Depression und Demenz gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im höheren Lebensalter. Rund ein Viertel der über 65-Jährigen leiden an psychischen Störungen im weitesten Sinne, wobei depressive Syndrome ca. 20% ausmachen. Mit steigender Lebenserwartung werden die Gesundheitsprobleme der älteren Bevölkerung immer bedeutsamer.
In Österreich lag die Lebenserwartung 2023 bei 84,2 Jahren (Frauen) bzw. bei 79,4 Jahren (Männer). Frauen sind häufiger von Depression betroffen als Männer. Das mit einer Depression eng verknüpfte Suizidrisiko steigt im Alter stark an, besonders bei Männern ab 70 Jahren. Ab dem 75. Lebensjahr ist das Suizidrisiko etwa doppelt so hoch, ab dem 85. Lebensjahr im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung dreimal so hoch.
Die beiden Krankheitsbilder sind zudem wechselseitige Risikofaktoren für das Auftreten jeweils anderer Erkrankungen: Etwa jede fünfte Person mit Demenz leidet auch an einer depressiven Störung.
Altersdepression: Eine unterschätzte Erkrankung
Wenn Menschen ab 65 Jahren an einer Depression leiden, sprechen Mediziner von einer Altersdepression. Sie ist neben der Demenz die häufigste psychische Erkrankung bei älteren Menschen.
Bei manchen Betroffenen entwickelt sich die Depression schon in jüngeren Jahren und setzt sich dann im Alter fort. In anderen Fällen tritt die Krankheit erstmals im höheren Alter auf. Frauen sind - sowohl im jüngeren als auch im höheren Alter - stärker gefährdet, depressiv zu werden, als Männer.
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Durch den wachsenden Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft werden auch Depressionen im Alter in den kommenden Jahren zunehmen.
Ursachen und Risikofaktoren
Eine Altersdepression ist typischerweise eine unterschwellige Depression, die von somatischen Beschwerden kaschiert wird. Auf biochemischer Ebene kommt es zu einem zunehmenden Mangel an Noradrenalin, Serotonin und Dopamin und dadurch zu einer verminderten Stimmungsregulation des ZNS. Zudem wird ein reduzierter Spiegel von BDNF (brain-derived neurotropic factor) als biochemischer Marker für Depressionen diskutiert. BDNF ist ein neuronaler Wachstumsfaktor und wichtig für die plastische Ausbildung von Gedächtnisverbindungen.
Auch psychosoziale Faktoren scheinen bei der Entstehung einer Altersdepression bedeutsam zu sein. Oft führen Vereinsamung, Einbußen der Autonomie oder schmerzhafte Verluste zu einem Gefühl von Hilflosigkeit und Sinnlosigkeit.
Risikofaktoren für Altersdepression sind weibliches Geschlecht, negative Lebensereignisse, somatische Erkrankungen, Behinderungen, Institutionalisierung, geringe soziale Netzwerke und Unterstützungen, zerebrale organische Komponenten, wie zerebrovaskuläre Läsionen und Hirnatrophien, sowie depressiogene Medikamente. Darüber hinaus sind frühere psychiatrische Erkrankungen, positive Familienanamnese, geringer Bildungsgrad, Persönlichkeitsfaktoren, Alkohol-, Nikotinabusus sowie psychosoziale Faktoren als Risikofaktoren dokumentiert.
Die Altersdepression ist eine resignative Hingabe im Angesicht der kommenden Multimorbidität, der zahlreichen Verlusterlebnisse sozialer, körperlicher und kognitiver Natur und der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit.
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Symptome
Die Altersdepression kann sich jedoch in einem sehr heterogenen Spektrum zeigen, was ein frühes Erkennen der Erkrankung oft erschwert. Ältere Patient:innen sprechen psychische Problem seltener an als jüngere; ihre Beschwerden machen sich oft in Form von körperlichen Symptomen bemerkbar. So kommt es z. B. zu einer erhöhten Klagsamkeit über körperliche und vegetative Symptome, kognitiver Leistungsverlust mit Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Antriebsmangel und Schlafstörungen dominieren.
Verwendet man Depressionsskalen mit vielen somatischen Symptomen anstatt emotional depressiven Symptomenskalen, so steigt die Prävalenzrate über zehn Prozent an. In Institutionen werden Prävalenzraten von über 40 Prozent erreicht. Eine Korrelation der Depression findet sich mit Mobilitätsreduktion (OR=2,9), leichter kognitiver Beeinträchtigung (OR=2,1), Visusreduktion (OR=1,7), Presbyakusis (OR=1,4) und Rauchen (OR=1,6).
