Erste Anzeichen einer Essstörung erkennen

Wenn Jugendliche an Essstörungen erkranken, ist das ein „Hilferuf der Seele“. Denn Essstörungen sind psychische Erkrankungen, die rasch und kompetent behandelt werden müssen. Dieser Artikel erklärt, was Bezugspersonen tun können, um Essstörungen bei Jugendlichen vorzubeugen und wie sie erkrankte Menschen unterstützten können.

Was sind Essstörungen?

Essstörungen sind keine Störungen des Ernährungsverhaltens, die mit „richtigem“ Essverhalten geheilt werden könnten. Sondern sie sind psychische Erkrankungen: Betroffene haben ein verzerrtes Körperbild und beschäftigen sich gedanklich und emotional ständig mit dem Thema Essen. Sie machen ihr Wohlbefinden vom eigenen Körpergewicht abhängig. Ihre Selbstachtung hängt davon ab, wie andere über sie urteilen.

Die Ursachen von Essstörungen sind psychosomatisch. Das heißt, dass seelische Belastungen sich auf das körperliche Verhalten auswirken. Die Betroffenen können Herausforderungen psychisch nicht verarbeiten und versuchen, sie durch ihr Essverhalten zu lösen. Essstörungen werden deshalb auch als „Hilferuf der Seele“ bezeichnet. Es handelt sich um ernst zu nehmende Erkrankungen. Sie sollten unbedingt behandelt werden, da sie schwere gesundheitliche Schäden nach sich ziehen können.

Welche Formen von Essstörungen gibt es?

Es werden drei Hauptformen von Essstörungen unterschieden:

  • Magersucht (Anorexie, Anorexia nervosa)
  • Bulimie (Ess-Brechsucht, Bulimia nervosa)
  • Binge-Eating-Störung (Heißhungerattacken, Binge-Eating-Disorder)

Vorsicht: Bei Essstörungen sind die Übergänge oft fließend. Mischformen kommen auch vor.

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Magersucht (Anorexia nervosa)

Anorexia nervosa tritt gehäuft im Alter zwischen 10 und 25 Jahren auf und betrifft zu 90 bis 95 Prozent Frauen. Laut Richtlinien liegt eine Magersucht vor, wenn das Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter dem BMI von 17,5 liegt. Der Gewichtsverlust wurde selbst herbeigeführt durch Einschränkung der Nahrungsaufnahme, zum Beispiel durch Erbrechen, die Einnahme von Abführmitteln, übertriebene körperliche Aktivitäten oder den Gebrauch von Appetitzüglern. Die Angst, dick zu werden, ist tief verwurzelt, der eigene Körper wird meist als unförmig wahrgenommen (Körperschemastörung). Die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.

Die Krankheit kann zu einer endokrinen Störung führen. Das bedeutet, dass die Hormonproduktion verringert wird und bewirkt bei Frauen ein Aussetzen der Regelblutung, bei Männern den Verlust von sexuellem Verlangen und Potenz. Beginnt die Erkrankung vor der Pubertät, wird die Entwicklung verzögert oder gehemmt. Den Betroffenen ist ständig kalt (Untertemperatur) und sie haben einen niedrigen Blutdruck. Die Patienten haben zudem ein erhöhtes Risiko für Osteoporose.

Mangelndes Selbstwertgefühl und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper gelten als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Anorexia nervosa. Psychische Ursachen, aber auch Gewohnheiten in der Familie sowie biologische und gesellschaftliche Einflüsse spielen ebenfalls eine Rolle.

Bulimie (Bulimia nervosa) - Essen und Erbrechen

Zentrales Merkmal der Bulimie sind Heißhungerattacken, die von Betroffenen nicht mehr kontrolliert oder gesteuert werden können. Sie verspüren ein Verlangen nach Lebensmitteln, die ohne Lust am Essen gierig verschlungen werden. Das Gefühl für Hunger und Sättigung ist oft gestört bzw. verloren gegangen. Gleichzeitig besteht eine krankhafte Angst vor einer Gewichtszunahme. Aus dieser Furcht heraus kommt es zu selbst herbeigeführtem Erbrechen, Fasten, Missbrauch von abführenden Medikamenten oder exzessivem Sport.

Betroffene können leicht untergewichtig, normalgewichtig oder übergewichtig sein - man sieht ihnen die Erkrankung oft nicht an. Das bulimische Verhalten findet meist heimlich statt, und das Erbrechen wird als zunehmend beschämend erlebt.

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Viele Betroffene fühlen sich der Krankheit ohnmächtig ausgeliefert und ekeln sich vor sich selbst. Durch das ständige Erbrechen ist der Elektrolythaushalt gestört, die Speiseröhre erhält Risse, und es kommt zu Zahnschädigungen.

Binge-Eating-Störung (Essanfälle) - Essen außer Kontrolle

Von einer Binge-Eating-Störung spricht man, wenn regelmäßig Essanfälle auftreten. Im Unterschied zur Bulimie werden anschließend keine Gegenmaßnahmen wie Erbrechen, Fasten oder Medikamenteneinnahme ergriffen, um eine Gewichtszunahme zu verhindern.

