Psychosomatische Erkrankungen: Ursachen und Behandlung

Die Psychosomatik ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das sich mit dem Einfluss psychischer und sozialer Faktoren auf den Körper auseinandersetzt. Sie beschäftigt sich somit mit der Wechselwirkung von Psyche und Körper. Diese ist sehr komplex.

Bei psychosomatischen Erkrankungen können seelische Belastungen, Lebenskrisen oder traumatische Erfahrungen körperliche Beschwerden auslösen und/oder verstärken. Aber auch körperliche Erkrankungen bzw. Beschwerden können die Psyche stark belasten. Man spricht dann von sogenannten somatopsychischen Reaktionen.

Der Vorreiter der Psychosomatik, Thure von Uexküll, führte den Begriff des „biopsychosozialen Systems“ ein. Er betonte, dass alle Erkrankungen in Zusammenhang mit biologischen (organischen und körperlichen) und psychischen/seelischen Funktionen stehen. Daneben spielen auch Beruf, Wohnverhältnisse und andere soziale Bedingungen eine große Rolle.

Die moderne Psychosomatik bezeichnet heutzutage jenen Bereich der Medizin und angrenzender Wissenschaften, der die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen Körper, Psyche und sozialem Umfeld (z.B. Beruf, Familie) bei der Diagnose und Therapie von Beschwerden sowie Erkrankungen unter den aktuellen wissenschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigt.

Symptome und Ursachen

Wenn das Herz rast oder der Rücken schmerzt, stecken nicht selten psychische Ursachen dahinter. Als psychosomatische Erkrankungen bezeichnet man Krankheitsbilder, bei denen körperliche und psychische Symptome einander bedingen oder in Zusammenhang stehen. Wie körperliche Krankheiten auch psychisch belastend sein können, können sich auch seelische Probleme in körperlichen Folgeerscheinungen äußern.

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Beschwerden des Verdauungssystems können ebenfalls auftreten. Bei psychosomatischen Erkrankungen werden psychische Belastungen und Leid oft gar nicht als solches empfunden oder ihnen bei der Entstehung nur eine geringe Bedeutung beigemessen. Ursachen sind vielfältig.

Chronisches Stresserleben führt schließlich auch zu körperlichen Veränderungen, z. B. zu Verschiebungen im vegetativen Nervensystem und in der hormonellen Regulation.

Jeder von uns hat, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, gelernt, seinen Körper ganz individuell „zu gebrauchen“. Erkrankt jemand psychosomatisch, ist auch der Körper immer unmittelbar betroffen und es ist an der Zeit, dieses unbewusste Umgehen mit der eigenen Körperlichkeit näher zu beleuchten.

Der Umgang mit dem eigenen Körper bzw. das Körperbewusstsein wird durch Erziehung und vorgelebte Körperkompetenz unserer Bezugspersonen geprägt und körperlich abgespeichert. Unsere körperliche Erscheinung hilft mit, das physische Potential und unser entwickeltes Selbstbild auszudrücken.

Psychosomatische Symptome lösen zunächst eine Unsicherheit aus - plötzlich „funktioniert“ der Körper nicht mehr so, wie wir es gewohnt waren bzw. wie er „soll“. Die oft lange Ungewissheit über die Ursache der Beschwerden lässt ein Misstrauen gegenüber dem Körper entstehen, da dieser sich offenbar nicht mehr kontrollieren lässt. In Folge entstehen Zweifel: Für welche Aufgaben Vorhaben und Lebensentwürfen habe ich künftig überhaupt noch die nötigen körperlichen Voraussetzungen?

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Erschwerend kommt hinzu, dass psychosomatische Beschwerden kaum auf herkömmliche Therapiemethoden ansprechen. Die Patientinnen und Patienten fühlen sich dem Körper gegenüber schließlich ohnmächtig und versuchen, die vorerst unverständlichen körperlichen Signale zu verdrängen und ihn zu „bezwingen“ - nach dem Motto „das gibt sich schon wieder“. Früher oder später kann dabei jedoch das gesamte bisherige Körper- und Selbstbild ins Wanken geraten.

Diagnose

Schwierig ist oft die Diagnose einer psychosomatischen Erkrankung, da die Symptome verschiedenartig sein können. Eine somatoforme Störung darf als Diagnose prinzipiell erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn organische Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig muss eine sogenannte positive psychische Diagnostik vorliegen. D.h., die Beschwerden können auf psychologischem Hintergrund erklärt werden.

Zur Abklärung bei Verdacht auf eine somatoforme Störung findet im ersten Schritt eine ausführliche Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) statt. Dabei werden auch psychisch belastende Faktoren abgefragt. Zum Beispiel im Beruf, der Familie oder die eigene Gesundheit betreffend. Oder ob es sehr einschneidende Erlebnisse gab (z.B. Tod eines geliebten Menschen, Jobverlust etc.). Hierbei ist wichtig zu wissen, dass psychosomatische Reaktionen oft zeitversetzt einsetzen. Das erschwert, dass die/der Betroffene ihre/seine Symptome in Zusammenhang mit lebensgeschichtlichen Ereignissen bringt. Ebenso erfolgt eine körperliche Untersuchung. Weitere Abklärungen können je nach Beschwerden notwendig sein (z.B. Laboruntersuchungen, EKG) etc.

