Der Begriff „Autismus“ bezeichnete ursprünglich das Symptom der starken Zurückgezogenheit im Rahmen einer Schizophrenie. Aus dieser Beschreibung hat sich das Krankheitsbild der heutigen Autismus-Spektrum-Störung (ASS) (ICD-10 Code F84.-) entwickelt. Die Kernsymptomatik mit Beginn meist im Kleinkindes‑/Kindesalter besteht aus Störungen im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation und eingeschränkten, repetitiven Verhaltensmustern und Interessen. Veränderungen werden nur schwer toleriert, und es besteht ein Bedürfnis nach bekannten Ritualen.
Die weltweite Prävalenz der ASS wird auf ca. 0,62-1 % geschätzt mit einer deutlichen Geschlechtswendigkeit hin zum männlichen Geschlecht (männlich zu weiblich: 2-5:1). Die Ursachen der ASS sind noch immer nicht vollständig geklärt. Am ehesten handelt es sich um eine multifaktorielle, stark genetisch determinierte Entwicklungsstörung des zentralen Nervensystems (ZNS). In ca. 10 % der Fälle liegt ein syndromaler Autismus vor z. B. im Rahmen einer tuberösen Sklerose, eines Fragile-X-Syndroms, einer Neurofibromatose oder eines Rett-Syndroms. Daneben spielen aber auch prä-, peri- und postnatale Umwelteinflüsse eine Rolle.
Herausforderungen in der Diagnostik
Die Diagnostik bei Autismus-Spektrum-Störungen ist aufgrund fehlender biologischer Marker und zahlreicher Komorbiditäten anspruchsvoll.
Die Diagnostik der ASS wird dadurch erschwert, dass es bisher keinen spezifischen Test oder biologischen Marker für die Diagnosestellung gibt. Daher ist ein multidisziplinäres Team erforderlich, um eine differenzierte Diagnostik durchzuführen und die Diagnose einer ASS stellen zu können.
Bei klinischem Verdacht werden zunächst Fragebögen als Screeninginstrumente eingesetzt („Modified Checklist for Autism in Toddlers“ für Kinder ab 18 Monaten, „Fragebogen zur sozialen Kommunikation“ [FSK] für Kinder ab 4 Jahren). Bei einem positiven Screeningergebnis oder starkem klinischem Verdacht sollte dann eine Diagnostik bezüglich des Vorliegens einer ASS erfolgen.
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Erschwert wird die Diagnostik dadurch, dass viele komorbide Störungen und Symptome, wie z. B. Aufmerksamkeitsprobleme oder Intelligenzminderung, auch als Differenzialdiagnose der ASS in Betracht kommen.
Neben der spezifischen Diagnostik der ASS sollten deshalb zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden, um mögliche Komorbiditäten und Differenzialdiagnosen zu detektieren sowie insbesondere psychiatrische Störungen auszuschließen. Hierzu gehört u. a. eine differenzierte internistisch-neurologische Untersuchung: Bei klinischen Auffälligkeiten wie einer Mikro- oder Makrozephalie, Krampfanfällen oder neurologischen Symptomen sind weitere Untersuchungen wie eine Elektroenzephalographie (EEG), eine kranielle Magnetresonanztomographie (cMRT), Stoffwechsel- und/oder genetische Untersuchungen indiziert.
Zusätzliche Untersuchungen
Patienten mit ASS haben ein erhöhtes Risiko für eine Epilepsie (Altersgipfel < 5. und > 10. Lebensjahr). Die Prävalenz liegt hier je nach Untersuchung bei 8-30 %, wobei aber rund ein Drittel der Patienten mit epilepsietypischen Auffälligkeiten im EEG keine klinischen Krampfanfälle aufweisen.
Pathologische Befunde in der cMRT können bei 6,5-26,2 % der Patienten mit ASS erhoben werden. Hierbei steigt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten pathologischer Befunde, wenn die cMRT aufgrund von Auffälligkeiten in der neurologischen Untersuchung, Kopfschmerzen oder Krampfanfällen veranlasst wird.
