Obwohl das Verständnis für psychische Erkrankungen im Allgemeinen wächst, kämpfen vor allem Menschen mit Schizophrenie mit negativen Vorurteilen. Dennoch gibt es nach wie vor psychische Erkrankungen, über die nur wenig Wissen besteht und denen man nur wenig Verständnis entgegenbringen kann, einfach weil man sie „nicht begreifen kann. Und die auch in dem Sinne nicht der Psychotherapie zugänglich [sind]“3, ergänzt Ulrich Seidl, Chefarzt der Psychiatrie der SHG-Kliniken Sonnenberg in Saarbrücken. Beispielsweise seien Depressionen „heute oft schon als „Volkskrankheit“ anerkannt und […] nicht mehr so stigmatisiert wie vor einigen Jahrzehnten“2, erklärt Klaus Gauger, der selbst an einer psychischen Krankheit leidet.
Aufgrund dessen werden ebensolche Erkrankungen stark stigmatisiert und Vorurteile dahin gehend halten sich hartnäckig, so beispielsweise bei einer der häufigsten Erkrankungen, „die zu einer Akutaufnahme in der Psychiatrie“4 führe und für die „ungefähr ein bis zwei Prozent eine entsprechende Veranlagung“5 hätten, wie Seidl erläutert. Dass ausgerechnet diese Erkrankung kaum nachvollzogen werden kann, liegt vor allem an der Symptomatik: „Ganz typisch ist das Hören von Stimmen. Die Patienten haben den Eindruck, dass es Stimmen gibt, die Kommentare abgeben oder die Befehle geben“6, wie Seidl erklärt.
„Dazu können Fehleinschätzungen der Realität kommen, typischerweise mit einem paranoiden Wahn. Die Betroffenen sind zum Beispiel fest davon überzeugt, dass sie verfolgt oder beobachtet werden“7, so Seidl weiterführend. Und schließlich - „[e]ine ganz typische Symptomatik ist auch, dass die Patienten zu spüren meinen, wie ihnen ihre eigenen Gedanken von einer fremden Macht entzogen oder eingegeben werden. Oder wie sich ihre Gedanken vermeintlich ausbreiten und von allen Umstehenden gelesen werden können“8, erläutert Seidl.
Eine solche Symptomatik können gesunde Menschen nur schwer bis gar nicht nachvollziehen, weswegen sich Betroffene mit anhaltender Stigmatisierung konfrontiert sehen, vor allem mit jenem Vorurteil, „gemeingefährliche Irre“10 zu sein, wie Gauger, der seit vielen Jahren an der Erkrankung leidet, weiß. „Dieses Bild wird vor allem durch die Medien bedient“11, wie Gauger kritisiert. „Von den vielen Schizophrenen, die zum größten Teil friedlich unter uns leben, berichtet dagegen kaum jemand“12.
Am häufigsten - und auch bekanntesten - ist die paranoide Schizophrenie. Sie kennzeichnet sich durch die eben erwähnten Symptome der Halluzinationen (vor allem akustisch) und durch Wahnvorstellungen in Phasen von akuten Psychosen. Meist tritt sie zwischen dem 25 und 35 Lebensjahr auf. Diese Form umfasst die chronischen Beschwerden, welche nach einer akuten psychotischen Phase auftreten. Im ICD-10 finden sich außerdem noch andere, seltenere Ausprägungen der Erkrankung: So kennzeichnet sich die sogenannte undifferenzierte Schizophrenie durch klassische Symptome einer Schizophrenie, ohne den zuvor beschriebenen Formen konkret zugewiesen werden zu können.14 Die weiters angeführte postschizophrene Depression wird diagnostiziert, wenn im Anschluss an eine schizophrene Erkrankung eine länger anhaltende depressive Episode auftritt.
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Warum es zur Erkrankung, die auf eine Störung des Nervenstoffwechsels im Gehirn zurückzuführen ist,16 überhaupt kommt, ist bislang nicht geklärt. Ausgegangen wird davon, dass verschiedene Faktoren wie genetische Veranlagung, Schlafstörungen, Drogenkonsum, psychischer Stress und seelische Belastungen sowie traumatische Erfahrungen oder Entwicklungsstörungen sich gegenseitig beeinflussen und zum Ausbruch der Schizophrenie führen können.17 Doch, wie Seidl ergänzt, „Auffälligkeiten, die es bei manchen Patienten gibt, gibt es bei anderen nicht. In der Regel kündigt sich die Erkrankung über einen längeren Zeitraum bereits an. Schon Wochen bis hin zu mehreren Monaten vor einer ersten Psychose treten Ruhelosigkeit, Anspannung oder Schlafstörungen sowie Konzentrations- und Gedächtnisprobleme auf.
Auch erste Symptome einer Schizophrenie wie leichte Halluzinationen können sich in dieser Zeit bemerkbar machen. Etwa ein Viertel der Betroffenen hat nach dieser ersten Episode keine Symptome mehr, hingegen leiden weitere 25 % der Betroffenen unter anhaltenden, dauerhaften Beschwerden, die über Wochen bis Monate hinweg mit Unterbrechungen auftreten können.19 Und dies hat enorme Auswirkungen auf die Lebensgestaltung: „Wenn jemand so eine Erkrankung hat, dann ist eine Behandlung dringend notwendig“20, wie Seidl erklärt.
