Psychotherapie bezeichnet allgemein die "gezielte professionelle Behandlung psychischer Störungen oder psychisch bedingter körperlicher Störungen mit psychologischen Mitteln". Die dabei angewandten Verfahren, Methoden und Konzepte sind durch verschiedene Psychotherapieschulen geprägt.
Grundlagen der Psychotherapie
Das Wort Psychotherapie leitet sich ab von ψυχή (psyché) - 'Atem, Hauch, Seele' in Zusammensetzung mit θεραπεύειν (therapeúein) - 'pflegen, sorgen' sowie von altgriechisch θεραπεία (therapeia) - "Heilung". Erstmals benutzt wurde es 1872 von Daniel Hack Tuke, Ende des 19. Jahrhunderts wurde es im Zusammenhang mit Hypnotismus gebräuchlich und durch F. van Elden ab 1889 verbreitet, der damit Psychotherapie im modernen Sinne bezeichnete.
Die Psychotherapieforschung überprüft diese entwickelten Konzepte und Verfahren dann interdisziplinär in Form von Wirksamkeitsprüfung und Prozessforschung. So wird versucht, die Kluft zwischen Wissenschaft und praktischer Anwendung durch ein besseres Verständnis der aktiven Wirkprinzipien und Veränderungsprozesse zu überbrücken.
Heute wird die psychotherapeutische Behandlung im Zusammenhang mit Körper und Seele eines ganzheitlich gesehenen Menschen verstanden und erklärt.
Rechtliche Regelungen in Deutschland
Die Ausübung von Psychotherapie ist in Deutschland rechtlich geregelt und darf nur von Ärzten mit entsprechender Zusatzqualifikation, von "Psychologischen Psychotherapeuten" (d. h. Psychologen mit psychotherapeutischer Ausbildung und Approbation) sowie von Heilpraktikern mit psychotherapeutischer Ausbildung ausgeübt werden. Ziel ist dabei, mittels bestimmter Verfahren, Methoden und Techniken den Leidensdruck des Patienten bzw. Klienten zu mindern und möglichst die Gesundheit wiederherzustellen.
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Rechtliche Regelungen des Begriffs Psychotherapie finden sich im Psychotherapeutengesetz und in der Psychotherapie-Richtlinie. In beiden Fällen wird jedoch nicht geregelt, was unter Psychotherapie rechtlich zu verstehen ist, sondern nur in welcher eingeschränkten Form Psychotherapie unter das Psychotherapeutengesetz oder unter die Psychotherapie-Richtlinie fällt.
Das Psychotherapeutengesetz regelt, wer heilkundliche Psychotherapie unter der Berufsbezeichnung "Psychotherapeut" ausüben darf. Unter das Psychotherapeutengesetz fällt somit nicht Psychotherapie, die von Psychologen oder Heilpraktikern im Rahmen des Heilpraktikergesetzes durchgeführt wird. Psychotherapie, die unter der Berufsbezeichnung Psychotherapeut angewendet werden darf, ist "jede mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist."
Psychotherapie, die gemäß Psychotherapie-Richtlinie über die gesetzlichen Krankenkassen abrechnungsfähig ist, "(…) wendet methodisch definierte Interventionen an, die auf als Krankheit diagnostizierte seelische Störungen einen systematisch verändernden Einfluss nehmen und Bewältigungsfähigkeiten des Individuums aufbauen."
"Psychotherapie, als Behandlung seelischer Krankheiten (…), setzt voraus, dass das Krankheitsgeschehen als ein ursächlich bestimmter Prozess verstanden wird, der mit wissenschaftlich begründeten Methoden untersucht und in einem Theoriesystem mit einer Krankheitslehre definitorisch erfasst ist. Nach dem Psychotherapeutengesetz ist der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie zuständig für die Anerkennung von Therapieverfahren."
Zugelassene Berufe
Berechtigt zur Ausübung von Psychotherapie im Sinne der Heilkunde sind:
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- für Erwachsene
- ärztliche Psychotherapeuten (approbierte Ärzte mit zusätzlicher Psychotherapieweiterbildung)
- Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychiatrie und Psychotherapie
- Psychologische Psychotherapeuten (Diplom- bzw. Master Psychologen mit psychotherapeutischer Weiterbildung und Approbation)
- Heilpraktiker (Die Erlaubniserteilung zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung, umgangssprachlich "Großer Heilpraktikerschein", beinhaltet bzw. umfasst auch die eingeschränkte Erlaubniserteilung auf dem Gebiet der Psychotherapie sowie Physiotherapie.
