Die psychischen Belastungen während der Corona-Pandemie waren für viele Menschen enorm: Einsamkeit durch die Kontaktbeschränkungen, finanzielle Nöte, Angst vor der Krankheit. Entsprechend groß war die Befürchtung von Experten, dass damit auch die Zahl der Suizide steigen würde. Doch das war nicht der Fall.
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Studien und Ergebnisse
Die am Samstag in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichte Studie schätzte, dass vergangenes Jahr weltweit 52 Mio. Menschen mehr an einer schweren depressiven Störung litten, als es ohne Pandemie der Fall gewesen wäre. Die Zahl der unter Angstzuständen leidenden Menschen lag demnach um 76 Mio.
Die Forscher analysierten für die Schätzung Daten aus Nordamerika, Europa und Ostasien und erstellten ein Modell für das erwartete Auftreten von Depressionen und Angstzuständen. Die Studie zeigte, dass die am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder mit der größten psychischen Belastung konfrontiert waren.
Wäre die Pandemie nicht aufgetreten, hätten die Forscher weltweit mit 193 Mio. Fällen von Depression gerechnet. Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr 246 Mio. Fälle beobachtet. Bei den Angstzuständen sagten die Modelle 298 Mio. Fälle weltweit ohne Covid-19 voraus, während die tatsächliche Zahl der Fälle im vergangenen Jahr 374 Mio. betrug.
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Die Ergebnisse machten deutlich, dass die psychosozialen Dienste "dringend gestärkt werden müssen, um die wachsende Belastung durch schwere Depressionen und Angststörungen weltweit zu bewältigen", sagte der Hauptautor der Studie, Damian Santomauro, von der School of Public Health der University of Queensland in Australien.
Die Analyse ergab zudem, dass Frauen unverhältnismäßig stark betroffen sind. Das ist demnach vor allem darauf zurückzuführen, dass die Pandemie-Maßnahmen in den meisten Ländern die bestehenden gesundheitlichen und sozialen Ungleichheiten noch verschärfen. Die zusätzlichen Betreuungs- und Haushaltspflichten wurden hauptsächlich von Frauen übernommen.
Doch auch bei den 20- bis 24-Jährigen schlug sich die Pandemie der Studie zufolge überdurchschnittlich auf die Psyche nieder.
Deutsch-Österreichische Untersuchung zu Suiziden
Eine deutsch-österreichische Untersuchung zeigte, dass der generelle Anstieg der Suizide nicht der Fall war. Das galt auch für besonders belastete Gruppen wie älteren Menschen, Kindern und Jugendlichen.
„Unser Ziel war es, belastbare Daten während der Covid-19-Pandemie zur Verfügung zu stellen. Insbesondere zu spezifischen Risiken einzelner Altersgruppen und dem Geschlecht“, sagt Studienleiter Dr. Daniel Radeloff, kommissarischer Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Leipzig.
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Die Forschenden, von denen einige auch der Uniklinik Ulm sowie der Universität Wien angehören, haben dazu polizeiliche Kriminalstatistiken zu Suiziden von Anfang 2017 bis Ende 2021 ausgewertet. Die Untersuchung umfasste Daten aus Sachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein und basiert damit auf rund 11 Millionen Bürgern.
Daten anderer Bundesländer konnten nicht herangezogen werden, da sie nicht den vorgesehenen Kriterien entsprachen. Solange bundesweite Daten ausstehen, sind die Ergebnisse als vorläufig zu betrachten.
Die Auswertung zeigte, dass die Zahl der Suizide während der Pandemie unter erwachsenen Männern leicht gesunken, unter Frauen allerdings leicht angestiegen war. Die Veränderungen waren in beiden Gruppen jedoch statistisch nicht signifikant.
Besonderes Augenmerk richteten die Forschenden auf Senioren: „Insbesondere eine generelle Erhöhung der Anzahl der Suizide älterer Menschen im Vergleich zum vorpandemischen Zeitraum, zum Beispiel aus Vereinsamung aufgrund von Kontaktbeschränkungen, ließ sich nicht nachweisen“, so Radeloff.