Behandlung

Liegt einmal eine psychosomatische Diagnose vor, ist sie üblicherweise gut durch Therapie, psychosoziale Hilfe und Medikamente behandelbar. In der Behandlung psychosomatischer Erkrankungen kommt es oft zu einer Kombination aus medizinischen und psychotherapeutischen Angeboten. Durch Medikamente können einige Leiden gelindert und Beschwerden behandelt werden. Um der Ursache zu begegnen, die im Innerpsychischen liegt, wird sich zumeist einer Psychotherapie bedient.

Psychosomatische Behandlung unterstützt Patientinnen und Patienten dabei, körperliche und seelische Zusammenhänge besser zu verstehen und bessere Lösungen als bisher zu finden. Gemeinsam mit den Behandelnden entwickeln sie Ziele, die sie für sich erreichen wollen.

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„Das vorrangige therapeutische Ziel in dieser Situation ist es daher, gemeinsam mit den Betroffenen Möglichkeiten zu entwickeln, wieder Einfluss auf den Körper zu gewinnen, um die empfundene Ohnmacht in eine Eigenmächtigkeit zurück zu verwandeln“, sagt Nadja Kindlmann, Physiotherapeutin an der Psychosomatischen Tagesklinik.

„Gelingt es, die Patientinnen und Patienten wieder neugierig auf den eigenen Leib zu machen, tritt Interesse an die Stelle von Ignoranz, Ablehnung, Misstrauen, Abwertung oder Verdrängung und der wesentlichste Schritt ist getan“, weiß Josef Humpl.

All dies geschieht in vertrauensvollem Rahmen, um Neues ausprobieren zu können, begleitet durch die Therapeutinnen und Therapeuten, die zur rechten Zeit ermutigen, bestärken und Durststrecken und Rückschläge mitaushalten, bis das Fundament des Leibes wieder trägt.

Insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Essstörungen spielt die Leibtherapie eine große Rolle. Die Betroffenen lernen in Gruppensettings, den eigenen Körper wieder „neu“ zu erleben. Ihr vermeintliches „Ideal“ wird hierbei immer wieder in Frage gestellt. Gleichzeitig wird an das Abgelehnte langsam und behutsam herangeführt, um es spielerisch zu integrieren.

Musik dient aber auch als nonverbales Ausdrucksmittel, um z. B. Gefühle, Bedürfnisse, Stimmungen, innere Konflikte oder Spannungen zu transportieren, mitzuteilen und zu bearbeiten. Dabei ist das freie musikalische Spielen und Töneproduzieren (Improvisieren) genauso zielführend wie Musikhören oder das Bewegen zur Musik. Um das musikalisch Erlebte bewusst zu machen, sind die verbale Aufarbeitung und Reflexion notwendiger Therapiebestandteil.

Achtsamkeit ist nichts Selbstverständliches. Von klein an lernen wir, eher unachtsam mit uns umzugehen: Andere scheinen besser zu wissen, wann wir hungrig sind, wann wir müde sein sollten, wann wir dieses oder jenes können sollten. So müssen wir als Erwachsene Achtsamkeit häufig wieder neu lernen und in unser tägliches Leben integrieren. In der Achtsamkeit nehmen wir Dinge wahr, wie sie im Hier und Jetzt sind.

DGKP Friedrich Marksteiner, Stationsleiter an der Abteilung für Psychosomatik, erklärt: „Der Begriff 'Achtsamkeit' sagt es bereits, wir achten darauf, was wir erleben. Wir beobachten das Kommen und Gehen von Gedanken und Gefühlen. Wir beschreiben, was wir sehen und geben dem Erlebten Worte. Wir nehmen teil, an dem, was wir gerade tun und erleben, ohne nachzugrübeln, was gerade los ist.“ Der Effekt liegt klar auf der Hand: Die Konzentration auf etwas Bestimmtes wirkt automatisch entspannend. Wir beschäftigen uns nur mit einer Sache. Wir nehmen etwas wahr, ohne zu urteilen, ohne zu bewerten und lassen Gedanken und Gefühle vorbeiziehen.

Mit Unterstützung der DBT-Körpertherapie kann eine Verbesserung der Körperwahrnehmung und eine körperliche Akzeptanz erreicht werden. Dies geschieht durch die Vermittlung von körperbezogenen Fertigkeiten zur Spannungs- und Emotionsregulation.

Klinische Sozialarbeit stellt neben der Medizin und Pflege, der Psychologie und der Psychotherapie ein grundlegendes Behandlungsangebot im Rahmen des bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells für psychosomatische Patientinnen und Patienten und deren Angehörige dar, denn die Bedeutung des sozialen Umfeldes als Irritations- oder Stabilisierungsfaktor für Erkrankungen darf nicht unterschätzt werden.

Häufiges Thema ist die berufliche (Wieder-)Eingliederung. Ein weiteres Angebot ist die soziale Gruppenarbeit mit Patientinnen und Patienten. Hierbei geht es um die Vermittlung sozialer Kompetenzen und um die Anregung von Lern- und Reflexionsprozessen wie etwa in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen, den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt und die Freizeitgestaltung.

Prinzipiell sind Maßnahmen hilfreich, die das Gefühl vermitteln, aktiv etwas für sich zu tun. Das erfordert zwar oft Überwindung und Kraft, erweist sich jedoch meist als sehr unterstützend.

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