Wir Menschen gelten als "Krone der Schöpfung". Und doch leiden viele von uns unter chronischen, oft diffusen Beschwerden, fühlen sich gestresst, werden Opfer ihrer schlechten Angewohnheiten und haben das Gefühl, sich im Kreis zu drehen.
Zu verstehen, wie unsere Psyche tickt, ist der Schlüssel zum Begreifen der Ursachen.
Die Bedeutung von Diversität
Es ist wie bei einer Wiese: Artenvielfalt lässt diese besser wachsen, zeichnet Psychologin Sabine Bergner im Magazin UNIZEIT ein buchstäblich buntes Bild. Gleichzeitig merkt sie an: „Im Arbeitsleben braucht es Diversität, am besten verkörpert durch eine kritische Größe an Personen.“ So wird sie sichtbarer und von anderen stärker wahrgenommen. Kurz gefasst: Besser mehrere Kolleg:innen mit Migrationshintergrund oder Frauen im Chefsessel als eine oder einer allein.
Sabine Bergner, die sich intensiv mit psychologischen Aspekten im Beruf und bei Führungskräften beschäftigt, erklärt: „Trotz aller Diversität schätzen Menschen ein gewisses Maß an Ähnlichkeit, einen gemeinsamen Nenner.“ Similarity-Attraction-Hypothese heißt dieser Effekt in der Psychologie. Wer ähnlich tickt, beflügelt sich gegenseitig, kommt besser miteinander aus. Das bringt zudem mehr wirtschaftliche Vorteile. Das gilt ebenso für Manager:innen in verschiedenen Führungsebenen: Je ähnlicher, umso effizienter und erfolgreicher, wie Bergner in einer Studie belegt hat. Ganz nach dem Motto: Gleich und gleich gesellt sich gern.
Die Forscherin schließt gleich mit einer weiteren Redewendung an, weil es sich bei Diversität um eine Medaille mit zwei Seiten handelt: „Mit Unterschieden muss man sich auseinandersetzen, sich an den Werthaltungen und Zielen der anderen reiben. Ein gemeinsames Ergebnis zu erreichen, ist mitunter mühevoller, kostet mehr Ressourcen, birgt außerdem die Gefahr, sich nicht einigen zu können.“ Um diese Hürden zu nehmen, muss man sich anstrengen. „Der Prozess ist Knochenarbeit“, beschreibt die Psychologin, „und es ist klassische Führungsaufgabe, dafür die geeigneten Mitarbeiter:innen zu rekrutieren.“ Hier die Kreativen, die Ideen spinnen. Dort andere, die Innovationen umsetzen. Und dann noch jene, die beide Bereiche miteinander verbinden. „Ein oft undankbarer Job, weil diese Leute zwischen den Stühlen sitzen“, gibt Bergner zu bedenken. Anreize, die auf die Bedürfnisse dieser Personen zugeschnitten sind, könnten aber die Motivation fördern.
Lesen Sie auch: Voraussetzungen Psychologie Studium: Erlangen im Fokus
Dass Wirtschaftlichkeit und Diversität Hand in Hand gehen, zeigen mittlerweile viele Beispiele. Eines führt Sabine Bergner aus dem Bereich soziales Entrepreneurship an, wo mehr als nur wirtschaftlicher Erfolg zählt. Im Wiener Kaffeehaus „Vollpension“ bessern Männer und Frauen im Ruhestand mit geringfügiger Beschäftigung ihre Mindestpension auf und sind erneut in den Arbeitsprozess integriert: „gelebte Vielfalt und eine Win-Win-Situation für alle“.
Die Ursachen von Symptomen, Blockaden und Störungen
Viele sogenannte Krankheiten oder Verhaltensstörungen - etwa Allergien, chronische Schmerzen, Suchtverhalten, Übergewicht, Burn-out und andere psychische Beschwerden - haben tiefe und alte Wurzeln, die in die frühe Kindheit oder sogar in die Zeit noch vor der Geburt zurückreichen.
Niemand ist gern krank, und niemand leidet gern. Es möchte doch jeder Mensch gesund, glücklich und zufrieden sein. Insofern muss, wenn die Lebensqualität beeinträchtigt ist, zuvor etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein, was dafür ursächlich ist. Und wenn es nicht äußere Umstände und Sachzwänge sind, die einem das Leben schwer machen, dann liegt die Ursache oft im eigenen Denken und Empfinden. Da dieses eben nicht immer bewusst ist, können die krank machenden Einflüsse zunächst im Verborgenen liegen - in einer Zeit, wo bislang kaum jemand damit gerechnet hat, dass sie uns sehr prägt. Schauen wir uns also einmal an, ab wann das Verhalten eines Menschen beeinflusst werden kann.
