Die 2009 publizierte S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression für Deutschland (AWMF/DGPPN) ist ein Konsens von 29 ärztlichen und psychologischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden sowie Patienten- und Angehörigenvertretern. Als „leitende Handlungsempfehlung“ stellte sie in Studien untersuchte Verfahren zur Depressionstherapie vor, bewertete sie und leitete daraus konsensuierte Empfehlungen ab.
Allgemein gehört eine vorübergehende Niedergeschlagenheit, Traurigkeit oder Hoffnungslosigkeit zu den grundlegenden menschlichen Reaktionen auf Belastungen oder Verlusterlebnisse. Bei Depressionen sind diese Symptome jedoch intensiver, länger andauernd und treten oft ohne erkennbaren Grund auf. Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, in etwa jeder fünfte Mensch ist im Laufe seines Lebens von einer Depression betroffen. Depressionen können in jedem Alter auftreten.
Depressionen treten oft gemeinsam mit weiteren psychischen Erkrankungen auf, dazu gehören unter anderem Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen, somatoforme Störungen, Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen. Charakteristisch sind eine dauerhaft niedergeschlagene, traurige Stimmung, Antriebslosigkeit und rasche Ermüdung, eine verminderte Aktivität sowie ein Interessensverlust und Freudlosigkeit.
Häufig treten Konzentrationsprobleme, Schuldgefühle, Selbstzweifel, große Zukunftsängste, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen auf, bei schwereren Episoden auch Suizidgedanken. Typisch für Depressionen ist ein episodischer Verlauf, der sehr unterschiedlich sein kann. Depressive Episoden können einmalig oder wiederholt auftreten. Je nach Schweregrad der Erkrankung kann zwischen leichten, mittelgradigen und schweren Depressionen unterschieden werden. Depressive Verstimmungen, die über mehrere Jahre andauern und in ihrer akuten Ausprägung weniger schwer als eine depressive Episode sind, werden als dysthyme Störung bezeichnet.
Psychotherapie bei Depressionen
Die Leitlinie empfiehlt Psychotherapie bei allen Schweregraden der Depression. Sie fasst differenzierte Empfehlungen auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes zusammen. Je nach Schweregrad und Verlaufsform ist Psychotherapie als Monotherapie oder Kombinationstherapie empfehlenswert.
Lesen Sie auch: Die S3-Leitlinie im Überblick
Pharmakotherapie und Psychotherapie waren die am besten untersuchten Behandlungsverfahren, die in der Versorgung auch am ehesten verfügbar waren, weshalb die Leitlinie hierzu spezifische Empfehlungen erstellte, die sich am damals aktuellen Kenntnisstand orientierten [1].
In der Psychotherapieforschung konnten mehrere gemeinsame Wirkmerkmale verschiedener Verfahren und unspezifische Faktoren zur Erklärung von Therapieerfolgen identifiziert werden, die in allen Therapieschulen mehr oder weniger vorkommen, wie etwa Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, Problembewältigung und motivationale Klärung.
Was in der Psychotherapieforschung schon seit längerem als empirisch am besten abgesicherter allgemeiner Wirkfaktor identifiziert worden ist, gilt auch für die Behandlung der Depression, nämlich, dass die Qualität der therapeutischen Beziehung entscheidend für die Qualität und das Ergebnis der Psychotherapie und das Arbeitsbündnis ist. Grundlegende Verlustängste können darin bearbeitet und verlässliche Strukturen entwickelt werden.
Werden diese Faktoren inklusive subjektive Krankheitsvorstellungen und damit verbundene Behandlungserwartungen nicht berücksichtigt, fühlt sich der Patient nicht verstanden. Es wird eine geringere Wirksamkeit erreicht, und der Patient bricht womöglich ab.
Bemerkenswert und bedeutsam ist, dass bei leichten depressiven Episoden in der S3-Leitlinie eine aktiv-abwartende Begleitung über 14 Tage empfohlen wird, ohne sofortige Einleitung einer spezifischen Psycho- oder Pharmakotherapie, die mit allgemeinen psychoedukativen Inhalten und Möglichkeiten des Symptommanagements verbunden werden kann. Es muss also nicht sofort eine fach- und störungsspezifische Behandlung angeboten werden.
Lesen Sie auch: Kupferspirale: Einflüsse auf das Wohlbefinden
Eine ärztliche Begleitung, z. B. Psychiatrische-psychotherapeutische Basisbehandlung bzw. psychosomatische Grundversorgung (3-7 mod. Sofern die eingesetzten Behandlungsmöglichkeiten (Empfehlungen nach 3-7, mod.) nicht zur Besserung der Symptomatik geführt haben, soll eine Psychotherapie angeboten werden.