Bei ca. 15-20 % der Kinder mit ASS kann zudem eine Makrozephalie nachgewiesen werden.
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Bisherige Untersuchungen zeigen, dass angeborene Stoffwechselerkrankungen bei Personen mit ASS selten sind. Da bei einigen Stoffwechselerkrankungen durch diätetische oder medikamentöse Maßnahmen die Symptome der ASS aber positiv beeinflusst werden können, empfehlen einige Autoren dennoch im Rahmen der Abklärung einer ASS den Ausschluss einer Stoffwechselerkrankung, auch wenn die aktuell gültige AWMF-Leitlinie keine routinemäßigen Laboruntersuchungen dieser Art empfiehlt.
Ebenfalls kontrovers diskutiert wird die Durchführung genetischer Tests. Bei 6-40 % der Patienten mit ASS lässt sich eine genetische Ursache identifizieren.
Ergebnisse einer retrospektiven Studie
Das Ziel einer retrospektiven Studie war es, den neuropädiatrischen Diagnoseprozess und das Patientenkollektiv mit ASS aus neuropädiatrischer und epidemiologischer Sicht darzustellen. Die Studie umfasste 82 Patienten (männlich 78 %, weiblich 22 %; Durchschnittsalter 5,9 ± 2,9 Jahre, Spanne 2 bis 16 Jahre).
Häufigste Untersuchung war die Elektroenzephalographie (EEG) (74/82; 90,2 %); diese war bei 33,8 % (25/74) auffällig. Anhand der Anamnese und/oder des EEGs wurde bei 16/82 (19,5 %) Kindern die Diagnose „Epilepsie“ gestellt.
Eine kranielle Magnetresonanztomographie (cMRT) erhielten 49/82 (59,8 %) der Patienten; 22/49 (44,9 %) zeigten mindestens einen auffälligen Befund; bei 14/22 (63,6 %) ließen sich eindeutige Pathologien feststellen.
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Eine Stoffwechseldiagnostik wurde bei 44/82 (53,7 %) Kindern veranlasst; bei 5/44 (11,4 %) resultierte daraus eine Diagnose oder der Verdacht auf eine Stoffwechselerkrankung.
Das Ergebnis einer genetischen Diagnostik lag bei 29/82 (35,4 %) Kindern vor mit Auffälligkeiten in 41,4 % (12/29).
Die neuropädiatrische Mitbeurteilung bei Verdacht auf Autismus sollte bei jedem Kind eine detaillierte Anamnese, eine neurologische Untersuchung sowie ein EEG beinhalten.
Ergebnisse im Detail
Vom 01.04.2014 bis 31.12.2017 wurden insgesamt 108 Patienten mit dem ICD-10 Code F84 in der neuropädiatrischen Ambulanz vorgestellt. Hiervon wurden 26/108 (24,1 %) von der Datenauswertung ausgeschlossen. Somit wurden insgesamt 82 Kinder und Jugendliche in die weitere Datenauswertung eingeschlossen (männlich 78 %, weiblich 22 %).
Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 5,9 ± 2,9 Jahre (Spannweite 2 Jahre bis 16 Jahre). Am häufigsten wurde die Diagnose einer nicht näher bezeichneten ASS gestellt (40/82; 48,8 %). Bei 30/82 (36,6 %) Kindern ließ sich eine auffällige Familienanamnese feststellen, und Auffälligkeiten in der Schwangerschaft zeigten sich bei 25,6 % (21/82) der Patienten. Die internistische Untersuchung ergab bei 30/78 (38,5 %) Kindern pathologische Befunde, am häufigsten Dysmorphiezeichen (13/30; 43,3 %), und bei 72/78 (92,3 %) Kindern zeigten sich Auffälligkeiten in der neuropädiatrischen Untersuchung, die insbesondere die Sprache betrafen (67/78; 85,9 %). Ein Hörtest wurde bei 43/82 (52,4 %) Kindern dokumentiert; 2/43 (4,6 %) Kinder zeigten hier auffällige Ergebnisse im Rahmen einer Schwerhörigkeit.
