Sozialpsychiatrie: Eine Zusammenfassung der Entwicklung und Schlüsselpersonen

Die Geschichte der Sozialpsychiatrie ist eng verbunden mit allgemeinen Entwicklungen in der Psychiatrie. Sie ist gekennzeichnet durch besondere Beachtung der sozialen Umstände, in denen Menschen mit psychischen Störungen leben, die Auswirkungen dieser Umstände auf Entstehung, Auslösung und Verlauf psychischer Krankheiten.

Gute psychiatrische Angebote können nur sozialpsychiatrisch ausgerichtet sein, wobei dies bedeutet, dass soziale, biologische und psychologisch-psychotherapeutische Ansätze integrativ in das Behandlungsprogramm aufgenommen werden. Für viele herausragende psychiatrische Persönlichkeiten der Psychiatriegeschichte war dieser Ansatz immer bedeutend.

Im Rahmen dieses kurzen Artikels ist es nicht möglich, eine umfassende Darstellung zu präsentieren. Es muss daher der Mut zur Lücke vorhanden sein, was bedeutet, dass nicht alle wichtigen Vertreter der Entwicklung der Sozialpsychiatrie genannt werden können. Die Autoren führen an, dass es sich um ihre Sichtweise handelt, deren wesentliche Facetten des Themas und deren Hauptvertreter dargestellt werden.

Frühe Pioniere und ihre Beiträge

Philippe Pinel (1745-1826) und Jean-Étienne Dominique Esquirol (1772-1840) wird zugeschrieben, dass sie die Irren von den Ketten der Gefängnisse befreiten und erkannten, dass es sich um Kranke und nicht um Kriminelle handelt. Dieser Schritt war sehr wesentlich für die Entwicklung der Psychiatrie und für die sozialen Folgen und Sichtweisen psychischer Erkrankungen. Den Begriff Psychiatrie prägte Johann Christian Reil (1759-1813), der in Halle und Berlin lehrte.

In Österreich war der „Narrenturm“, der 1784 in der Mitte des Wiener Allgemeinen Krankenhauses errichtet wurde, die erste „psychiatrische Abteilung“, die einem Krankenhaus angegliedert wurde. Erst Sigmund Freud (1856-1939) und Julius Wagner-Jauregg (1857-1940) gaben der Psychiatrie neue Impulse im Sinne von Entwicklung therapeutischer Verfahren, die zur Heilung von psychisch Kranken dienen sollten.

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Christian Friedrich Roller (1802-1878) vertrat die Ansicht, dass die großen psychiatrischen Anstalten Mitte des 19. Jahrhunderts auch zum sozialen Schutz für die Insassen eingerichtet werden. Die Menschen sollten vor dem Stress und der Belastung durch die Gesellschaft in einem geschützten Milieu zur Gesundung geführt werden.

Hermann Simon (1867-1947) gilt als Vater der Arbeitstherapie. Die Erkenntnis, dass Arbeit heilt, wurde von ihm als Therapeutikum entwickelt und im Rahmen der sozialpsychiatrischen Reformbewegung und später auch politisch zum Schlagwort.

Dunkle Kapitel und Neubeginn

Dieser Tiefpunkt psychiatrischer Entwicklung muss erwähnt werden, da die gesamte Psychiatrie und vor allem die Entwicklung im sozialpsychiatrischen Sinn aus diesen tragischen Ereignissen neu positioniert werden musste. Alfred Plötz (1860-1940) prägte den Begriff der Rassenhygiene und der Jurist Karl Binding (1841-1920) und der Psychiater Alfred Hoche (1865-1953) entwickelten ihre Forderung nach der „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“.

100.000-200.000 Personen wurden Opfer von Hitlers Euthanasiegesetz. Sie waren einerseits geprägt durch die Einführung der Psychopharmaka, die für die weitere Entwicklung der Psychiatrie große Bedeutung hatte. Gesellschaftlich führten sozialpsychologische Denker und Kritiker der Psychiatrie zur Anbahnung des Wandels in Richtung Sozialpsychiatrie und Gemeindepsychiatrie.

Diese Bewegungen der Psychiatriekritik, als deren Vertreter Szasz, Cooper sowie Goffman und Foucault zu nennen sind, kritisierten öffentlich die psychiatrischen Einrichtungen und forderten umfassende Reformen.

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Internationale Einflüsse und Reformen

USA: Der National Mental Health Act in den USA führte zu radikalen Maßnahmen, um Menschen mit psychischen Erkrankungen vom Zwang zu befreien. Viele schwer psychisch Kranke wurden in die Freiheit entlassen. Ausreichende stützende Hilfsangebote außerhalb der Mauern waren nicht vorhanden. Hunderttausende Betroffene verschwanden unbetreut in die Obdachlosigkeit mit Folgeerkrankungen wie Alkoholismus, körperliche Komorbiditäten und Bedrohung durch Suizid und frühen Tod.

