Die Psychosomatik ist ein Teilgebiet der Medizin, das die Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper untersucht. Sie berücksichtigt psychische Einflüsse auf somatische (körperliche) Vorgänge und umgekehrt.
Die psychosomatische Medizin stellt die praktische Umsetzung der Psychosomatik in der Krankenbehandlung und Krankheitsprophylaxe dar. Sie befasst sich mit Krankheiten und Leidenszuständen, die von psychosozialen und psychosomatischen Faktoren (einschließlich dadurch bedingter körperlich-seelischer Wechselwirkungen) maßgeblich verursacht werden.
Ziele und Kompetenzen im Bereich der psychiatrischen Pflege
Sie haben Interesse Ihre Pflegeexpertise mit wissenschaftlichen Kompetenzen im Spezialbereich der psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege mit dem besonderen Fokus auf das Recovery-Modell zu vertiefen. Außerdem ist Ihr Ziel, im Rahmen des Pflegeprozesses Ihre Rolle im interdisziplinären Team zu schärfen und Expert*in für die psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege zu werden.
Dazu möchten Sie Expert*in der professionellen Kommunikation und Beziehungsgestaltung werden, Krisen frühzeitig erkennen und mithelfen, psychiatrische Krankheiten vorzubeugen. Sie sehen es als Ihre Aufgabe, Familien dabei zu unterstützen, gesundheitsbezogene Entscheidungsprozesse selbstbestimmt zu beeinflussen.
Als Teilnehmende des Hochschullehrgangs erwerben Sie alle nötigen Kompetenzen in der akuten Krisenbewältigung und Deeskalation. Alle Lehrenden verfügen über langjährige Erfahrung in berufsfeld-relevanten Strukturen und eine ausgewiesene Expertise und Anerkennung im speziellen Berufsfeld der psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege. Ebenso zeichnen sie sich durch ein hohes Maß an formellen, wissenschaftlichen und pflegepädagogischen Fähigkeiten aus.
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Lernergebnisse
Die Absolvent*innen analysieren die Zusammenwirkung unterschiedlicher kultureller, geschichtlicher und sozialer Faktoren (Religion, Herkunft, Sitten und Gebräuche, Familie, Peer Group, Berufsfeld, Gesellschaft, Gesundheitssystem etc.) im Kontext mit Interaktions-/Verhaltensmustern und Glaubenssätzen bei der Entstehung psychischer Erkrankung bzw. dem Umgang mit psychischer Erkrankung, reflektieren internationale Betreuungskonzepte und erkennen daraus die Bedeutung der Ressourcen der Betroffenen und leiten daraus grundlegende Strategien für die pflegerische Begegnung ab.
Die Studierenden beschreiben die Auswirkung kultureller, geschichtlicher und sozialer Faktoren im Kontext mit Interaktions-/Verhaltensmustern und Glaubenssätzen auf die Entstehung psychischer Erkrankung bzw. den Umgang mit psychischer Erkrankung.
Die Studierenden erläutern die Bedeutung des Selbstkonzepts sowie die Entwicklung der eigenen persönlichen Identität (z.B. Gefühle, Bedürfnisse, Erwartungen, Werte) im Zusammenhang mit der Entstehung psychischer Erkrankung und reflektieren den eigenen Anteil in der Begegnung mit Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Die Studierenden erläutern unterschiedliche Erklärungsmodelle psychischer Störungen und können aktuelle Klassifikationsschemata zu psychischen Erkrankungen erklären.
Die Studierenden analysieren die Bedeutung der Ressourcenorientierung als Grundhaltung in der Begegnung mit Menschen mit psychischen Erkrankungen, beziehen persönliche und soziale Ressourcen (u. a. Familie, Berufsfeld, Peer Group, Selbsthilfegruppen) in den Pflege- und Behandlungsprozess mit ein und passen die Unterstützung bei Selbstpflege/Alltagskompetenzen krankheits-, alters-, entwicklungsentsprechend sowie Individuums- und situationsbezogen an (z. B. Zulassen von Eigenheiten unter Abwägen des ethischen Dilemmas von Fürsorge vs. Autonomie).
