Was verbindet Robbie Williams mit steinzeitlichen Höhlenmalern? Sowohl der britische Pop-Star als auch die Künstler aus der Urzeit stehen unter Verdacht, Autisten zu sein. Im einen Fall freilich handelt es sich um eine Vermutung des Popsängers selbst, der bereits mit Depressionen, Angstzuständen und Suchtproblemen zu kämpfen hatte. Heute glaubt er, dass ein Asperger-Syndrom oder eine andere Form von Autismus dahinter stecken könnte: "Ich weiß nicht genau, was davon - aber irgendetwas habe ich", sagte er im Gespräch mit BBC Radio 2. Im anderen Fall handelt es sich um eine Vermutung der Nachwelt: Denn die steinzeitlichen Tierabbildungen in der Chauvet-Höhle in Frankreich sind zutiefst beeindruckend.
Und es stellt sich die Frage, wie archaische Menschen damals so detailreiche Kunstwerke schaffen konnten. Eine Theorie geht nun davon aus, dass sie autistisch waren.
Zunehmende kulturelle Repräsentation
"Das wirklich Kreative braucht einen Schuss Autismus. Damit Neues entsteht, dazu muss man alleine sein, sich abschotten können", sagt Maria Asperger Felder, auf Autismus spezialisierte Fachärztin für Kinder-und Jugendpsychiatrie in Zürich, in der Wiener Zeitung. Sie ist die Tochter von Hans Asperger, der in Wien ein Pionier der Autismus-Forschung war. Und bereits vor Jahrzehnten hat der Wiener Kinderarzt darauf hingewiesen, dass autistische Kinder oft ein großes Kunstverständnis haben.
Seine Biografie ist vor Kurzem kritisch beleuchtet worden: Der Zeithistoriker Herwig Czech hat seine Rolle während der NS-Zeit unter die Lupe genommen und u. a. gezeigt, dass Asperger als fachärztlicher Gutachter in den Prozess der Selektion am Wiener Spiegelgrund involviert war, wo Kinder der Euthanasie zugeführt wurden. Das ändert aber nichts an seiner wegweisenden wissenschaftlichen Arbeit. Auch ein anderer österreichischer Arzt, Leo Kanner, hat in diesem Feld Pionierarbeit geleistet.
Was aber ist Autismus?
Experten sprechen daher vom Überbegriff einer Autismus-Spektrum-Störung: Am einen Ende steht das Asperger-Syndrom mit teils überdurchschnittlicher Intelligenz und fließendem Übergang zur Normalität, am anderen Ende der frühkindliche Autismus mit oft schwerer Mehrfachbehinderung. Das Asperger-Syndrom ist nur ein Teil dieser Störung, die ganz unterschiedliche Formen annehmen kann.
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Autismus ist eine genetisch bedingte Entwicklungsstörung; die beteiligten Gene konnte man bisher nicht identifizieren. Möglicherweise tragen auch Umweltfaktoren wie zum Beispiel Pflanzenschutzmittel, Weichmacher oder manche Medikamente zur Entstehung bei. Die Störung besteht lebenslang, die Beeinträchtigungen lassen sich aber durch gezielte Maßnahmen deutlich verbessern.
Entgegen gängigen Spekulationen gehen Forscher davon aus, dass Autismus in letzter Zeit nicht zugenommen hat - sehr wohl aber die Diagnosen. Dies ist etwa auch dadurch bedingt, dass Autismus in Filmen ("Rain Man" etc.) und anderen kulturellen Produkten thematisiert wird und so ein zunehmend populärer Begriff geworden ist. Für manche Betroffene dient die Bezeichnung "Aspie" (als Kurzform für das Asperger-Syndrom) mittlerweile zur Identifikation und Selbstbehauptung, als Ausdruck von "Neurodiversität" und andere Art der Intelligenz.
Bis zu ein Prozent der Bevölkerung ist von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen.
Allmählich wissen Betriebe, ihre Fähigkeiten zu nutzen. Rund 8000 Menschen gelten hierzulande als Asperger-Autisten.