Im EEG fand sich bei 25/74 (33,8 %) Kindern ein auffälliger Befund, wobei sich mehrheitlich (20/25; 80,0 %) fokale epilepsietypische Potenziale (ETP) zeigten. Insgesamt wurden 16/82 (19,5 %) Kinder mit einer Epilepsie erfasst, wobei bei 14/16 (87,5 %) das EEG eine Auffälligkeit zeigte. In der kranialen Magnetresonanztomographie (cMRT) (49/82; 59,8 %) fanden sich 30 auffällige Befunde verteilt auf 22/49 (44,9 %) Kinder (maximal 3 Auffälligkeiten pro Kind). Die Stoffwechseldiagnostik zeigte bei 13/44 (29,5 %) Patienten mindestens ein auffälliges Ergebnis.
Der Vergleich von Kindern mit motorischer Entwicklungsverzögerung (n = 30) mit Kindern ohne motorische Entwicklungsverzögerung (n = 44) zeigte signifikant häufiger pathologische Befunde für die folgenden Parameter (Tab. 1 und 2): Komorbiditäten (83,3 % vs. 56,8 %; p = 0,008), internistische Untersuchung (53,3 % vs. 29,5 %; p = 0,047) und Augenuntersuchung (36,7 % vs. 11,4 %; p = 0,049).
In dem Patientenkollektiv, welches 82 Patienten umfasst, zeigte sich ein Geschlechterverhältnis von männlich zu weiblich von 3,5:1, was dem in der Literatur beschriebenen Verhältnis von 2-3:1 entspricht. Das Durchschnittsalter bei Vorstellung in der neuropädiatrischen Ambulanz betrug 5,9 Jahre, wobei die meistvertretene Altersgruppe zwischen 3 und 5 Jahren lag.
In der Studienpopulation war weit mehr als die Hälfte (64,6 %) von somatischen und psychischen Komorbiditäten betroffen. Diese Beobachtung deckt sich beispielsweise auch mit den Ergebnissen von Rosen et al., die in 63-78 % mindestens eine psychische Komorbidität fanden und in 10-77 % mindestens eine somatische Begleiterkrankung.
In der Studie wurde bei 33,8 % (25/74) der Kinder ein auffälliges EEG festgestellt. Bei 19,5 % (16/82) wurde anhand des EEGs und/oder der Anamnese eine Epilepsie erfasst; 2 Kinder zeigten ein unauffälliges EEG trotz bekannter Epilepsie. Bei 14,9 % derer, die ein EEG erhielten, zeigte sich in der Kohorte ein auffälliger Befund ohne klinisches Korrelat oder diagnostizierte Epilepsie.
In der Studie zeigte sich bei 22/49 (44,9 %) Kindern mindestens ein auffälliges Ergebnis in der cMRT-Untersuchung. Bei 14/22 (63,8 %) konnten die Befunde als eindeutige Pathologien im Sinne von Fehlbildungen oder Läsionen klassifiziert werden.
In der Studie erhielt mehr als die Hälfte (53,7 %) der Kinder ein Stoffwechselscreening. Bei 11,4 % (5/44) derer, die ein Stoffwechselscreening erhalten hatten, konnte letztlich eine Stoffwechselerkrankung bzw. der Verdacht darauf diagnostiziert werden.