In England entwickelte sich der Begriff Community Mental Health. Zunächst waren damit alle Behandlungsansätze außerhalb der Stationsmauern gemeint, was später zu einer umfassenden Sichtweise der Psychiatrie im Sinne eines Paradigmenwechsels führte. Wesentliche Vertreter dieser Entwicklung waren Sir John Wing (1923-2010), Julian Leff und Brian Cooper.

In zahlreichen Publikationen konnten sie Maßnahmen entwickeln, die den wissenschaftlichen Nachweis und die Wirkung sozialpsychiatrischer Handlungsweise erbringen. In Italien war Franco Basaglia (1924-1980) der wohl wichtigste Vertreter der politisch psychiatrischen Reformbewegung am europäischen Festland. Nicht so sehr auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern auf Basis sozialpsychologischer Überlegungen kämpfte er für die Befreiung von Kranken von den Mauern der Psychiatrie, was in Italien 1978 zur gesetzlichen Schließung der psychiatrischen Anstalten führte.

Es gelang ihm und einigen seiner hoch motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, erfolgreiche Modellprojekte, beispielsweise in Triest und Perugia, einzurichten, in denen entlassene psychiatrische Patienten einer umfassenden Betreuung zugeführt wurden. Allerdings ist es nicht gelungen, dieses System flächendeckend für ganz Italien einzurichten, und es entstand eine typische Zweiklassenpsychiatrie: Die Wohlhabenderen wurden in Privatkliniken, viele Personen aber nicht oder nur unzureichend betreut.

Die Ideen der Gruppe um Basaglia waren allerdings für weitere Entwicklungen vor allem im mitteleuropäischen Raum wegweisend, standen sie doch für Integration und Inklusion der Personen in die Gesellschaft mit Angeboten für Arbeit, Wohnen, multiprofessionelle Betreuung und Empowerment.

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Die Psychiatrie-Enquete in Deutschland

In Deutschland wurde ein umfassender Reformauftrag initiiert, in dem wichtige Vertreter psychiatrischen Handelns die sogenannte Psychiatrie-Enquete erarbeiteten, die 1975 veröffentlicht wurde. In dem äußerst umfangreichen Werk wurde eine völlige Umstrukturierung der Psychiatrie gefordert, mit Einbindung des stationären Bereichs in die Allgemeinkrankenhäuser, Aufbau außerstationärer sozialpsychiatrisch orientierter Strukturen und Umsetzung sozialpsychiatrischer und gemeindenaher Erkenntnisse.

In zahlreichen Modellen wurden konkrete Versorgungsangebote entwickelt, zu einer flächendeckenden Umstrukturierung kam es aber nur sehr punktuell. Parallel dazu entwickelte sich die Deutsche Gesellschaft für Sozialpsychiatrie. Wichtige Vordenker dieser Entwicklung, die oft in starkem Konflikt mit der traditionellen Psychiatrie standen, waren Klaus Dörner, Asmus Finzen, Wulf Rössler, Heinz Häfner, Manfred Bauer, Karl Peter Kiska und Hans Klaus Rose.

Besonders die Publikation von Klaus Dörner „Irren ist menschlich“ hat das psychiatrische Denken der reformwilligen Generation wesentlich geprägt.

Internationale Zusammenarbeit und Stigma-Bekämpfung

Zwei wichtige Vertreter, die als Präsidenten der WPA wissenschaftlich sozialpsychiatrische Anliegen bearbeiteten, sind Norman Sartorius und Lopez Ibor. Im Besonderen zu erwähnen ist ihr Engagement für die Bekämpfung von Stigma und Diskriminierung von psychischen Erkrankungen, welches auch in Österreich von Werner Schöny, Ullrich Meise, Wolfgang Fleischhacker und Johannes Wancata aufgegriffen und intensiv bearbeitet wurde.

Die Vertreter der WPA haben auch in allen anderen Bereichen der Umgestaltung und Positionierung der Psychiatrie in der Öffentlichkeit wichtige Arbeit geleistet, beispielsweise in der Live-Event-Forschung, der weltweiten Integration modernen psychiatrischen Denkens in den Entwicklungsländern und der personalisierten Psychiatrie.

Sozialpsychiatrie im 21. Jahrhundert

In den letzten Jahrzehnten wurden die sozialpsychiatrischen Positionen auf politischer Ebene von großen internationalen Vereinigungen wie Weltverband für Sozialpsychiatrie, Europsy, World Federation of Mental Health und Mental Health Europe angesprochen und vertreten. Es kam 2001 zur ersten Konferenz der WHO (World Health Organisation) zum Thema psychischer Erkrankungen, die unter dem Schlagwort „Es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit“ stand.

