Das Bedrohungsmanagement, auch bekannt als „Threat Assessment“ oder „Threat Management“, ist eine aus den USA stammende Fachdisziplin, die sich in den 80er und 90er Jahren etablierte. Die Erkenntnisse nach dem Attentat auf Ronald Reagan im Jahr 1981, bei dem Vorwarnsignale ignoriert wurden, verdeutlichten die Notwendigkeit systematischer Frühwarnsysteme.
Die Rolle des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement
Das Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt spielt eine wichtige Rolle bei der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im deutschsprachigen Raum. Michael Sonvilla holte sich dort die entsprechende Expertise im Umgang mit Amokdrohungen ein und sammelte Erfahrungen bei der Polizei in Frankfurt und Hamburg.
Umgang mit Amokdrohungen
Amok- oder Bombendrohungen lösen Angst und Panik aus. Doch nicht jede Drohung führt zu einer schweren Gewalttat. Bei einer Amok- oder Bombendrohung gerät eine Maschinerie an Einsatzkräften in Gang: Polizei, Rettung und andere Einheiten rücken aus, um Menschen zu schützen und in Sicherheit zu bringen. Das fordert einen großen Personaleinsatz und kostet viel Geld. Doch nur hinter jeder zwölften derartigen Drohung steckt auch die Absicht, die Ankündigungen des Drohers in die Tat umzusetzen.
„Es ist wichtig, zwischen Drohungen zu unterscheiden, von denen eine konkrete Gefahr ausgeht, und von solchen, die aus anderen Motiven erfolgen“, sagt Michael Sonvilla von der Landespolizeidirektion Wien.
Das Team Bedrohungsmanagement in Wien
Er und sein Team analysieren Drohungen, die sich gegen Menschen in Schulen, Universitäten, Gerichten, Krankenhäusern, Ämtern, Behörden und anderen Organisationen richten. „Unsere Aufgabe ist es, derartige Bedrohungslagen einzuschätzen, eine Gefahrenprognose zu erstellen und Handlungsempfehlungen zu erteilen“, erklärt Sonvilla.
Lesen Sie auch: Forschung am Institut für Psychoanalyse
Das Team besteht aus fünf Polizisten und einer Psychologin und Kriminologin. Etwa 25 bis 30 Amok- oder Bombendrohungen gegen Schulen im Jahr erreichen das Team. „Aufgrund unserer Kooperation mit den Anlaufstellen der Bildungsdirektion Wien werden wir zeitnah, meist unmittelbar über derartige Drohungen/Ankündigungen informiert und können unmittelbar intervenieren und so die Angst, die Amokandrohungen auslösen, gemeinsam mit den Schulverantwortlichen abfangen“, sagt Sonvilla.
Dadurch werden nur wenige Drohungen öffentlich bekannt. „Das ist gut so, denn je öfter und detaillierter über eine Amokankündigung oder über einen Frauenmord medial berichtet wird, desto mehr fühlen sich andere Personen mit ähnlichen Gewaltfantasien bestätigt, diese auch zu verwirklichen. Sie denken sich, dem geht es genauso wie mir. Der traut sich etwa zu tun, das ich mir schon die ganze Zeit über denke zu tun.
Über 90 Prozent der Amoktaten werden vorher direkt oder über Dritte angekündigt, die meisten Drohenden sind namentlich bekannt. In den meisten Fallbearbeitungen des Teams Bedrohungsmanagement handelt es sich jedoch um keine umsetzungsorientierte Ankündigung. Nur jede zwölfte Einschätzung ist ein Hochrisikofall - wo auch die Gefahr der Umsetzung einer „zielgerichteten schweren Gewalttat“ besteht.
Darunter ist ein geplanter, auf bestimmte Personen oder eine Personengruppe gerichteter Angriff, mit der Absicht, diese schwer zu verletzen oder zu töten, zu verstehen.„Doch fast jeder Fall, der an uns herangetragen wird, wird beschrieben, als ob es sich um einen Hochrisikofall handelt. Wir können keine Allgemeingefährlichkeit von Personen einschätzen, das obliegt den gerichtlich beeideten Sachverständigen“, erklärt Sonvilla.
