Eine Trennung oder Scheidung ist nicht nur ein rechtlicher, sondern vor allem ein emotionaler Prozess, der tiefgreifende psychologische Auswirkungen auf alle Beteiligten haben kann, insbesondere auf Kinder.
Psychologische Aspekte von Scheidung und Trennung
Die psychologischen Auswirkungen einer Scheidung sind vielfältig und sollten nicht unterschätzt werden. Rechtliche Unterstützung kann zwar dazu beitragen, Unsicherheiten zu reduzieren und den Prozess zu erleichtern, aber die emotionalen Herausforderungen bleiben bestehen. Die Auseinandersetzung mit der Thematik Scheidung ist aus psychologischer Sicht komplex, da sie individuelle Anpassungsleistungen erfordert und sowohl negative als auch positive Folgen haben kann.
Auswirkungen auf Erwachsene
Für die betroffenen Erwachsenen geht die Trennung mit beträchtlichen individuellen Anpassungsleistungen einher. Sie kann aber auch eine Chance zur Persönlichkeitsreifung bieten. Allerdings können viele Erwachsene nach einer Trennung oder Scheidung unter gesundheitlichen Problemen leiden. Auch in Bezug auf die von einer Scheidung betroffenen Erwachsenen variieren die Studienergebnisse relativ stark, z. B. in Bezug auf das Wohlbefinden.
Auswirkungen auf Kinder
Kinder erleben die Phase der Trennung und Scheidung als Ausnahmesituation. Es ist wichtig zu verstehen, dass Kinder Übergänge von einer Familienform in eine andere bewältigen müssen, die mit weitgehenden Veränderungen in ihrem Leben verbunden sind. Dabei können - meist kurzfristige - unterschiedliche Reaktionen und Auffälligkeiten auftauchen.
Kindliche Reaktionen variieren nach Alter und Geschlecht:
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- Kleinkinder: Reagieren oft ängstlich und anhänglich, zeigen Schlafstörungen oder Rückschritte in der Entwicklung.
- Kinder im Kindergartenalter: Reagieren häufig aggressiv, suchen die Gründe bei sich selbst und glauben, schuld an der Trennung zu sein.
- Volksschulkinder: Können teilweise verstehen, was passiert, und Gefühle wie Traurigkeit und den Wunsch nach Rückkehr des ausgezogenen Elternteils ausdrücken. Reaktionen wie Ruhelosigkeit, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Albträume sowie psychosomatische Beschwerden treten häufig auf.
- Ältere Schulkinder: Sind vermehrt in der Lage, die Konflikte in der Familie zu erkennen und zu lernen, damit umzugehen. Oft versuchen sie, in ihrer Sorge um die Eltern Verantwortung zu übernehmen, die für ihr Alter unangemessen ist.
- Jugendliche: Akzeptieren zwar die neue Situation eher als jüngere Kinder, reagieren aber dennoch häufig mit Zorn, Enttäuschung, Schmerz und Vorwürfen an die Eltern auf die Trennung.
Es ist wichtig, dass Kinder zum nun getrennten Elternteil eine intensive Beziehung aufrechterhalten dürfen. Konstante Bezugspersonen und familienstützende Beziehungen, Einhaltung von Kontinuität und Routine im Alltag sowie klar definierte Regeln helfen Kindern und Jugendlichen, mit der neuen Situation zurechtzukommen.
Eltern sollten dem Kind/den Kindern vermitteln, dass sie selbst verantwortlich für die Trennung/Scheidung sind und beide Elternteile auch weiterhin verfügbar bleiben. Altersgerechte klare Informationen und konkrete Antworten auf Fragen der Kinder können helfen, dass Kinder eine realistische Vorstellung von der Trennung und den daraus resultierenden Folgen bekommen.
