Viele Menschen kennen das unsichere Gefühl und die Frage, ob sie die Tür beim Gehen tatsächlich abgesperrt oder den Herd ausgeschaltet haben. Treten derartige Gedanken ständig auf und besteht ein Zwang zu kontrollieren, kann eine Zwangsstörung bestehen. Doch wann spricht man von Zwängen? Welche Arten gibt es? Wann ist es eine Zwangsstörung?
Was ist eine Zwangsstörung?
Personen die an einer Zwangserkrankung oder Zwangsstörung (früher Zwangsneurose) leiden, verspüren einen innerlichen Drang bzw. Zwang gewisse Dinge zu denken oder zu tun. Dabei fühlen sie sich ihren Gedanken oder Handlungen ausgeliefert. Auch wenn sie für sie selbst ineffektiv oder absurd erscheinen, ist es nicht möglich die Kontrolle darüber zu gewinnen und sie zu unterlassen. Das kann beispielsweise dazu führen, das mehrmals kontrolliert wird, ob das Licht oder Geräte abgeschaltet sind.
Die damit verbundenen Gedanken und Handlungsweisen sind für Betroffene äußerst anstrengend und belastend. Oft gehen sie mit dem Gefühl von Angst einher, dass etwas nicht in Ordnung ist oder etwas Schlimmes passieren könnte. Bei Zwangsgedanken besteht häufig ein Zwang zum Grübeln. Zwanghafte Ideen, Vorstellungen oder Impulse drängen sich auf und quälen die Betroffenen.
Die Gedanken und entstehenden Bilder können sehr unterschiedlich sein. Beispielsweise jemanden Schaden zuzufügen, einen Unfall zu verursachen oder das eigene Kind zu verletzten. Diese Gedanken sind für Betroffene verstörend und belastend. Vor allem dann, wenn die Gedanken davon handeln, dass sie selbst etwas tun, dass sie als besonders schlimm empfinden.
Manche Betroffene versuchen sich selbst zu beruhigen und die sich aufdrängenden Bilder zu bekämpfen, indem sie anderen zwanghaften Impulsen folgen. Beispielsweise kann die Angst, dass einem Familienmitglied etwas Schlimmes zustößt dadurch abgewendet werden, dass ein bestimmter Gedankengang (Aufsagen von Sätzen oder Zahlenreihen) ausgeführt wird. Es stellt dann eine Möglichkeit dar sich selbst kurzfristig zu beruhigen. Es ist eine Art magischen Denkens. Auf rationaler Ebene besteht kein logischer Zusammenhang, jedoch wird in der Vorstellung damit ein möglicher Schaden oder eine Bedrohung abgewandt.
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Bei Zwangshandlungen werden sich aufdrängende Impulse ausagiert. Oft werden Rituale vollzogen. Bei diesen Zwangsritualen kann es um die wiederholte Kontrolle, eine übertriebene Ordnung oder Reinlichkeit gehen. Auch hier geht es in der Regel darum eine Gefahr oder gefährliche Situation abzuwenden. Durch das wiederholte Kontrollieren, ob die Türe oder der Wasserhahn abgesperrt ist, wird die Bedrohung eines Einbruchs oder Überschwemmung bzw. eines sonstigen Schadens abgewandt.
Derartige Kontrollen können für Betroffene mit hoher Anstrengung verbunden sein. Neben der damit einhergehenden hohen psychischen Belastung durch die Angst, dass etwas Schlimmes passiert, ist es auch zermürbend ständig und wiederholt kontrollieren zu müssen.
Symptome der Zwangsstörung
- zwanghaftes Kontrollieren und Überprüfen
- Putz- oder Waschzwang (z. B. übertriebene Ordnung bzw. Zwang zur Wiederholung
- wiederholtes Betätigen (z. B. Lichtschalter)
Die Symptome einer Zwangserkrankung können in Stärke und Form unterschiedlich ausgeprägt sein. Bei vielen Betroffenen variiert die Intensität von Zeit zu Zeit.