Alternative und komplementäre Behandlungsansätze (CAM)
Mit einer Autismus-Diagnose gehen nicht nur für die autistische Person, sondern auch für das gesamte Umfeld, insbesondere die Familie, lebenslange Herausforderungen und Belastungen einher. Für Eltern autistischer Kinder ist es oftmals ein schwieriger und langer Prozess, geeignete Unterstützungs- bzw. Therapiemaßnahmen für ihr Kind auszuwählen und zu erhalten. Eine unzureichende Aufklärung über das Autismus-Spektrum sowie eine mangelnde Unterstützung bei der Verarbeitung der Diagnose in Verbindung mit langen Wartezeiten für Therapieplätze oder Förderprogramme können dazu führen, dass Eltern Hilfe durch sogenannte „Insider-Tipps“, wie beispielsweise Empfehlungen anderer in Anspruch nehmen wollen.
In den einschlägigen Publikationen werden Verfahren zur Behandlung von Autismus vorgeschlagen, aber zum Teil auch Programme vorgestellt, die eine Heilung des Autismus versprechen. Das Spektrum der unterschiedlichen Interventionen ist vielfältig. Die angebotenen Verfahren reichen von konventionellen Therapien, über komplementäre und alternative Methoden bis hin zu experimentellen Behandlungen, wie zum Beispiel biologisch-basierte Verfahren in Form von Eliminationsdiäten, Nahrungsergänzungsmitteln, Sauerstoff- und Überdrucktherapien sowie Schwermetallausleitungen und vieles mehr. Darunter befinden sich auch Methoden, deren Einsatz als potenziell gesundheitsgefährdend eingestuft wird. Dennoch finden sie Anwendung in der Behandlung autistischer Kinder.
Hinsichtlich der Perspektive auf das Autismus-Spektrum bewegen sich die pädagogischen und medizinischen Professionen in einem Spannungsfeld. Einerseits ist Autismus als zu behandelnde neurologische Entwicklungsstörung konnotiert, andererseits wird Autismus als Form der neurologischen Diversität betrachtet. Laut der Selbstvertretungsorganisation Autistic Self Advocacy Network (ASAN 2024) handelt es sich beim Autismus-Spektrum um eine Behinderung (developmental disability), welche sich auf die Art und Weise auswirkt, wie Autist:innen die Welt erleben.
In Bezug auf die Frage, inwiefern Familien auf eine (Autismus)-Diagnose ihres Kindes vorbereitet sein können, äußert sich Rezlaff wie folgt: “Eltern erreichen das ‚Land von Behinderung und Krankheit‘ ohne eine psychosoziale Landkarte dieser unvertrauten Region zu Verfügung zu haben“.
Die Belastungen in Familien mit autistischen Kindern können durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren beeinflusst werden. Kurz nach der Diagnosestellung ihres Kindes berichten Eltern von Trauer und damit einhergehend von einem tiefen Verlustgefühl, welches sich auf den Verlust des bisherigen Bildes des eigenen Kindes bezieht. Gleichzeitig fühlten sich einige Eltern für die Diagnose ihres Kindes verantwortlich und äußerten darüber hinaus Schuldgefühle gegenüber Geschwisterkindern.
In einer empirischen Studie wurde festgestellt, dass sich in der Erziehung und der Alltagsbewältigung von autistischen Kindern regelmäßig besondere Herausforderungen für die direkten Bezugspersonen ergeben. In einer anderen Untersuchung wurde nachgewiesen, dass das Belastungsempfinden der Eltern signifikant höher ist, wenn die Autismus-Symptomatik des Kindes deutlich ausgeprägt ist. Als besonders belastend wird die andere Art zu kommunizieren und sozial zu interagieren empfunden. Auch das fehlende Bewusstsein, Gefahren zu erkennen sowie die notwendige konstante Beaufsichtigung des Kindes wird als erheblich herausfordernd erlebt. Durch die hohe Beanspruchung der elterlichen Ressourcen werden das Risiko einer psychischen Instabilität und die Elternkompetenzen maßgeblich beeinflusst.
Ein weiterer Faktor, der zum Belastungsempfinden beiträgt, ist der Mangel an Informationen bezüglich entsprechender Förderung und Unterstützung des autistischen Kindes sowie die Sorge über mögliche verpasste Therapiechancen.