„Es [Anm.: Schizophrenien] sind Krankheiten, die tendenziell eher schlechte Prognosen haben, trotz Fortschritten in der Therapie. Außerdem bringt die Krankheit ebenso eine verkürzte Lebenserwartung um durchschnittlich 15 Jahre mit sich. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Betroffene konsumieren zum einen häufiger Drogen, Alkohol und Nikotin und erkranken zum anderen wesentlich öfter an Herzkrankheiten, Infekten oder Diabetes.22 Entgegen der bereits erwähnten medialen Darstellung, dass Menschen mit Schizophrenie gefährlich seien, ist eher das Gegenteil der Fall, wie Seidl bekräftigt: „Man muss aufpassen, dass man da nicht das Klischee bedient, dass der Schizophrene eine Gefahr für die Allgemeinheit ist. In seltenen Fällen kann das passieren, weitaus häufiger gehen die Erkrankten aber gegen sich selbst vor“23.
Etwa 20 % aller Betroffenen unternehmen während einer akuten Psychose einen/mehrere Suizidversuch(e), 5 % aller Betroffenen sterben durch Suizid,24 wobei Seidl erklärt, dass dies eher damit zusammenhänge, dass sich Betroffene in Gefahr bringen würden,25 „ aber gar nicht aus einer eigenen Entscheidung heraus, sondern weil ihnen zum Beispiel irgendeine Stimme sagt, dass sie sich umbringen soll[en]. Da wird kein Entschluss gefasst, der Schizophrene hört eben in diesen Fällen manchmal einfach auf seine Stimmen.
Aufgrund der belastenden Symptomatik und der möglichen lebensgefährlichen Folgen ist die Schizophrenie eine Erkrankung, die - wie bereits angemerkt - dringend und so schnell wie möglich behandelt werden muss, in akuten Phasen dann auch unter ärztlicher Aufsicht in Krankenhäusern. Klingt eine akute Psychose ab, werden weitere Behandlungsmöglichkeiten, abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Person, eruiert. Wesentlicher Bestandteil der Therapie sind jedoch Psychopharmaka und hier insbesondere Neuroleptika27, welche die Symptome reduzieren bzw. ganz auflösen und vor Rückfällen schützen können.
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Neben der Psychotherapie stellt die Psychoedukation (diese findet meistens im psychotherapeutischen Rahmen statt) einen wesentlichen Bestandteil der Therapiemaßnahmen dar: Betroffene lernen dabei mehr über die Krankheit, um sie besser zu verstehen und um in weiterer Folge mit ihr umgehen zu können. Der an Schizophrenie erkrankte Klaus Gauger, promovierter Germanist mit zwei Staatsexamina für das Gymnasiallehramt, hat sich schon früh in Therapie begeben, um seine Schizophrenie-Erkrankung zu behandeln, jedoch erfolglos: „Mir ging es in den Jahren von 1994 bis 2014 nicht besonders gut, ich hatte trotz Behandlung eine ausgeprägte Restsymptomatik“29.
Und weil die Phasen der akuten Psychosen - insbesondere optische Halluzinationen und Wahnvorstellungen - langanhaltend waren, konnte er trotz seiner Ausbildung etwaige Karriereziele nicht verfolgen. „Ich hatte das Gefühl, von meiner Außenwelt hämisch oder spöttisch beobachtet zu werden. Sicherlich war aber auch das Stigma an meiner Erfolglosigkeit beteiligt“30, wie er erzählt. Auf eigenen Beinen zu stehen, war ihm mit der Krankheit nicht möglich gewesen. Er lebte bei seinen Eltern, die ihn in Bezug auf die Krankheit und in finanzieller Hinsicht unterstützten, „sonst wäre ich zweifellos in die Armut gerutscht“31.
Im Jahr 2014 begab er sich erneut in Behandlung - dann mit Erfolg: Neuroleptika und Antidepressiva bewirkten, dass die Symptome zur Gänze verschwanden, ergänzend dazu nahm er wieder eine Psychotherapie in Anspruch, besuchte außerdem eine Selbsthilfegruppe, um sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen. Sodann orientierte er sich beruflich neu und arbeitet derzeit als Genesungshelfer im Zentrum für Psychiatrie Emmendingen. Außerdem ist er als Autor tätig und macht seine Geschichte publik: „Ich gehe heutzutage offen mit meiner Erkrankung um. Sie und das Stigma haben letztlich verhindert, dass ich Karriere machen konnte“32.
Sein Wunsch - „mehr Sachlichkeit in die Debatte um die Schizophrenie“33 einbringen: „Diese Krankheit ist heutzutage recht gut behandelbar und von den Betroffenen, soweit sie nicht im akuten Zustand sind, geht keinerlei Gefahr für die Gesellschaft aus. Man sollte die schon vorhandenen Hilfsstrukturen für die Betroffenen weiter stärken und sie möglichst in die Gesellschaft hineinholen, beruflich und sozial. Menschen mit Schizophrenie sind oft weder dumm noch faul und können, wie gesunde Menschen auch, erfolgreich arbeiten und sozial partizipieren. Die Öffentlichkeit sollte das alles wissen und die Erkrankten entsprechend fördern.
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