Vor 30 Jahren wurde im österreichischen Parlament das Psychotherapiegesetz verabschiedet, wodurch Psychotherapie als eigenständiges Heilverfahren im Gesundheitsbereich gesetzliche Anerkennung fand.
Psychotherapie: Ein bedeutendes Versorgungsangebot
Psychotherapie stellt das bedeutsamste und weitreichendste Versorgungsangebot zur interaktionellen Behandlung psychischer Erkrankungen dar. Angesichts dieser Entwicklungen ist es angebracht, sich der Psychotherapie im Sinne des österreichischen Psychotherapiegesetzes zuzuwenden und im Wissen darum Bilanz zu ziehen, dass eine Neufassung des Psychotherapiegesetzes zur Diskussion steht (vgl. Datler et al. 2021).
Wirksamkeit der Psychotherapie
Psychotherapie zeichnet sich durch ausgesprochen hohe Behandlungswirksamkeit aus. Im Vergleich ist Psychotherapie damit einer pharmakologischen Behandlung zumindest ebenbürtig, einigen Metaanalysen zufolge, zum Teil sogar deutlich, überlegen. Eine Kombination aus beiden Behandlungskonzepten ist oft besonders wirksam.
Die hohe Wirksamkeit lässt sich für unterschiedliche Störungsbilder und für unterschiedliche Therapieverfahren zeigen. Dabei zeichnet sich Psychotherapie besonders durch eine langfristige und nachhaltige Behandlungswirkung aus, woraus eine beachtenswerte Kosteneffizienz resultiert.
Langfristige Effekte
Belege aus randomisiert-kontrollierten Therapiestudien zeigen in diesem Zusammenhang, dass die Effekte der psychotherapeutischen Behandlung (anders als in den Kontrollgruppen) auch nach Ende der Behandlung weiter zunehmen.
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Kosteneffizienz
Aus differenzierten Meta-Analysen der verfügbaren Kosten-Effektivitäts-Studien geht hervor, dass Psychotherapie zu einer nachhaltigen Senkung der Gesundheitskosten führt. Diese Reduktion entsteht durch die verminderte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und einer geringeren Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen.
Wirkfaktoren in der Psychotherapie
Die neuere Wirkfaktorenforschung hat gezeigt, dass allgemeine Wirkfaktoren, wie die Person der TherapeutIn und die therapeutische Beziehung, eine besonders große und hilfreiche Bedeutung für den Therapieerfolg haben. Diese allgemeinen Wirkfaktoren haben einen stärkeren Einfluss auf den Therapieerfolg als spezifische Interventionstechniken.
Dies korrespondiert mit dem Umstand, dass Psychotherapie seit jeher einen besonderen Schwerpunkt auf die Entwicklung dieser handlungsleitenden Wirkfaktoren sowohl in der psychotherapeutischen Theorie als auch in der Ausbildung und in der therapeutischen Praxis legt.
Empirische Psychotherapieforschung
In der empirischen Psychotherapieforschung werden seit Jahrzehnten umfangreiche Studien durchgeführt, die eine nachhaltige Wirksamkeit der psychotherapeutischen Methoden bestätigt, die den vier psychotherapeutischen Grundströmungen respektive Clustern zugeordnet werden können:
- psychoanalytisch-psychodynamischer Psychotherapien (Cluster 1/PPT)
- verhaltenstherapeutischen Methoden (Cluster 2/VT)
- Humanistischen Therapieverfahren (Cluster 3/HPT)
Die relevanten empirischen Studien umfassen realitätsnahe Feldstudien mit großen Fallzahlen (z. B. Stiles et al. 2008 für kognitive, humanistische und psychodynamische Behandlungsansätze), aber auch zahlreiche Studien nach dem sogenannten „Gold Standard“ (experimentelle Kontrollgruppendesigns, Meta-Analysen z. B. Cuijpers et al. 2008a, 2008b, 2020).
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Ergebnisse der Outcome-Studien
In zahlreichen Outcome-Studien wurde die Wirksamkeit von Psychotherapie in Hinblick auf alle vier Cluster nachgewiesen:
- Unter Bezugnahme auf die meisten psychiatrischen Erkrankungen referieren Leichsenring et al. (2015) und Shedler (2010) Belege für die Wirksamkeit psychoanalytisch-psychodynamischer Psychotherapien (Cluster 1/PPT).