Doch eine neue Untersuchung kann den Verdacht seines verbrecherischen Mitwirkens an der "Euthanasie" im Nationalsozialismus entkräften. Studien haben Hans Asperger 2018 braune Schmutzflecken auf dem weißen Ärztemantel zugefügt.
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Der Welt-Autismus-Tag am 2. April soll Bewusstsein für ein breites Spektrum rätselhafter Erkrankungen schaffen.
Autismus endet nicht im Kindesalter - er prägt das Leben von Betroffenen in jeder Lebensphase. Gerade im Erwachsenenalter bleiben die spezifischen Herausforderungen jedoch oft unerkannt, was zu Missverständnissen und unbehandelten Belastungen führen kann.
Ein fundiertes theoretisches und praktisches Wissen über das Autismus-Spektrum ermöglicht der Psychotherapie ein tieferes Verständnis der betroffenen Personen. Im Seminar wird grundlegendes Know-how vermittelt, indem aufbauend auf der Vermittlung der theoretischen Grundlagen und neuropsychologischen Besonderheiten spannende Brücken zur psychotherapeutischen Praxis geschlagen werden.
Die unterschiedlichsten Ausprägungen von Autismus-Spektrum-Störungen stellen Pädagog*innen in Kindergärten, Schulen und sonstigen Betreuungseinrichtungen sowie Trainer*innen vor ebenso vielseitige Herausforderungen. Die Bandbreite reicht von der Arbeit mit Personen mit frühkindlichem Autismus und schweren Beeinträchtigungen bis zur Betreuung von Personen mit hochfunktionalem Asperger-Syndrom.
Am 18. Mai 2025 findet bereits zum zweiten Mal eine „relaxed performance“ in einem Musicaltheater der VBW statt: diesmal bei ROCK ME AMADEUS - DAS FALCO-MUSICAL. Für viele von uns entspricht es der Normalität und auch Notwendigkeit, mit unseren Mitmenschen zu kommunizieren. Durch unsere Sprachfertigkeiten teilen wir uns unserem Gegenüber mit und treten so in eine wechselseitige Interaktion. Das Gesagte dabei nonverbal mit bestimmten Gesten, der Mimik oder mit Berührungen zu unterstreichen, gehört unweigerlich zum sprachlichen Austausch dazu.
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Wenn nun aber die Fähigkeiten dahin gehend gestört sind? Das Gesprochene keinen Sinn ergibt, eine Gestik nichts mitteilt, eine Berührung sogar unangenehm ist? Bei Autismus handelt es sich um eine nicht heilbare neurologische Entwicklungsstörung ohne bekannte Ursache, welche von Geburt an besteht, aber noch nicht sogleich zu erkennen ist. Diese Form der Störung macht sich bereits im 1. bis spätestens 3. Lebensjahr bemerkbar und kennzeichnet sich vor allem durch eine atypische und meist verzögerte sprachliche Entwicklung. In manchen Fällen sprechen betroffene Kinder gar nicht, in anderen wiederum kann die Störung dazu führen, dass erworbene Sprachkompetenzen wieder verloren gehen.
Diese Art unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus darin, dass die eben erwähnten Merkmale nicht zur Gänze festgestellt werden können und auch entsprechende Symptome erst nach dem 3. Lebensjahr auftreten. Bei dieser Form von Autismus, welche sich meist erst nach dem 3. Lebensjahr bemerkbar macht, sind keine sprachlichen Einschränkungen gegeben, jedoch Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen Menschen. Feststellbar ist auch eine mangelnde Flexibilität und mitunter kann es zu Verzögerungen in der motorischen Entwicklung kommen.
Im ICD-10 wird auch noch eine vierte Form der Autismus-Spektrum-Störung angeführt, nämlich die nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörung. Im Generellen lässt sich nicht immer eindeutig feststellen, welche Form von Autismus nun tatsächlich zutrifft. Häufig wird deswegen nicht eine bestimmte Variante explizit diagnostiziert, sondern die Merkmale der diversen Arten zum Begriff ‚Autismus-Spektrum-Störung‘ zusammengefasst.