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Die Studierenden erläutern exemplarisch die Auswirkung unterschiedlicher kultureller, spiritueller und sozialer Aspekte auf das Selbstkonzept des Betroffenen sowie den Prozess der Beziehungsgestaltung in der Begegnung mit Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Die Studierenden definieren die besondere Bedeutung von Nähe und Distanz in der Begegnung mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und berücksichtigen dies auf Basis der Reflexion der eigenen persönlichen Identität in der professionellen Beziehungsarbeit mit ihnen.
Die Studierenden erkennen situations- und entwicklungsspezifische Kommunikationseinschränkungen von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, wählen bedarfsangepasst geeignete Kommunikationsformen und -hilfsmittel aus und setzen diese zielgerichtet ein. Die Studierenden erheben Unterstützungsbedarfe in der Beziehungsgestaltung, erkennen deren Auswirkung auf die Lebens- und Alltagswelt sowie Vorlieben, Kompetenzen des Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen; planen unter Berücksichtigung der eigenen Gefühls- und Bedürfnislage und der Reflexion des eigenen Anteils in der Begegnung entsprechende Interventionen im Sinne der gewaltfreien Kommunikation und setzen diese um.
Die Studierenden reflektieren im Beziehungsprozess die Werte, Realitäten, Gefühle und Bedürfnisse von Menschen mit psychosozialem Leiden und analysieren diese und sprechen sie wertfrei an; sie erläutern exemplarisch anhand des Modells von Peplau den Prozess der Beziehungsgestaltung in der Begegnung mit Menschen mit psychischen Erkrankungen, vertreten anwaltschaftliches Handeln im Rahmen des Behandlungs-, Pflege- und Betreuungsprozesses auf Basis einer ethischen Reflexion und Verstehens psychischer Erkrankung, und wahren die Interessen von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.
Die Studierenden unterscheiden quantitative Forschungsdesigns in der Pflegewissenschaft und erläutern Vor- und Nachteile digitaler Softwareprogramme zur quantitativen Auswertung Die Studierenden unterscheiden Deskriptiv- und Inferenzstatistik und erklären diese Unterschiede unter Rückbezug auf den Forschungsprozess.
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Inhalte des Studiums
- Historische Entwicklung in der Pflege und Betreuung psychisch kranker Menschen und deren Auswirkung auf heutige Verhältnisse, Lehren aus der Geschichte
- Normal vs. abnormal, Selbsteinschätzung vs. Fremdeinschätzung
- Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen (bei einem selbst, in der Familie, im Umfeld, in der Gesellschaft)
- Umgang der Gesellschaft mit Menschen mit psychischen Erkrankungen, Problem Stigma, Stigmaprävention
- Darstellung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Film, Fernsehen, Soziale Medien und Presse
- Exkurs: Betreuungskonzepte psychisch kranker Menschen anhand von Beispielen im internationalen Bereich
- Selbstkonzept vs. Fremdbild, eigener Anteil in der Begegnung
- Erklärungsansätze zur Entstehung psychischer Erkrankungen (medizinisch biologisch-chemische Ansätze, psychologische Ansätze, spirituell-religiöse Ansätze, kulturelle Ansätze, Ansätze aus der Neurobiologie, Stress-Adaptions Modell)
- Das Bio-Psycho-Soziale Modell als eine Verständnishilfe zum Verstehen von psychischer Erkrankung
- Entwicklung und Störung der eigenen persönlichen Identität (z.B. Gefühle, Bedürfnisse, Erwartungen, Werte)
- Konzept der Selbstwirksamkeit, des Selbstwerts und des Selbstkonzepts der positiven Psychologie