Der Einfluss der Mutter auf das Ungeborene
Vor rund fünf Jahrzehnten haben Verhaltensforscher und Psychologen damit angefangen, vorgeburtliche Einflüsse der Mutter auf das Baby zu erforschen. Einige Wissenschaftler vermuteten, dass Embryonen nicht völlig isoliert sind, doch es war schwer, das wirklich zu beweisen. Dennoch macht dieser junge Forschungszweig der pränatalen Psychologie rasante Fortschritte, bei denen Erstaunliches zutage kommt: Einige Forscher haben schon länger vermutet, dass es eine transmittergesteuerte emotionale Wechselwirkung zwischen Mutter und Embryo geben muss, doch erst vor wenigen Jahren wurde dafür der wissenschaftliche Beweis erbracht: Embryonen reagieren nicht nur auf äußere Reize, wie Geräusche und Bewegungen, sondern auch auf die Wirkung von Hormonen und Neurotransmittern aus dem mütterlichen Blut.
Den Neurobiologen Dr. Ulrike Theisen und Prof. Reinhard Köster sowie dem Genetiker Prof. Ralf Schnabel von der Technischen Universität Braunschweig gelang dieser Nachweis 2018 erstmals experimentell an Zebrafischen. Seitdem gibt es immer mehr Berichte, die die emotionale Beeinflussung des Ungeborenen durch die Mutter anerkennen. Eigentlich liegt der Schluss ja nahe, denn dass das Baby im Bauch Sauerstoff, Nährstoffe und auch Giftstoffe von der Mutter bekommt, ist ja schon lange bekannt. Doch welche bahnbrechende Schlussfolgerung das in Konsequenz zulässt, möchte ich in diesem Buch verdeutlichen.
Lesen Sie auch: Ursachen für häufigen Partnerwechsel
Der Lernprozess eines Menschen beginnt erstaunlich früh! Bereits ab der dritten Schwangerschaftswoche entwickeln sich die ersten Nervenzellen. Diese reagieren auf Reize und vernetzen sich untereinander, wodurch sie Informationen erfassen und speichern. Über die Nabelschnur, mit der Föten an den Blutkreislauf der Mutter angeschlossen sind, bekommen sie somit nicht nur Sauerstoff und Nährstoffe, sondern auch Neurotransmitter, jene chemischen Botenstoffe, die Emotionen erzeugen, aus dem mütterlichen Blut. Das bedeutet, Stress, Wut, Trauer, Verliebtheit oder Hoffnung, Erwartungsdruck oder Verzweiflung, alles, was eine schwangere Frau spürt, spürt ihr Embryo genauso.
Hinzu kommen noch die äußeren Sinnesreize, die ein Ungeborenes registriert, es hört Geräusche und spürt Bewegungen der Mutter, ohne zu wissen, was oder wer das ist. Es bezieht alles Wahrgenommene auf sich selbst. Genau dies prägt unsere Wahrnehmungsmuster und teilweise unser späteres Verhalten. Das ist eine Sensation, denn lange Zeit ging man gemeinhin davon aus, dass Neugeborene noch völlig unbeeindruckt von der Außenwelt sind und erst mit der Geburt anfangen, zu fühlen und zu lernen. Doch die Nabelschnur ist wie eine Standleitung zur Mutter. Babys sind keine unbeschriebenen Blätter, wenn sie geboren werden. Sie sind bereits durch die Emotionen der Mutter vorprogrammiert. Wir lernen neun Monate lang von den Gefühlen unserer Mutter!
Die Andreas-Winter-Methode
Mithilfe der Andreas-Winter-Methode werden die individuellen Auslöser und Ursprünge ins Bewusstsein gehoben, emotional umgedeutet und unschädlich gemacht.
Kognitionswissenschaft
"Radikal interdisziplinär" nennt Markus Peschl vom Institut für Philosophie den Ansatz der neuen Forschungsplattform "Cognitive Science: Entwicklung der Kognition". Gemeinsam mit Helmut Leder, Vorstand des Instituts für Psychologische Grundlagenforschung, leitet Peschl die Plattform, die seit Jänner 2011 läuft und natur- und lebenswissenschaftliches mit geistes- und sozialwissenschaftlichem Fachwissen verknüpft. Beteiligt sind WissenschafterInnen u.a. aus den Bereichen Philosophie, Psychologie, Translationswissenschaft, Kognitionsbiologie, Anthropologie und Kunstgeschichte.
Im Mittelpunkt der neuen Forschungsplattform steht der menschliche Wahrnehmungs- und Denkapparat: "Die Kognitionswissenschaft ist ein 'Emerging Focus' an der Universität Wien. Wir besitzen hier eine unglaubliche Expertise - von den Lebenswissenschaften über die Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften", erklärt der Sprecher der Plattform, Markus Peschl: "Nun bündeln wir dieses Wissen, um neuen Raum für die Kognitionsforschung zu schaffen und ein 'Wiener Profil der Cognitive Science' zu entwickeln und zu schärfen."