Zunächst werden bestimmte Handlungsweisen damit erklärt, dass Betroffene die Außenwelt als ungeordnet wahrnehmen und deswegen auch Probleme dahin gehend haben, Veränderungen zu bewältigen. Durch stereotype, wiederholende Tätigkeiten versuchen sie, dem ‚Chaos‘, also einer gewissen Dynamik, entgegenzuwirken. Beispielsweise müssen Spielzeuge auf die immer gleiche Art geordnet sein oder das Essen darf ausschließlich auf einem Teller in bestimmter Farbe serviert werden. Auch auffällige Körperbewegungen wie das Schaukeln des Oberkörpers oder das Flattern mit Armen können zutage treten.
Ebenso kennzeichnen ausgeprägte Spezialinteressen die Verhaltensweise von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung: Sie beschäftigen sich beispielsweise immerfort mit Objekten, die eine für sie angenehme Haptik aufweisen, schön anzusehen sind oder bestimmte Geräusche erzeugen.
Des Weiteren reagieren Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung intensiv auf ihre Umgebung, beispielsweise auf bestimmte Reize wie Geräusche oder Stimmen. Daher versuchen sie, unangenehme Wahrnehmungen zu meiden. In manchen Fällen üben entsprechende Reize wenig bis gar keinen Einfluss auf Betroffene aus, sodass zum Beispiel eine Schmerz- oder Kältereaktion nahezu ausbleibt.
Um die individuellen Bedürfnisse zu befriedigen, suchen sie sodann regelrecht nach einer reizauslösenden Situation, indem sie beispielsweise bewusst Nahrungsmittel zuführen, die einen intensiven Geschmack aufweisen, in manchen Fällen auch nicht ess- bzw.
Ein weiteres Merkmal, das eine Autismus-Spektrum-Störung kennzeichnet, ist eine für Betroffene eher schwierige Informationsverarbeitung. So richten sie beispielsweise ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise auf für sie interessante Elemente und haben folglich auch Probleme, in Erfahrung zu bringen, was im Moment tatsächlich von Wichtigkeit ist. Sie formen beispielsweise das Gesagte gedanklich häufig in Bilder um, wodurch sprachliche Informationen nur zum Teil verarbeitet werden. Und auch wegen einer zu großen Fokussierung auf materielle Details ist es ihnen nicht immer möglich, die Gesamtheit wahrzunehmen.
Obwohl Autismus nicht heilbar ist, können die einzelnen Symptome im Zuge einer Therapie verbessert werden. Gemäß den Erläuterungen markieren somit verschiedenste Merkmale unterschiedlicher Ausprägungen - vor allem die Sprache, Wahrnehmung und Informationsverarbeitung betreffend - die Autismus-Spektrum-Störung, welche häufig zu einer Verminderung der allgemeinen Lebensqualität führen. In vielen Fällen treten die Symptome aber auch nur in milder Form auf, sodass der Alltag relativ normal gestaltet werden kann.
Damit wird auch eine Zuordnung der Störung zum Krankheitsbegriff vielfach abgelehnt: „Autismus ist ganz klar keine Krankheit, sondern eine Störung, die dann Krankheitswert bekommen kann, wenn der betroffene Mensch mit den Anforderungen, die auf ihn zukommen, nicht zurechtkommt“18, wie die Schweizer Psychiaterin Maria Asperger Felder erläutert. Und so wird die Autismus-Spektrum-Störung letztendlich als eine besondere Charaktereigenschaft bzw.
Nicht nur Elon Musk und Greta Thunberg gehen offen mit ihrem Autismus um. Bei seinem Outing in der "Saturday Night Live"-Show im Mai diesen Jahres empfand der Erfinder von Space X und Tesla Erklärungsbedarf: "Manchmal poste oder sage ich komische Sachen." Sein Gehirn funktioniere eben so. "Ich habe Elektroautos neu erfunden und schicke Menschen in Raketen zum Mars.