- Heilpraktiker für Psychotherapie (Heilpraktiker beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, umgangssprachlich "kleiner Heilpraktikerschein")
- für Kinder und Jugendliche
- Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
- Psychologische Psychotherapeuten (allerdings haben nicht alle approbierten psychologischen Psychotherapeuten eine Kassenzulassung für Kinder)
- teilweise Heilpraktiker (großer und kleiner HP) bei Störungen ohne Krankheitswert
Zugelassene Verfahren in Deutschland
Die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie, aus Bundesärztekammer und Bundespsychotherapeutenkammer in den Beirat entsandt, sind beauftragt, die wissenschaftliche Anerkennung von Verfahren der Psychotherapie zu begutachten. In Deutschland werden derzeit nur vier Methoden als "wissenschaftlich begründete" Psychotherapie anerkannt, und nur zwei davon können bei der Krankenkasse abgerechnet werden:
- Verhaltenstherapie: Verhaltenstherapeutische Verfahren basieren in der Regel auf dem Modell der klassischen oder der operanten Konditionierung. Sie haben zum Ziel, eine Extinktion (Löschung des problematischen Verhaltens), Gegenkonditionierung (Aufbau alternativer Reaktionen) oder Habituation (Gewöhnung an den zuvor reaktionsauslösenden Reiz) zu erreichen. Häufig werden den Patienten konkreten Methoden an die Hand gegeben, die ihnen dabei helfen sollen, ihre Probleme zu überwinden. Angestrebt wird auch die Ausbildung und Förderung von Fähigkeiten (z. B. Selbstsicherheitstraining) und die Ermöglichung einer besseren Selbstregulation. Beispielsweise versucht die kognitive Verhaltenstherapie, dem Betroffenen seine Gedanken und Bewertungen verständlich zu machen, diese gegebenenfalls zu korrigieren und in neue Verhaltensweisen umzusetzen.
- Psychodynamische Verfahren: Im Rahmen von psychodynamischen Verfahren wie der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie sowie der Psychoanalyse findet eine Auseinandersetzung mit unbewussten, in der Lebensgeschichte - meist in der Kindheit - grundgelegten Motivationen und Konflikten statt. Das Ziel ist hierbei, ein tieferes Verständnis des eigenen Selbst zu erreichen sowie Hintergründe und Ursachen von bestehendem Leid zu klären, damit dieses aufgelöst oder abgeschwächt werden kann.
- Anerkannt aber nicht erstattungsfähig: Systemische Therapie und Gesprächstherapie sind zwar auch in Deutschland wissenschaftlich anerkannt, werden aber von den Krankenkassen nicht bezahlt.
Psychotherapieverfahren im Überblick
Es gibt eine Vielzahl von Schulen und Methoden der Psychotherapie, die jedoch nicht alle als wissenschaftlich anerkannt gelten. Manche als Psychotherapieverfahren angebotenen Methoden sind wissenschaftlich nicht anerkannt, weil seriöse Wirksamkeitsuntersuchungen fehlen oder sie als widerlegt gelten, und werden eher dem para- und pseudowissenschaftlicher Bereich zugerechnet.
Die Rolle der einzelnen Methoden im Gesundheitswesen der deutschsprachigen Länder ist sehr unterschiedlich.