Lesen Sie auch: Definition psychischer Störungen
In den kommenden drei Jahren wird das Team rund um Peschl und Leder an drei großen Schwerpunkten arbeiten: Kognition und Kunst, Kognition zwischen Tieren und Menschen sowie Kognition, Sprache und Kreativität.
Mensch und Kunst
Warum werden bestimmte Artefakte als ästhetisch empfunden? Wie funktioniert Kunstwahrnehmung? Das sind die großen Fragen, mit denen sich Helmut Leder und Raphael Rosenberg vom Institut für Kunstgeschichte - einer der Initiatoren der neuen Plattform - beschäftigen werden. Die Methode, die Rosenberg u.a. anwendet, ist Eye Tracking: Mit einem speziellen Aufzeichnungsgerät lässt sich etwa feststellen, wie der Blick über Kunstwerke wandert bzw. wo er innehält - auf Gemälden zählen vor allem Gesichter zu häufig fixierten Punkten. Die Emotionen, die dabei im Spiel sind, untersucht Helmut Leder anhand von Bewegungen der Gesichtsmuskulatur: Mit welchen Gesichtsausdrücken reagieren Menschen zum Beispiel auf als hässlich geltende Abbildungen - wie etwa verunstaltete Gesichter - und wie auf "schöne" Kunstwerke? "Durch die Verknüpfung von Kunstgeschichte, Neurowissenschaft und Psychologie werden gänzlich neue Theorieräume erschlossen", erklärt Peschl.
Von Tieren lernen
Am Department für Kognitionsbiologie erforschen Tecumseh Fitch, Thomas Bugnyar, Ludwig Huber und ihre Teams das Verhalten von Tieren. Sie stehen damit in der langjährigen Tradition der Kognitionsbiologie an der Universität Wien, die auf Rupert Riedl und Konrad Lorenz zurückgeht. Im Zentrum der Forschungen, die nun als zweiter Schwerpunkt in die Plattform einfließen, stehen visuelle, soziale und technische Kognition sowie die Evolution der Wahrnehmung. Die WissenschafterInnen arbeiten mit Kolkraben, Tauben, Keas und Hunden. "Von den Tieren und ihrem Verhalten erhalten wir neue Perspektiven, die weit über die klassische Psychologie hinausgehen", so Peschl, der sich freut, die KognitionsbiologInnen mit an Bord zu haben: "Wenn wir Tiere genauer verstehen, verstehen wir auch Menschen besser.
Ich denke, also bin ich
Wie entsteht Wissen? Wie kommt das Neue in die Welt? So lauten die anspruchsvollen philosophischen Fragen des dritten Schwerpunkts "Kognition, Sprache und Kreativität". Für Markus Peschl sind sie eine spannende Herausforderung, an die Antworten mache man sich Schritt für Schritt: "Damit überhaupt etwas Neues entstehen kann, spielt natürlich zunächst die Sprache eine zentrale Rolle", sagt er. Dass der Philosoph und sein Team durchaus angewandte Forschung betreiben, zeigen die vielen Kooperationen und konkreten Projekte: "Wir haben zum Beispiel gemeinsam mit ArchitektInnen den Neubau der Zeppelin Universität in Deutschland geplant. Unsere Aufgabe als Kognitionswissenschafter lag darin, sogenannte Enabling Spaces zu schaffen - Räume, die ein hohes Ausmaß an Kommunikation sowie die Entstehung neuen Wissens ermöglichen."
Von der Lehre in die Forschung
Recht ungewöhnlich ist der Hintergrund der Forschungsplattform: Sie ist nicht aus einem Forschungsprojekt, sondern aus der Lehre heraus entstanden. "Den Ausgangspunkt bildete 'MEi:CogSci' - ein interdisziplinäres Joint-Degree-Programm in Kognitionswissenschaften", resümiert Peschl, "ein schönes Beispiel dafür, wie sich die interdisziplinären Strukturen in Lehre und Forschung ergänzen." Die Studierenden des Masterprogramms, das 2009 mit dem Lifelong Learning Award ausgezeichnet wurde, werden auch aktiv in die Forschungsplattform eingebunden. "Unsere Ziele sind klar: Wir wollen 'Cognitive Science' als neuen großen Forschungsschwerpunkt an der Universität Wien etablieren, kooperative Forschungsprojekte durchführen, Drittmittel an Land ziehen und eine 'Vibrant Community' schaffen", so Markus Pesch abschließend.
Die Forschungsplattform "Cognitive Science" startete im Jänner 2011 und ist auf drei Jahre anberaumt. Sprecher der Plattform sind Ao. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Franz-Markus Peschl vom Institut für Philosophie und Univ.-Prof. Dipl.-Psych. Dr. Helmut Leder, Vorstand des Instituts für Psychologische Grundlagenforschung.
tags: #Psychologie #wie #tickt #der #Mensch #Grundlagen