Eine dissoziative Störung ist ein komplexes psychologisches Phänomen. Gesunde Menschen empfinden ihr "Ich" als Einheit von Gedanken, Handlungen und Gefühlen. Bei einer dissoziativen Störung zerbricht dieses stabile Bild der eigenen Identität. Daher auch die Bezeichnung Dissoziation (lat. für Trennung, Zerfall).
Eine solche Bewusstseinsspaltung steht meist im Zusammenhang mit einem traumatischen Erlebnis oder gravierenden Konflikten. Die dissoziative Störung tritt oft begleitend zu anderen psychischen Störungen auf wie zum Beispiel einer Depression, einer Schizophrenie oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Meist treten dissoziative Störungen erstmals vor dem 30. Lebensjahr auf. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Schätzungen zufolge leiden 1,4 bis 4,6 Prozent der Bevölkerung an einer dissoziativen Störung.
Formen der dissoziativen Störung
Zu den dissoziativen Störungen gehören unter anderem folgende Störungsbilder:
- Dissoziative Amnesie: Darunter versteht man einen teilweisen oder vollständigen Gedächtnisverlust im Zusammenhang mit traumatischen Ereignissen.
- Dissoziative Fugue: Ausgelöst durch ein belastendes Ereignis verlässt der Betroffene plötzlich sein Zuhause oder seinen Arbeitsplatz und nimmt eine neue Identität an (Fugue = Flucht).
- Dissoziativer Stupor: Die Betroffenen bewegen sich kaum oder gar nicht mehr, sprechen nicht mehr und reagieren nicht auf Licht, Geräusche oder Berührungen.
- Dissoziative Bewegungsstörungen: Im Unterschied zu den anderen dissoziativen Störungen tritt hier kein Gedächtnisverlust (Amnesie) auf. Vielmehr sind Betroffene nicht mehr in der Lage, einen oder mehrere Körperteilen willkürlich zu bewegen, ohne dass dafür eine organische Ursache vorliegt.
- Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen: Bei dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen geht entweder das normale Hautempfinden an bestimmten Körperstellen oder am ganzen Körper verloren.
- Dissoziative Krampfanfälle: Dissoziative Krampfanfälle sind psychogene Anfälle, die oft einen bestimmten situativen Auslöser haben (z.B. eine Stresssituation).
- Dissoziative Identitätsstörung (Multiple Persönlichkeitsstörung): Die dissoziative Identitätsstörung ist die schwerste Form von dissoziativer Störungen. Sie ist auch unter dem Begriff "Multiple Persönlichkeitsstörung" bekannt.
Symptome der dissoziativen Störung
Dissoziative Störungen können sich je nach Form und oft auch von Patient zu Patient unterschiedlich äußern. So fehlt manchen Menschen mit dissoziativer Amnesie nur die Erinnerung an ein bestimmtes Erlebnis, möglicherweise ohne dass ihnen diese Gedächtnislücke bewusst ist.
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Bei anderen Betroffenen ist die Erinnerung an größere Zeiträume oder sogar an ihr ganzes Leben ausgelöscht. Im Falle einer dissoziativen Identitätsstörung spaltet sich das Ich in verschiedene Persönlichkeiten - teils auch unterschiedlichen Alters und Geschlechts -, die dann alle ein Eigenleben führen.
Andere Menschen mit dissoziativen Störungen leiden unter starken körperlichen Symptomen. So können etwa Personen mit einer dissoziativen Bewegungsstörung einen oder mehrere Körperteile nur noch teilweise oder gar nicht mehr bewegen.
Die Symptome einer dissoziativen Störungen können sich zudem bei ein- und derselben Person von einem Moment auf den anderen verändern. Je nach Tagesform fallen sie außerdem oft unterschiedlich schwer aus. Außerdem können belastende Situationen eine dissoziative Störung verschlimmern.
Eine dissoziative Störung kann sich auch durch selbstschädigende Verhaltensweisen bemerkbar machen. Manche Patienten fügen sich beispielsweise Schnitt- oder Brandwunden zu, um sich aus dem dissoziativen Zustand in die Realität zurückzuholen.
Gemeinsamkeiten der dissoziativen Störungen
Auch wenn die Symptome der verschiedenen dissoziativen Störungen von Gedächtnisverlust bis hin zu körperlichen Beschwerden sehr unterschiedlich sind, haben sie doch zwei Merkmale gemeinsam:
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- Nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) liegt bei dissoziativen Störungen keine körperliche Krankheit vor, die die Symptome erklären könnte.
