Ernährung und Psyche stehen in engem Zusammenhang. Unser Ernährungsstil verändert nicht nur die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm, sondern steuert auch Entzündungsprozesse und wirkt sich auf den Verlauf psychischer Erkrankungen aus.
Die Darm-Hirn-Achse und ihre Bedeutung
Unser Magen-Darm-Trakt ist mit einem eigenen Nervensystem ausgestattet, das beispielsweise die zugeführten Lebensmittel auf ihre Nährstoffzusammensetzung analysiert, Ausscheidungsprozesse koordiniert und unsere Immunantwort beeinflusst. Bauch und Kopf verständigen sich kontinuierlich wechselseitig entlang der Darm-Gehirn-Achse über Nervenbahnen, Hormone oder auch Stoffwechselprodukte der Darmbakterien.
Dieses Kommunikationssystem hängt eng mit immunologischen, neurologischen und endokrinen Prozessen zusammen: Hier werden nicht nur Hungergefühl und Appetit gesteuert, sondern auch Stimmungslage und Emotionen beeinflusst. „So liegt es nahe, dass auch unsere Ernährung eine wichtige Rolle in diesem komplexen Zusammenspiel einnimmt. Mittlerweile gibt es eine überzeugende wissenschaftliche Evidenz, dass Ernährungsinterventionen den Krankheitsverlauf und das Therapieansprechen von Menschen mit psychischen Erkrankungen beeinflussen“, erklärt Sabrina Mörkl, Fachärztin an der Klinischen Abteilung für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie, Med Uni Graz.
Das Darmmikrobiom und seine Auswirkungen auf die Psyche
Eine wichtige Grundlage für die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn bildet das Darmmikrobiom. In jedem Darm gibt es ein Mikrobiom. Dieses kann man sich als Gemeinschaft von Mikroorganismen vorstellen. Dazu zählen Bakterien, Viren und Pilze, die miteinander leben und interagieren. Für die körperliche und mentale Gesundheit relevant ist, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms ausgewogen ist.
Das Darmmikrobiom ist aber viel mehr als nur eine Ansammlung von Bakterien - es agiert aktiv im Körper und steht in ständiger Wechselwirkung mit anderen Mikroorganismen. Dabei beeinflusst es zentrale Körperfunktionen wie unser Immunsystem, unsere Verdauung, unseren Stoffwechsel und sogar unser Gehirn.
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Der Magen-Darm-Trakt steht über verschiedene Informationskanäle in Verbindung mit dem Gehirn: Dazu gehören Hormone, Immunbotenstoffe, sensorische Neurone und Signale des Darmmikrobioms. Diese übermittelten Signale beeinflussen Stimmung, Emotionen, Appetit und sogar kognitive Funktionen.
Besonders bei Depressionen wird deutlich, wie eng Ernährung und Psyche miteinander verbunden sind. Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie haben oft ein verändertes Darmmikrobiom. Das bedeutet, dass die Balance der Darmbakterien gestört ist, die für ein gesundes Mikrobiom relevant ist. Dabei fällt auf, dass jene Bakterien seltener vorkommen, die Butyrat produzieren - eine kurzkettige Fettsäure, die auch Buttersäure genannt wird. Butyrat schützt die Darmschleimhaut und beugt Entzündungen vor.
Gleichzeitig gibt es eine erhöhte Anzahl an entzündungsfördernden Bakterien im Darm. Diese Veränderungen sind bei psychischen Erkrankungen häufig zu sehen, können aber keiner bestimmten Krankheit zugeordnet werden.
Studien zum Zusammenhang von Ernährung und Depressionen
Studien zeigen durchaus eine Verbindung zwischen Depressionen und einem veränderten Darmmikrobiom. Unklar ist noch, welche Faktoren diese Veränderungen auslösen - etwa Ernährung, Bewegung oder Medikamenteneinnahme. Forschungsergebnisse zeigen, dass das Mikrobiom sehr anpassungsfähig ist.
