Übermäßige Empathie: Ursachen, Symptome und Behandlung

Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Gefühle nachzuempfinden und sie in ihrem Erleben zu verstehen. Sie bildet den Grundstein für zwischenmenschliche Beziehungen, soziale Interaktion und ein respektvolles Miteinander. Doch was passiert, wenn diese Fähigkeit nachlässt oder verloren geht?

Empathieverlust kann weitreichende Folgen haben, sowohl für die betroffene Person selbst als auch für ihr Umfeld. Dies führt nicht nur zu persönlichen Konflikten, sondern kann auch auf gesellschaftlicher Ebene Herausforderungen mit sich bringen. Gerade in beruflichen Kontexten, in Familien oder Partnerschaften zeigt sich oft, dass die fehlende Fähigkeit, die Emotionen und Bedürfnisse anderer zu berücksichtigen, zu Missverständnissen, Isolation und verhärteten Fronten führt.

Was ist Empathieverlust?

Um diese Frage tiefgreifend zu beantworten, ist es wichtig, zunächst zu verstehen, wie Empathie in der Psychologie definiert wird. Empathie ist ein vielschichtiges Konstrukt, das sowohl kognitive als auch emotionale Aspekte umfasst. Kognitiv bedeutet, dass Sie erkennen, welche Gefühle Ihr Gegenüber erlebt und warum diese entstehen. Emotional wiederum bezieht sich darauf, diese Gefühle im eigenen Inneren nachzuempfinden und darauf zu reagieren.

Eine grundlegende Ursache dafür kann in neuronalen Strukturen liegen, speziell in jenen Gehirnarealen, die für Gefühle und soziale Interaktion verantwortlich sind. Studien deuten darauf hin, dass sich gewisse soziale Einflüsse, Traumata oder chronischer Stress negativ auf die Fähigkeit zur Empathie auswirken können. Darüber hinaus kann ein übermäßiger Medienkonsum, vor allem in sozialen Netzwerken, den Anteil an oberflächlichen Kontakten erhöhen.

Wissenschaftler sprechen hier auch von einer „Desensibilisierung“. Bei wiederholter Konfrontation mit negativen Bildern, Gewalt oder extremen Emotionen in Nachrichten und Unterhaltungsmedien kann der Mensch innerlich abstumpfen. Dies ist oft ein Schutzmechanismus, der vor zu großer seelischer Belastung bewahrt. Wenn jedoch die Bereitschaft zum Mitfühlen dadurch stark sinkt, nimmt auch der empathische Austausch ab. Infolgedessen können sich egoistisches Verhalten und soziale Isolation verstärken.

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Eine reine Begriffsbestimmung reicht jedoch nicht aus, um das Phänomen der verminderten Empathie ganzheitlich zu verstehen. Die Ursachen, die zum Verlust von Mitgefühl führen können, sind vielfältig und in vielen Fällen miteinander verknüpft.

Ein wichtiger Faktor ist der stetig steigende Leistungs- und Zeitdruck. In einer Gesellschaft, in der Produktivität an erster Stelle steht, fällt die Auseinandersetzung mit den Gefühlen anderer oft dem Terminkalender zum Opfer. Menschen, die chronisch gestresst sind und immer unter Druck stehen, neigen häufiger dazu, weniger empathisch zu agieren.

Ein weiterer bedeutender Risikofaktor ist der technologische Wandel. Während digitale Medien und soziale Netzwerke viele Vorteile bieten, kann die Kommunikation in rein virtuellen Räumen die persönlichen, emotionalen Signale vermindern. Nonverbale Hinweise, wie Mimik und Körpersprache, gehen beim Chatten oder Posten weitgehend verloren. So kann sich nach und nach ein oberflächliches Kommunikationsverhalten etablieren.

Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen, Burnout oder Persönlichkeitsstörungen haben Einfluss auf die Fähigkeit zum Mitfühlen. Gerade im Fall von Burnout sind Erschöpfung und Antriebslosigkeit so groß, dass eine sensible Wahrnehmung und Reaktion auf andere Personen häufig zu kurz kommt.

Nicht zuletzt spielen auch gesellschaftliche Normen und kulturelle Einflüsse eine Rolle. In manchen Kulturen wird der Ausdruck von Gefühlen eher unterdrückt; Menschen lernen in ihrer Erziehung, Distanz zu wahren oder sich auf die eigenen Belange zu konzentrieren. Wird Kindern und Jugendlichen nicht beigebracht, ihre Empathie zu entwickeln und zu pflegen, kann sich dies langfristig in einer reduzierten Fähigkeit zum Mitgefühl zeigen.