Wenn behauptet wird, der Bedroher sei eine tickende Zeitbombe, dann ist das zu unkonkret. „Wir fragen dann diejenigen, die uns beauftragen, was ihre konkrete Befürchtung ist, was sie beantwortet haben wollen, damit wir eine konkrete Gefahrenprognose, eine Fragebeantwortung erstellen können.“ Die Frage könnte lauten: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der A die B tatsächlich umbringt?
Lesen Sie auch: Ausbildungsinstitut UKE
Fallbeispiele
Ein Schüler meldete seiner Klassenlehrerin den Chat mit dem Schüler X. Gleichzeitig waren schon mehrere Schülerinnen und Schüler über die Ankündigung des X informiert, da ein Screenshot von einem Chat verbreitet wurde. Auf dem war zu lesen: A fragt X, ober er morgen in die Schule komme. X antwortet: Komme nicht, mache Amoklauf.
Dies löste massive Angst in der Schule und bei den Eltern aus. Der Schulqualitätsmanager verständigte das Team Bedrohungsmanagement und es erfolgte in Absprache mit dem Polizeikommissariat eine Befragung des Schülers an dessen Wohnadresse. „Bevor eine solche Befragung stattfinden kann, werden umfassende polizeiliche Erhebungen getätigt, insbesondere ob Waffenbesitz vorhanden ist und es erfolgen Befragungen - z. B. von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften“, erklärt Sonvilla.
In der Befragung stellte sich heraus, dass der Schüler nach Anerkennung und Aufmerksamkeit bei seinen Mitschülern gesucht hatte, da er sich von der Burschen-Clique ausgeschlossen gefühlt hatte. Der Chat stellte somit keine finale Ankündigung einer Amoktat dar, sodass keine besonderen sicherheitspolizeilichen Schutzmaßnahmen für den Folgetag erforderlich waren.
Aufgrund der Angst, die der Chat ausgelöst hatte, wurde gemeinsam mit der Schulleitung eine Elterninformation verfasst. Die Nachbetreuung der Schule erfolgte durch das Team Bedrohungsmanagement gemeinsam mit einem Schulpsychologen.
In einem Hochrisikofall konnte ein Schüler von der Polizei auf dem Weg zur Schule gestoppt werden. Er war mit zwei Messern bewaffnet. Das Team des Bedrohungsmanagements wurde von der Schulärztin verständigt. Ein Schüler hatte ihr mitgeteilt, dass ein Freund von ihm gesagt hat, er solle die Schule verlassen, denn er komme jetzt. Er hatte immer schon darüber geredet, dass er Menschen umbringen will in der Schule.
Lesen Sie auch: Voraussetzungen Psychologie Studium: Erlangen im Fokus
„Wir haben die Mutter des Schülers angerufen. Sie schien unseren Anruf bereits erwartet zu haben, denn sie hat gesagt: Hat er es jetzt gemacht?“, berichtet Sonvilla. Es waren sofortige Schutzmaßnahmen am Schulstandort erforderlich und der Schüler wurde auf dem Weg zur Schule von der WEGA festgenommen.
Methoden und Analysen
„Was wir machen, sind Verhaltensanalysen. Aufgrund eines bisher gesetzten Verhaltens in Krisensituation oder Konflikten kann ich erkennen, wie jemand aufgrund einer aktuellen Situation reagieren wird. Dann recherchieren wir, welche Risiko- und Schutzfaktoren um die Person herum noch existieren“, erklärt der Teamleiter. Gibt es andere Krisen, die auf ihn einwirken. Was will jemand mit einer Drohung erreichen?
Bei anonymen Drohern kann man nur den Drohinhalt bewerten. „Normalerweise bewerten wir zuerst die Botschaft und bringen sie dann in Verbindung mit der Person. Bei anonymen Schreiben können wir gewisse Informationen aus der Drohbotschaft gewinnen. Wir versuchen zu beurteilen, ob die Drohung ernst gemeint ist oder nicht, ob eine hohe Emotionalität dahintersteckt, wie detailliert sie ist, ob es Ort- und Zeitangaben gibt, welches Konditionalgefüge besteht und ob die Drohung überhaupt plausibel ist“, erläutert Sonvilla.
Weiters wird darauf geachtet, ob es „Drohungsverstärker“ gibt: Wird etwa die Drohung in Großbuchstaben geschrieben, werden mehrere Rufzeichen am Satzende gesetzt oder wird suggeriert, dass eine Gruppierung hinter dem Verfasser steht. Drohungsverstärker dienen vorrangig dazu, dass die Drohbotschaft des unbekannten Schreibers überhaupt ernstgenommen wird.