- Für die verhaltenstherapeutischen Methoden (Cluster 2/VT) fassen Cuijpers et al. (2008a, 2008b) Outcome Studien mit Bezug auf die häufigsten psychiatrischen Störungsbilder in Metaanalysen zusammen.
- Nach Cain (2016) sowie Wampold und Imel (2015) wurden ähnliche Ergebnisse wiederholt und umfassend für den Bereich der Humanistischen Therapieverfahren (Cluster 3/HPT) nachgewiesen.
Nachhaltigkeit der Therapie
Leichsenring und Rabung (2011) haben bezüglich Cluster 1 (PPT) gezeigt, dass Psychotherapie während und nach der Therapie langfristig wirkt, insbesondere in Hinblick auf Persönlichkeitsveränderungen über das Therapieende hinaus.
Effektstärken der Therapie
Manchen Untersuchungen zufolge erweisen sich psychotherapeutische Verfahren der Cluster 1 (PPT), 2 (VT) und 3 (HPT) als ähnlich wirksam wie andere Therapien (Steinert et al. 2017). Betrachtet man alleine die Effektstärken der therapeutischen Technik, ist der PPT-Prototyp wirksamer als der VT-Prototyp (Ablon und Jones 1998, 2005; Jones 2000; Zimmermann et al. 2015), der HPT-Prototyp gleich effektiv (Steinert et al.
Naturalistische Studien
Stiles et al. (2008) vergleicht psychotherapeutische Verfahren der Cluster 1 (PPT), 2 (VT) und 3 (HPT) im Versorgungskontext und beschreibt Gleichwertigkeit bezüglich der Versorgungssituation. In der praxisorientierten Forschung und den naturalistischen Studien (De Maat et al. 2007; Leichsenring 2004; Riess 2018) wird durchgängig ein hoher Anteil der TherapeutInnenvariable an der Outcomevarianz beschrieben (17 % vs. 5 % in randomisierten kontrollierten Untersuchungen [RCTs]).
Auch tragen naturalistische empirische Studien (z. B. auf Cluster 1 [PPT] oder 3 [HPT] bezogen) zu einem besseren Verständnis für psychische Prozesse und ihre Entwicklung bei.
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Kosteneffizienzstudien
De Maat et al. (2007, 2013) fassen Kosteneffizienzstudien zusammen und argumentieren v. a. mit der erwiesenen Nachhaltigkeit der psychotherapeutischen Behandlungen. Vergleiche mit pharmakologischen Behandlungen (Cuijpers et al. 2020) weisen der Psychotherapie eine deutlich höhere Kosteneffizienz aus.
Bedeutung der therapeutischen Beziehung
Über die Bedeutung der therapeutischen Beziehung für den Behandlungsverlauf besteht mittlerweile ein therapieschulen-übergreifender Konsens. In den Konzepten, in denen der Fokus auf unspezifische Ansätze gelegt werden, ergibt sich die Bedeutsamkeit der Beziehung aus dem durch die Behandlungskonzeption definierten Rahmen und beinhaltet Variablen wie die Motivation und Fähigkeit der PatientIn, in diesem Rahmen zweckvoll mitzuarbeiten, die Übereinstimmung von PatientIn und TherapeutIn hinsichtlich der Ziele und Aufgaben, oder empathisches Verständnis und Involviertheit des TherapeutIn. Diese Variablen stellen die Basis dar, auf der die jeweils spezifischen technischen Interventionen wirken.
Zunehmend hat sich aber die Sichtweise durchgesetzt, dass sich - je nach Behandlungsansatz, Phase im Therapieverlauf, TherapeutInneneigenschaften (Beutler et al. 2004) und krankheitsbedingten PatientInnenmerkmalen - z. T. ganz unterschiedliche Qualitäten therapeutischer Beziehungen als günstig für Verlauf und Ergebnis erweisen (Biermann-Ratjen et al. 1995). Dieses erweiterte Konzept der Wirksamkeit der therapeutischen Beziehung erfordert eine stärker störungs- oder diagnosespezifische Erforschung der Therapiebeziehung, welche die Beziehungsregeln verschiedener PatientInnengruppen berücksichtigt.