Denn wer außer den betroffenen Menschen, ihren Familien und Therapeut/innen weiß, dass Autismus angeboren und unheilbar ist, aber dass es gute Therapien gibt? Autistische Menschen haben Schwierigkeiten mit sozialen Beziehungen. Bei manchen ist Autismus kaum ausgeprägt, andere richten Aggressionen massiv gegen Mitmenschen und gegen sich selbst. Manche bewegen sich auffällig.
Autistische Menschen brauchen Beständigkeit. Veränderungen im gewohnten Tagesablauf sind irritierend. Autismus ist vielfältig. Mit dem Begriff „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASS) werden verschiedene Erscheinungen zusammengefasst: Menschen mit dem frühkindlichen Autismus, dem „Kanner-Syndrom“, verhalten sich schon als Säuglinge auffällig. Sie können Gesten, ein Lächeln und Worte nicht verstehen und sind eher an Dingen als an Personen interessiert. Menschen mit Asperger-Autismus haben ein eingeschränktes Einfühlungsvermögen und oft ungewöhnliche Interessen.
Laut internationalen Schätzungen ist ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung eines Landes von Autismus betroffen. Das wären in Österreich zirka 87.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Sie sind oft eine Herausforderung für ihr Umfeld. Die Autistenhilfe OÖ hat deshalb ein Ziel: Sie unterstützt autistische Menschen, um sie in die Gesellschaft zu inkludieren.
Deshalb muss Inklusion auch bedeuten, dass man bei Bedarf Kinder / Jugendliche aus Gruppen / Klassen „herausnehmen“ kann, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich entfalten und entwickeln zu können, meint Birgit Kubik, selbst Mutter eines autistischen Sohnes. Gerade für Autisten stellen größere Gruppen meist enorme Herausforderungen dar, die dann schnell zum Problem der gesamten Gruppe / Klasse werden können. Da sei die Politik gefragt, räumliche und personelle Ressourcen für diese Personen zur Verfügung zu stellen.
Menschen aus dem sogenannten Autismus-Spektrum sowie Psychologen und Ärzte betonen, dass Autismus keine Krankheit ist. Vielmehr ist es eine bestimmte Wesensart, welche nicht der Norm entspricht und deshalb im Alltag zwischen „normalen“ Menschen auffällt. Dabei gibt es keine klare Grenze zwischen Autisten und Nicht-Autisten. Es ist ein fließender Übergang aus einem großen Spektrum. Erst die Ansammlung von vielen autistischen Eigenschaften macht jemanden zu einem Autisten, was zirka auf ca.
Was sind typische Anzeichen für Autismus?
Autismus kann viele Ausprägungen annehmen und ist bei jedem Menschen anders. Es gibt allerdings einige Gemeinsamkeiten, welche in irgendeiner Form bei fast jedem Menschen mit Autismus auftreten. Die häufigste Eigenschaft ist, dass solche Mendschen große Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion haben. Autisten verhalten sich seltsam und reagieren häufig unangemessen, weil sie Schwierigkeiten damit haben, nonverbale Signale zu verstehen. Körpersprache, Gestik, Mimik sowie Tonfall sind Fremdsprachen für sie, welche sie erst mühsam erlernen müssen, falls das überhaupt für sie möglich ist. Ein weiteres typisches Anzeichen für Autismus sind stereotype Verhaltensweisen.
Neben zahlreichen Einschränkungen, welche vielfältiger sind, als hier dargestellt werden kann, gibt es allerdings noch einige Vorteile, welche Autismus mit sich bringen kann. Beispielsweise werden Sinneseindrücke anders verarbeitet, was zwar einerseits einige der Probleme verursacht, andererseits Positives - wie eine schärfere Wahrnehmung oder eine außergewöhnliche, innovative Denkweise - mit sich bringen kann.
Autismus kann man nicht im Laufe des Lebens bekommen. Das Gehirn eines Autisten ist von Geburt an erblich bedingt anders strukturiert, was seine Persönlichkeit von Grund auf beeinflusst. Da diese Personen allerdings kein anderes Leben kennen, und neben den vielen Schwierigkeiten auch viele Vorteile von ihren „Eigenheiten“ haben, wollen die meisten gar keine „Behandlung“.
