Psychische Folgen des Aufwachsens ohne Mutter bei Jungen: Studien und die Bedeutung der Bindungstheorie

Welche Risiken ergeben sich für Kinder psychisch kranker Eltern? Das fragen wir uns oft, wenn wir Patienten behandeln, die für die Betreuung von oft noch sehr kleinen Kindern verantwortlich sind, oder wenn wir Kinder behandeln, die unter psychischen Auffälligkeiten leiden. Welche Schutz- oder Resilienzfaktoren kommen zum Tragen, denn nur ein kleiner Teil dieser Kinder wird psychisch auffällig? Wie kann unser Versorgungssystem präventiv ansetzen?

Die Bindungstheorie nach Bowlby

Die Bindungstheorie nach Bowlby postulierte schon vor 50 Jahren, dass der primären Bezugsperson und deren Konstanz in der Fürsorge für das Kind enorme Bedeutung zukommt. Wenn wir zu den Anfängen der Entstehung der Bindungstheorie zurückgehen, sehen wir, dass Bowlby eng mit Verhaltensbiologen wie Konrad Lorenz oder dem Primatenforscher Hinden zusammengearbeitet hatte. Neben der Beobachtung von Kindern, die von ihren Müttern getrennt waren, flossen auch die Beobachtungen des Bindungsverhaltens von Primaten in seine Theorie ein.

Er selbst wurde von einem Kindermädchen aufgezogen und war 4 Jahre alt, als sie den Haushalt verließ, sein Vater wurde ermordet, als er 5 Jahre war, und mit 7 Jahren kam er ins Internat. Bowlby beschrieb die Bindung als ein angeborenes System, das zum Überleben der Art notwendig ist und bei der Trennung von der Bezugsperson aktiviert wird. Damit ging er vom bisherigen psychoanalytisch geprägten Denken einen Schritt weiter.

Risikogene und Resilienz bei Primaten

Wie schon damals, so gibt es heute Inputs durch Primatenforscher, die die Theorie der Bedeutung der Bindung weiterentwickeln. Wir wissen, dass gewisse Polymorphismen von Neurotransmitter-Transportern ein Risiko für psychische Auffälligkeiten mit sich bringen. Dazu gehört der Serotonin-Transporter-Polymorphismus, wobei das s/s-Allel und Teile der s/l-Variante als Risikoallel für aggressives oder ängstliches Verhalten gelten.

Nun hat Suomi bei den Makaken (Rhesusaffen) in einem Experiment dieses Risiko mit den Resilienzfaktoren in einer Untersuchung zusammengebracht. Suomi untersuchte Makaken, die unter ungünstigen Bedingungen aufgewachsen waren, d. h. Bei den Tieren, die das Risikoallel s/s hatten und bei der Mutter aufgewachsen waren, waren keine Verhaltensauffälligkeiten zu beobachten, aber sehr wohl bei denjenigen Tieren, die „peer-reared“ waren.

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Dies zeigte sich auch für andere Risikogene wie den Polymorphismus des BDNF, MAO-A, CTRF und den Opioid-Rezeptor. Das Risiko für Verhaltensauffälligkeiten war bei den sicher gebundenen Tieren sozusagen abgepuffert. Sicher gebundene Weibchen hatten sicher gebundene Junge, und diese waren wiederum resilient. Nicht untersucht ist bisher das Oxytocin-Rezeptor-Gen. Aktuell beforscht Suomi den intensiven Gesichtskontakt zwischen der Makaken-Mutter und ihrem Jungen in den ersten 3 Wochen.

Psychische Erkrankung während der Schwangerschaft

Was bedeuten diese Ergebnisse für unsere Sicht auf Kinder psychisch kranker Eltern? Kindestötung als das extremste Risiko einer Abnormisierung der Schwangerschaft oder einer psychiatrischen Erkrankung der Eltern wurde kürzlich in Bezug auf Risikofaktoren untersucht. Die Schwangerschaft ist bei Depression oder Angst der Mütter von erhöhten Auffälligkeiten beim Kind im Verhalten, in der kognitiven Entwicklung und bei der Emotionsregulation begleitet. Weiters ist die Depression in der Schwangerschaft stark mit Kindesmisshandlung korreliert (4-fach erhöht), und das Risiko misshandelter Mütter für Depression in der Schwangerschaft ist 10-fach erhöht.

Bedeutung der sicheren Bindung

Dass die erfolgreiche Behandlung der mütterlichen Depression gleichzeitig die psychiatrischen Auffälligkeiten der Kinder verringert, konnte Weissmann im Rahmen der STAR*D-Studie zeigen. Die Kinder der Mütter, die im Rahmen der Antidepressivabehandlung eine Remission hatten, zeigten signifikant verminderte Symptom-Scores von Angst, Depression und antisozialem Verhalten.

Der Fokus auf die Schwangerschaft soll verdeutlichen, dass Prävention sehr früh ansetzen soll. Aber auch in der nachgeburtlichen Phase ist bei Auftreten einer Erkrankung der Mutter großes Augenmerk darauf zu legen, dass es neben der psychiatrischen Behandlung auch eine Interaktionstherapie für Mutter und Kind gibt. Es konnte hier nur ein kleiner Ausschnitt an Studien gezeigt werden, um zu verdeutlichen, dass die sichere Bindung eine Voraussetzung für die psychische Gesundheit von Kindern ist.

Es lässt sich anhand von vielen Studien zeigen, dass sich die Behandlung der elterlichen Pathologie unmittelbar auf die Gesundheit der Kinder auswirkt. Nach Bowlby ist der Mediator die dadurch entstehende Möglichkeit der Eltern, sich um das Wohlbefinden, die Sicherheit und die emotionale Beruhigung ihrer Kinder kümmern zu können.

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Somit haben Erwachsenenpsychiater eine wichtige Funktion, sich nicht nur für ihre erwachsenen Patienten zuständig zu fühlen, sondern auch für deren Kinder. Auch die Frage nach Überforderung und Phantasien in Bezug auf Misshandlung des Kindes oder Tötungsimpulse sollten ebenso selbstverständlich wie die Frage nach Suizidgedanken gestellt werden. Die Möglichkeit der Einbeziehung des Jugendamtes als Unterstützung im Vorfeld sollte mit den Patientinnen und Patienten besprochen werden.

In Österreich gibt es erfreuliche Initiativen im Bereich Förderung der sicheren Bindung, wie z. B. SAFE (Sichere Ausbildung für Eltern)12, ein Elternprogramm, das in der Schwangerschaft beginnt.

Die Rolle der Bindungstheorie wurde neuerdings um den Aspekt der Resilienzforschung erweitert. Wie zur Zeit Bowlbys haben die Verhaltensforscher eine Vorreiterrolle und konnten Resilienz bei den Risikogenträgern feststellen, die eine sichere Bindung an ihre Meerkatzenmütter (Makaken) hatten. Im Rahmen von elterlicher psychischer Erkrankung ist dieser Zusammenhang besonders wichtig, da die Kinder häufig schon ein genetisches Risiko haben und hier die sichere Bindung das Risiko abpuffern könnte.

Hier sind die Erwachsenenpsychiater wichtige Partner, die die Patienten zu ihrer Elternrolle fragen, welche Hilfe sie bräuchten, und das Jugendamt als Unterstützung möglichst früh und präventiv den Eltern anraten.

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