bewegungen oder Lautäußerungen, sie tauchen reflexartig und unvermittelt auf, sind aus Sicht der Betroffenen bedeutungslos und führen auch zu keiner Beruhigung oder Entlastung. Tics treten vor allem im Rahmen neurologischer Erkrankungen und bei manchen Entwicklungsstörungen auf.

Statistiken und Begleiterkrankungen

Etwa 4 % der Erwachsenen leiden unter einer Zwangsstörung. Diese beginnt meist in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Menschen mit selbstunsicheren, perfektionistischen und abhängigen Persönlichkeitszügen sind besonders häufig betroffen. Diese Persönlichkeitseigenschaften können die Zwänge noch verstärken. Die meisten Betroffenen (80 %) leiden unter depressiven Symptomen. Auch Angststörungen treten oft gemeinsam mit einer Zwangsstörung auf, vor allem Panikstörungen und soziale Phobien.

Tabellarische Übersicht der Behandlungsmethoden

Behandlungsmethode Beschreibung Ziel
Kognitive Verhaltenstherapie Konfrontation mit angstauslösenden Reizen, Abbau ungünstiger Denkmuster Kontrolle über Zwänge zurückgewinnen, Angst reduzieren
Medikamentöse Behandlung Einsatz von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) Innere Anspannung verringern, Zwangssymptome reduzieren
Selbsthilfegruppen Austausch mit anderen Betroffenen Unterstützung, Rückfälle vermeiden

Lesen Sie auch: Umgang mit psychischen Krisen

tags: #was #kann #man #gegen #zwangsstörungen #tun