Menschen mit Autismus wurden Jahrzehnte stigmatisiert. Heute gelten sie als Menschen, die in einer komplexen und von Technologie geprägten Welt den Durchblick behalten.
Greta Thunberg geht nicht nur offen mit ihrer Diagnose um. Vielmehr sieht sie ihr Anderssein als Superkraft, wie sie immer wieder in sozialen Medien und Interviews betont. Dadurch könne sie sich beispielsweise ohne große Mühe stundenlang durch Studien und Texte wühlen. Sie versteht die Klimakrise aber nicht nur, sie handelt konsequent danach. „Ich kann diese Doppelmoral der anderen nicht nachvollziehen. Viele sagen, der Klimawandel ist schlimm, machen dann aber trotzdem normal weiter“, sagte die damals 16-Jährige.
Asperger-Syndrom als „Mainstream“
Überdurchschnittlich intelligent, rational distanziert, losgelöst von sozialen Normen, kein gefälliges Lächeln, kein Um-den-heißen-Brei-reden: Laut der Kulturwissenschaftlerin und Publizistin Novina Göhlsdorf verbinden das nicht nur viele Menschen mit Greta Thunberg. So stellen sich heutzutage auch einige den typischen Autisten, die typische Autistin vor. „Mit Thunberg wird eine bestimmte Idee des Autismus zum Mainstream, nämlich die, dass es sich dabei mindestens so sehr um eine Gabe wie um ein Defizit handelt. Diese Vorstellung kam aber nicht erst mit Thunberg auf.“
Göhlsdorf beforschte unter anderem am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften IFK in Wien, welche unterschiedlichen Vorstellungen es von Autismus gab und gibt, etwa in Wissenschaft und Literatur, Alltags- und Popkultur. „Mich interessiert dabei, wie sich der Blick auf Autismus verändert hat und was das wiederum über gesellschaftliche Veränderungen und Debatten verrät.“
Von der Pathologie zum Spektrum
Erstmals aufgetaucht ist der Begriff Autismus um 1907. Damit benannte man zunächst ein Symptom schizophrener Menschen, die angeblich in ihrer eigenen Welt leben und stark von inneren Vorstellungen geleitet werden. Bis zu Greta Thunberg, die heute mit Stolz über ihr Asperger-Syndrom spricht und von vielen gefeiert wird, dauerte es lange.
In den 1940er Jahren wurde Autismus als eigene psychische Erkrankung beschrieben, die ausschließlich Kinder betrifft. „Man sah das Wesen des kindlichen Autismus darin, dass die Kinder vor allem emotional nicht in Kontakt sind mit ihrem Umfeld, dass sie verschlossen bleiben und nicht verständlich ist, was in ihnen vorgeht“, so Göhlsdorf.
Es dauerte noch einmal circa 40 Jahre, bis man erkannte, dass sich Autismus nicht heilen lässt und autistische Kinder zu autistischen Erwachsenen werden. Es waren die 1980er Jahre, als der Großteil der Wissenschaft nicht mehr von einer seltenen und psychoseähnlichen Pathologie spricht. Vielmehr verstand man Autismus von da an allmählich als Störung, die sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann und bei manchen sogar zu kognitiven Höchstleistungen führt.
„Es entstand die Idee des Autismus-Spektrums, die sich heute endgültig durchgesetzt hat. Das heißt, es werden Personen als autistisch diagnostiziert, die keine Verbalsprache verwenden oder alltäglich auf Unterstützung angewiesen sind. Zugleich erhalten aber auch Menschen eine Diagnose, die sich verbalsprachlich artikulieren, selbständig leben und berufstätig sind. Man spricht von niedrigfunktionalem und hochfunktionalem Autismus.“
Computer und Autisten
Beispielsweise kann er sich mit einmal Lesen ein ganzes Telefonbuch merken oder erkennt mit einem Blick, wie viele Streichhölzer zu Boden gefallen sind. „Er wird als Rechenmaschine inszeniert“, lautet ihre Analyse. Zeitgleich betrat, so Göhlsdorf, 1988 mit dem Film „Rain Man“ ein Autist die Kinoleinwand, der nicht nur in seiner eigenen Welt lebt, sondern vor allem auch spektakuläre Begabungen besitzt.