- Es gibt einen überzeugenden zeitlichen Zusammenhang zwischen den Symptomen und belastenden Ereignissen oder Problemen.
Ursachen und Risikofaktoren
Eine dissoziative Störung tritt meist im Zusammenhang mit traumatischen Lebenserfahrungen auf. Starke Belastungssituationen wie Unfälle, Naturkatastrophen oder Missbrauch überfordern die Psyche. Die Symptome der dissoziativen Störungen sind eine Stressreaktion auf diese Überforderung.
Doch nicht jeder Mensch reagiert auf Belastungssituationen mit einer Dissoziation. Die individuelle Persönlichkeit und Umweltfaktoren haben einen Einfluss auf die Entstehung dissoziativer Störungen. Unter anderem beeinflusst die Bindung zu den Eltern, wie widerstandsfähig Kinder gegenüber Stress sind. So sind Kinder, denen die notwendige Sicherheit und Geborgenheit im Elternhaus fehlt, anfälliger für dissoziative Störungen.
Negativen Erfahrungen können zudem biologische Auswirkungen haben: Starker Stress kann Strukturen im Gehirn verändern. Ein Zuviel des Stresshormons Cortisol schädigt beispielsweise den Hippocampus, der wesentlich für unsere Erinnerungen ist.
Forscher gehen auch von einer angeborenen Neigung zu dissoziativen Störungen aus. Die Rolle der Gene konnte aber bisher nicht eindeutig geklärt werden.
Dissoziative Störungen werden manchmal auch als Konversionsstörungen bezeichnet, weil dabei seelische Inhalte ins Körperliche umgesetzt werden. Dieser Mechanismus wird "Konversion" genannt.
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Ursachen der verschiedenen Formen
Wie die verschiedenen dissoziativen Störungen genau entstehen, ist Gegenstand der Forschung. Beispielsweise wird als Ursache der Amnesie und der Fugue die Bewusstseinsspaltung (Dissoziation) angesehen. Belastende oder traumatische Erlebnisse können auf diese Weise so abgespeichert werden, dass sie für den Betroffenen nicht mehr zugänglich sind.
Experten gehen davon aus, dass dies ein Schutzmechanismus ist. Wenn die Psyche eine Situation nicht verarbeiten kann, weil sie zu bedrohlich ist, entlastet sie sich durch die Abspaltung.
Die genauen Ursachen des Stupors, bei dem die Patienten nicht auf die Außenwelt reagieren, sind noch unzureichend erforscht. Manche Experten vergleichen die Symptome des dissoziativen Stupors mit dem Totstellreflex bei Tieren - eine Überlebensstrategie, die manche Tier einsetzen, wenn sie in einer für sie bedrohlichen Situation keinen Ausweg mehr finden. Das könnte auch bei Menschen mit dissoziativem Stupor der Fall sein: Eine bedrohliche Situation lässt die Betroffenen am ganzen Körper erstarren.
Als Ursache der Multiplen Persönlichkeitsstörung (dissoziativen Identitätsstörung) gelten vor allem schwere Missbrauchserfahrungen in der Kindheit. Die Aufspaltung in verschiedene Persönlichkeiten ist ein Schutz vor solchen unerträglichen Erlebnissen.
Risikofaktoren
Die Anfälligkeit für eine dissoziative Störung erhöht sich, wenn der Körper nicht ausreichend mit allem Nötigen versorgt wird. Eine dissoziative Störung kann deshalb durch Schlafmangel, zu wenig Trinken oder Bewegungsmangel ausgelöst werden.
Untersuchungen und Diagnose
Wichtig für die Diagnose einer dissoziativen Störung sind die Symptome, über die der Betroffene dem Arzt/Therapeut im Erstgespräch (Anamnese) berichtet. Der Arzt/Therapeut kann auch gezielt Fragen stellen, zum Beispiel:
- Fehlen Ihnen Erinnerungen an bestimmte Abschnitte Ihres Lebens?
- Finden Sie sich manchmal an Orten wieder, ohne zu wissen, wie Sie dort hingekommen sind?
- Haben Sie manchmal den Eindruck, etwas getan zu haben, an das Sie sich nicht erinnern können? Finden Sie beispielsweise Dinge in Ihrer Wohnung, von denen Sie nicht wissen, wie sie dorthin gekommen sind?
- Haben Sie manchmal das Gefühl, eine völlig andere Person zu sein?