Was sind die Symptome der Zwangsstörung? Zwanghafte Menschen sind ausdauernd, fleißig, konsequent, planvoll und verantwortungsbewusst. Die Betroffenen leiden darunter, dass sich ihnen immer wieder „unsinnige“ Gedanken aufdrängen und/oder der unwiderstehliche Drang entsteht, bestimmte Handlungen (z. B. zählen, kontrollieren, die Hände waschen, Gegenstände reinigen, Listen erstellen usw.) auszuführen.
Die Unterdrückung dieser Impulse bewirkt einen hohen Leidensdruck und eine große Angst davor, dass ein Unglück geschieht oder jemand anderer zu Schaden kommt, wenn diesem Impuls nicht sofort nachgegeben wird. Da die Erleichterung nach der Ausführung der Zwangshandlung nur kurze Zeit besteht, beginnt ein Teufelskreis aus belastenden Gedanken und den vermeintlich beruhigenden Ritualen.
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Was sind Zwangsgedanken?
Zwangsgedanken sind Gedanken (auch Vorstellungen oder Handlungsimpulse), die sich aufdrängen und von Betroffenen als sinnlos, störend, beschämend, abstoßend oder lästig erlebt werden. Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen werden von Betroffenen als eigene Gedanken / Handlungen angesehen und nicht als von außen aufgezwungen.
Sie wiederholen sich ständig und werden als unangenehm, übertrieben und unsinnig empfunden. Gegen mindestens einen Zwangsgedanken oder eine Zwangshandlung wird erfolglos Widerstand geleistet. Die Betroffenen leiden unter ihren Symptomen oder werden durch diese in ihrer sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit behindert.
Zwangsgedanken (z.B. „meine Hände sind voll von Bakterien“) lösen Unbehagen, Angst, Ekel, Scham aus. Diese unangenehmen Emotionen führen bei Betroffenen zu Zwangshandlungen (z.B.: Wiederkehrende Gedanken, Bilder oder Handlungen wie z.B. sich unangemessen zu verhalten oder „verbotene“ Gedanken zu haben (z.B. sich selbst der anderen Schaden zufügen zu können. Diese Gedanken sind oft von Angst begleitet. Sie führen jedoch in der Folge nicht automatisch zu dementsprechenden Handlungen oder Ereignissen.
Ursachen von Zwangsstörungen
Bei der Entstehung einer Zwangsstörung wirken verschiedene Faktoren zusammen. Unter anderem sind es familiäre und soziale Faktoren, die erhöhte Belastung und Stress erzeugen und als Ursachen gesehen werden. Dabei muss in der Betrachtung der Biographie nicht immer gleich ein traumatisches Erlebnis wie Missbrauch oder Tod eines nahen Angehörigen zu sehen sein. Betroffene beschreiben ihre Kindheit oft als unauffällig und unbeschwert.
Es wird in Fachkreisen angenommen, dass Zwangsstörungen unterschiedliche Ursachen haben. Diese können auch zusammenwirken. Zum Beispiel eine erbliche Veranlagung, psychische Belastungen oder schwierige Lebensumstände bzw. Krisen. Auch Persönlichkeitsfaktoren können eine Rolle spielen (z.B. besonders gewissenhaft sein).
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Modelle zur Erklärung
- Neurobiologische Modelle: Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es bei einer Zwangsstörung zu Funktionsstörungen in manchen Teilen des Gehirns kommen kann (Frontalhirn, Basalganglien und limbisches System). Zudem dürfte es zu Störungen im Gehirnstoffwechsel bei dem Botenstoff Serotonin kommen.
- Lerntheoretische Modelle: Diese gehen davon aus, dass Betroffene Angst- und Spannungszustände durch Zwangsrituale zu vermeiden oder zu verringern versuchen. Zudem führt die stark negative Bewertung von Zwangsgedanken zu Schuldgefühlen. Ein Teufelskreis aus Angst und Zwang entsteht.