| Richtung | Methode | Gründer | Deutschland | Österreich | Schweiz |
|---|---|---|---|---|---|
| analytisch | Psychoanalyse | Sigmund Freud | ✓ | ✓ | ✓ |
| Individualpsychologie | Alfred Adler | ✓ | ✓ | ✓ | |
| Analytische Psychologie | C. G. Jung | ✓ | ✓ | ✓ | |
| Gruppenpsychoanalyse | Pratt, Burrow, Schilder | ||||
| tiefenpsychologisch | Autogene Psychotherapie | Johannes Heinrich Schultz | - | - | |
| Daseinsanalyse | Ludwig Binswanger | ✓ | ✓ | ✓ | |
| Dynamische Gruppenpsychotherapie | Raoul Schindler | ||||
| Hypnosepsychotherapie | Milton Erickson | (1) | ✓ | ✓ | |
| Katathym-Imaginative Psychotherapie | Hanscarl Leuner | ✓ | ✓ | ✓ | |
| Konzentrative Bewegungstherapie | Gindler, Stolze, Cserny | - | - | ||
| Transaktionsanalyse | Eric Berne | ✓ | ✓ | ✓ | |
| humanistisch | Logotherapie und Existenzanalyse | Viktor Frankl | ✓ | ✓ | ✓ |
| Gestalttherapie | Perls, Perls, Goodman | ✓ | ✓ | ✓ | |
| Gesprächspsychotherapie | Carl R. Rogers | (2) | ✓ | ✓ | |
| Psychodrama | Jakob L. Moreno | ✓ | ✓ | ✓ | |
| Psychosynthese | Roberto Assagioli | ✓ | ✓ | ✓ | |
| behavioral (klassische) | Verhaltenstherapie | Thorndike, Watson, Skinner u. a. | ✓ | ✓ | ✓ |
| kognitiv | kognitive Verhaltenstherapie | Ellis, Beck, Kanfer, Lazarus u. a. | ✓ | ✓ | ✓ |
| systemisch | Systemische Therapie | Satir, Haley, Jackson u. a. | (2) | ✓ | ✓ |
| kombinatorisch | Integrative Therapie | Hilarion Petzold | ✓ | ✓ | ✓ |
| Gestalttheoretische Psychotherapie | Hans-Jürgen Walter | - | - | ||
| humanistisch | Neuro-Linguistische Psychotherapie | Schütz, Karber, Jelem u. a. | - | - | |
| körperorientiert | Bioenergetische Analyse | Wilhelm Reich, Alexander Lowen | ✓ | ✓ | ✓ |
| Biosynthese | David Boadella | ✓ | ✓ | ✓ | |
| Körperpsychotherapie | verschiedene Schulen | ✓ | ✓ | ✓ | |
| kunstorientiert | Kunst- und ausdrucksorientierte Therapien | verschiedene Schulen | ✓ | ✓ | ✓ |
| Musiktherapie | verschiedene Schulen | ✓ | ✓ | ✓ |
(1) Hypnosetherapie: in Deutschland Einzelbehandlung für Erwachsene anerkannt, muss von einem Arzt oder einem Psychologischen Psychotherapeuten, der die Abrechnungsgenehmigung dafür hat, durchgeführt werden.
(2) Gesprächstherapie und Systemische Therapie: in Deutschland für Erwachsene anerkannt (nach Berufsrecht).
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Die Bedeutung der Therapiedauer
Lange Psychotherapien haben nicht nur emanzipatorisches Potenzial, sondern stellen eine zielführende Möglichkeit zu seelischer Gesundheit dar. Es kann dauern bis Beziehung und Vertrauen entstehen und die Angst so weit sinkt, dass ein In-Sich-Hineinschauen möglich wird und Schwierigkeiten in die therapeutische Beziehung eingebracht und bearbeitet werden können.
Gleichzeitig werden lange Therapien (mehr als 300 Stunden) zunehmend seltener von Sozialversicherungsträgern finanziell unterstützt. Die aktuelle Betonung der Symptomorientierung spielt einer Kritik, die immer wieder an Psychotherapie geübt wird, nämlich als "symptomatisch arbeitender Reparaturbetrieb (…), der gesellschaftliche Probleme psychologisch verschleiert".
Psychoanalytisch arbeitende AutorInnen beziehen in den letzten Jahren gehäuft Stellung zum Thema der Therapiedauer. Mertens (1995, S. 420) sieht die Psychoanalyse mit ihrer langen Dauer als "Bollwerk gegen den Zeitgeist des schnellen Produzierens und Konsumierens und die übermäßige Betonung von Fortschritt, Effektivität und Effizienz".
Ich denke mit Henseler und Wegener (1993), dass Psychoanalysen ihre je eigene Zeit benötigen und nicht willkürlich beschleunigt oder verkürzt werden können. Die Autoren beobachten in den von ihnen beschriebenen Langzeittherapien bis zur 300. Stunde Verbesserungen der Symptome und des Befindens ihrer PatientInnen und erst danach eine Verlagerung der pathogenen Problematik in die Beziehung zur Therapeutin/zum Therapeuten im Sinne einer Übertragungsneurose.
Die analytische Situation ermöglicht dem Patienten/der Patientin, implizit neue Beziehungs- und Gefühlsregeln zu erlernen, weil die Beziehung nicht so wie die früh erlebte, bedeutsame Beziehung, in der das sprach- und fantasiefreie Interaktionswissen erworben wurde, ist. Stellungnahmen des Therapeuten/der Therapeutin im Sinne averbaler Kommentare zu Äußerungen des Patienten/der Patientin verändern dessen/deren gewohnheitsmäßige Gefühlsregeln, ohne dass notwendigerweise der Prozess explizit gemacht werden muss.
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