Das hält Göhlsdorf für keinen Zufall. Vielmehr führt die Kulturwissenschaftlerin die Veränderungen in den Vorstellungen über Autismus auch auf technologische Entwicklungen „und deren gesellschaftliche Verhandlung“ zurück. Wurden doch zu dieser Zeit Heimcomputer immer wichtiger für den Alltag. Durch sie entstand, so Göhlsdorf, eine neue Idee von Rechenmaschine, die sich schließlich in der Wissenschaft wie in der Popkultur auf die Debatten über Autismus übertrug.
Es ist laut der Kulturwissenschaftlerin auch die Technologie, die Menschen mit Autismus stärker in das Zentrum der Gesellschaft rückt und sichtbarer werden ließ. So wurde das Internet in den 2000er Jahren zur wichtigen Kommunikationsplattform, auf der sich Autismus-Gemeinschaften bilden. „Diese Verschränkungen zwischen Online-Kulturen und Autismus-Kulturen führten auch zu dem Glauben, Menschen mit Autismus hätten besonders innige Technologieverhältnisse. Es hat zudem Tradition, den Autisten als Liebhaber von Apparaten oder selbst als einen Apparat darzustellen.“ Damit einhergehend verbreitete sich auch die Vorstellung, die meisten Programmierer im Silicon Valley seien auf dem Autismus-Spektrum, erläutert die Forscherin.
Mensch der Gegenwart und Zukunft
Bis heute dominiert in der breiteren Öffentlichkeit das Bild des hochfunktionalen, technisch versierten Autisten, der nach Ansicht vieler männlich ist, wie Göhlsdorf betont. In der IT-Branche sucht man sogar gezielt nach Arbeitnehmern mit hochfunktionalem Autismus, weil sie, so heißt es, außerordentlich gut Details bzw. Muster erkennen und bestimmte Vorgänge mit großer Geduld ständig wiederholen können.
Auch hier zieht Göhlsdorf Parallelen zu aktuellen Diskursen sowie Ängsten in der Gesellschaft, in der viele nicht mehr verstehen, wie die digitale Welt funktioniert. „Man hat den Autisten lange als eine rätselhafte Figur gesehen, in der etwas vorgeht, was man nicht nachvollziehen kann. Es liegt also eine Kontinuität darin, Autismus und nicht mehr nachvollziehbare Verfahren heute zusammenzudenken.“
Diese Vorstellung klammere allerdings aus, dass es heute auf die Frage, was Autismus sein könnte, mehr Antworten gibt denn je. Was wesentlich darauf zurückzuführen ist, dass immer mehr Menschen mit Autismus ihre eigenen Erfahrungen schildern.
Nicht alle sehen sich als „Computer-Nerds“ und definieren sich durch Inselbegabungen, erklärt Göhlsdorf. Viele autistische Menschen berichten, dass sie alltägliche Reize wie Geräusche, Licht und Gerüche besonders stark wahrnehmen. Für viele sei das eine teilweise überwältigende Erfahrung. Gleichzeitig ermögliche es ein intensives Verhältnis zur Umwelt.
Der Blick auf sich selbst
„Autismus wurde immer vorrangig als Störung zwischenmenschlicher Beziehungen begriffen. Die Selbstbeschreibungen zahlreicher autistischer Menschen legen nun nahe, dass Autismus womöglich mit der Fähigkeit zu außergewöhnlich innigen Beziehungen einhergeht - zu dem, was uns umgibt und was die meisten Leute sinnlich nicht erleben.“
Letztlich gehe es ihr jedoch nicht darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, was Autismus ist. Vielmehr soll das Forschungsprojekt aufzeigen, wie sehr die verschiedenen Antworten auf diese Frage mit gesellschaftlichen Entwicklungen und Debatten zusammenhängen, betont die Kulturwissenschaftlerin.