- Psychodynamische Modelle: Diese sehen mögliche Ursachen von Zwangsstörungen in inneren - oft unbewussten - Konflikten.
Behandlungsmöglichkeiten bei Zwangsstörungen
Zwangsstörungen können in der Regel mit gutem Erfolg behandelt werden. In der Behandlung von Zwangserkrankungen bestehen unterschiedliche Therapiemethoden und Ansätze.
Psychotherapie
Im Rahmen einer Psychotherapie kann das eigene Verhalten bearbeitet und verändert werden. In der von mir angebotenen personzentrierten Psychotherapie wird versucht ein Verständnis für sich selbst und sein Verhalten aufzubauen. Zwanghafte Gedankenmuster und Verhaltensweisen sollen in Bezug auf ihre Bedeutung und Funktion verstanden werden. Es kann der Versuch sein die eigenen Unsicherheiten des Lebens zu bewältigen und sich abzusichern.
Der personzentrierte Ansatz unterstützt jeden Betroffenen in individueller Weise bei der persönlichen Weiterentwicklung. Im therapeutischen Prozess werden Sie begleitet, um neben einem tieferen Verständnis für sich selbst eigene Wege und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
In vertrauensvollem Rahmen wird in der Psychotherapie über Probleme, Ängste und Sorgen gesprochen. Betroffene lernen, mit der Erkrankung umzugehen und das eigene Verhalten zu kontrollieren. Verhaltenstherapeutische Ansätze (vor allem aus der kognitiven Verhaltenstherapie) haben sich in der Behandlung von Zwangsstörungen besonders bewährt.
Kognitive Verhaltenstherapie
Zu Beginn bespricht der Therapeut mit dem Patienten die konkrete Vorgehensweise. Eine Methode in der kognitiven Verhaltenstherapie sind Expositionsübungen, die als besonders wirksam gelten. Bei diesen Übungen wird der Patient mit dem Reiz konfrontiert, der normalerweise sein zwanghaftes Verhalten auslöst, ohne dass er dem inneren Druck nachgeben darf. Jemand, der einen Ordnungszwang hat, muss zum Beispiel Unordnung in seinen Kleiderschrank bringen und darf die Kleider anschließend nicht wieder sortieren.
Die Exposition erfolgt so, dass die Herausforderungen von Mal zu Mal gesteigert werden oder aber der Betroffene gleich zu Beginn der Therapie mit seiner größten Angst konfrontiert wird. Während der Drang, dem üblichen Ritual zu folgen, anfangs übermächtig scheint, erlebt der Patient, wie der Druck langsam nachlässt - auch ohne, dass er dem Zwang nachgibt. Durch diese bewusste Erfahrung gewinnt er ein Stück weit die Kontrolle über sein Verhalten zurück.
Zu Beginn der Therapie dauert es allerdings eventuell mehrere Stunden, bis sich dieser Effekt einstellt. Zur Bewältigung von Zwangsgedanken werden die Patienten dazu aufgefordert, die unangenehmen Gedanken zuzulassen. Denn das Unterdrücken führt dazu, dass diese noch häufiger auftreten.
Wenn sich die Betroffenen darauf einlassen und sich direkt mit den Gedanken auseinandersetzen, sind sie in der Lage, ihre Zwänge zu besiegen. Außerdem erklärt der Verhaltenstherapeut dem Patienten, wie Zwänge entstehen, und hilft ihm, ungünstige gedankliche Muster zu verändern.
Unterstützend wirken Methoden zum Stressabbau wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung oder ein Achtsamkeitstraining.
Medikamentöse Behandlung
Bei der Behandlung mit Medikamenten haben sich vor allem jene Mittel durchgesetzt, die positiv auf die Stimmung wirken. Eine besonders gute Wirkung zeigen dabei Antidepressiva, die auf den Neurotransmitter Serotonin einwirken, sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.