Deutlich seltener waren Suizide unter anderem in der Gruppe älterer Männer zwischen 81 bis 90 Jahre. Auf noch Ältere traf das nicht mehr zu: „Bemerkenswert war der Anstieg bei über 90-jährigen Männern“, sagt der Mediziner. Allerdings sind Suizide bei Männern insgesamt und im höheren Lebensalter anteilsmäßig jeweils ohnehin besonders hoch.
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Jugendliche: Nicht mehr Suizide, aber mehr Suizidversuche?
In der Gruppe der Kinder und Jugendlichen entsprachen die Ergebnisse Untersuchungen aus Großbritannien.
Allerdings sind die Zahlen bei jungen Menschen schwieriger zu bewerten - denn die Zahl der Suizide ist bei ihnen ohnehin vergleichsweise niedrig. Auch zufällige Veränderungen können deshalb hier einen scheinbar großen Unterschied machen.
Konkret haben die Behörden im Jahr 2022 25 Suizide von Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 15 Jahren erfasst sowie 155 unter 15- bis 20-Jährigen.
Forscher der Universität Essen hatten zudem jüngst die Vorveröffentlichung einer Studie vorgestellt, die den Daten zu widersprechen scheint. Allerdings geht es hier um Suizidversuche, nicht um tatsächlich Verstorbene.
Deren Zahl hatte sich bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren im zweiten Lockdown etwa verdreifacht: von 25 bis 37 Suizidversuchen in den Jahren 2017 bis 2019 auf 93. Im ersten Lockdown war sie dagegen mit 16 Fällen auffällig niedrig gewesen.
Für ihre Untersuchung hatten die Forschenden Daten aus 37 deutschen Kinderintensivstationen ausgewertet, auf denen Kinder und Jugendliche nach einem Suizidversuch stabilisiert werden.
„Ein fortgeführtes Monitoring der Suizidraten erscheint sinnvoll, da auch in den kommenden Monaten und Jahren mit Begleit- beziehungsweise Folgeerscheinungen der aktuellen Krisen zu rechnen ist“, so Radeloff.
Allgemeine Informationen zu Depressionen
Dr. Gerhard Miksch, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin der Sozialen Dienste Burgenland, sprach über das Thema „Depression“ in der „Radio Burgenland Sprechstunde“ am 7. Dezember 2023 mit ORF-Moderatorin Nicole Aigner.
Rund 730.000 Menschen in Österreich leben zurzeit mit einer Depression. Dr. Gerhard Miksch erklärt: „Die Akzeptanz in der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren sicher verbessert und es wird offener damit umgegangen. Aber es bleibt oft nach wie vor ein Tabuthema, auch wenn beispielsweise Burn-out das Thema gesellschaftsfähiger gemacht hat.“
Anzeichen und Symptome einer Depression
Gedrückte Stimmung und Traurigkeit gehören zu den bekanntesten Symptomen einer Depression. „Es gibt aber noch andere Zeichen, typische Anzeichen sind etwa Schlafstörungen und da vor allem Durchschlafstörungen. Auch wenn man in der Früh nicht aufstehen kann und nicht in die Gänge kommt sowie Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsstörungen können Anzeichen sein“, so der Chefärztliche Leiter des Psychosozialen Dienstes im Südburgenland.
Depressionen können sich auch durch körperliche Beschwerden äußern, wie etwa Oberbauchbeschwerden oder Kreuzschmerzen. Dadurch sei eine Diagnose oft schwierig. „Die Betroffenen kommen mit Angstzuständen oder Schlafstörungen und da muss man dann erst einmal genauer nachfragen, wie die Stimmung ist“, so Dr. Gerhard Miksch.
Ursachen
Die Ursachen für Depressionen seien vielfältig. „Wie viele Krankheiten haben Depressionen auch eine genetische Komponente. Dazu kommen exogene Ursachen wie Überarbeitung, wenig Freizeit und traumatisierende Erlebnisse“, erklärt Dr. Gerhard Miksch.