Psychotherapeutische Diagnostik
Eine ausschließlich ICD-basierte Behandlung (Berkin und Rief 2012) mit interaktionellem Schwerpunkt bietet daher die notwendige, jedoch nicht hinreichende Ausgangsbasis für die psychotherapeutische Behandlung von PatientInnen mit z. B. mangelnder oder/und schwankender Adhärenz/Compliance, mit aggressiv-manipulativer Tendenz, in oft chronisch krisenhafter selbst- oder fremdschädigender Einengung, mit Antriebslosigkeit oder misstrauischer Grundhaltung.
Vielmehr bedarf es hier neben der atheoretisch beschreibenden ICD-Diagnostik einer erweiternden und theoriegeleitet-verstehenden psychotherapeutischen Diagnostik (vgl. Hochgerner 2020a, 2020b), welche die notwendigen Erklärungsmodelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Erkrankung als handlungsleitende Ausgangsbasis für klinisch-diagnostisch begründete Interaktions- und Vorgangsweisen bietet.
Qualität der Psychotherapieausbildung
Die psychotherapeutische Ausbildung, wie sie in Österreich auf der Grundlage des Psychotherapiegesetzes seit 1991 durchgeführt wird, hat im internationalen Vergleich eine besonders hohe Qualität, wie dies auch in der aktuellen internationalen „Spristad“-Studie bestätigt wird.
Personen, die für eine fachspezifische Ausbildung in einer bestimmten Methode nicht geeignet erscheinen, werden nach komplexen Auswahlprozessen zur fachspezifischen Ausbildung nicht zugelassen oder auf die Ausbildung in einem anderen Psychotherapieverfahren verwiesen. In diesem selektiven Auswahlprozess wird besonders die persönliche Eignung für ein bestimmtes anerkanntes Psychotherapieverfahren im Hinblick auf Persönlichkeit und fachspezifische Schwerpunktsetzungen untersucht. qualitative Eignung der Personen mit dem Abschluss einer psychotherapeutischen Ausbildung besonders hoch ist.
Die für selbstselektive Entscheidungsprozesse erforderliche reflexive Kompetenz ist zudem ein zentraler psychotherapeutischer Wirkfaktor (die TherapeutInnenvariable erklärt 15-20 % der Ergebnisvarianz), mediiert die Interventionen (Taubner et al. 2015) und ist durch Selbsterfahrung und Supervision beeinflussbar (Nissen-Lie et al. 2013; Orlinsky et al. 2015). Sie ist aber auch durch Arbeits- und Umgebungsbedingungen veränderbar (Steinmair et al. 2020). Diese reflexive Kompetenz steht im Qualifikationsprofil und den damit verknüpften Lernzielen in der Psychotherapieaus- und Weiterbildung an prioritärer Stelle (European Association for Psychotherapy 2013).
Blended Therapy
Wie diese und andere Studien zeigen, kann die Wirksamkeit einer ambulanten psychotherapeutischen Routine-Versorgung durch Apps bzw. Bekannt war bisher schon, dass Internet Interventionen mit kurzer therapeutischer Begleitung eine gute Wirkung zeigen und ähnliche Behandlungserfolge erzielen können wie klassische psychologische Interventionen.
Die Kombinationstherapie („Blended Therapy“) führte zu anhaltend besseren Ergebnissen in der Routineversorgung. Die Effekte waren weitgehend unabhängig von Alter, Geschlecht oder Bildungsstand der 340 teilnehmenden Personen.
Die positiven Wirkungen der Kombinationstherapie waren dabei weitgehend unabhängig von Alter, Geschlecht oder Bildungsstand der teilnehmenden Personen. Ein besonders wichtiger Befund ist, dass die Effekte auch im sogenannten Follow-up Zeitraum von sechs Monaten stabil blieben, betont Schuster. „Die Langzeiteffekte sind besonders wichtig, denn nur sie geben Auskunft darüber, ob etwaige Verbesserungen auch nachhaltig bestehen.“
Nach Meinung der Experten spielt dafür die Verbesserung des krankheitsbezogenen Selbstmanagements eine wichtige Rolle. „Das haben wir hier nicht konkret untersucht, aber in einer weiteren Studie haben wir die nötigen Variablen erhoben und konnten zeigen, dass verbesserte Handlungskompetenzen sowie Veränderungen von dysfunktionalen Denkmustern zum Erfolg beitrugen.