Diese Essanfälle machen sich bei Betroffenen auch auf der Waage bemerkbar: Sie sind übergewichtig oder adipös. Die Betroffenen spüren einen Kontrollverlust - sie können nicht mehr kontrollieren, was oder wie viel sie essen.

Solche Essanfälle müssen mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg auftreten, damit man von einer Binge-Eating-Störung sprechen kann.

Gut zu wissen: Binge-Eating haftet das Vorurteil an, eine Essstörung mit geringem Krankheitswert und damit geringer Behandlungsbedürftigkeit zu sein - das ist jedoch falsch. Auch diese Essstörung ist bedrohlich und hat unbehandelt ernste Folgen.

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Nicht jeder Übergewichtige leidet automatisch unter einer Binge-Eating-Störung. Adipositas, also krankhaftes Übergewicht bzw. Fettsucht, kann viele andere Ursachen haben, etwa hormonelle Einflüsse oder eine genetische Veranlagung.

Woran erkennt man gestörtes Essverhalten?

Ist das Essverhalten gestört, beeinträchtigt das sowohl das eigene Leben als auch die Beziehung zu anderen Menschen. Ein gestörtes Essverhalten ist noch keine Essstörung - es kann sich auch wieder normalisieren - es ist aber ein Warnsignal und sollte beobachtet werden.

  • Das Essverhalten folgt strengen Regeln: es wird übermäßig kontrolliert, zum Beispiel durch feste Zeiten, Pläne oder strikte Einteilung der Lebensmittel in erlaubte und verbotene Speisen.
  • Das Essverhalten ist chaotisch: Mahlzeiten werden „vergessen“, bzw. keine Zeit dafür eingeplant.
  • Das Essverhalten ist abwechselnd streng strukturiert und dann wieder chaotisch.
  • Essen ist das wichtigste Mittel zur Stressbewältigung bzw. um mit Problemen fertig zu werden.
  • Essen ist stark stimmungsabhängig, zum Beispiel bei Anspannung oder Euphorie wird mehr oder weniger gegessen als sonst.
  • Essen ist stark gewichtsabhängig: Essen wird unter dem Aspekt der Gewichtskontrolle betrachtet. Bereits eine geringe Gewichtszunahme wird mit Angst und Gegenmaßnahmen begegnet.
  • Das Essverhalten kontrolliert die Gedanken.

Essstörungen sind immer Ausdruck seelischer Konflikte, niemals nur schlechte Angewohnheiten

Aus einem gestörten Essverhalten kann sich eine Essstörung mit Krankheitswert entwickeln - vor allem dann, wenn die Betroffenen zusätzlich zu den oben erwähnten Warnsignalen auch eine gestörte Einstellung zu ihrem eigenen Körper entwickeln.

  • Die Zahl auf der Waage bestimmt das Wohlbefinden.
  • Auch Konflikte oder Niedergeschlagenheit führen zu Selbstzweifel am eigenen Körper.
  • Er wird zudem kritisch beobachtet und kontrolliert. Dazu gehören mehrmals tägliches Wiegen, das Abmessen von Armen, Beinen und Taille.

Wie kann Essstörungen vorgebeugt werden?

Besonders Eltern fragen sich häufig, was sie vorbeugend gegen die Entstehung einer Essstörung bei ihren Kindern tun können. Manche möglichen Mitursachen wie zum Beispiel genetische Faktoren lassen sich freilich nicht verändern. Eltern und andere Bezugspersonen können aber auf gewisse Schutzfaktoren achten, um Essstörungen möglichst zu verhindern.

Die beste Vorbeugung gegen die Entwicklung von Essstörungen ist, wenn Jugendliche sich in ihrem eigenen Körper wohl fühlen und ein gesundes Selbstbewusstsein haben. Grundsätzlich sollten Kinder und Jugendliche von ihren Eltern und Bezugspersonen das Gefühl bekommen, vollkommen angenommen und akzeptiert zu werden. Das vermittelt ihnen ein positives Selbstwertgefühl.

Konkret können Eltern außerdem auf folgende Schutzfaktoren achten:

