Autismus ist eine besondere Form der Wahrnehmung. Menschen im Autismus-Spektrum nehmen ihre Umwelt anders wahr und haben Schwierigkeiten damit, das Verhalten anderer zu verstehen und soziale Situationen zu interpretieren. Auch wenn sich die autistischen Symptome bei jedem Menschen anders und in unterschiedlichen Ausprägungen ausdrücken, gibt es eine Gemeinsamkeit: Menschen im Autismus-Spektrum nehmen ihre Umwelt anders wahr.
Das Autismus-Spektrum verstehen
Autistische Menschen unterscheiden sich oft stark voneinander. Manche Betroffene können arbeiten gehen, sind verheiratet, andere wiederum müssen ein Leben lang begleitet werden. Experten sprechen von einem Autismusspektrum. Die Bandbreite reicht von Menschen mit Lernschwierigkeiten bis zu hoch intelligenten Menschen mit Spezialkenntnissen.
Noch gibt es eine Unterteilung in Typen, etwa in frühkindlichen und Asperger Autismus. Diese Trennung wird verschwinden, künftig wird in Fachkreisen nur noch vom Autismusspektrum die Rede sein, sagt Psychologin Sonja Metzler, Leiterin des Diagnostik- und Therapiezentrums der Österreichischen Autistenhilfe.
Unterschiedliche Autismus-Formen
- Frühkindlicher Autismus: Bei frühkindlichem Autismus ist die Sprachentwicklung auffällig verzögert, einige sprechen gar nicht. Ein Großteil der Kinder mit frühkindlichem Autismus hat kognitive Beeinträchtigungen.
- Asperger-Autismus: Asperger-Autisten können sich hingegen sprachlich meist schon sehr früh gewählt ausdrücken, aber auch sie tun sich schwer, soziale Signale zu interpretieren. Ironie und Sarkasmus erkennen sie oft nicht, sie sind aber Expert/innen bei ihren Spezialinteressen.
Herausforderungen im Alltag
Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung empfinden ihre Umwelt oft als chaotisch und unvorhersehbar. Sie haben große Schwierigkeiten damit, sich flexibel an neue Situationen und Abläufe anzupassen und sich adäquat zurechtzufinden. Daher ist ihr Alltag oft anstrengend, ermüdend und belastend.
Ein wesentlicher Punkt im Umgang mit autistischen Personen ist die Herausforderung, die soziale Interaktionen und Kommunikation mit anderen Menschen darstellen. Es fällt ihnen schwer, soziale Situationen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Auch Empfindlichkeiten gegenüber Reizen und Routinen können im Alltag mit Autismus große Rollen einnehmen.
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Viele autistische Kinder suchen wenig Kontakt zu anderen, Blickkontakt aufzunehmen fällt oft schwer, ebenso wie Mimik und Gestik des Gegenübers zu interpretieren. Das Gefühl nicht verstanden zu werden, kann zu Aggressionen gegenüber anderen oder sich selbst führen.
Häufige Ursachen von Stress
- Sozialkontakte werden meist als am stärksten anstrengend empfunden.
- Veränderungen, insbesondere solche, über deren Sinn und Zweck man nicht bereits im Vorfeld informiert war.
- Schwierigkeiten und Missverständnisse, z. B. im kommunikativen Bereich.
- Unverständnis und Hänseleien seitens der Umgebung.
- Ungenügende psychosoziale Hilfen bei gleichzeitiger Realisierung des Hilfebedarfs.
- Die zunehmende Verdichtung von Sinnesreizen auch in der Freizeit durch Einkaufszentren, Bahnhöfe etc., aber auch durch soziale Medien.
- Eigene Persönlichkeitsmerkmale wie Perfektionismus oder die mangelnde Fähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen und Aufgaben an sie zu übertragen.
Man muss es sich vorstellen wie ein anhaltendes Aufeinanderprallen unterschiedlicher Reize. Damit unser Gehirn nicht von den vielen verschiedenen Reizen überlastet wird, werden unwichtige Reize normalerweise unbewusst herausgefiltert, bevor sie überhaupt unser Bewusstsein erreichen. Menschen im Autismus-Spektrum haben mit dieser unbewussten Reizfilterung meist große Schwierigkeiten.
Ironie, Witze und Sarkasmus, Anspielungen, Redewendungen werden nicht erfasst, Ausdrücke wortwörtlich gemeint. Menschen im Autismus-Spektrum finden es schwierig, die Gedanken, Gefühle oder Handlungen anderer einzuschätzen und zu interpretieren. Wenn man sich stark auf das Ticken der Uhr konzentriert, nimmt man es ganz intensiv wahr, wenn man währenddessen etwas anderes tut, schaltet das Gehirn dieses Geräusch mit der Zeit ab. Anders ist es bei Menschen im Autismus-Spektrum.
Spezifische Verhaltensweisen
- Repetitive/stereotype Verhaltensweisen: Darunter versteht man bestimmte Handlungen, die immer wieder (auf dieselbe Art und Weise) wiederholt werden. Manche Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung zeigen auffällige Körperbewegungen, wie zum Beispiel mehrmaliges Flattern mit Armen oder ein Schaukeln des Oberkörpers. Außerdem bevorzugen sie fixe Abläufe und Strukturen, die für andere nicht immer Sinn ergeben.
- Spezialinteressen: Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung entwickeln oft ein großes Interesse an bestimmten Themen oder Objekten. Damit beschäftigen sie sich sehr intensiv und ungewöhnlich lange.