„Jemand, der zur Tat entschlossen ist, würde nie solche Phrasen schreiben. Wenn eine Amokdrohung in einer Schule eingeht, erzeugt das Angst bei Lehrern und Schülern. „Die hält oft auch dann noch an, wenn wir einschätzen, dass es sich um keine konkrete Gefährdung handelt. Die Androhung und die Gefährlichkeit dahinter ist selten das Gleiche“, sagt Sonvilla.
Das Team des Bedrohungsmanagements versucht dann gemeinsam mit der Schulpsychologie, wenn der Bedarf besteht, Lehrer und Schüler dieser Schule gemeinsam aufzuklären, warum die Angst unbegründet ist.
Im Ernstfall sollte es zwei unterschiedliche Alarmierungssysteme geben: „Räumen“, klassisch wie bei einem Feueralarm, und „Schutz suchen“ (Schulglocke, Lautsprecher, Handy), bei einer Amoklage, oder falls eine psychisch gestörte oder aggressive Person die Schule betritt und Schüler oder Lehre attackiert.
Einschätzung und Empfehlungen
Die Analyse eines Falles enthält Empfehlungen des Teams Bedrohungsmanagement. Die Einschätzung kann lauten: „Es besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit einer zielgerichtet schweren Gewalthandlung“ - da es sich bei der Drohung um keine umsetzungsorientierte Ankündigung einer zielgerichtet schweren Gewalthandlung handelt bzw. vielmehr um den Versuch handelt, bei dem Adressaten Angst auszulösen und Macht auszuüben.
Zum Beispiel, wenn eine gleichlautende anonyme Bombendrohung zugleich an mehrere Schulen gerichtet ist, handelt es sich um den Versuch des unbekannten Verfassers Angst auszulösen und die Folgewirkungen seiner Drohung im Anonymen zu beobachten (z. B. mediale Berichterstattung).
Lautet die Einschätzung „erhöhte oder sehr hohe Wahrscheinlichkeit einer zielgerichtet schweren Gewalthandlung“, werden Schutzmaßnahmen oder Sofortmaßnahmen empfohlen.
„Oft ist die Informationslage bei anonymen Drohung sehr gering, da geben wir die Empfehlung ab, vorbeugende Schutzmaßnahmen zu treffen. Die Gefährdungsanalyse und das empfohlene Fallmanagement des Teams Bedrohungsmanagement stellen eine verbesserte Grundlage für die Entscheidung sicherheitspolizeilicher Maßnahmen durch die Behördenvertreter dar“, erklärt der Teamleiter.
Das sind die Sicherheitshauptreferentinnen und- referenten bzw. Das Team des Bedrohungsmanagements der Polizei ist mit Ämtern und Behörden in Wien vernetzt. „Große Institutionen müssen sich Bedrohungslagen bis zu einem gewissen Grad selber stellen“, sagt Sonvilla.
In Wien sind Anlaufstellen für Bedrohungsfälle eingerichtet. „Sie müssen Informationen sammeln, sie müssen diese nicht bewerten. Die Anlaufstellen verständigen und übermitteln uns die notwendigen Informationen bei einer Bedrohungslage und/oder bedrohlichem Verhalten.“
Bei der Bildungsdirektion in Wien sind es die Schulqualitätsmanager, die früheren Bezirksschulinspektoren. Beim Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien gibt es eine eigene Anlaufstelle für Bedrohungsfälle, an die alle Dienststellen der Justiz Vorfälle melden. „Von dort werden wir dann verständigt.“Beim Magistrat ist das Krisenmanagement der Stadt Wien die Anlaufstelle.
Analyse von Stalking-Fällen
Auch Fälle von Stalking werden vom Team analysiert, auch wenn sie noch nicht strafrechtlich relevant sind. Diese Fälle werden von Kollegen an sie herangetragen. „Wir bewerten die Botschaften des Stalkers im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung, ob er bereit ist, Gewalt gegen die Person auszuüben, die er beharrlich verfolgt“, erklärt Sonvilla.
