Im Alltag geraten wir immer wieder in Situationen, die herausfordernd sind und ein angemessenes Verhalten erfordern. Ob es sich um aggressive Zwischenfälle, Mobbing, Konflikte am Arbeitsplatz oder psychische Probleme handelt, es ist wichtig zu wissen, wie man richtig reagiert, um die Situation zu deeskalieren oder sich selbst und andere zu schützen.
Verhaltenstherapie: Ein Ansatz zur Veränderung ungünstiger Verhaltensweisen
Die Verhaltenstherapie hat sich als Gegenbewegung zur Psychoanalyse entwickelt und basiert auf den Prinzipien des Behaviorismus. Im Gegensatz zur Psychoanalyse, die sich auf unbewusste Konflikte konzentriert, liegt der Fokus der Verhaltenstherapie auf beobachtbarem Verhalten.
Grundlagen der Verhaltenstherapie
Entscheidend für die Erkenntnisse des Behaviorismus waren die Experimente des russischen Psychologen Ivan Pavlov. Er fand heraus, dass entsprechend trainierte Hunde direkt mit Speichelfluss auf das Läuten einer Glocke reagieren, wenn diese zuvor immer unmittelbar vor dem Füttern geläutet wurde. Der Fachbegriff dieses Lernvorgangs lautet „klassische Konditionierung“. Die Erkenntnis "Reaktionen auf Reize werden erlernt", stellt die Basis der Verhaltenstherapie dar. Man geht hier davon aus, dass eine psychische Störung entsteht, wenn etwas gelernt wurde, das sich langfristig als ungünstig erweist.
Die Verhaltenstherapie legt dabei viel Wert auf ein wissenschaftliches Vorgehen. Therapieerfolge sollen messbar gemacht werden, indem Veränderungen im Verhalten des Patienten dokumentiert werden. Außerdem orientiert sich die Verhaltenstherapie an aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft. Es werden auch Forschungsergebnisse aus der Biologie und der Medizin berücksichtigt.
Kognitive Verhaltenstherapie
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Verhaltenstherapie zur kognitiven Verhaltenstherapie erweitert. Hierbei geht man davon aus, dass Gedanken und Gefühle einen entscheidenden Einfluss auf unsere Verhaltensweisen haben. So können Inhalt und die Art unserer Gedanken ungünstige Überzeugungen und Verhaltensweisen hervorrufen. Umgekehrt kann eine Veränderung ungünstiger Denkmuster Verhalten und Gefühle positiv verändern.
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Die kognitive Therapie zielt darauf ab, bisherige Denkweisen zu hinterfragen und zu bearbeiten. Eine wichtige Rolle spielen dabei die persönlichen Einstellungen und Annahmen. In der kognitiven Therapie geht es darum, solche ungesunden Überzeugungen durch realistische zu ersetzen.
Wann ist eine Verhaltenstherapie sinnvoll?
Die Verhaltenstherapie gilt als erfolgreiches Behandlungskonzept für viele psychische Störungen. Wenn die Diagnose einer psychischen Störung vorliegt, übernehmen die Krankenkassen die Kosten der Verhaltenstherapie. Eine Verhaltenstherapie kann ambulant, teilstationär (z.B. in einer Tagesklinik) oder stationär angeboten werden.
Die Verhaltenstherapie fordert die aktive Mitarbeit des Patienten. Die Therapie ist daher nur dann sinnvoll, wenn der Betroffene bereit ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und an sich zu arbeiten. Dabei ist die Mitarbeit nicht nur während der Therapiesitzungen, sondern auch im Alltag gefordert: Der Patient soll das Gelernte praktisch umsetzen und erhält Hausaufgaben, die in den Sitzungen besprochen werden.
Was passiert in einer Verhaltenstherapie?
Das Konzept der Verhaltenstherapie setzt eine gute Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Patient voraus. Dabei soll die Eigenständigkeit und Selbstwirksamkeit des Patienten gefördert werden. Das bedeutet, dass der Therapeut den Patienten aktiv am Therapieprozess beteiligt und alle Abläufe transparent darstellt.
Der Fokus der Verhaltenstherapie liegt - im Gegensatz zur Psychoanalyse - nicht so sehr auf vergangenen, ursächlichen Ereignissen. Vielmehr geht es darum, bestehende Probleme durch neue Denk- und Verhaltensweisen zu bewältigen.
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Diagnose und Therapieplan
Zu Beginn wird eine genaue Diagnose gestellt. Der Therapeut klärt den Patienten dann ausführlich über sein Störungsbild auf. Anschließend legen der Therapeut und der Patient gemeinsam die Ziele der Therapie fest und stellen einen Therapieplan auf. Allgemeines Ziel ist es, ungünstige Verhaltens- und Denkmuster, die belastend sind oder den Betroffenen einschränken, zu verändern.
Die eigentliche Verhaltenstherapie
Der Therapeut fordert den Patienten dazu auf, bisherige Ansichten und Einstellungen, wie zum Beispiel: „Alles, was ich tue, misslingt mir“, zu überprüfen. Anschließend ermutigt der Therapeut den Betroffenen, neue Denk- und Verhaltensweisen auszuprobieren.