Statistisch gesehen hätten Frauen ein wesentlich höheres Risiko an einer Depression zu erkranken. „Ungefähr 20 Prozent der Frauen werden in ihrem Leben irgendwann depressiv, bei Männern sind es nur fünf Prozent. Das liegt aber auch daran, dass die Symptomatik bei Männern anders ist. Sie sind eher aggressiv und gereizter, deshalb wird es nicht als Depression erkannt oder sie bekämpfen ihre unguten Zustände mit Alkohol und landen so in einer Abhängigkeit“, so der Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Depressionen erkennen
Es sei sehr unterschiedlich, wie und wann die Depression wahrgenommen wird. „Manche Menschen merken es relativ schnell, andere verdrängen es so lange, bis sie wirklich am Boden zerstört sind. Schlafstörungen treten meist früher auf, werden aber bis zum Eintreten anderer Beschwerden wie etwa Appetitlosigkeit ignoriert“, so Dr. Gerhard Miksch.
Oft werde aber keine Depression diagnostiziert, sondern nur die Symptome behandelt. Meist seien die Angehörigen die ersten, die eine Depression bei den Betroffenen erkennen. „Oft bemerken der Partner oder die Partnerin Veränderungen in der Stimmung. Die erste Anlaufstelle ist dann der Hausarzt. Dieser sollte dann bei den genannten Symptomen nachfragen und erkennen, ob es eine depressive Erkrankung sein kann“, erklärt Dr. Gerhard Miksch.
Behandlung und Umgang
Nachdem Depression eine Erkrankung sei, würde Medikamente helfen. „Antidepressiva sind moderne Medikamente, die dazu führen, dass die Stimmung und der Antrieb besser werden. Zusätzlich sollte man zu einer Psychotherapie gehen, um Ursachen für die Depression erforschen zu können und Änderungen im Lebensstil zu ermöglichen“, so der Dr. Gerhard Miksch.
Im Umgang mit Menschen mit Depressionen seien Sätze wie „Reiß dich zusammen“ sehr kontraproduktiv. „Solche Sätze sind das beste Mittel, um eine Depression weiter anzuheizen. Angehörige sollten eher mit den Betroffenen sorgsam umgehen, etwa mit ihnen spazieren gehen, um sie aus ihrem Grübeln und Rückzug herauszuholen“, erläutert Dr. Gerhard Miksch.
Pandemie verschärft Situation
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und Zukunftsängste haben die Situation rund um depressive Erkrankungen verschärft. „Suizidale Gedanken und Handlungen haben zugenommen, die Pandemie hat zu einer sozialen Isolation geführt. Das betrifft die Jugendlichen noch mehr als Erwachsene. Die Nachrichten sollte man sich nicht anschauen, wenn man unter einer Depression leidet“, so Dr. Gerhard Miksch.
Oft käme der Ratschlag von Angehörigen, man solle sich doch eine Auszeit nehmen. „Jede Behandlung einer Depression braucht lange Zeit. Bei einer Depression braucht man oft mehrere Monate, bis man wieder einsatzfähig ist“, erklärt der Facharzt.
Suizidgedanken bei chronischen Depressionen
Bei chronischen Depressionen verlieren Betroffene oft die Hoffnung, dass ihnen geholfen werden kann, was zu Suizidgedanken führen kann. „Suizidankündigungen sind meist nicht offensichtlich. Die Personen sagen etwa, dass ihnen alles zu viel ist oder dass sie nicht mehr weiterwissen. Wenn jemand etwa beginnt, seine Dinge zu verschenken, sollte man das ernst nehmen. Man sollte die Betroffenen darauf ansprechen, meist sind sie erleichtert, dass sie darüber sprechen können“, so Dr. Gerhard Miksch.
Anlaufstellen und Selbsthilfe
Erste Anlaufstelle seien Hausärzte und die Standorte der Sozialen Dienste Burgenland, die es in jedem Bezirksvorort gibt. „Hier bekommt man auch kurzfristig einen Termin bekommt, besonders wenn es Suizidgedanken hat. Als letzte Anlaufstelle gibt es auch noch die psychiatrische Abteilung im Krankenhaus in Eisenstadt. Die meisten Depressionen kann man aber ambulant behandeln“, so Dr. Gerhard Miksch.