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Symptome und Folgen von Empathieverlust

Ein verringerter Mitfühlensspielraum macht sich auf unterschiedliche Art und Weise bemerkbar. Typische Symptome sind zum Beispiel ein Desinteresse an den Gefühlen und Problemen anderer, eine Tendenz zu egozentrischem Verhalten sowie eine fehlende Bereitschaft, sich in Diskussionen auf die Perspektive des Gegenübers einzulassen.

Häufig entstehen dadurch Konflikte in Partnerschaften oder im Familienleben, da das Gegenüber das Gefühl hat, nicht verstanden oder wertgeschätzt zu werden. Darüber hinaus ist häufig zu beobachten, dass Menschen mit Empathieverlust weniger kooperationsbereit sind. Gruppenprojekte können leiden, weil Betroffene sich nicht in die Teamdynamik einbringen oder gar destruktives Verhalten zeigen.

Auch im Kundenkontakt - etwa in Dienstleistungsbranchen oder im Vertrieb - wird mangelnde Empathie oft unmittelbar spürbar. Auf individueller Ebene können sich langfristige Folgen ergeben. Wer nicht empathisch agiert, läuft Gefahr, seine zwischenmenschlichen Beziehungen zu vernachlässigen oder sogar zu verlieren. Einsamkeit, Frustration oder berufliche Rückschläge sind mögliche Konsequenzen.

Es ist allerdings wichtig, zwischen akutem Empathiemangel in bestimmten Situationen und einem chronischen Empathieverlust zu unterscheiden. Letzterer besteht über einen längeren Zeitraum und wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus. Gerade wenn Betroffene bei sich selbst wiederholt beobachten, dass ihnen das Leid anderer gleichgültig bleibt oder sie kaum noch Mitgefühl empfinden, ist es an der Zeit, professionelle Hilfe in Betracht zu ziehen. Psychologische Beratung oder Psychotherapie können dabei unterstützen, die Ursachen aufzudecken und neue Perspektiven einzunehmen.

Umgang mit Empathieverlust

Die gute Nachricht ist, dass Empathie keine statische Eigenschaft ist. Sie kann trainiert, erweitert und wiederbelebt werden. Zu den wichtigsten Präventionsstrategien gehört es, sich bewusst Zeit für zwischenmenschliche Kontakte zu nehmen. Regelmäßige Gespräche, in denen Sie aktiv zuhören, die Gedanken und Gefühle Ihres Gegenübers aufnehmen und Interesse bekunden, fördern die Empathiefähigkeit.

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Ebenso empfiehlt es sich, kritisch zu reflektieren, wie oft und wie lange Sie digitale Medien nutzen. Eine gesunde Medienhygiene kann bedeuten, dass Sie Bildschirmpausen einlegen, Chats und Social-Media-Anwendungen bewusst und in Maßen einsetzen und sich stattdessen auf direkte, persönliche Kontakte konzentrieren.

Wer feststellt, dass es zunehmend schwerfällt, sich in andere hineinzuversetzen, sollte regelmäßig reflektieren, wie seine eigenen Verhaltensmuster aussehen. Für die Behandlung eines bereits fortgeschrittenen Empathieverlustes gibt es verschiedene professionelle Ansätze. Psychotherapeutische Verfahren, insbesondere jene mit Fokus auf kognitive Verhaltenstherapie oder Gesprächspsychotherapie, können Betroffene unterstützen, empathische Fähigkeiten neu zu erlernen oder zu stärken.

In manchen Fällen kommt auch Gruppentherapie in Betracht, um in einem geschützten Raum das Zusammenspiel mit anderen Menschen zu üben. Rollenspiele und praktische Übungen helfen dabei, Empathie direkt zu erfahren und in einer sicheren Umgebung auszuprobieren. In Unternehmen oder größeren Organisationen lohnt es sich, Schulungen zum Thema Empathie und emotionale Intelligenz einzuführen. Solche Seminare fördern das Verständnis für die Dynamik in Teams und vermitteln Werkzeuge, um besser auf andere zuzugehen. Langfristig wirkt sich dies nicht nur positiv auf das Betriebsklima, sondern auch auf die Qualität der Arbeitsleistungen aus.

Abgesehen von strukturellen Maßnahmen ist es schließlich entscheidend, dass jeder Einzelne den Willen zeigt, seine Empathie aufrechtzuerhalten oder wiederzuentdecken.