Hilfreich können auch Hintergrundfragen sein, etwa zur aktuellen Lebenssituation, zum familiären Hintergrund und zu möglichen psychischen Problemen in der Familie. Informationen von dritter Seite (z.B. frühere Arztbefunde, bei Minderjährigen: Berichte von Eltern und Lehrern) können die Diagnosefindung ebenfalls unterstützen.
Der Arzt/Therapeut kann im Anamnesegespräch auch auf spezielle Fragebögen oder vorgegebene Gesprächsleitfäden ("diagnostische Interviews") zurückgreifen.
Während des Gesprächs achtet der Arzt/Therapeut auf mögliche Anzeichen für eine dissoziative Störung beim Patienten. Häufige Erinnerungslücken, die ein Patient während der Besuche beim Therapeut/Arzt zeigt, können beispielsweise auf eine dissoziative Störung hinweisen.
Ausschluss organischer Ursachen
Eine dissoziative Störung kann nur dann diagnostiziert werden, wenn sich organische Ursachen für die Symptome ausschließen lassen. Denn Anzeichen wie Krampfanfälle, Bewegungsstörungen oder Störungen der Sinnesempfindung können beispielsweise auch durch Epilepsie, Migräne oder Hirntumoren ausgelöst werden.
Deshalb prüft der Arzt zum Beispiel die Seh-, Geruchs- und Geschmacksnerven sowie die Bewegungsabläufe und Reflexe des Patienten. In manchen Fällen werden zusätzlich mithilfe einer Computertomografie (CT) detaillierte Schnittbilder des Gehirns angefertigt.
Bei Minderjährigen sucht der Arzt unter anderem auch nach möglichen Anzeichen von Misshandlung oder Missbrauch.
Behandlung
Dissoziative Störungen werden im Rahmen einer Psychotherapie behandelt. Ziele beziehungsweise Inhalte der Behandlung sind eine Stabilisierung des Patienten, eine Verringerung der dissoziativen Symptome und die Bearbeitung von traumatischen Erlebnissen.
Je nach Schweregrad, Dauer und Ausprägung der Symptome werden Patienten mit dissoziativen Störungen ambulant, teilstationär oder stationär behandelt.
Stabilisierung und Symptomreduktion
Zu Beginn der Therapie klärt der Therapeut den Patienten ausführlich über das Krankheitsbild der dissoziativen Störung auf. Selbst wenn der Patient nicht ansprechbar ist, informiert ihn der Therapeut über das Störungsbild. Psychotherapeuten bezeichnen diese Aufklärung als Psychoedukation.
Im weiteren Verlauf lernt der Patient, seine Gefühle bewusst wahrzunehmen und Spannungszustände rechtzeitig abzubauen. Um dissoziative Symptome zu reduzieren, erarbeitet der Therapeut mit dem Patienten Strategien, die ihm bei der Stressbewältigung helfen.
Außerdem lernt der Patient, Hinweise auf kommende dissoziative Symptome rechtzeitig zu bemerken und dagegen vorzugehen. Fällt der Patient dennoch in einen dissoziativen Zustand, bringt ihn der Therapeut mithilfe von Atem- und Gedankenübungen zurück. Es werden auch starke Gerüche oder laute Musik eingesetzt, um den Patienten wieder in die Realität zu holen.
Auseinandersetzung mit dem Trauma
Liegen traumatische Erfahrungen in der Vergangenheit vor, werden sie in der Therapie bearbeitet. Sind sie für den Patienten stark belastend, achtet der Therapeut auf eine schrittweise Auseinandersetzung mit dem Thema, um den Betroffenen nicht zu überfordern.
Damit Patienten während einer Traumabearbeitung nicht erneut in eine Dissoziation fallen, setzt der Therapeut verschiedene Techniken ein. Dazu soll der Betroffene zum Beispiel auf einer wackligen Unterlage stehen, während er von den Erinnerungen erzählt.
Um verborgene Erinnerungen (etwa bei einer dissoziativen Amnesie) an die Oberfläche zu holen, kann der Therapeut den Patienten hypnotisieren. Sobald ein Zugang zu den verschütteten Erinnerungen geschaffen ist, kann der Betroffene mithilfe des Therapeuten beginnen, das Trauma aufzuarbeiten.
Borderline-Persönlichkeitsstörung
Menschen mit einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung fällt es schwer, ihre Handlungen und Gefühle zu kontrollieren. Das kann für sie selbst und auch für ihr Umfeld sehr belastend sein. Bei der Behandlung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung kommt vor allem Psychotherapie zum Einsatz. Gegebenenfalls verschreibt die Ärztin oder der Arzt auch Medikamente.