Studie zu den langfristigen Auswirkungen
Eine Studie der WU Wirtschaftsuniversität Wien und der Johannes Kepler Universität Linz zeigt, dass Kinder, die in einem Haushalt mit nur einem Elternteil aufwachsen, einige Nachteile im Leben haben können, die von schlechteren Schulleistungen über häufigere psychische Probleme bis zu einer niedrigeren Lebenserwartung reichen. Die Forscher analysierten die Entwicklung von Kindern in Österreich, die zwischen 1976 und 1987 geboren wurden und deren Eltern sich vor deren 18. Lebensjahr scheiden ließen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Trennung der Eltern negativ auf den Bildungserfolg der Kinder auswirkt, insbesondere bei Buben. Für Buben und Mädchen reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, eine Universität zu besuchen, um 9 bis 10 Prozentpunkte. Für Buben zeigen sich zudem schlechtere Arbeitsmarktergebnisse und eine höhere Wahrscheinlichkeit, vor Erreichen des 25. Lebensjahres zu sterben. Bei Mädchen wiederum erhöht die sich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft in jungen Jahren.
Allerdings betonen die Forscher, dass es soziale und politische Veränderungen gegeben hat, die die Lebensrealität von Scheidungskindern wahrscheinlich positiv beeinflussen. Sie sehen die Politik in der Pflicht, weitere Maßnahmen zu ergreifen - und etwa Sozialprogramme zu entwickeln, die speziell auf die Entwicklung von Kindern aus zerrütteten Familien abzielen.
Empfehlungen für Eltern vor, während und nach der Trennung
Vor der Scheidung/Trennung
- Unabhängige Entscheidung: Die Entscheidung für oder gegen eine Trennung sollte unabhängig von den Kindern getroffen werden. Konfliktreiche Beziehungen haben auf die langfristige psychische Entwicklung des Kindes zumeist schädlichere Auswirkungen als eine gute Trennung.
- Ehrliche Erklärung: Den Kindern müssen die Gründe für die Scheidung verständlich und ehrlich erklärt werden. Jede nicht gegebene Erklärung wird vom Kind durch eine Fantasie über die Gründe der Trennung ersetzt.
- Reaktionen erwarten: Eltern dürfen nicht darauf hoffen, dass die Kinder die Scheidung/Trennung ohne massive Reaktionen hinnehmen könnten. Angst, Wut, Schuldgefühle, Beschämung und Trauer sind normale Gefühlsreaktionen der Kinder.
- Gefühle ausdrücken: Kinder, die keine sichtbaren Reaktionen zeigen, müssen ermutigt werden, ihre Gefühle auszudrücken!
- Verantwortete Schuld: Die Haltung der „Verantworteten Schuld“ einnehmen.
Erste Hilfe nach der Scheidung/Trennung
- Loyalitätskonflikte entlasten: Kinder aktiv in ihren Loyalitätskonflikten entlasten. Es ist wichtig, den Kindern immer wieder zu vermitteln, dass die Probleme, die zur Scheidung führten, aber auch die Auseinandersetzungen danach Sache der Eltern sind.
- Regression zulassen: Die meisten Kinder fallen auf grund ihrer Ängste in ihrer Selbstständigkeit, Frustrationstoleranz, ihren Bedürfnissen und/oder Leistungen vorübergehend auf eine frühere, schon überwundene Entwicklungsstufe zurück.
- Angst vor Verlust nehmen: Kindern die Angst nehmen, den Vater (ganz) zu verlieren. Eine fortgesetzte intensive, durch Loyalitätskonflikte möglichst unbelastete Beziehung zum Vater ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Kinder das Scheidungserlebnis gut verarbeiten und die Chance der Scheidung langfristig nützen können.
- Angst vor Verlust der Mutter nehmen: Kindern die Angst nehmen, auch noch die Mutter zu verlieren.
- Gefühle verbalisieren: Kindern helfen, ihre Gefühle nicht nur zu zeigen, sondern auch, sie allmählich in Worte zu fassen.
- Symptome akzeptieren: Sich durch Symptome vor/während/nach den Besuchen des Kindes beim Vater nicht irritieren lassen.
