Die Frage, ob Schizophrenie vererbbar ist, beschäftigt Wissenschaftler und Mediziner seit langem. Medizinern zufolge gibt es Fälle von erbgleichen Zwillingen, bei denen der eine von einer schweren Krankheit - etwa Schizophrenie - heimgesucht wird, während der andere völlig gesund bleibt. Die naheliegende Erklärung: Umwelteffekte. Was aber, wenn die beiden in der selben Familie und unter völlig identischen Bedingungen aufgewachsen sind?
Die Rolle der Epigenetik
Die Antwort darauf sucht ein junges Forschungsgebiet, das die Schnittstelle von Anlage und Umwelt ins Visier nimmt: die Epigenetik. Der Artikel "Epigenetics and Disease: Altered states" von Carina Dennis geht der Frage nach, inwieweit epigenetische Effekte für das Auftreten von Krankheiten verantwortlich sein könnten.
Epigenetische Mechanismen
Das bekannteste Beispiel für epigenetische Signale ist die so genannte DNA-Methylierung. Dabei wird eine der vier Nukleobasen, Cytosin, mit einer Methylgruppe ausgestattet. Auch wenn diese Regel Ausnahmen kennt: DNA-Methylierung ist meist mit der Stilllegung von Genen assoziert, während aktive Gene meist unmethyliert sind. Ferner dürfte der Alterungsprozess mit der DNA-Methylierung zusammenhängen.
Ein weiterer wichtiger Effekt betrifft die Veränderung des Chromatins (i.e. jene dicht gepackte Struktur, die der DNA-Doppelstrang u.a. mit Histon-Proteinen bildet). Auch hier kann das Anfügen von chemischen Gruppen an die Histone zu einer Veränderung der Genaktivität führen.
Transgenerationale Weitergabe psychischer Erkrankungen
Über Generationen hinweg gibt es eine Tendenz Beziehungsmuster, Erlebens- und Verhaltensweisen zu wiederholen. Schweren seelischen Störungen scheinen oft Traumatisierungen oder psychischen Erkrankungen im Familiensystem vorauszugehen. Um sich diesem Thema aus verschiedenen Perspektiven zu nähern, lud das Bündnis gegen Depression zur Fachtagung: „Zur Wirkung von transgenerational vermittelten Bildern“ - Überlegungen zur Weitergabe von psychischen Erkrankungen über Generationen - nach Stockerau ein.
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Im Rahmen dieser Fachtagung beleuchteten Vorträge, Diskussionsforen und ein Kinofilm mit Publikumsgespräch Wirkmechanismen sowie Bearbeitungsmöglichkeiten dieser transgenerationalen Weitergabe. Der erste Hauptvortrag von Dr. Vincent Millischer widmete sich den genetischen Mechanismen, die eine erheblichen Einfluss auf transgenerationales Geschehen ausüben. Bei Schizophrenie ist Heritabilität beispielsweise besonders groß, bei Depression mittelgroß. Auch bei Störungen wie Alkoholabhängigkeit oder Traumata spielen genetische Faktoren eine Rolle. Die Forschung zielt auf eine bessere Behandlung psychischer Erkrankungen ab.
Univ.-Prof. Dr. Wilfried Datler ergänzte in seinem Vortrag der Diskussion „Umwelt oder Genetik“ den Baustein dazwischen - die Beziehungsgestaltung durch enge Bezugspersonen und deren Bedeutung für die bewusste und unbewusste Weitergabe von Beziehungsmustern.
Abgerundet wurden diese Vorträge durch ein Gespräch über Bilder und Botschaften von Prof.in Dr.in Michaela Amering mit der Künstlerin und Expertin aus Erfahrung Lisa Kainzbauer. Ihr Buch „Verrückte Welt - Wie sich Schizophrenie anfühlt“ zeigt die künstlerische Aufarbeitung eines Lebens mit einer schizophrenen Mutter und plädiert dafür, „die eigenen Handlungsmotive zu reflektieren und Perspektiven anderer zu respektieren, auch wenn wir sie vielleicht nicht immer verstehen können“.