Diagnostische Herausforderungen
Bei älteren Menschen stellt die Abgrenzung einer Depression von einer Demenz oft eine diagnostische Schwierigkeit dar. Beide Erkrankungen gehen im Alter häufig mit kognitivem Leistungsabfall, sozialer Isolation und Interessensverlusten einher. Eine Atrophie des Hippocampus findet man sowohl bei depressiven Störungen als auch bei einer Alzheimer-Demenz. Außerdem können Depressionen und Demenzen auch nebeneinander oder überlappend auftreten. Bei etwa 30-50 % der Patient:innen mit Alzheimer-Demenz liegen zusätzlich depressive Symptome vor. Besonders häufig treten diese im Prodromalstadium auf.
Die Art, wie sich die Depression äußert, kann jedoch bei Demenz-Patient:innen von den klassischen Symptomen abweichen. Es stehen oft erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen und somatische Symptome im Vordergrund.
Andererseits können auch Demenz-Symptome wie Erinnerungslücken, Denkstörungen und Apathie auf eine Depression hinweisen. Bei älteren Personen kommt es im Rahmen einer Depression oft zu einer Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten, zu Vergesslichkeit und Orientierungslosigkeit. Wenn es bei einer Depression zu ausgeprägten kognitiven Defiziten kommt, spricht man auch von einer „Pseudodemenz“.
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Insgesamt sind Demenz und Depression im Alter wechselseitige Risikofaktoren. Bereits leichtere depressive Symptome können eine bestehende Demenzerkrankung signifikant verschlechtern.
Behandlungsmöglichkeiten
Zur Behandlung einer Depression stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Zu wesentlichen Therapiemaßnahmen zählen vor allem Medikamente, meist sogenannte Antidepressiva, und Psychotherapie. In jedem Fall erfolgt eine Aufklärung über die Erkrankung.
Sowohl zur Therapie einer Altersdepression als auch zur Behandlung von depressiven Symptomen im Rahmen einer Demenzerkrankung gibt es vereinfacht gesagt zwei Möglichkeiten: die medikamentöse Behandlung und die Psychotherapie. Besonders ältere Menschen mit depressiven Symptomen scheinen von einer adäquaten Psychotherapie zu profitieren. Ein multimodales Therapiekonzept aus einer Kombination von medikamentöser Behandlung, Psychotherapie und kognitivem Training ist von Vorteil.
Medikamentöse Behandlung
Sogenannte Antidepressiva sind Medikamente gegen Depressionen, denen ein ähnliches Prinzip zugrunde liegt. Diese sollen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen die Konzentration von sogenannten Neurotransmittern im Gehirn, vor allem von Serotonin bzw. Noradrenalin oder Dopamin, erhöhen.
Für die Arzneimitteltherapie sollten neuere Antidepressiva wie Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI: Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Sertralin) oder Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI: Duloxetin, Venlafaxin) eingesetzt werden. Auch der Einsatz von Antidepressiva bei Demenz mit depressiven Episoden hat sich als wirksam erwiesen.
Trizyklische Antidepressiva sollten in der Therapie der Altersdepression sowie der Demenz mit depressivem Syndrom wegen der anticholinergen Nebenwirkungen vermieden werden. Insgesamt ist es wichtig, bei älteren Personen in der Dosierung niedrig zu starten und längere Aufdosierungsintervalle zu planen. Besonders bei multimorbiden Patient:innen ist die Beachtung der individuellen Nebenwirkungen der jeweiligen Antidepressiva erforderlich.
Es dauert ungefähr 14 Tage, bis Antidepressiva wirken. Nach ungefähr drei bis vier Wochen rechnet man mit der vollen Wirkung. Dann bespricht die Ärztin oder der Arzt mit der betroffenen Person, ob die Symptome weniger geworden sind. Studien zeigen, dass Antidepressiva Beschwerden einer Depression lindern und Rückfälle verhindern können. Jedoch wirken sie nicht bei allen Betroffenen gleich gut. Ein Teil hat weiterhin Beschwerden.
Bei der Behandlung einer Depression können auch andere Medikamente als Antidepressiva zum Einsatz kommen. Auch Benzodiazepine oder Antipsychotika können zur Anwendung kommen. Zum Beispiel zur Beruhigung oder bei einer Psychose im Rahmen einer Depression.
Ihre Ärztin oder Ihr Arzt klärt Sie über die Wirkung, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie Nutzen und Risiko der Medikamente auf.
Psychotherapie
Es gibt unterschiedliche Methoden der Psychotherapie. Eine Psychotherapie kann einzeln, in der Gruppe oder auch als Paartherapie erfolgen.