Für die Begleitung, Förderung und Unterstützung von Menschen im Autismus-Spektrum stehen eine Vielzahl unterschiedlichster Methoden und Therapien zu Verfügung. Ein Großteil der Methoden sind speziell auf die Bedarfe autistischer Personen abgestimmt, um die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten zu unterstützen und gleichzeitig die Bezugswelt (z. B. Familie, Geschwister usw.) mit in den Blick zu nehmen. Dabei werden regelmäßig Methoden angewendet, die empirisch kaum abgesichert sind, dennoch laut Expert:innenmeinung wirksam sein können. Hierzu zählen beispielsweise die Ergo- und Musiktherapie sowie komplementäre Ansätze, wie die sensorische Integrationstherapie oder die tiergestützte Pädagogik.
Darüber hinaus besteht international ein breites Angebot von alternativmedizinischen Ansätzen, „die eine vollständige Remission oder eine schnelle, massive Veränderung der Symptomatik versprechen [...]“. Obwohl einige dieser Behandlungsverfahren gemäß der Empfehlungen zu wirksamen Therapieverfahren in der interdisziplinären S3-Leitline für Autismus-Spektrum-Störungen als ethisch bedenklich und zudem gesundheitsschädlich einzustufen sind, kommen sie bei autistischen Kindern immer wieder zur Anwendung. Beispiele für entsprechende zweifelhafte Praktiken sind spirituelles Heilen, Schwermetall- und Quecksilberausleitungen, Massagetechniken, Energiemedizin, hyperbare Sauerstofftherapie oder die hochdosierte Vergabe von Nahrungsergänzungsmitteln mit gleichzeitiger Eliminationsdiät.
Die Anbieter:innen dieser Methoden vermitteln den Eltern in der Regel Hoffnung auf eine Verbesserung der Kernsymptomatik oder versprechen sogar eine Heilung des Autismus. Häufig werden diese Verfahren plakativ beworben und auch in fragwürdigen Elternforen diskutiert.
Auf Grund der Heterogenität im Erscheinungsbild des Autismus sind nicht alle Interventionsansätze gleichermaßen sinnvoll und wirksam für die betreffende Person. Eltern autistischer Kinder stehen vor der Problematik aus einer Vielzahl unterschiedlichster Therapieverfahren auswählen zu können, gleichzeitig jedoch wenige Aussagen über Effizienz oder Wirksamkeit zu erhalten. Insbesondere kurz nach Erhalt der Diagnose berichten Eltern von der Überforderung, Entscheidungen über autismusspezifische Methoden treffen zu müssen, ohne über ausreichende Informationen zu verfügen.
Wenn es um die Erziehung und die Pflege ihres Kindes geht, werden elterliche Entscheidungen von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Dabei sind empirische Belege in der Regel nicht der einzige Aspekt, den Eltern berücksichtigen, wenn sie darüber entscheiden, welche methodischen Ansätze sie für ihr Kind in Anspruch nehmen wollen.
Die Problematik bei Veröffentlichungen mit populärwissenschaftlichem Hintergrund besteht darin, dass diese nicht den strengen Prüfungen und Standards unterliegen, die für wissenschaftliche Publikationen von den entsprechenden Verlagen vorausgesetzt werden. Darüber hinaus stehen die fehlende Transparenz, unzureichende Quellenangaben sowie die Abweichung vom aktuellen Forschungsstand in der Kritik.
Bei der Entscheidungsfindung bezüglich einer Therapie oder der Begleitung ihrer Kinder verlassen sich Eltern nicht nur auf die zuvor dargestellten Informationswege, sondern auch auf ihre Intuition. Diese intuitive Herangehensweise impliziert, dass sie Entscheidungen spontan und aus dem Bauch heraus treffen, ohne sich ausschließlich auf theoretische Kenntnisse oder wissenschaftliche Studien zu stützen. Eltern sind bereit, unterschiedliche Methoden auszuprobieren, um auf diese Weise herauszufinden, welche Methode für das Kind am geeignetsten ist und die gewünschte Wirkung zeigt.