Am Nachmittag wurden in Form von Foren die Themen des Vormittags in kleineren Gruppen vertieft und um die Themen Vererbung von Armut und die Bedeutung von latent transgenerational vermittelter Inhalte im Kontext Schule ergänzt. Fokus auf Handlungsmöglichkeiten legten die Foren Resilienz - vom Diktat zum Dialog mit dem transgenerationalen Erbe und das Thema: Wie schützen wir unsere Kinder?
Ein Highlight am Nachmittag war die Präsentation des Kinofilms „Kinder unter Deck“ unter Anwesenheit der Protagonistin und Regisseurin Bettina Henkel. Dieser Film zeigt eindrücklich in Bildern und Dialogen, wie dieser „unbewusste Pakt des Schweigens“ zwischen Generationen in einem langen Prozess der mitunter schwervollen Auseinandersetzung aufgebrochen werden kann, denn „die Zeit heilt nicht alle Wunden“, so die Regisseurin.
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Die Rolle von Traumatisierung und Gewalt
Die psychologische Erfahrung zeigt, dass seelische Probleme auf seelische Verletzungen zurückzuführen sind, die eine Familie oft über Generationen belasten, und meist mit Gewalt oder gewaltähnlichen Ereignissen verknüpft sind. Die Zeit um die beiden Weltkriege war dabei für viele Familien eine sehr prägende. Gerade Kriege mit toten Vätern, ausgebombten Müttern, verlorenen Kindern, sexueller Gewalt, Vertreibung, Folter und Verfolgung verlangen den Menschen das Äußerste ab und oft ist es ein Wunder, wie Menschen Kriege überleben, ohne seelisch krank zu werden.
Durch die Bindungsforschung seit John Bowlby wissen wir, dass das Menschenkind ein angeborenes Bedürfnis nach einer sicheren und stabilen Bindung zu einer fixen Bezugsperson hat. Ein Kind, das aus dem Nest der Geborgenheit fällt, überlebt meist, entwickelt aber eine Vielzahl seelischer Probleme. Die Traumaforschung hat nachgewiesen, dass das Zerbrechen des Bindungsverhaltens zwischen Mutter und Kind zur seelischen Erkrankung des Kindes führt.
Wer von einem Gewaltereignis direkt betroffen ist, kann oft nur durch Verdrängung überleben, weil man sonst der Gefahrensituation überhaupt nicht gewachsen wäre. Die Gewalterfahrung wird zu einem festen Erlebnismuster, das künftige Erfahrungen filtert und prägt. Geschlagene Kinder ziehen ein Leben lang den Kopf ein, weil sie sich instinktiv vor weiteren Schlägen fürchten. Kinder übernehmen die Erlebnismuster der Erwachsenen besonders leicht; Daniel Stern hat das bereits bei Säuglingen nachgewiesen.
So übernehmen sie die Stärken ihrer Vorfahren, müssen sich aber auch mit ungelösten Programmfehlern herumschlagen. In den letzten Jahrzehnten nahmen in Salzburg die Auseinandersetzungen zwischen den Generationen, vor allem auch so genannte Pubertätskonflikte, zu. Diese sind ein Zeichen dafür, dass die Verdrängung zu bröckeln beginnt und die faulen Altlasten langsam an die Oberfläche kommen.
Oft finden wir dann traumatische Erfahrungen von Gewalt, Tod, Trennung, Deprivation, Krankheit oder Ablehnung in der Kindheit des Betroffenen. Durch die Analyse der Kindheit der Eltern landen wir bei den Großeltern und Urgroßeltern und gelangen so zu den Schlüsselstellen, den so genannten Familiengeheimnissen. Familiengeheimnisse sind meist die schwierigsten und tabuisiertesten Erfahrungen, die jemals von Familienmitgliedern gemacht worden sind.
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Das Urtrauma der Familie hat meist mit Gewalt, Vertreibung, Tod, Missbrauch, Unterdrückung und Zerstörung zu tun und ist in der Mehrzahl der Fälle ein historisch fassbares Ereignis. Die Erlebnisstrukturen werden durch geschichtliche Ereignisse geprägt, und diese geschichtlichen Gewaltereignisse führen zu seelischen Schäden in den nachfolgenden Generationen.