In den letzten Jahren sei der Begriff „Resilienz“ in Mode gekommen. „Resilienz heißt, dass ich auf mich selber achte und Dinge mache, die mir selber guttun. Menschen mit Depressionen müssen lernen, auf sich selbst zu achten und sich Gutes zu tun“, so Dr.
Psychische Gesundheit in Österreich während der Pandemie
Einer rezenten Studie zufolge antwortet ein Viertel der Bevölkerung auf die Covid-19-Pandemie mit Angst und Depression. Wie begegnet die Psyche komplexen Herausforderungen einer globalen Krise?
Seit Beginn der Corona-Pandemie untersuchen ForscherInnen unter Univ.-Prof. Dr. Christoph Pieh vom Department für Psychotherapie und Psychosoziale Gesundheit die Auswirkungen der krisenhaften Situation in Österreich.
In bisher vier Wellen wurde abgefragt, wie es um die Themen depressive Symptome, Angst- und Schlafstörungen bestellt ist. Nun wurden die Ergebnisse der vierten Befragungswelle, die zwischen Weihnachten und Neujahr durchgeführt und für die 1.500 Personen befragt wurden, präsentiert.
Und sie sind nicht erfreulich: „Seit der letzten Erhebung im September 2020 kam es zu einer neuerlichen, deutlichen Verschlechterung der psychischen Gesundheit“, fasst Studienautor Pieh die Ergebnisse zusammen.
Während, so die Studienergebnisse, ältere Personen verhältnismäßig gut mit der Krise leben, sind die 18- bis 24-Jährigen besonders betroffen. „Seit September sehen wir hier in dieser Gruppe einen Anstieg psychischer Erkrankungen von 30 auf 50 Prozent“, warnt Pieh.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die ResilienzforscherInnen Mag. Anneliese Aschauer-Pischlöger und Dr. Peter Hofer, die das Institut für Gesundheit und Entwicklung für Menschen und Organisationen (IGEMO) in Linz leiten und seit Beginn der Corona-Krise ebenfalls eine breit angelegte Online-Befragung zum Thema „Corona, Resilienz und psychisches Befinden“ durchführen.
„Wir vermuten, dass gerade jüngere Menschen mit anhaltender Dauer der Krise, vermehrt das Gefühl haben, das Leben gehe seit Beginn der Krise an ihnen vorbei.“
Die Einschränkungen, mit denen Jugendliche seit März 2020 leben müssen, stehen einer gesunden Entwicklung und dem Finden der eigenen Identität diametral entgegen.
„In der Zeit von der Pubertät bis zum Erwachsenwerden geht es um das Finden der eigenen Identität, um Ausprobieren und das Entdecken von Möglichkeiten und Grenzen“, erklärt Aschauer-Pischlöger.
Dies zeigen auch die Ergebnisse der aktuellen Studie „Mental Health during a COVID-19 Lockdown Over the Christmas Period in Austria“ der Forschungsgruppe rund um Christoph Pieh.
„Jugendliche und Erwachsene im Erwerbsleben sind diejenigen, die besonders vulnerabel auf die Corona-Krise reagieren.“
Ältere Menschen dagegen, auch dies konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden, scheinen mit der krisenhaften Situation mit weniger psychischen Problemen zu reagieren.
Das hat unterschiedliche Gründe: „Menschen im Erwerbsleben sind in dieser Pandemie mit ganz realen Problemen, wie etwa Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, finanziellen Schwierigkeiten und der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Kinderbetreuung konfrontiert“, erläutert Pieh.
Ältere Menschen dagegen, vor allem jene, die bereits im Ruhestand sind, tun sich offenbar leichter damit, die Pandemie zu bewältigen. „Zum einen lebt diese Gruppe mit einem gewissen Maß an finanzieller Sicherheit“, erklärt Pieh.
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