In Österreich war Hans Strotzka mit ersten Publikationen zu diesem Thema der Begründer der Sozialpsychiatrie, der eine ganze Generation von nachfolgenden Psychiaterinnen und Psychiatern motivierte, sich mit diesem Gedankengut zu beschäftigen. Besonders hervorzuheben ist auch die Verbindung von Sozialpsychiatrie und Psychotherapie durch Strotzka. Von großer Bedeutung ist auch die Arbeit von Erwin Ringel.

Er befasste sich speziell mit dem Thema Suizid und der damit verbundenen Gefährlichkeit psychischer Krankheiten. Sein Werk wurde von Gernot Sonneck, N. Caplan und anderen wissenschaftlich weiterentwickelt, wobei im Besonderen die Wichtigkeit der Krisenintervention hervorzuheben ist.

Die österreichische Entwicklung ist nicht so sehr als Reform, sondern als Modernisierung der Psychiatrie zu bezeichnen, wie der Medizinsosiologe Rudolf Forster festgestellt hat. 1978 wurde von einer kleinen Gruppe jüngerer Psychiater in Österreich die Gesellschaft für Gemeindenahe Psychiatrie gegründet.

Obwohl von den damals etablierten Leitern psychiatrischer Einrichtungen mit großer Vorsicht beobachtet, sollten die Vertreter dieser Vereinigung maßgeblich in der Entwicklung sozialpsychiatrischen Denkens in Österreich werden. Anzuführen sind Rainer Danzinger, Hartmann Hinterhuber, Ullrich Meise, Gert Lyon, Ernst Rainer, Rainer Gross und Werner Schöny.

In der Umsetzung waren private Gesellschaften, wie PSD Wien, pro mente, Exit Sozial und viele andere tätig. Später entwickelte die jüngere Generation - Albert Lingg, Thomas Platz, Karl Dantendorfer, Günter Klug, Michaela Amering, Alfred Grausgruber, Elisabeth Muschik, Hans Rittmannsberger und andere - diese Gedanken weiter.

Es kam zum Aufbau von außerstationären Betreuungseinheiten im Bereich Wohnen, Tagesstruktur, Arbeitshilfen, psychosoziale Beratung, Laienhilfe, Spezialangebote für Abhängigkeitserkrankungen usw. Sehr früh kam es in Wien zu einem politisch getragenen Reformprozess. 1979 wurde die Wiener Psychiatriereform beschlossen und 1980 der PSD sowie die erste dezentrale Abteilung im Kaiser-Franz-Josef-Spital gegründet.

Anfang des 21. Jahrhunderts wurde sozialpsychiatrisches Denken zurückgedrängt: Die biologische Psychiatrie trat beispielsweise mit Forschungsaktivitäten der Dekade der Gehirnforschung in der Weltpsychiatrie und des Jahrzehnts der Hirnforschung in Europa in den Vordergrund und sozialpsychiatrische Lehrstühle wurden vor allem im deutschsprachigen Raum reihenweise abgeschafft. In Österreich ist es gelungen, den Lehrstuhl Heinz Katschnigs durch Johannes Wancata - einem ausgewiesenen Sozialpsychiater - zu erhalten.

Spezifische Bereiche der Sozialpsychiatrie

Suchtforschung: Der Umgang mit abhängigen Personen ist ein Meilenstein sozialpsychiatrischen Denkens. Die Gründung von Kalksburg in Wien und ähnlichen Einrichtungen in anderen Bundesländern sind Nachweise für die Einbindung sozialen Denkens in psychiatrisches Handeln.

Angehörigenarbeit: Durch die Gründung der HPE (Hilfe für psychisch Erkrankter) in Österreich wurden wichtige Veränderungen eingeleitet. Neben den oben Erwähnten ist hier besonders Michaela Amering anzuführen, die mit den Vertretern der HPE wesentliche Arbeit geleistet hat. Besonders das Konzept der Recovery wird durch Amering in die österreichische und internationale Psychiatrie getragen.

Die Betroffenenbewegung war durch Namen wie Christian Horvath und Günther Miniberger aktiv an der Entwicklung beteiligt.

Zusammenfassung

Die Entwicklung der Sozialpsychiatrie hat in den letzten 50 Jahren zu einer maßgeblichen Veränderung psychiatrischen Denkens und psychiatrischer Arbeit geführt. Obgleich vieles noch unerledigt ist, kann behauptet werden, dass die Betreuung und der Verlauf der Erkrankungen sowie die Situation psychiatrisch kranker Menschen wesentlich verbessert werden konnten. Auch das Stigma psychischer Erkrankungen hat sich deutlich verändert.

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