So ist etwa das Deutschland der Nachkriegszeit durch eine vaterlose Generation geprägt gewesen - die Väter sind großteils auf den Schlachtfeldern erschossen worden. Die 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges haben also direkt zu einem Abreißen jener Vater-Sohn-Bindung geführt, die für das Selbstbewusstsein des Mannes so entscheidend ist. Dieses Faktum hat aber auch zum Abreißen der Vater-Tochter-Bindung geführt, die das Partnerverhalten der Frau entscheidend prägt.
Auch wenn Salzburg sich als Bistum aus vielen Kriegen heraushalten konnte, so haben die Salzburger doch die gewaltsamen Vertreibungen der Gegenreformation hinter sich und waren spätestens seit den Napoleonischen Kriegen und dem Anschluss an Österreich in alle folgenden Auseinandersetzungen Österreichs, besonders aber in die beiden Weltkriege verstrickt.
Die Muster der Gewalt mögen je nach kulturellem Hintergrund verschieden sein - und doch ist in allen Völkern das Grundproblem dasselbe: Gewalt führt zur Zerstörung von sozialen Strukturen und zur Belastung von Familien, wodurch wieder die psychische Entwicklung der Kinder behindert wird.
Die Auswirkungen des Modells des toten oder entwerteten Vaters
Was bedeutet nun das Modell des toten oder entwerteten Vaters für die Kinder und Enkelkinder? Die Wirkung ist für männliche und weibliche Nachkommen verschieden, in beiden Fällen aber schädlich. Den Buben fehlt das männliche Vorbild. Buben können schlecht erwachsen werden, wenn ihnen nicht der Vater oder ein Ersatzvater den Weg hinaus ins Leben zeigt. Zur Entwicklung der männlichen Identität ist der Vater als Modell und auch als Reibebaum für die beginnende Kritikfähigkeit notwendig.
Auf Töchter hat das Fehlen des Vaters ebenfalls eine negative Auswirkung. Eine Tochter lernt am Beispiel des Vaters, sich mit Liebe und Vertrauen auf männliche Partner einzulassen. Wenn der Vater früh verstirbt, so kann sich bei der Tochter unbewusst die Angst festsetzten, dass auch zukünftige Partner sterben oder sie verlassen werden. Unbewusst begeben sich Frauen mit einem solchen Verlustmodell immer wieder in Partnerschaften, die mit Verlusten enden und ihre Verlustangst bestätigen.
Viele der überlebenden Soldaten des Zweiten Weltkriegs waren verletzt oder verstümmelt, oft ist diese Kriegsversehrtheit mit einem bereits angeknacksten Selbstwertgefühl zusammengegangen - und es war für die Söhne dieser Väter nicht leicht, mit den Folgen dieses negativen männlichen Selbstbildes aufzuwachsen: Folgen, die sich nicht selten in Abwertung, Kritik, Negativismus und Destruktivität äußerten.
Psychische Erkrankung und Armut
Immer mehr Menschen werden psychisch schwer krank. Sie verlieren die Arbeit, finden kaum wieder Anschluss, landen in der Armut. Trotz Behandlung kommt es aber bei einem Teil der Betroffenen zu keiner kompletten Heilung. Die Krankheit kehrt wieder, in Schüben. An dauernde Arbeit mit voller Belastung ist kaum zu denken. "Armut ist da nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das heißt Existenzminimum oder weniger."
Auch seelische Erkrankungen verlangen nach der medizinischen Behandlung eine Rehabilitationsphase. Doch im Gegensatz zu Unfallverletzungen sei eine ausreichende Rehabilitation bei seelischen Erkrankungen die Ausnahme. "Patienten, die nach mehrwöchigem Krankenhausaufenthalt geschwächt sind und mit störenden Krankheitssymptomen zu kämpfen haben, werden sofort dem vollen Druck der Arbeitswelt ausgesetzt. Das kann nur schief gehen."
Es existieren im Sozialstaat Österreich zwar Regelungen, welche die Wiedereingliederung von seelisch Kranken in den Arbeitsprozess sichern sollen. Aber die Experten sind sich darüber einig, dass der bestehende Rahmen den Betroffenen nicht wirklich hilft. Erforderlich seien "vernünftige Lösungen und eine menschenwürdige Perspektive für schwer vermittelbare Personen und die immer größer werdende Zahl von Arbeitnehmern, die aus allen AMS-Förderungen herausfallen".
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