Die Leitlinie empfiehlt Psychotherapie generell für den Bereich leichte bis mittelgradige Depressionen, was Psychotherapie einerseits extrem aufwertet. Die meisten Effektivitätsbelege für eine psychotherapeutische Monotherapie liegen für leichte und mittelgradige depressive Störungen vor.
Die KVT (kognitive Verhaltenstherapie) als am häufigsten ambulant untersuchtes Therapieverfahren mit einer Vielzahl kontrollierter Studien bringt die robustesten Effektivitätsnachweise mit einer Vielzahl an Metaanalysen.
Wenn ein alleiniges Behandlungsverfahren in Betracht gezogen wird, soll bei ambulant behandelbaren Patienten mit akuten mittelschweren bis schweren depressiven Episoden eine alleinige Psychotherapie gleichwertig zu einer alleinigen medikamentösen Therapie angeboten werden. Die Wirksamkeit von Antidepressiva ist jedoch neben schweren auch für mittelgradige depressive Episoden belegt. Beim derzeitigen Wissensstand ist von einer Äquivalenz zur evidenzbasierten Psychotherapie auszugehen, die in der Leitlinie folglich gleichrangig als Monotherapie empfohlen wird.
Bei chronischen depressiven Zuständen (Dysthymie und „double depression“) soll im Sinne einer starken Empfehlung eine Pharmakotherapie geprüft werden. Bei Dysthymia, „double depression“ und chronischer Major-Depression hat eine Kombinationsbehandlung aus Pharmako- und Psychotherapie den größten Behandlungserfolg. Bei Double Depression und chronischer Depression soll der Patient darüber informiert werden, dass eine Kombinationstherapie mit Psychotherapie und Antidepressiva gegenüber einer Monotherapie wirksamer ist (3-45, mod.
Lesen Sie auch: Kognitive Beeinträchtigungen bei Depressionen
Neben dem deutlich erhöhten zeitlichen Forschungsaufwand alleine ist zu bedenken, dass die in der lebensgeschichtlichen Entwicklung tief verwurzelten depressiven Haltungen und Einstellungen wesentlich schwerer aufzuheben, zu ersetzen oder aufzuhellen sind, wodurch womöglich jede Form der Behandlung es schwerer haben wird, grundlegende Veränderungen zu erreichen.
Kombinationstherapie
Für schwere depressive Episoden, chronisch depressive Patienten und rezidivierende Depressionen sind statistisch signifikante additive Effekte einer Kombinationstherapie gegenüber alleiniger Psychopharmakotherapie (bei chronisch depressiven Patienten, bei schweren Episoden) und einer alleinigen Psychotherapie (bei schweren Episoden) nachgewiesen.
Des Weiteren entsprechen die Forschungsergebnisse auch den klinischen Erfahrungen, dass nicht alleine auf das Gespräch oder die Medikation gesetzt wird, sondern die Wirksamkeit durch die jeweilige andere Behandlungsform in einer Kombinationsbehandlung verstärkt wird. Zu beachten ist, dass hier vorrangig eine Kombinationsbehandlung empfohlen wird, jedoch nicht völlig ausgeschlossen wird, dass eine Monotherapie bevorzugt wird. Hier wird nicht aufgefordert Psychopharmaka zu verschreiben, auch die Psychotherapie kann gewählt werden.
Darüber hinaus ist wichtig zu beachten, dass bei schweren depressiven Episoden die Wirklatenz einer alleinigen Psychotherapie gegenüber einer alleinigen Pharmakotherapie oder einer Kombinationsbehandlung aus Pharmako- und Psychotherapie erhöht sein kann.
Für spezifische Subgruppen wird eine Kombinationstherapie von Antidepressiva und Psychotherapie empfohlen, nämlich für schwere depressive Episoden, chronisch depressive Patienten, rezidivierende Depressionen sowie ältere depressive Patienten (59-70 Jahre).
Bei schweren und rezidivierenden sowie chronischen Depressionen und „double depression“ sollte die Indikation zur Kombinationsbehandlung aus Pharmakotherapie und geeigneter Psychotherapie vorrangig vor einer alleinigen Psychotherapie oder Pharmakotherapie geprüft werden (3-50, mod.
Das ÖGPB Konsensus-Statement Depression „Medikamentöse Therapie“ [14] betont, dass pharmakologisch-psychotherapeutische Kombinationsbehandlungen das Mittel der Wahl darstellen und den jeweiligen Schwerpunkt - abhängig von Schweregrad und Verlauf der Erkrankung - zu finden, die therapeutische Herausforderung darstellt.
Rückfallprophylaxe
Wichtig ist, da Psychotherapie auch einen wesentlichen Einfluss auf die Stabilität des Behandlungserfolgs und auf die Prävention von Rückfällen hat, dass diese bereits in der Akutphase begonnen wird, um Bewältigungsstrategien zu entwickeln und Auslöser erkennen zu lernen. Psychotherapie verhindert zwar nicht vollständig Rückfälle, reduziert aber die Rückfallhäufigkeit.