  • Eltern können positive Vorbilder sein, was das eigene Körperbild angeht. Sie sollen ausstrahlen, dass sie ihren Körper so annehmen, wie er ist. In der Familie häufig Diäten zu machen oder sich auf die Waage zu stellen, hat weniger gute Vorbildwirkung.
  • Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern vorleben und erlauben, dass alle Gefühle wichtig sind und gezeigt werden dürfen. In der Familie sollte es außerdem möglich sein, dass jedes Familienmitglied seinen eigenen Interessen und Hobbys nachgeht.
  • Konflikte in der Familie positiv auszutragen, bedeutet, dass jedes Familienmitglied die eigene Meinung sagen kann. Auch wenn jemand verärgert oder enttäuscht ist, ist das von den anderen anzuerkennen.
  • Jugendliche können in der Familie lernen, dass allgemein angepriesene Schönheitsideale wie zum Beispiel „eine Frau muss schlank sein“ kritisch hinterfragt werden dürfen. Das gilt auch für Bilder in Medien und Sozialen Medien.
  • Eltern können darauf achten, dass ihr Kind genügend soziale Kontakte hat. Es soll zum Beispiel eigene Freund*innen mit nach Hause bringen dürfen.
  • Eltern dürfen ihren Selbstwert nicht davon abhängig machen, was sie leisten. Denn Kinder schauen sich ab, was Eltern vorleben. Leistung, zum Beispiel in der Schule, im Beruf oder im Sport, sollte keine große Rolle innerhalb der Familie spielen.

Wie Eltern eine positive Esskultur in der Familie schaffen

Eltern können viel tun, um innerhalb der Familie für eine gute Esskultur zu sorgen. So bekommen Kinder ein positives Verhältnis zum Essen.

  • Eltern können darauf achten, dass Mahlzeiten als Familie gemeinsam eingenommen werden.
  • Beim gemeinsamen Essen soll es möglichst keine Ablenkungen geben. Niemand sollte während des Essens fernsehen, Zeitung lesen, telefonieren oder am Handy spielen.
  • Die Atmosphäre beim Essen soll freundlich sein. Kinder sollten nicht gezwungen werden, aufzuessen. Außerdem sollten sie nicht mit Essen belohnt oder bestraft werden.
  • Eltern können darauf achten, dass das Essverhalten in der Familie ausgewogen ist. Es soll nichts verboten werden und auch Süßes darf in den Speiseplan integriert werden.

Wie können Bezugspersonen mit Essstörungen umgehen?

Eltern, Lehrkräfte, Mitschüler*innen, Freund*innen und andere Bezugspersonen spielen eine große Rolle im Umgang mit Essstörungen bei Jugendlichen. Erstens können aufmerksame Mitmenschen die Anzeichen einer Essstörung erkennen, was der erste Weg zur Behandlung ist. Zweitens können Angehörige eine wichtige Stütze für erkrankte Menschen sein.

  • Sprechen Sie am besten unter vier Augen mit dem betroffenen Menschen. Suchen Sie dafür einen neutralen Ort aus, aber keine Situation, in der Sie beide etwas essen. Ein Spaziergang eignet sich gut.
  • Verhalten Sie sich beim Reden natürlich, freundlich und Ihrem Gegenüber zugewandt. Sagen Sie der Person, dass Sie sich Sorgen machen. Verwenden Sie bevorzugt „Ich-Sätze“: Formulieren Sie zum Beispiel „Ich mache mir Sorgen, weil …“ oder „Mir fällt auf, dass …“.
  • Stellen Sie Fragen und hören Sie aufmerksam zu, welche Antworten kommen.

Wie erhalten betroffene Jugendliche und Angehörige die passende Hilfe?

Jugendliche, die an einer Essstörung leiden, benötigen professionelle Hilfe. In einer Psychotherapie sprechen sie in vertrauensvoller Atmosphäre über ihre herausfordernde Situation. Das ist sehr wichtig, da eine Essstörung eine psychische Erkrankung ist, deren Ursache große seelische Belastungen sind. Idealerweise wird die Psychotherapie medizinisch begleitet. Auch Angehörige von Betroffenen einer Essstörung können sich an Beratungsstellen werden.

Erste und spezialisierte Anlaufstelle kann die Hotline für Essstörungen in der Wiener Gesundheitsförderung - WiG sein. Sie informiert auch über stationäre und ambulante Einrichtungen in Wien zur Behandlung von Essstörungen.

Das sind die häufigsten Störungen des Essverhaltens

  • Magersucht - Anorexia Nervosa: Bei dieser Art der Essstörung fühlen sich betroffene Menschen viel zu dick. Dieses Gefühl haben sich auch dann noch, wenn sie schon stark untergewichtig sind. Sie haben Angst vor einer Gewichtszunahme und hungern. Dadurch suchen sie nach Selbstbestätigung, sind aber oft einsam und entwickeln Zwänge.
  • Ess-Brech-Sucht - Bulimia Nervosa: Dabei wechseln sich Essanfälle mit Hungerphasen ab. Oft erbrechen Betroffene direkt nach dem Essen, um die Nahrung wieder aus dem Körper zu bekommen. Sie empfinden sich selbst als wertlos und leer, obwohl andere Menschen sie als selbstbewusst wahrnehmen. Ihre Erkrankung verheimlichen sie meistens.
  • Esssucht - Binge Eating Disorder: Betroffene dieser Essstörung bekommen immer wieder Essanfälle und haben dabei das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Durch das übermäßige Essen versuchen sie, mit belastenden Gefühlen klarzukommen oder eine „innere Leere“ zu füllen. Zumeist schämen sie sich und erzählen niemandem von ihrem Essverhalten.

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