In einer Psychotherapie werden Depressionen und ihre Begleiterscheinungen in Gesprächen und Übungen mit einem Therapeuten behandelt. Das hat sich auch bei einer Depression im Alter als wirksam erwiesen. Gegebenenfalls wird das therapeutische Vorgehen an individuelle Besonderheiten angepasst. So bekommen etwa Patienten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, oft die Möglichkeit, dass der Psychotherapeut zu ihnen kommt oder die Psychotherapie-Sitzungen online abgehalten werden.
Weitere Therapieansätze
Bei der Behandlung einer Depression können auch Ergotherapie oder Musiktherapie zum Einsatz kommen.
- Elektrokonvulsionstherapie (EKT): Bei der Elektrokonvulsionstherapie, kurz EKT oder auch Elektrokrampftherapie genannt, erfolgt in einer Kurznarkose eine Verabreichung von Stromimpulsen über Elektroden an der Kopfhaut. Dies führt zu einem Krampfanfall.
- Repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Bei der repetitiven Transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) wird eine Spule an die Kopfhaut angelegt. Diese erzeugt elektromagnetische Impulse, die wiederholt verabreicht werden. Dafür ist keine Betäubung bzw. Narkose notwendig.
- Bewegungstherapie und sporttherapeutische Maßnahmen: Neben Bewegungstherapie hat sich vor allem Sport in der Gruppe als sporttherapeutische Maßnahme bewährt.
- Musiktherapie: Bei der Musiktherapie kommen musikalische Mittel zum Einsatz.
- Lichttherapie: Bei Depressionen, die einen Zusammenhang mit den Jahreszeiten zeigen, empfehlen Fachleute mitunter Lichttherapie. Diese hat das Ziel, den Spiegel der Hormone Serotonin und Melatonin zu regulieren. Am häufigsten kommt bei der Lichttherapie ein Licht von hoher Lichtstärke zum Einsatz.
- Schlafentzugstherapie: Diese findet in einem Krankenhaus auf einer Station oder in einer spezialisierten Ambulanz statt. Dabei kommt es zu einem Schlafentzug über die ganze Nacht oder in der zweiten Nachthälfte.
Behandlungsverlauf
Die Behandlung verläuft nicht immer nach einem bestimmten Schema. Es kann sein, dass die Ärztin oder der Arzt im Verlauf der Behandlung eine Anpassung der Maßnahmen vorschlägt.
- Akuttherapie: Diese dient u.a. der Linderung des Leidensdrucks, der Behandlung der Symptome, Wiederherstellung der beruflichen sowie psychosozialen Leistungsfähigkeit sowie sozialer Teilhabe.
- Erhaltungstherapie: Nach einer Akuttherapie erfolgt eine weiterführende Einnahme der Medikamente über vier bis neun Monate bzw. Weiterführung bei Psychotherapie.
- Rückfall-Vorbeugung: Vor allem bei einem hohen Risiko eines Rückfalls bzw. eines chronischen Verlaufs rät die Ärztin oder der Arzt zu einer Rückfall-Vorbeugung. Diese kann mehrere Jahre andauern.
Was kann ich selbst tun?
Es kann schwer sein, sich zu überwinden, Hilfe zu suchen. Ein strukturierter Tagesablauf unterstützt im Alltag. Ihre Ärztin oder Ihr Arzt bzw. Auch für Angehörige kann es sehr schwer sein, wenn ein nahestehender Mensch an einer Depression erkrankt. Depressionen eines Elternteils können etwa Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern haben.
Wohin kann ich mich wenden?
Erste Anlaufstelle ist oft der Hausarzt bzw. die Hausärztin. Von dort werden Sie zu einer:m Psychiater:in überwiesen werden, denn die Behandlung einer Depression gehört in die Hand der Fachärztin oder des Facharztes.
Überblick ausgewählter Antidepressiva
Gruppe | Arzneistoff | Standardtagesdosis | HWZ | Nebenwirkungen |
---|---|---|---|---|
SSRI | Citalopram | 20-40 mg | 36 h | • Schlaflosigkeit • Gastrointestinale Störungen • Schwindel • Thrombozytenaggregationshemmung |
SSRI | Escitalopram | 10-20 mg | 30 h | siehe Citalopram |
SSRI | Fluoxetin | 20-60 mg | 4-6 Tage | siehe Citalopram |
SSRI | Sertralin | 50-200 mg | 26 h | siehe Citalopram |
SSNRI | Duloxetin | 60-120 mg | 8-17 h | • Schlaflosigkeit • Palpitationen • Blutdruckanstieg • Übelkeit • Miktionsstörungen |
SSNRI | Venlafaxin | 75-375 mg | 5 h | siehe Duloxetin |
Trizyklisches Antidepressivum | Imipramin | 50-150 mg | 12 h | • Mundtrockenheit • Obstipation • Tachykardie • Desorientiertheit • Gedächtnisstörungen |
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