Zwangsstörung selbst behandeln: Wege zu mehr Freiheit und Lebensqualität

Eine Zwangserkrankung zu behandeln hilft Schritt für Schritt mehr Freiheit im Denken und Handeln zu gewinnen - ein Weg hin zu mehr Lebensqualität und innerer Ruhe. Charakteristisch dafür ist ein schleichender Beginn der Erkrankung rund um das 20. Lebensjahr. Betroffene versuchen lange Zeit, ihre Symptome zu verbergen und begeben sich meist erst sehr spät in eine Behandlung.

Was ist eine Zwangsstörung?

Eine Zwangsstörung ist eine Erkrankung, bei der die betroffene Person unter zwanghaften Gedanken oder Handlungen leidet. Dabei handelt es sich um ungewollte, dauerhafte und häufig überwältigende Gedanken oder Handlungen, welche von den Betroffenen ausgeführt werden "müssen". Sie können diesem Impuls nicht aus eigener Kraft entgegensteuern. Die Zwänge per se werden hierbei häufig von unrealistischen Bedenken oder Ängsten getragen, welche für die Betroffenen eine massive psychische Belastung darstellen und sich zugleich auf den gesamten Alltag ausdehnen können.

Wenn jemand beispielsweise unter einem Kontrollzwang leidet, kann es passieren, dass diese Person auf dem Weg zur Arbeit immer wieder umkehrt, um sich stets aufs Neue zu vergewissern, dass sie die Haustüre auch tatsächlich zugesperrt hat. Diese Handlung kann mehrmals am Stück ausgeführt werden. Somit ist das Einhalten von Terminen für Menschen mit einer solchen Zwangsstörung meist nicht möglich, was wiederum Konsequenzen im Berufsleben haben kann.

In der Psychologie unterscheidet man zwischen Zwangsgedanken, Zwangshandlungen und Zwangsimpulsen. Häufig kommt es zu einer Kombination aus Zwangsgedanken und Zwangshandlungen.

Das Pathologische an einem Zwang ist die für den Betroffenen hartnäckige Aufdringlichkeit, sozusagen der innere Impuls, etwas unbedingt tun zu müssen, und die damit verbundene Unfähigkeit, die Gedanken und Handlungen in diesem Zusammenhang selbst zu steuern oder zu unterdrücken. Dadurch können Zwänge das Leben der Betroffenen auf allen Ebenen stark negativ beeinflussen.

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Betroffene nehmen ihre Zwangsgedanken jedoch nicht als direktes (pathologisches) Symptom wahr, sondern sind davon überzeugt, es handle sich um ihre eigenen Gedanken, unter welchen sie massiv leiden und für die sie sich oftmals auch schämen. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von einer "Ich-Dystonie", was soviel wie "ich-fremd" bedeutet. Demnach werden die Gedanken von der Person als nicht zugehörig empfunden.

Symptome der Zwangsstörung

Zwangsgedanken wirken oft aufdringlich und unangenehm, während Zwangshandlungen - wie häufiges Händewaschen, Kontrollieren oder Zählen - kurzfristig Erleichterung verschaffen sollen. Auch wenn Betroffene sich dieser Muster bewusst sind, fällt es meist schwer, sich davon zu lösen.

Die Betroffenen leiden darunter, dass sich ihnen immer wieder „unsinnige“ Gedanken aufdrängen und/oder der unwiderstehliche Drang entsteht, bestimmte Handlungen (z. B. zählen, kontrollieren, die Hände waschen, Gegenstände reinigen, Listen erstellen usw.) auszuführen. Die Unterdrückung dieser Impulse bewirkt einen hohen Leidensdruck und eine große Angst davor, dass ein Unglück geschieht oder jemand anderer zu Schaden kommt, wenn diesem Impuls nicht sofort nachgegeben wird.

Da die Erleichterung nach der Ausführung der Zwangshandlung nur kurze Zeit besteht, beginnt ein Teufelskreis aus belastenden Gedanken und den vermeintlich beruhigenden Ritualen.

Verschiedene Formen von Zwangsstörungen

Es gibt unterschiedliche Formen von Zwangsstörungen. Man unterscheidet im Allgemeinen zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Diese können auch gemeinsam auftreten.

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  • Zwangsgedanken: Bei Zwangsgedanken müssen ein und dieselben Gedanken immer wieder durchdacht werden. Diese Gedanken lassen sich nur schwer unterdrücken.
  • Zwangshandlungen: Zwangshandlungen hingegen sind mit bestimmten Tätigkeiten verknüpft. Die Betroffenen führen wiederholte Handlungen aus.