Einem großen Teil der Zwangserkrankten helfen sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) - eine spezielle Gruppe von Antidepressiva. Sie müssen in der Regel deutlich höher dosiert werden als bei der Behandlung von Depressionen. Durch die Einnahme von SSRI verringert sich bei den meisten Betroffenen die innere Anspannung. Die Zwangssymptome lassen nach.
Sie verschwinden aber meist nicht komplett und kehren nach Absetzen der Medikamente verstärkt wieder zurück. Eine begleitende kognitive Verhaltenstherapie ist daher immer zu empfehlen.
Die rein medikamentöse Therapie verspricht zwar eine recht zügige Besserung, doch treten die Zwänge eventuell nach Absetzen des Arzneimittels sehr bald wieder auf. Deshalb sollte eine Kombination von Medikamenten und Psychotherapie angewandt werden.
Selbsthilfegruppen
Die Selbsthilfe bei einer Zwangsstörung stellt einen wichtigen ergänzenden Baustein in der Behandlung einer Zwangsstörung dar. Zum einen sind Selbsthilfezentren oftmals für Betroffene ein erster Anlaufpunkt für eine Beratung. Sie helfen, bei der Aufklärung des Erkrankten mitzuwirken und so einen adäquaten Umgang mit der Störung zu fördern.
Zum anderen spielen Selbsthilfegruppen eine Rolle dabei, nach einer Behandlung Rückfälle zu vermeiden. Zudem eignet sich Selbsthilfeliteratur als Mittel zur eigenen Unterstützung.
Tipps für Angehörige
Eine Zwangsstörung ist nicht nur für den Patienten eine Belastung, sondern auch für alle, die mit ihm zusammenleben. Die zeitaufwendigen Zwangshandlungen gehen zulasten der Partner und Familie. Mitunter wird ihnen sogar abverlangt, sich dem Zwang zu unterwerfen, indem sie beispielsweise ebenfalls überzogene Hygieneregeln einhalten.
Folgende Tipps sind hilfreich für Angehörige, um mit der schwierigen Situation fertig zu werden:
- Das Zwangsritual lässt sich vom Patienten willentlich nur begrenzt und mit großem Kraftaufwand kontrollieren. Die Aufforderung, sich zusammenzureißen, sowie Diskussionen über die Sinnlosigkeit des Tuns helfen daher nicht weiter. Das einzig wirklich Hilfreiche ist eine Therapie.
- Ermutigen Sie daher den Betroffenen, sich therapeutische Hilfe zu suchen.
- Unterstützen Sie den Betroffenen nicht in seinem Ritual. Helfen Sie ihm beispielsweise nicht, vor dem Verlassen des Hauses sämtliche Elektrogeräte zu kontrollieren oder Dinge für ihn zu zählen, um ihn zu beruhigen. Auf Dauer stabilisieren Sie dadurch nur das Zwangsverhalten.
- Loben Sie ihn für Fortschritte, aber kritisieren Sie ihn nicht, wenn sich die Symptome auch wieder einmal verstärken - beispielsweise, wenn der Betroffene unter Druck steht. Solche Schwankungen in der Symptomstärke sind normal.
- Lassen Sie sich vom Zwang des Betroffenen nicht vereinnahmen. Gehen Sie weiterhin Ihren Hobbys nach, treffen Sie Freunde und versuchen Sie, auch mit dem Zwangserkrankten im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zu unternehmen.
- Setzen Sie dem Betroffenen klare Grenzen für das, was Sie bereit sind, in Kauf zu nehmen, und was nicht.
- Wenn Sie mitunter entnervt und zornig sind (und das ist unvermeidlich!), sollten Sie deutlich machen, dass sich dies auf die Symptome bezieht und nicht auf den Erkrankten selbst.
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