Die Major Depression (MDD) ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen. Neben psychischen Symptomen wie depressive Stimmung und Anhedonie ändert sich meist auch das Essverhalten. Wie, das untersuchte ein deutsches Forscherteam.
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In der vorliegenden Studie wurden 117 Personen, darunter 54 Patientinnen und Patienten mit Major Depression (MDD) und 63 gesunde Kontrollen, beobachtet. Mithilfe eines standardisierten Testverfahrens wurde ermittelt, welche Lebensmittel die Teilnehmenden besonders bevorzugten.
Dabei zeigte sich folgendes Muster: Patientinnen und Patienten mit Depression bewerteten fett- und proteinreiche Lebensmittel schlechter als gesunde Personen. Dagegen war ihre Vorliebe für kohlenhydratreiche Nahrungsmittel wie Süßigkeiten erhöht.
Die Forschenden konnten jetzt allerdings zeigen, dass dies nicht der Fall ist.„Tatsächlich hängt der Hunger nach Kohlenhydraten eher mit der allgemeinen Schwere der Depression, besonders der Angstsymptomatik, zusammen“, erläutert Erstautorin Dr. Lilly Thurn. Depressive Menschen haben nicht nur weniger Appetit oder ziehen generell weniger Genuss aus Essen, sondern zeigen vielmehr eine spezifische Veränderung von Nahrungsvorlieben, die auf eine gestörte Signalverarbeitung zwischen Darm und Gehirn hindeutet.
Ernährungsempfehlungen und therapeutische Ansätze
Gezielte Ernährungsempfehlungen oder diätetische Interventionen könnten helfen, depressive Symptome zu lindern. Erste Studien zeigen bereits, dass Fasten oder auch probiotische Lebensmittel antidepressiv wirken können.
Die Zusammensetzung des Mikrobioms lässt sich sowohl in einem gesunden als auch in einem erkrankten Zustand durch die Ernährung beeinflussen. „Es braucht eine Weile, ehe man den Darm umgestellt hat. Ungefähr sechs Wochen lang schmeckt die neue Nahrung zunächst nicht so gut wie die alte, weil die Mikroorganismen das essen möchten, was sie bisher gegessen haben. Insofern muss man dann versuchen, sein Darmhirn zu überlisten. Univ.-Prof. Dipl.-Biol.
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Zusammenfassend bedeutet dies, dass eine gezielte Ernährungsumstellung einen direkten Einfluss auf die Darmgesundheit haben kann. Bei allen Essstörungen befassen sich Betroffene übermäßig häufig und intensiv mit dem Thema Essen.
Adipositas und Depression
Adipositas und Depression treten häufig gemeinsam auf - und sie verstärken sich gegenseitig. Studien zeigen: Wer stark übergewichtig ist, hat ein deutlich erhöhtes Risiko für Depressionen. Umgekehrt kann eine depressive Verstimmung das Risiko für Übergewicht erhöhen.
Die Zahlen sind deutlich: Etwa jeder vierte bis fünfte Mensch mit Adipositas ist auch depressiv. Ein hoher Body-Mass-Index (BMI) geht mit einem um bis zu 50 % höheren Risiko für Depressionen einher - und umgekehrt. Typische Symptome einer Depression wie Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug, Schlafstörungen oder Appetitveränderungen erschweren zusätzlich eine erfolgreiche Behandlung der Adipositas.
Adipositas und Depression sind eng miteinander verwoben - auf biologischer, psychischer und gesellschaftlicher Ebene. Für eine erfolgreiche Behandlung ist es daher essenziell, beide Erkrankungen ganzheitlich zu betrachten. Therapeutische Maßnahmen sollten individuell abgestimmt und interdisziplinär durchgeführt werden.
Ernährungspsychiatrie an der Med Uni Graz
Seit 2018 beschäftigen sich die Wissenschafterinnen gemeinsam mit weiteren nationalen und internationalen Lehrenden und Studierenden an der Med Uni Graz im Wahlfach „Nutritional Psychiatry“ mit dem Zusammenhang zwischen Ernährung und psychischem Wohlbefinden. „Die Ernährungspsychiatrie ist ein spannendes und vielseitiges Feld, auch Aspekte der Mikrobiomforschung des Darms sowie Wechselwirkungen zwischen Psyche, Nervensystem und Immunsystem fließen in das Wahlfach mit ein“, so Sabrina Mörkl.