- Medizinische Klassifikationssysteme (ICD 11, DSM5)
- Selbst- und Fremdwahrnehmung, Übertragung - Gegenübertragung, eigener Anteil in der Begegnung
- Zulassen von Eigenheiten unter Abwägen von Fürsorge vs. Autonomie
- Wertschätzung als Grundhaltung
- Bedeutung von Nähe und Distanz in der Begegnung mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
- Ressourcenorientierung als professionelle Grundhaltung
- Auswirkung unterschiedlicher kultureller Aspekte auf den Prozess der Beziehungsgestaltung in der Begegnung mit Menschen mit psychischen Erkrankungen
- Religion, Spiritualität, spiritueller Distress
- Ethnozentrismus und kulturelle Erwartungen in Bezug auf psychische Erkrankung
- Ethnopharmakologiekultursensible Pflege
- Culture-Bound-SyndromesSelected Cultural Implications of Psychotropic Agents
- Migration
- Soziales Umfeld, Familie, Freunde und „Peer-Groups“
- Grundlagen der personenzentrierten Arbeit nach Carl Rogers
- Psychodynamische Pflege auf den Grundlagen des Pflegemodells von Hildegard Peplau
- Kongruente Beziehungspflege nach Rüdiger Bauer
- Grundlagen des Gezeitenmodells von Phil Barker und Poppy Buchanan-Barker
- Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg als ein wesentliches Instrument zur kommunikativen Umsetzung personenenzentrierten Pflegehandelns
- Selbstempathie und authentischer Ausdruck von Ich-Botschaften
- Selbstreflexion - der eigene Anteil in der Begegnung mit dem „Anderem“
- Empathie im Sinne der GFK gegenüber anderen Menschen - Urteile/Bewertungen in Gefühle und Bedürfnisse übersetzen
- anwaltschaftliches Handeln im Rahmen des Behandlungs-, Pflege- und Betreuungsprozesses auf Basis einer ethischen Reflexion und Verstehens psychischer Erkrankung, Wahrung der Interessen von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
Psychosomatische Zusammenhänge
Ein Beispiel für einen psychophysiologischen Zusammenhang: Angst führt dazu, dass die Nebennieren Adrenalin ausschütten, wodurch über das vegetative Nervensystem unter anderem die Magen-Darm-Peristaltik gehemmt wird, was bei längerer Einwirkung zu Verdauungsstörungen führen kann. Vielen Redewendungen des Alltags liegt dieser Zusammenhang zugrunde: Etwas liegt einem schwer im Magen, eine Sache geht einem an die Nieren, der Schreck fährt einem in die Glieder, jemandem ist eine Laus über die Leber gelaufen.
Als Vermittler und neurobiologische Schnittstellen zwischen seelischen und leiblichen Vorgängen spielen das limbische System, der Thalamus als sensorisches Zentrum, das vegetative Nervensystem sowie die endokrinen Drüsen, die vom vegetativen Nervensystem Impulse für die Ausschüttung von Neurotransmittern und Hormonen erhalten, eine wichtige Rolle. Diese Zusammenhänge und deren Wirkmechanismen gehören zu den Forschungsgebieten der Psychoneuroimmunologie und Psychoneuroendokrinologie.
Geschichte und theoretische Konzepte
Die Ursprünge der Psychosomatik lassen sich bis an die Anfänge der Medizin zurückverfolgen. In der Philosophiegeschichte gilt die Auseinandersetzung um das Leib-Seele-Problem seit der Antike als eine zentrale Frage. Georg Ernst Stahl gilt als Wegbereiter der Psychosomatik in der Medizin.
Das Wort Psychosomatik wurde 1818 von Johann Christian August Heinroth (17731843) geprägt. Heinroth versuchte als Psychiker, jedes Krankheitsgeschehen in seinen psychischen wie somatischen und lebensgeschichtlichen Gesamtzusammenhängen zu verstehen. Modernere Vorstellungen wurden etwa von Erich Stern publiziert. Starken Einfluss übte Pierre Janets Hysterieforschung in Deutschland aus (18531947).