Faktoren, die Empathieverlust beeinflussen können

Die folgende Liste soll Ihnen helfen, einen Überblick zu gewinnen und Ihre eigenen Lebensbereiche zu reflektieren. Diese Faktoren können in unterschiedlichem Ausmaß zu Empathieverlust beitragen. Je mehr dieser Punkte im Alltag zusammentreffen, desto größer ist das Risiko, dass Ihre Fähigkeit zur Einfühlung leidet.

Nach Betrachtung aller Faktoren wird deutlich, dass es häufig keinesfalls ausreicht, lediglich an einer einzigen Stellschraube zu drehen. Vielmehr braucht es eine ganzheitliche Herangehensweise, die sowohl innere als auch äußere Einflüsse berücksichtigt. Wer also dauerhaft in Eile lebt und seine sozialen Kontakte reduziert, tut gut daran, innezuhalten und den Blick für seine Umgebung erneut zu schärfen. Ebenso wichtig ist es, mögliche psychische Belastungen ernst zu nehmen und gegebenenfalls professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Persönlichkeitsstörungen und Empathie

Persönlichkeitsstörungen (PS) stellen eine Klasse von psychischen Störungen dar. Bei ihnen sind bestimmte Merkmale der Persönlichkeitsstruktur und des Verhaltens in besonderer Weise ausgeprägt, unflexibel oder wenig angepasst. Sie gehören zu den häufigsten Diagnosen in der Psychiatrie.

Persönlichkeitsstörungen bezeichnen lang andauernde Erlebens- und Verhaltensmuster mit vielfältiger Verursachung (z. B. durch Entwicklungsbedingungen in der Kindheit oder späteren Lebensabschnitten, genetische Faktoren oder erworbene Hirnschäden). Diese Verhaltensmuster weichen von einem flexiblen, situationsangemessenen Erleben und Verhalten in charakteristischer Weise ab. Die persönliche Leistungsfähigkeit im sozialen, beruflichen und privaten Leben ist meist deutlich beeinträchtigt.

Persönlichkeitsstörungen werden nach charakteristischen Merkmalen unterteilt, wobei jedoch häufig Überschneidungen vorkommen. In Psychiatrie und klinischer Psychologie wurden dazu verschiedene Typologien oder Klassifikationen entwickelt, etwa im ICD-10 und DSM-5.

Cluster-Einteilung nach DSM-IV und ICD-10

Im DSM-5 werden die Persönlichkeitsstörungen in Cluster gruppiert:

  • Cluster A: sonderbar, exzentrisch (paranoide PS, schizoide PS, schizotypische PS)
  • Cluster B: dramatisch, emotional (Borderline-PS, histrionische PS, antisoziale PS, narzisstische PS)
  • Cluster C: ängstlich, vermeidend (vermeidende PS, dependente PS, zwanghafte PS)

Histrionische Persönlichkeitsstörung

Kennzeichnend für die histrionische Persönlichkeitsstörung (F60.4) sind Übertreibung, theatralisches Verhalten, Tendenz zur Dramatisierung, Oberflächlichkeit, labile Stimmungslage, gesteigerte Beeinflussbarkeit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung und der Wunsch, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, erhöhte Kränkbarkeit sowie ein übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität.

Personen mit dieser Struktur verfügen oftmals über hohes schauspielerisches Talent, sie schreiben sich für viele Lebenslagen eigene Rollen zu, die sie perfekt inszenieren. Falls sie in Situationen, denen sie Bedeutung beimessen, nicht die gewünschte Aufmerksamkeit bekommen, kann dies eine bedrohliche Situation für sie darstellen, in der sie sich hilflos und ausgeschlossen fühlen. Besonders in größerer Gesellschaft kann dies verheerende Reaktionen hervorrufen, denn oftmals greifen diese Persönlichkeiten zu drastischen Maßnahmen.

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Die Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) oder narzisstischer Züge ist ein komplexer Prozess, der durch eine Mischung genetischer, biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren beeinflusst wird.

Genetische Einflüsse spielen eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von NPS. Personen mit einer Familiengeschichte von Persönlichkeitsstörungen haben ein erhöhtes Risiko, selbst narzisstische Züge zu entwickeln. Anomalien in der Gehirnstruktur und -funktion könnten ebenfalls zur Entstehung von NPS beitragen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass bestimmte Gehirnbereiche, die mit Empathie und Selbstregulation in Verbindung stehen, bei Menschen mit NPS anders funktionieren.