Der Begriff Komplementär- und Alternativmedizin - bzw. die weitaus verbreitetere englische Bezeichnung Complementary and Alternative Medicine (CAM) - umfasst ein breites Spektrum von Therapien, Behandlungen, Interventionen und Methoden. In der öffentlichen Wahrnehmung werden sie oft als sanft und nebenwirkungsfrei assoziiert und als besonders positiv hervorgehoben. Auch spielt die Überzeugung, dass entsprechende Verfahren als natürlich oder ganzheitlich und zum Teil fälschlicherweise als sicher eingestuft werden, eine entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung und Anwendung.
Die Anzahl der Hinweise über die CAM-Nutzung von Eltern autistischer Kinder hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Eine Befragung, die sich auf in Deutschland lebende Teilnehmende mit einer Diagnose im Autismus-Spektrum konzentrierte, ermittelte Daten zur aktuellen Verwendung bzw. zur Bereitschaft, CAM ausprobieren zu wollen. Im Ergebnis zeigte sich unter den 211 befragten Eltern autitischer Kinder und Jugendlichen, eine Inanspruchnahme von CAM (Lebenszeitprävalenz) von knapp 50 %. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen zwei oder mehr Behandlungen aus unterschiedlichen Kategorien nutzten, wobei die Häufigkeit der CAM-Anwendung bei jüngeren Kindern steigt.
Begründet scheint die umfangreiche Nutzung von CAM in Vorbehalten gegenüber der Wirksamkeit konventioneller Methoden und in der Sorge um mögliche gesundheitliche Folgen bei Anwendung bestimmter Therapien. Darüber hinaus führen die fehlende Begleitung bei der Diagnoseverarbeitung, lange Wartezeiten auf Therapieplätze und die als unzureichend empfundene Wirkung konventioneller Behandlungen sowie die Uneinigkeit über die beste Behandlung viele Eltern dazu, Komplementär- und Alternativmedizin bei ihren Kindern anzuwenden.
Die Erziehung und Alltagsbewältigung von Familien mit autistischen Kindern stellen die direkten Bezugspersonen vor besondere Herausforderungen. Sie erleben die andere Art der Kommunikation und der sozialen Interaktion sowie die Reaktion auf Umgebungsreize als besonders belastend. Erschwert wird die Situation häufig dadurch, dass das Wissen der Eltern über das Autismus-Spektrum und die damit verbundenen notwendigen Unterstützungsleistungen oder Fördermöglichkeiten oft nicht ausreichend vorhanden sind.
In dem Wunsch, ihrem Kind die bestmögliche und schnelle Unterstützung anbieten zu können, ziehen Eltern neben konventionellen Maßnahmen den Einsatz von CAM-Verfahren in Erwägung. Eine wesentliche Rolle spielt dabei mutmaßlich die Annahme, dass eine vermeintlich ganzheitliche CAM-Behandlung nebenwirkungsfrei bleibt und keine Schäden verursacht. Aber welche Methode kann als sicher angesehen werden und welche kann zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen? Mit diesen Fragen sehen sich die Eltern regelmäßig konfrontiert.
Sie treffen ihre Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen, jedoch häufig ohne die notwendige Fachkenntnis. Insofern wird regelmäßig eine fachliche Unterstützung bei der Entscheidungsfindung benötigt. Allerdings haben zahlreiche Eltern keinen kurzfristigen Zugang zu entsprechenden Beratungsangeboten bzw. zu einer professionellen Begleitung. Daher ist ein niedrigschwelliges Informationsangebot zu den möglichen Förderansätzen für das autistische Kind als Hilfestellung für eine bestmögliche Entscheidung der Eltern wünschenswert.