Bei rezidivierenden depressiven Störungen zeigen Langzeitstudien mit KVT einen überzeugenden rückfall- und rezidivprophylaktischen Effekt von Psychotherapie, und zwar nach einer Psycho- und/oder Pharmakotherapie in der Akutphase oder auch bei teilremittierten Patienten (z. B. die Metaanalyse von Vittengl et al.
Für die Interpersonelle Psychotherapie hat eine Kombinationsbehandlung aus IPT und Pharmakotherapie den stärksten rezidivprophylaktischen Effekt. In den von Vittengl et al. aufgenommenen Studien schnitt die Psychotherapie tendenziell tatsächlich besser ab als eine Pharmakotherapie.
Das ÖGPB Konsensus-Statement Depression „Therapieresistente Depression“ [15] betont die durch Psychotherapie erreichbare längere Nachhaltigkeit der erzielten Therapieeffekte. Es weist aufgrund des hohen Rückfallrisikos und des häufig rezidivierenden Verlaufs auf die Notwendigkeit als Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe hin und die Notwendigkeit der Aufklärung des Patienten über die Überlegenheit der Kombinationstherapie.
Weitere Aspekte
Ausdrücklich wird in Form einer starken Empfehlung darauf hingewiesen, dass psychotische Symptome bei Depressionen mit Psychopharmaka behandelt werden sollen. Depressive Patienten mit psychotischen Merkmalen sollten in jedem Falle eine medikamentöse Therapie erhalten (3-44, mod.
Hält die Symptomatik einer leichten depressiven Episode nach einer Kontrolle nach spätestens 14 Tagen noch an oder hat sie sich verschlechtert, soll mit dem Patienten über eine Intensivierung der Behandlung gesprochen werden. Qualifizierte angeleitete Selbsthilfe, z. B.
Wesentlich für den Patienten, vor allem wenn er ein lang anhaltendes Leiden hat, ist, ihm die bestmögliche Therapie aufklärend anzubieten, ihn im Quer- und perspektivischen Längsschnitt darüber aufzuklären, ihm einen individuellen Therapieplan mit rationalen Optionen anzubieten und ihn über verschiedene Therapieverfahren und deren Kombination zu beraten, sodass der Patient unterstützt entscheiden kann.
Die S3-Leitlinie schlägt hier entsprechend ein gestuftes Vorgehen vor, das im Anschluss an die Diagnostik am Beginn der Behandlung ein Aufklärungsgespräch empfiehlt, dessen Ziel es ist, durch verständliche Informationen zu bewährten und wirksamen Behandlungsmethoden (inklusive deren Wirklatenz und Nachhaltigkeit), Hoffnung zu vermitteln und den Patienten zu entlasten und partizipativ am Entscheidungsprozess zu den Therapieoptionen zu beteiligen.
Andererseits zeigen longitudinal durchgeführte Untersuchungen, dass ein Nichtbehandeln einer Depression zu einer schwereren Form führen kann und die oberflächliche Einschätzung des Phänotyps in leicht, mittel, schwer im Querschnitt alleine nicht die Art und Natur der Erkrankung, d. h. den Verlauf, das Stadium und die psychosozialen Belastungen erkennen lässt und somit an der klinischen Realität und am Patientenwohl vorbeiführt.
Eine rechtzeitige und lege artis durchgeführte Behandlung depressiver Störungen weist eine hohe Erfolgsrate auf, eine nicht oder inadäquat durchgeführte Behandlung lässt längerfristige Verläufe und auch Chronifizierung erwarten. Aufklärung, gezielte Information und partizipative Entscheidungsgewinnung als Recht und Anspruch der Patienten sind hier bedeutsame Grundlagen und finden in der S3-Leitlinie neben der zentralen Bedeutung der therapeutischen Beziehung adäquate Beachtung.
Eine konsequente Patientenbeteiligung ist eine der Innovationen der S3-Leitlinie. Pragmatisch und übersichtlich wird in Kapitel 12 auf die in Österreich versorgungsrelevanten Bereiche allgemeine ärztliche Psychotherapie, Psychoedukation und Beratung, Krisenintervention, Fachpsychotherapie und Vorgehen in der Praxis eingegangen und bildet damit eine hilfreiche Handlungsleitlinie, zugeschnitten auf das österreichische Versorgungssystem.
Die Psychotherapie hat einen wesentlichen Stellenwert in der Behandlung der Depression, vor allem in der Akutphase. Zu den Effekten längerfristiger psychotherapeutischer Behandlungen liegen noch wenige Studien vor. Die generelle Empfehlung von Psychotherapie im Allgemeinen, ist differenzierter zu betrachten, vor allem auch bei leichtgradigen Depressionen.
tags: #leitlinie #depression #dgppn