Zuletzt hat das Team den Fall einer Politikerin gehabt, die regelmäßig gestalkt wurde. Der Stalker hat sie auf Social Media verfolgt, fotografiert, wenn sie ins Parlament und wieder nach Hause gegangen ist. Hat ihr geschrieben, dass er auf einer Sitzbank im Park auf sie warten würde. Wir haben den Mann ausforschen können und haben mit ihm geredet. Die Recherchen ergaben, dass er bereits 2022 eine Politikerin gestalkt hatte“, berichtet der Teamleiter.
Das Team setzt das Stalking-Risk-Profile ein, ein anerkanntes Tool, mit dem Stalker klassifiziert werden. Es gibt Stalker, die in einer Trennungsphase sind (zurückgewiesene Stalker), es gibt Stalker, die sich in ihr Opfer verliebt haben (liebesuchende Stalker). Zu jedem der Stalkertypen gibt es Risikofaktoren und Indikatoren.
„Aufgrund der Risikofaktoren schätzen wir ein, ob stalkingassoziierte Gewalt bevorsteht, oder nicht. Da ist es dann so, dass wir den Täter zuhause aufsuchen und ein Gespräch führen. Wir klären ab, wie sein soziales Umfeld ist, ob er eine Familie hat, geschieden ist etc. Wir klären ihn auf, welche strafrechtliche Folgen seine Handlungen haben.
Analyse von Tötungsdelikten
Das Team des Bedrohungsmanagements beschäftigt sich auch mit der Analyse der Tötungsdelikte in Wien. Seit 2015 wurden insbesondere Beziehungstaten (Tötungsdelikte innerhalb familiärer und enger sozialer Beziehungen) in Wien unter dem Fokus des Vortatverhaltens, von Risikoindikatoren und Risikokonstellationen evaluiert.
Ziel war es daraus zukünftig Präventionsstrategien ableiten zu können. Erkenntnisse sollen dafür genutzt werden, um bei der Erstellung von Gefährdungsanalysen durch das Team Bedrohungsmanagement und Gefahrenanalyse, noch eindeutiger Risikomarker herausfiltern und beschreiben zu können.
Ziel des Bedrohungsmanagements
Ziel des Bedrohungsmanagements ist die Früherkennung des individuellen Risikos zielgerichteter schwerer Gewalttaten (Identifikation). Das Bedrohungsmanagement umfasst jedoch nicht nur die Gefährdungsanalyse, sondern auch das nachfolgende multidisziplinäre Fallmanagement.
Aufgabe der Polizei ist es, aus dem gesetzten Verhalten eine potenzielle Gefährdung für Dritte zu erkennen, diese zu bewerten und im Fall von Risikodrohungen unverzüglich geeignete protektive und deeskalierende Maßnahmen einzuleiten, zu veranlassen oder zu empfehlen, um das Überschreiten der Handlungsschwelle zu verhindern.
Der internationale Erfahrungsaustausch über professionalisierte und strukturierte Bewertung von Gefährdungssachverhalten polizeilicher Bedrohungsmanagementeinheiten im deutschsprachigen Raum stellt einen wichtigen Faktor für die Aus- und Weiterbildung des Teams Bedrohungsmanagement der LPD Wien dar, da es in Österreich diesbezüglich derzeit keine Möglichkeiten gibt.
Entwicklung des Bedrohungsmanagements in Wien
Michael Sonvilla leitete Anfang der 2000er-Jahre gemeinsam mit einer Kollegin die Jugendprävention im Landeskriminalamt Wien. 2006 war die erste Amokankündigung an einer Schule in Wien. Auf diese Art der Bedrohung war die Polizei in Wien damals noch nicht vorbereitet.
In Deutschland hatte es zu der Zeit bereits mehrere Amoktaten gegeben und die Sicherheitsbehörden hatten somit Erfahrungen mit solchen Ereignissen. In Wien begann Sonvilla das Erlernte umzusetzen und Drohungen von Personen einzuschätzen. Anfangs mit mehreren Bedrohungslagen bei der Justiz.
In der Jugendgewaltprävention wurde eine Untergruppe eingerichtet, die sich ausschließlich mit Bedrohungslagen beschäftigt. Mit der Reform der Sicherheitsbehörden 2012 wurde dann in der LPD Wien ein eigenes Referat für Bedrohungsmanagement und Gefahrenanalyse eingerichtet.