„Unsere Studie ist die weltweit größte auf dem Gebiet der additiven Effekte von Blended Therapy. Wenn digitale Assistenzprogramme die Wirksamkeit gängiger Therapieangebote anhaltend verbessern können, wie unsere Studie zeigt, hätte dies wichtige Konsequenzen für die Therapie von morgen. Die digitale Psychiatrie stellt derzeit eine der obersten Forschungsprioritäten innerhalb der Psychiatrie dar.
Psychotherapie bei Depressionen
Moderne Metaanalysen ergeben für die Wirksamkeit der Psychotherapie bei Depressionen moderate Effektstärken. Die Kombination aus Pharmako- und Psychotherapie scheint weiterhin der ideale Weg zu sein, wobei die Abstimmung von psycho- und pharmakotherapeutischer Begleitung eine wesentliche Rolle spielen dürfte.
Als Evidenz-basiert gilt heute auch das Paradigma, dass sich in der Depressionsbehandlung - unabhängig von der Schwere der Erkrankung - die Kombination aus Psychopharmaka und Psychotherapie gegenüber den jeweiligen alleinigen Behandlungsformen als wirksamer erweist, speziell im Hinblick auf Langzeiteffekte.
Zwischen Psychotherapie und medikamentöser Therapie können Interaktionen auftreten, die zur gegenseitigen Verstärkung, aber auch zu gegenseitiger Behinderung führen können. Passen die Grundkonzepte nicht zusammen, etwa wenn Therapeuten ihre Klienten/Patienten nicht genügend zur Einnahme der Antidepressiva motivieren oder sogar eine negative Einstellung zur Pharmakotherapie äußern, können Stressmomente für Patienten entstehen, sagt Aigner.
Langzeittherapie
Bei leichteren und akuten Störungen sind kürzere Therapien ausreichend, bei schweren Störungen braucht es aber längere Therapie, wie zum Beispiel die Psychoanalyse. „Die hohe Wirksamkeit der psychoanalytischen Psychotherapie ist heute durch zahlreiche Studien untermauert“, betont Stephan Doering, Leiter der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der MedUni Wien anlässlich des Welt-Kongresses der Psychiatrie, der von 27. bis 30. Oktober im Austria Center Vienna stattfindet.
In aktuellen Studien - auch an der MedUni Wien - wurde nachgewiesen, so Doering, dass die psychoanalytische Psychotherapie zwar mehr Zeit benötigt als Kurztherapien, die Effekte aber umso nachhaltiger sind: „Die Analysen brauchen zwei bis drei Jahre, um ihre Wirkung zu entfalten. Dafür steigen die positiven Effekte von psychoanalytischen Langzeittherapien danach weiter an. Die Psychoanalyse mag zwar teuer erscheinen, führt aber in Relation gesehen später zu einer nachhaltigen Senkung der Gesundheitskosten. Sie amortisiert sich nach etwa drei Jahren.“
Psychoanalytische Behandlung, z.B. bei Depressionen, verändert aber auch die Funktion des Gehirns. Dies wurde erst kürzlich in einer Studie von Anna Buchheim an der Universität Innsbruck gezeigt. Doering: „Die Normalisierung von Hirnfunktionen durch die Psychotherapie ähnelt in manchem der durch Psychopharmaka - möglicherweise hält sie aber länger an.“
Während kürzere Psychotherapien gut geeignet sind, die Symptome von psychischen Erkrankungen zu reduzieren, zielt die psychoanalytische Therapie auch auf eine Veränderung der Persönlichkeit ab. Doering: „Etwa bei der Persönlichkeitsstörung Borderline hilft die Psychotherapie nachweislich, die Persönlichkeit zu verändern.“ Der Effekt: „Die Betroffenen verfügen dann zum Beispiel über eine verbesserte Impulskontrolle und Affektsteuerung.
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