Umgang mit Zwangsgedanken

Zwangsgedanken können sich aufdringlich und beängstigend anfühlen. Eine wirksame Zwangsgedanken Hilfe bedeutet nicht, die Gedanken vollständig „wegzumachen“, sondern besser mit ihnen umzugehen: verstehen, annehmen, Distanz gewinnen und neue Verhaltensweisen üben. Akzeptanz, freundliche Selbstzuwendung und eine klare Kommunikation mit dem Umfeld sind dafür zentral.

Menschen mit einer Zwangsstörung messen ihren eigenen Gedanken viel zu große Bedeutung zu. Wenn ich so etwas denke, bedeutet das: etwas in mir will das. Betroffene denken, dass Gedanken eine Vorbereitung auf Taten sind. Denken bedeutet eine Vorstufe von Tun und Wollen. Beides ist nicht der Fall. Es gibt überhaupt keinen Grund, jedem Gedanken, auch wenn er aggressiv und brutal, ekelerregend und schockierend ist, so viel Bedeutung zuzumessen.

Man kann Gedanken als Vorschläge unseres Geistes sehen, die wir weiterverfolgen können, wenn wir möchten - oder die wir einfach fallen lassen können.

Alles, was angeklickt und gelikt wird, davon bekommen wir mehr. Je mehr Unfallnachrichten gegoogelt werden und mit solchen Inhalten interagiert wird, desto mehr von diesen Inhalten werden präsentiert, wenn der Browser das nächste Mal geöffnet wird. Das Gehirn wird jetzt ständig mit potenziellen Gefahren und schockierenden Nachrichten gefüttert. Das verzerrt die Wahrnehmung der Realität.

Wenn wir ein bestimmtes Engagement als Reaktion auf einen Gedanken zeigen, und zusätzlich erschrecken (emotionale Beteiligung) und daraufhin etwas unternehmen müssen (Handlungsebene), interpretiert unser Gehirn das als besonders relevant und interessant. Jetzt wird immer mehr davon geliefert. Zwangsgedanken treten dann immer häufiger auf.

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Nicht mit Zwangsgedanken zu interagieren ist die Königsdisziplin. Das ist nicht einfach, aber erlernbar. Distanzierungstechniken im Umgang mit Gedanken finden sich in der Akzeptanz- und Commitment-Therapie.

Zudem hilfreich ist es, zu lernen, Gedanken zu beobachten und sie als das betrachten zu können, was sie sind: Gedanken. Achtsamkeitsübungen können helfen, die Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Moment zu lenken, weg von den Gedanken. Im Hier und Jetzt kann die Umwelt mit allen Facetten wahrgenommen werden: die schöne Wiese, der frische Duft von Gräsern, das Zwitschern der Vögel. Die Aufmerksamkeit kann auf Körperempfindungen gerichtet werden, wie die sanften Bewegungen des Bauches, während man atmet.

Therapeutische Ansätze

Betroffene von Zwangsstörungen schämen sich oft für ihre Erkrankung. Akzeptanz, Annahme und Wohlwollen in der Beziehung und Kommunikation sind deshalb besonders wichtig. Und viele Erkrankte profitieren von einer spezifischen Therapie.

Zur Behandlung von Zwangsstörungen ist den S3-Leitlinien zufolge die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Exposition und Reaktionsmanagement die Therapie der ersten Wahl. Sie gilt als Goldstandard in der Behandlung von Zwangsstörungen.

Die kognitive Verhaltenstherapie leitet sich von den behavioristisch- lerntheoretisch begründeten Therapieverfahren ab. Innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie wird Kognitionen bezüglich psychischer Vorgänge eine wichtige Rolle zugeschrieben. Sie haben eine Auswirkung auf Emotionen und Verhalten und beeinflussen sich darüber hinaus auch wechselseitig. Sogenannte dysfunktionale Kognitionen tragen zu psychischen Störungen bei.

Deshalb geht es in der Therapie darum, die dysfunktionalen Kognitionen in funktionale zu verändern. Die kognitive Verhaltenstherapie kennt verschiedene therapeutische Methoden. Ein Kernelement für die Behandlung von Zwangsstörungen ist die Exposition mit einem Reaktionsmanagement.

Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM)

  • Bei Zwangshandlungen: Der Patient wird mit einem angstauslösenden Stimulus konfrontiert und darf seine Zwangsrituale nicht ausführen.
  • Bei Zwangsgedanken: Der schlimmste Zwangsgedanke wird möglichst genau beschrieben und wiederholt vorgelesen, um die Bedrohlichkeit zu verlieren.

Weitere Methoden

  • Prolongierte Exposition
  • Analyse der Funktionalität des Zwangs

Medikamentöse Behandlung

Eine Pharmakotherapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern wird nur empfohlen, wenn die KVT nicht ausreichend wirkt, nicht verfügbar ist, von Patienten abgelehnt wird oder wenn die Erkrankung so schwer ist, dass eine KVT mit Exposition nicht durchführbar ist.

Einem großen Teil der Zwangserkrankten helfen sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) - eine spezielle Gruppe von Antidepressiva. Sie müssen in der Regel deutlich höher dosiert werden als bei der Behandlung von Depressionen. Durch die Einnahme von SSRI verringert sich bei den meisten Betroffenen die innere Anspannung. Die Zwangssymptome lassen nach.

Sie verschwinden aber meist nicht komplett und kehren nach Absetzen der Medikamente verstärkt wieder zurück. Eine begleitende kognitive Verhaltenstherapie ist daher immer zu empfehlen.

Die Rolle der Angehörigen

Unter Zwangsstörungen leiden nicht nur Betroffene selbst, sondern auch die Angehörigen. Es ist wichtig, Angehörige oder nahe Bezugspersonen möglichst früh in die Behandlung und Beratung mit einzubeziehen. Die Erfolgsaussichten einer Behandlung werden dadurch erhöht.

Von Angehörigen wie auch von Fachpersonen kommt oft ein natürlicher Impuls Sicherheit zu geben. Das ist verständlich, aber nicht hilfreich, da es die Zwangssymptome verstärkt. Die Fragen zu beantworten, führt längerfristig zu einer größeren Unsicherheit. Der Prozess ist oft schleichend, er beginnt oft mit kleinen Hilfestellungen durch die Angehörigen, die sich zunehmend ausweiten. Im Verlauf merken sie, dass ihre gutgemeinte Mithilfe die Situation nicht verbessert. Sie selbst beginnen sich im Zwangssystem gefangen zu fühlen und wissen oft nicht mehr, wie sie eigene Freiräume zurückerobern können.

Fragen Sie Angehörige direkt nach der Mithilfe bei den Zwängen und wie es ihnen damit geht. Dauert die Mithilfe schon länger an, ist es ratsam, Veränderungen über einen längeren Zeitraum anzugehen, damit Betroffene und Angehörige nicht überfordert sind.

Für Angehörige ist das Zusammenleben mit Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden, nicht immer einfach. Es kann zum Beispiel zu herausfordernden Situationen oder Konflikten kommen. Angehörige können jedoch auch eine wichtige Unterstützung für Menschen mit einer Zwangsstörung sein und auch in die Behandlung mit einbezogen werden.

Tipps für Angehörige

  • Ermutigen Sie den Betroffenen, sich therapeutische Hilfe zu suchen.
  • Unterstützen Sie den Betroffenen nicht in seinem Ritual.
  • Loben Sie ihn für Fortschritte, aber kritisieren Sie ihn nicht, wenn sich die Symptome auch wieder einmal verstärken.
  • Lassen Sie sich vom Zwang des Betroffenen nicht vereinnahmen.
  • Setzen Sie dem Betroffenen klare Grenzen für das, was Sie bereit sind, in Kauf zu nehmen, und was nicht.

Selbsthilfe

Die Selbsthilfe bei einer Zwangsstörung stellt einen wichtigen ergänzenden Baustein in der Behandlung einer Zwangsstörung dar. Zum einen sind Selbsthilfezentren oftmals für Betroffene ein erster Anlaufpunkt für eine Beratung. Sie helfen, bei der Aufklärung des Erkrankten mitzuwirken und so einen adäquaten Umgang mit der Störung zu fördern. Zum anderen spielen Selbsthilfegruppen eine Rolle dabei, nach einer Behandlung Rückfälle zu vermeiden. Zudem eignet sich Selbsthilfeliteratur als Mittel zur eigenen Unterstützung.

Die Zwangsstörung lässt sich nach heutigem Wissenstand erfolgreich behandeln. Eine Mehrheit der Zwangserkrankten profitiert von einer störungsspezifischen Therapie, die zu einer Verbesserung der Symptome oder sogar zu einer Symptomfreiheit führt.

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