Die GS.A. Gewaltschutzakademie GmbH
Die GS.A. Gewaltschutzakademie GmbH ist das wegweisende Zentrum für Unternehmen, Institutionen, Führungskräfte und Fachpersonal zum professionellen Umgang mit Aggressionen, Gewalt und Gefährdungssituationen und im organisatorischen Sicherheitsmanagement. Sie führt Fortbildungs- und Schulungsaktivitäten zur Prävention, Intervention und Analyse von situativer, institutioneller und personeller Gewalt durch.
Bedrohung als Folge von Diskrepanzen
Wir verstehen Bedrohung als Folge von Diskrepanzen. Menschen streben nach Konsistenz und Kongruenz, das heißt, sie suchen nach einer Passung zwischen der sozialen Umgebung, in der sie sich befinden, ihrem inneren Erleben und ihren Wünschen sowie ihrem Verhalten. Wir gehen davon aus, dass drei Komponenten hier zentral sind: die wahrgenommene Situation (Realität), die eigenen aktuellen Wünsche (Motive), und die Erwartungen darüber, was geschehen wird (kognitiver Fokus).
Wenn es innerhalb dieser Komponenten einen Konflikt gibt, entsteht Diskrepanz und damit verbunden die Motivation, diese Diskrepanz zu reduzieren ( Jonas & Mühlberger, 2017). Diskrepanzen entstehen beispielsweise, wenn unsere Freiheit eingeschränkt wird (z.B. Mühlberger & Jonas, 2019) oder wenn wir nach Selbsterhaltung, Kontrolle, Sicherheit oder Sinn streben, jedoch an ihre eigene Sterblichkeit, Kontrollverlust, Unsicherheit oder Sinnlosigkeit erinnert werden (z.B.
Die Wahrnehmung von Diskrepanzen führt Menschen häufig in einen unangenehmen Hemmungszustand (eine sogenannte „Angststarre“, welche durch Aktivierung des Verhaltensinhibitionssystems (Behavioral inhibition system, BIS), beschrieben werden kann), aus dem sie durch motivationale Reorientierung, wie z.B. Handlungsorientierung, wieder herauskommen (beschreibbar durch das Verhaltensannäherungssystem (Behavioral approach system, BAS).
Im Prozessmodell von Bedrohung und Verteidigung beschreiben wir zwei Strategien, mit denen wir auf Bedrohungen reagieren, nämlich Resolution und Palliation. Während Resolution typischerweise auf die Ursache des bedrohungsauslösenden Problems abzielt, konzentriert sich Palliation auf das Erreichen einer positiven Affektlage.
Experimentelle Induktionen von Sterblichkeit, Kontrolle und Beziehungsproblemen führen zu Angst, während verschiedene defensive Verhaltensweisen zu positivem Affekt führen. Unsere Forschung zielt auch darauf ab, menschliches Verhalten im Kontext des Klimawandels besser zu verstehen, und damit Lösung zu finden ( Stollberg & Jonas, 2021).
Beispielsweise versucht Klimawandelkommunikation in der Regel eine lösungsorientierte Bewältigung des Klimawandels zu fördern, führt aber nachweislich zu emotionsorientierter Palliation statt zu ursachenorientierter Resolution ( Uhl-Haedicke, Jonas & Klackl, 2016; Uhl-Haedicke, Klackl, Hansen & Jonas, 2018).
Soziale Interaktionen können die Quelle von Diskrepanzerleben sein, d.h. einer Verletzung von Erwartungen, eine Nichterfüllung von realen oder erwarteten Motiven oder eine Nichterfüllung von erwarteten Motiven (siehe Forschungsbereich Bedrohungsmanagement). Menschen können dann in Hemmungszustände oder Verteidigungsspiralen geraten oder sie versuchen wieder handlungsfähig zu werden.
Das Loop2Loop-Modell beschreibt, dass Menschen in sozialen Interaktionen nicht nur aufeinander reagieren, sondern dass diese Prozesse vermittelt werden über motivational-affektive und motivierte kognitive Prozesse.
Soziale Interaktionen können aber auch bei der Reduktion von Diskrepanzen helfen, wie dies z.B. Ein Schwerpunkt unserer Forschung beschäftigt sich mit kollektiven Reaktionen auf Bedürfnisdiskrepanzen wie sie im Kontext globaler Krisen, wie dem Klimawandel, auftreten können.
tags: #Institut #für #Psychologie #und #Bedrohungsmanagement