Strategien zur Bewältigung von Stress- und Krisensituationen
Viele autistische Menschen entwickeln im Laufe der Zeit zahlreiche Strategien, um ihren Alltag so gestalten zu können, wie es für sie gut ist. Natürlich ist es aber wichtig, in jedem Einzelfall individuell passende Hilfen auszuwählen.
Wichtige Maßnahmen zur Stressbewältigung
- Vermeidung: Schwierige Situationen, die für den betroffenen Menschen eine Überforderung bedeuten, werden oft so weit wie möglich vermieden.
- Rückzug: Der soziale Rückzug als eine besondere Form der Vermeidung spielt eine sehr große Rolle. Die ständige Anwesenheit anderer Menschen bedeutet für viele Betroffene eine massive Überforderung, sie benötigen häufige Phasen des Alleinseins, um sich erholen und entspannen zu können.
- Wohlwollende Bezugspersonen: Aktivitäten mit Bezugspersonen, die auf die Besonderheiten der Betroffenen Rücksicht nehmen, sind sehr wichtig.
Was hilft nun Menschen im Autismus-Spektrum dabei, gut durch den Alltag zu kommen? Struktur schaffen ist wichtig. Sprache allein reicht nicht aus, es hilft hier, visuell zu unterstützen, also mit Bildern zu arbeiten. „So kann Kinder im Autismus-Spektrum die Pausenzeit beispielsweise überfordern, weil sie nicht strukturiert abläuft.“
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Bilder oder Gegenstände werden verwendet, um in Form eines Tagesplans Aktivitäten oder Aufgaben in der Reihenfolge abzubilden, in der sie gemacht werden sollen. „TEACCH“, ein pädagogischer Ansatz, der Aufgaben im Alltag visualisiert und nachvollziehbar macht, kann eine mögliche Abhilfe sein.
Auch Entspannungsmomente, Musik oder ein Spaziergang in der Natur sind Möglichkeiten des Rückzugs bei einer Reizüberflutung. Denn, so Erda: „Das Leben mit Autismus wird eine Herausforderung bleiben, aber wenn man in diese besondere Form der Wahrnehmung eintaucht, wird vieles verständlich.
Im Umgang mit Autist:innen gibt es laufend falsche Zuschreibungen, wenig Wissen, dafür viel Mitleid und große Unsicherheit. Es ist wichtig, das autistische Verhalten besser zu verstehen. Verständnis und Akzeptanz für Menschen mit Autismus sind entscheidend und können zu mehr Unterstützung führen.
Unterstützungsangebote in Österreich
Generell sind Unterstützungsangebote für Menschen mit Autismus in Österreich je nach Bundesland sehr unterschiedlich, etwa was Zuschüsse für Therapien oder die Förderung für Fachassistenz an Kindergärten und Schulen angeht.
In Österreich entstanden und entstehen laufend neue Angebote: So hat die Diakonie de la Tour in Klagenfurt im Sommer 2018 die kostenlose Beratungsstelle "Mias" für Menschen mit Asperger-Syndrom gestartet. Die Autistenhilfe Tirol plant eine Beratungsstelle zu eröffnen, es soll auch ein Kompetenzzentrum mit Therapieangeboten entstehen. Zurzeit findet zum zweiten Mal an der privaten Universität UMIT in Hall in Tirol ein berufsbegleitender Lehrgang für die Begleitung von Menschen mit Autismus statt.
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Auch in Salzburg hat sich 2018 einiges getan: So eröffnete ein psychosoziales Versorgungs- und Beratungszentrum in Salzburg Stadt und es gibt eine neue intensivierte Autismus-Therapie am Lebenshilfe-Ambulatorium. Das Autismuszentrum Sonnenschein befindet sich noch in den Räumlichkeiten des dortigen Ambulatoriums. Im Herbst bekommt es ein neues Zuhause.
Das dänische Unternehmen Specialisterne, zu Deutsch "Die Spezialisten" gibt es seit 2011 auch in Österreich. Es unterstützt Asperger-Autisten und Autistinnen dabei, einen Arbeitsplatz zu finden.
Auch im Bereich Wohnen hat sich für Menschen mit Autismus einiges getan. Früher waren Betroffene häufig in großen Wohnhäusern untergebracht, neuerdings setzen Träger auf kleinere Wohneinheiten. In Oberösterreich entstanden im Jahr 2018 zwei Wohnhäuser.
Behandlung und Therapie
Die Wahl des richtigen Therapieansatzes ist unter Experten und Betroffenen durchaus umstritten. Bekannt sind etwa Verhaltenstherapien wie ABA oder das pädagogische Konzept Teacch. In den Therapien wird viel mit Visualisierung gearbeitet. "Man versucht, Ziele in ganz kleinen Schritten zu erreichen, individuell auf das Kind abgestimmt.", sagt Metzler. Auch am Sozialverhalten wird gearbeitet.
Je früher Therapien ansetzen, desto besser. Ziel ist es, Kommunikation, Sprache und soziale Interaktion zu fördern.
Mögliche Therapieformen
- Verhaltenstherapie
- Logopädie
- Psychotherapie
Statistiken
In Österreich leben Schätzungen zufolge über 80.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Autismus.
Generell sind Buben häufiger betroffen als Mädchen. Neuere Studien gehen von einem Verhältnis von circa 2-3:1 zugunsten des männlichen Geschlechts aus.
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