Empathie und Empathen

Empathen sind Menschen, die über ihre Sinneskanäle besonders empfindsam sind und ein hohes Empathie-Vermögen verfügen. Sie müssen sich besonders stark mit ihrem Selbstschutz auseinandersetzen. Empathen können subtile Energien fühlen, die zum Beispiel in fernöstlichen Heiltraditionen Shakti oder Prana genannt werden.

„Empathen sind emotionale Schwämme die beides aufsaugen - den Stress und die Freude der Welt“, schreibt Judith Orloff in ihrem Buch „The Empath’s Survival Guide“. Und weiter: „Wir fühlen alles, oft zu einem Extrem, und haben wenig Schutz zwischen und selbst und anderen.

Vor Narzissten, Soziopathen und Psychopathen und allen Menschen, die ausgeprägte narzisstische Züge haben, müssen sich Empathen besonders schützen, da bei diesen schweren Persönlichkeitsstörungen das Empathievermögen nur teilweise oder gar nicht ausgeprägt ist. Der erste Schritt dazu ist, toxisches Verhalten zu erkennen und rechtzeitig aus dem System einer toxischen Beziehung auszusteigen.

Für Empathen ist es besonders wichtig, über ihre Feinfühligkeit und ihre Empathie Bescheid zu wissen. So können sie achtsam dafür werden, wann sie tatsächlich ihre eigenen Gefühle empfinden und wann es die der anderen sind. Auch ist es möglich, den energetischen Selbstschutz zu trainieren. Wenn du ein Empath bist, ist es unumgänglich, dass du lernst, Grenzen zu setzen.

ICD-11 und die neue Definition von Persönlichkeitsstörungen

Die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen als voneinander unterscheidbare Kategorien, die in diesem Beitrag vorgestellt wurden, wird in der kommenden ICD-11 ersetzt durch eine dimensionale Einordnung mit Schweregradabstufungen. Ob eine Persönlichkeitsstörung vorliegt oder nicht, wird über Beeinträchtigungen von selbstbezogenen und interpersonellen Persönlichkeitsfunktionen definiert.

Definition der Persönlichkeitsstörungen in der ICD-11:

„Eine Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch Probleme in der Funktionsweise von Aspekten des Selbst (z. B. Identität, Selbstwert, Genauigkeit der Selbsteinschätzung, Selbststeuerung) und/oder zwischenmenschliche Störungen (z. B. die Fähigkeit, enge und für beide Seiten befriedigende Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, die Fähigkeit, die Sichtweise anderer zu verstehen und mit Konflikten in Beziehungen umzugehen), die über einen längeren Zeitraum (z. B. zwei Jahre oder länger) bestehen.

Alle 10 Persönlichkeitsstörungs-Diagnosen der ICD-10, mit Ausnahme der Borderline-Persönlichkeitsstörung werden aufgehoben, sodass es in der ICD-11 nur noch die Kategorie „Persönlichkeitsstörung“ (ICD-11 Code 6D10) gibt, die bei Vorliegen der Kriterien einer Borderline-PS durch einen sogenannten „Trait-Qualifier“ ergänzt werden kann.

Alle anderen Formen von Persönlichkeitsstörungen werden durch spezifische Profile von den nachfolgend skizzierten fünf pathologischen Persönlichkeits-Traits (oder Merkmals-Spezifizierern) charakterisiert.

Trait-Domänen der Persönlichkeitsstörungen in der ICD-11

  • Negative Affektivität
  • Distanzierung
  • Dissozialität
  • Enthemmung
  • Anankasmus

People Pleasing

People Pleasing beschreibt ein Verhaltensmuster, bei dem Menschen ein übermäßiges Bedürfnis entwickeln, anderen zu gefallen und deren Erwartungen zu erfüllen. Dies geschieht häufig auf Kosten der eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Menschen mit diesem Muster stellen die Bedürfnisse anderer konsequent über ihre eigenen. Sie fürchten Ablehnung, Kritik oder Konflikte und versuchen, diese um jeden Preis zu vermeiden.

People Pleasing ist mehr als nur Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft. Es ist ein belastendes Muster, das die Lebensqualität erheblich einschränken kann. Der Weg zu einem ausgewogenen Leben, in dem sowohl die eigenen als auch die Bedürfnisse anderer Platz haben, ist möglich.

tags: #psychologie #übermäßige #empathie