So führte das Team rund um die Forscherinnen in den letzten Monaten ein Projekt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin durch, um die therapiebegleitende Relevanz ernährungstherapeutischer Maßnahmen an die Patient*innen zu kommunizieren und durch praktische Einheiten auch die Ernährungskompetenz zu fördern. Die Schwerpunkte der Kochworkshops lagen auf der alltäglichen und saisonalen Einbeziehung der mediterranen Ernährung.
Dabei wurden einige Lebensmittel besprochen, die die Therapie unterstützen können: beispielsweise Lebensmittel mit hohem Gehalt an Ballaststoffen, fermentierten Produkten, gewissen Eiweißen (wie Tyrosin und L-Tryptophan als Grundlage zur Bildung der Nervenbotenstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) und Omega-3-Fettsäuren. Auch Gewürze mit nachgewiesenen antidepressiven Effekten wie etwa Safran oder Kurkuma wurden eingesetzt.
„Unserem Team war es vor allem auch wichtig, Ideen und Möglichkeiten aufzuzeigen, um jene Lebensmittel nachhaltig in den Alltag zu integrieren“, beschreibt Sonja Lackner. Während die prickelnden Weintrauben versetzt mit CO2 als „Aperitif“ vor allem Spaß machen und die Sinne aktivieren sollten, wurde bei den Hauptgerichten auf eine bunte, ballaststoffreiche Gemüsevielfalt für das Darmmikrobiom gesetzt.
Fermentiertes Gemüse wie Kimchi und auch das regionale Sauerkraut wurden als probiotische Nahrungsmittel zur Steigerung der Vielfalt der Darmbakterien eingesetzt. Nüsse wie Walnüsse und Cashews lieferten wertvolle Fette und Aminosäuren - der Verzehr von ca. 30 Gramm Nüssen pro Tag gilt beispielsweise als protektiv für Depressionen. Der zusätzliche Einsatz von antioxidativen und antientzündlichen Gewürzen wie Kurkuma oder Safran wirkt sich nicht nur auf den Geschmack und die Optik von Gerichten, sondern auch nachweislich auf das Darmmikrobiom, das Immunsystem und die Stimmung aus.
„Entscheidender Aspekt bei der Umsetzung der Culinary Medicine ist auch das ‚Begreifen von Lebensmitteln‘ in der direkten Planung und Zubereitung von Speisen. Trotz der engen Verbindung zwischen Ernährung und Psyche fehlt es häufig an praktischen Ernährungskompetenzen sowohl auf Patient*innen- als auch auf ärztlicher Seite. Die Studierenden der Med Uni Graz sollen im Wahlfach „Nutritional Psychiatry“ ein Bewusstsein für das Potenzial kulinarischer Medizin bekommen.
Im Zentrum stehen eine theoretische Wissensvermittlung rund um die Themen Ernährung, Darm-Gehirn-Achse und Psyche, aber auch praktische Trainings, sodass das Wissen gefestigt wird und in Zukunft an Patient*innen weitergegeben werden kann.
Schokolade und Depressionen
An depressive Menschen essen mehr Schokolade als Nicht-Depressive. Außerdem steigt ihr Schokoladenkonsum mit der Schwere ihres Leidens, berichteten Wissenschafter der Universität von Kalifornien in San Diego in einer am Montag, den 26. April, veröffentlichten Studie.
Die Untersuchung bestätige die landläufige Vermutung, dass Menschen dann zu Schokolade griffen, wenn sie sich "deprimiert" fühlten, sagte Beatrice Golomb, Ko-Autorin der in den "Archives of Internal Medicine" publizierten Untersuchung. Keine Aussagen mache die Studie über mögliche Auswirkungen von Schokolade auf das Krankheitsbild.
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