- Kontaktverweigerung: Falls Kinder den Kontakt zum Vater strikt verweigern: Bis ca. 12 Jahre ist es meistens sinnvoll, von der Kontaktregelung nicht abzugehen und mit hilfe von Erziehungsberatung nach den Ursachen zu forschen.
- Empfehlungen für Mütter: Die Intensität der Beziehung zum Vater ist nicht nur für die langfristige seelische Entwicklung des Kindes wichtig, sondern gewährleistet mittelfristig auch die Harmonie der Mutter-Kind-Beziehung.
- Hilfe annehmen: Als Mutter/Vater die eigene Krise anerkennen und sich helfen lassen.
Empfehlungen für die weitere Zukunft
- Neue Partnerschaften: Keinesfalls sollte auf neue Partnerschaften der Kinder zuliebe verzichtet werden. Neue Partnerschaften der geschiedenen Eltern gehören (neben der fortdauernden Beziehung zum Vater) zu den größten Chancen für die psychische Entwicklung von Scheidungskindern!
- Beziehung zum leiblichen Vater: Auch wenn die Mutter (der Vater) eine neue Partnerschaft eingeht, das Kind also einen Stiefvater (Stiefmutter) erhält, darf die Beziehung des Kindes zum leiblichen Vater nicht beendet bzw. vermindert werden.
- Gelassenheit gegenüber neuen Partnern: Begegnen Sie dem neuen Partner der Ex-Frau bzw. der neuen Partnerin des Ex-Mannes gelassen und helfen Sie dem Kind bei der Beziehungsaufnahme, statt seine (eventuelle) Opposition zu fördern!
Emotionale Widerstände der Eltern
Die Befolgung dieser Empfehlungen kann durch gravierende emotionale Probleme der Eltern erschwert werden. Die häufigsten Probleme sind:
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- Schuldgefühle angesichts des Leids der Kinder auszuhalten.
- Wut auf den Ex-Partner/die Ex-Partnerin auszuhalten, ohne zu versuchen, das Kind auf die eigene Seite zu ziehen.
- Enttäuschung und Wut aushalten, dass die Kinder den Partner, der mir so viel Leid angetan hat, dennoch weiter lieben und bewundern.
- Für Väter: Die (reale und unvermeidliche) Einbuße an Macht und Einfluss auf die Kinder (aber auch auf die Ex-Partnerin) hinzunehmen.
- Für Mütter: Sich von der Idee zu verabschieden, den Ex-Partner aus dem eigenen Leben für immer verbannen zu können.
- Auf die fortwährende Bedeutung, die ich (als Vater oder Mutter) für das Kind habe und auf dessen fortwährende Liebe zu mir vertrauen zu können.
- Es aushalten können, wenn sich das Kind über den anderen Elternteil beklagt, ohne sofort bei diesem zu intervenieren.
Liebeskummer als Auslöser psychischer Erkrankungen
Liebeskummer kann der Auslöser für andere seelische Erkrankungen sein, wie etwa eine Depression. Aber auch Angststörungen, psychosomatische Erkrankungen oder Schizophrenie können die Folge sein - dies allerdings in der Regel nur dann, wenn eine entsprechende Veranlagung oder Vorbelastung besteht. Liebeskummer und der damit verbundene seelische Stress können psychische Störungen auslösen, die im Betroffenen schlummern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Scheidung oder Trennung eine herausfordernde Zeit für alle Beteiligten ist. Es ist wichtig, sich der psychologischen Auswirkungen bewusst zu sein und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die bestmögliche Unterstützung zu erhalten.
Statistik zu Ehescheidungen in Österreich (2023)
Merkmal | Wert |
---|---|
Anzahl betroffener Kinder | 17.408 |
Durchschnittliche Ehedauer | 10,1 Jahre |
Scheidungsrate | 40% |
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tags: #trennung #psychische #folgen