Bei einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung kommt es zu Schwierigkeiten bei der Kontrolle von Impulsen. Ein Impuls ist eine spontan ausgeführte Handlung. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung sind zudem eher konfliktbereit. Sie setzen Handlungen, ohne mögliche Folgen ausreichend zu berücksichtigen.
Borderline-Typ
Der Begriff „Borderline“ ist englisch und bedeutet „Grenzbereich“. Er geht darauf zurück, dass die Fachwelt früher nicht genau wusste, wo sie diese Störung einordnen soll - ob bei psychischen Erkrankungen des Gefühlslebens oder der Wahrnehmung. Beim Borderline-Typ treten ebenso die Symptome wie beim impulsiven Typ auf. Zusätzlich kommt es zu einer veränderten Wahrnehmung der eigenen Person sowie Gefühlen der inneren Leere.
Menschen mit einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung können auch an anderen psychischen Erkrankungen leiden, sogenannte dissoziative Störungen. Darunter versteht die Fachwelt einen teilweisen oder vollständigen Verlust der Erinnerung an Vergangenes.
Menschen mit einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung haben ein erhöhtes Risiko, sich das Leben zu nehmen. Spricht eine betroffene Person von Suizid, ist das immer ernst zu nehmen. Sie darf in dieser Situation keinesfalls alleine gelassen werden. Es ist wichtig, professionelle Hilfe zu holen.
Die genauen Ursachen dieser Persönlichkeitsstörung sind noch nicht bekannt. Besonders gut ist der Borderline-Typ untersucht.
Symptome und Diagnose
- Belastende Zustände innerer Anspannung: Betroffene bewältigen diese durch impulsive Handlungen.
- Neigung zu Wutausbrüchen oder körperlicher bzw.
- Neigung zu intensiven, jedoch nicht stabilen Beziehungen.
Zu Beginn steht die Erhebung der Krankengeschichte. Dabei fragt etwa die Ärztin oder der Arzt nach der bisherigen Lebensgeschichte und ob Krankheiten, seelische Krisen oder selbstverletzendes Verhalten aufgetreten sind. Auch eine klinisch-psychologische Diagnostik kann hilfreich sein.
Es ist zudem wichtig, organische Ursachen oder Drogeneinnahme als Auslöser der Symptome auszuschließen. Dazu kann die Ärztin oder der Arzt etwa eine Blutabnahme oder ein MRT bzw.
Behandlung
Zur Behandlung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung zählt in erster Linie Psychotherapie. Gegebenenfalls verschreibt die Ärztin oder der Arzt auch Medikamente. In akuten psychiatrischen Krisen oder bei sehr starken Symptomen kann eine Behandlung in einem Krankenhaus notwendig sein.
Die Psychotherapie kann in einer Einzelsitzung mit der Psychotherapeutin bzw. dem Psychotherapeuten oder in der Gruppe stattfinden.
Übertragungsfokussierte Psychotherapie: Der Schwerpunkt dieser Therapie liegt in der Psychoanalyse von Beziehungen. Im Jugendalter kann etwa auch die sogenannte psychoanalytisch-interaktionelle Methode (PIM) zur Anwendung kommen. Der Schwerpunkt dieser Behandlung liegt auf den Schwierigkeiten, mit Gefühlen und mit zwischenmenschlichen Beziehungen umzugehen. In der Folge sollen sich diese Probleme bessern. Zudem ist die sogenannte Psychoedukation Teil der Psychotherapie bzw.
Es gibt derzeit keine speziell für die emotional instabile Persönlichkeitsstörung zugelassenen Medikamente. Die Ärztin oder der Arzt kann jedoch Medikamente „off-label“ bei starken und anhaltenden Symptomen zusätzlich zur Psychotherapie vorschlagen. Die Medikamente richten sich dabei gezielt nach den Beschwerden. Der Einsatz der Medikamente ist zeitlich begrenzt. Auch mögliche weitere Erkrankungen berücksichtigt die Ärztin oder der Arzt bei der Verschreibung von Medikamenten. Die Ärztin oder der Arzt klärt Sie über Nutzen und Anwendung der Medikamente sowie mögliche Nebenwirkungen bzw.
Der Umgang mit Menschen mit emotional instabiler Persönlichkeitsstörung kann sehr herausfordernd sein. Angehörige bzw. nahestehende Menschen können zudem in die Behandlung miteinbezogen werden, wenn die betroffene Person das möchte bzw. es im Therapieverlauf hilfreich erscheint.
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