Ein Schüler Sigmund Freuds war Wilhelm Reich, der nach den körperlichen Wirkkräften suchte, die eine Widerspiegelung von Freuds Triebmodell sein sollten. Das psychoanalytische Erklärungsmodell wurde bestimmend für einen bis heute verbreiteten Zweig der psychosomatischen Medizin.
Eine Fülle weiterer Impulse kamen aus den anderen tiefenpsychologischen Schulen, philosophisch-anthropologischen Ansätzen, psychobiologischen und psychophysiologischen Entwürfen, der Weiterentwicklung der Psychophysiologie (Psychoneuroendokrinologie und Psychoneuroimmunologie) und der Systemtheorie.
Axel Schweickhardt definierte 2005 das Konversionsmodell, welches von Sigmund Freud entwickelt wurde und die Grundannahme ist, dass die Erregungssumme einer uns Lust bereitenden Vorstellung ins Körperliche umgesetzt wird, um diese unschädlich zu machen.
Schur entwickelte 1955 das Modell der De- und Resomatisierung, welches sich auf die in der Psychoanalyse beschriebenen leiblichen und seelischen, topischen und genetischen Progressionen sowie Regressionen bezieht. Hier wird angenommen, dass psychische Probleme durch den Körper ausgedrückt werden (Resomatisierung). Es wird ebenfalls angenommen, dass dies auch in der frühen Kindheit geschieht, wenn das Kind noch keine Möglichkeit hat, mit psychischen Problemen umgehen zu können.
Die biografische Medizin eröffnet einen weiteren Zugang zur Psychosomatik. Sie konzentriert sich auf den zeitlichen Zusammenhang der Symptome mit einem ungelösten, verdrängten und aktualisierten Konflikt.
Matthews und Mathews legten nach 2005 die Grundlagen für das neurophysiologische Modell, welches besagt, dass es ein neurologisches Areal gibt, in dem sich eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Leibes niederschlägt, die sogenannte Körperkarte. Veränderungen dieser Karte sind unter anderem wesentlich für die verbreiteten Essstörungen und bei Störungen der Selbstwahrnehmung (Dissoziationen).
Die Forschungen von Ronald Grossarth-Maticek beschäftigen sich mit den Wechselwirkungen zwischen physischen, biografischen und psychischen Faktoren und möglichen Synergieeffekten. Umfassende Erkenntnisse und Fortschritte auf dem Gebiet der psychosomatischen Medizin sind außerdem dem Neurobiologen und Arzt Joachim Bauer zu verdanken.
Forschung und Entwicklung in Deutschland
Seit etwa 1935 existiert die psychosomatische Medizin als eigenes Fach mit systematischer wissenschaftlicher Forschung. In Deutschland wurde 1950 mit finanzieller Unterstützung der Rockefeller Foundation in Heidelberg die erste Abteilung für psychosomatische Medizin eingerichtet (unter Leitung Alexander Mitscherlichs). Im Jahre 1962 wurde an der Universität Gießen auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Psychosomatik Horst-Eberhard Richter berufen. Richter baute das Psychosomatische Universitätszentrum auf, dessen Direktor er wurde.
Aus- und Weiterbildung
In der Bundesrepublik Deutschland verankerte die ärztliche Approbationsordnung von 1970 psychosomatische Medizin und Psychotherapie erstmals als scheinpflichtige Unterrichtsfächer in der medizinischen Lehre. Danach wurden an fast allen medizinischen Fakultäten in der Bundesrepublik Abteilungen für psychosomatische Medizin eingerichtet. Im Jahre 1992 wurde in der Bundesrepublik Deutschland neben dem Nervenarzt und dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie die Gebietsbezeichnung Arzt für Psychotherapeutische Medizin eingeführt und in den Leitlinien für die Ausbildung festgelegt: Gesundheit und Krankheit müssen als ein komplexes, vielfach verwobenes Gefüge verstanden werden, in dem biologische, psychologische und soziale Elemente ...
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