Beispielsweise hat sich bei Angststörungen die Expositions- oder Konfrontationstherapie als erfolgreich erwiesen. Die Betroffenen stellen sich angsterzeugenden Situationen und lernen so, dass diese weniger schwer zu ertragen sind, als befürchtet. Dieser Konfrontation stellen sich die Patienten gemeinsam mit dem Therapeuten und später auch alleine, bis die gefürchtete Situation keine oder kaum noch Angst auslöst.
Rückfälle verhindern
Zur Rückfallprophylaxe gehört, dass der Patient gut auf die Zeit nach der Therapie vorbereitet wird. Der Therapeut bespricht mit dem Betroffenen Ängste, die mit dem Ende der Therapie verbunden sind. Auch für die Zeit danach erhält der Patient konkrete Anweisungen, wie er mit erneut auftretenden Probleme umgehen kann. Am Ende der Verhaltenstherapie hat der Patient eine Reihe von Strategien und Methoden in seinem Repertoire, die er in Zukunft zur Bewältigung schwieriger Situationen anwenden kann.
Dauer der Verhaltenstherapie
Wie lange die Verhaltenstherapie dauert, hängt unter anderem von Art und Schwere der psychischen Störung ab. Spezifische Phobien (z.B. eine Spinnenphobie) lassen sich manchmal innerhalb weniger Sitzungen überwinden. Die Behandlung einer schweren Depression hingegen kann sich über mehrere Jahre erstrecken. In der Regel umfasst eine Verhaltenstherapie aber 25 bis 50 Sitzungen.
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Umgang mit Aggression und Gewalt
Im Alltag kann es immer wieder zu Situationen kommen, in denen man Zeuge oder selbst Opfer von Aggression und Gewalt wird. In solchen Fällen ist es wichtig, richtig zu reagieren, um die Situation nicht weiter zu eskalieren und sich selbst und andere zu schützen.
Wie reagiere ich richtig, wenn ich einen aggressiven Zwischenfall im Alltag beobachte?
Karina Hagemann, Expertin für Kommunikation und Konfliktlösung, rät: Wenn Sie so etwas mitbekommen, ist Einschreiten oft nicht die beste Lösung. Dadurch ignorieren Sie die Verantwortung der anderen Person - diese kann sich in den meisten Fällen eigenständig wehren und dadurch viel Selbstbewusstsein dazugewinnen. Diese Möglichkeit nehmen Sie der Person jedoch, wenn Sie sich einmischen. Sollten Sie in Ihrer Rolle Verantwortung haben, etwa als Führungskraft, oder die Person ruft um Hilfe oder es droht Gewalt, schreiten Sie aber selbstverständlich ein. Auch wenn Sie den Eindruck haben, die Person ist völlig überrumpelt und wie gelähmt. Es ist jedoch immer wichtig, die einzelne Situation genau zu betrachten.
Was kann ich tun, wenn ich selbst verbal aggressiv angegangen werde?
Wichtig ist, dass Sie kurz durchatmen und nicht intuitiv reagieren. Die meisten Menschen tendieren instinktiv zu - meist verbalen - Flucht- oder Angriffsmechanismen, die nicht hilfreich für die Situation sind. Ein Konflikt muss nicht per se negativ sein. Eine Klärung kann auch positive Ergebnisse für beide Seiten haben.
Die "Champions League" ist dabei, durch empathisches Zuhören auf den anderen einzugehen. Was braucht der andere und wie kann man darauf hinarbeiten? Meist hilft es wenig, mit Vorwürfen zu kontern. Die "Bundesliga" wäre, bestimmt und respektvoll Grenzen aufzuzeigen.
Was kann ich tun, wenn der verbale Angriff zu eskalieren droht und womöglich körperliche Gewalt ins Spiel kommt?
Hier sind die Regeln für Zivilcourage von "Tu was! Zeig Zivilcourage!" e.V. ein gutes Instrument. Wichtig ist, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Zivilcourage bedeutet nicht unbedingt körperliches Einschreiten. Erst sollten Sie die Situation genau beobachten, denn Zeugenaussagen können im Anschluss sehr relevant sein. Wenn Sie die Situation als gefährlich einschätzen, holen Sie Hilfe. Sich selbst nicht in Gefahr zu bringen, bedeutet auch, körperlich Abstand von der Situation zu wahren. Falls Sie sich nähern, sollten Sie das immer mit Mitstreitern tun.
Viele Umstehende warten oft, dass eine Person die Initiative ergreift. Sprechen Sie andere deshalb direkt an und sagen Sie, was Sie von ihnen brauchen. Falls Sie selbst bedrängt werden, geben Sie Umstehenden ebenfalls genaue Anweisungen. Zum Beispiel: "Sie im roten Pulli, rufen Sie jetzt die Polizei!" So können Sie der Person dabei helfen, ihre eigene Handlungsunfähigkeit oder Unsicherheit zu überwinden.
Beispiele für den Umgang mit aggressiven Situationen
Es gibt im Alltag viele verschiedene Situationen mit hohem Aggressionspotenzial, die fast jeder schon einmal erlebt hat. Hier sind einige typische Beispiele und die Einschätzung der Expertin Karina Hagemann:
- Beispiel 1: Eine Kassiererin im Supermarkt wird von einem verärgerten Kunden verbal attackiert.
Was tun? Dabei ist wichtig, den Verantwortungsbereich der Kassiererin zu respektieren und ihr die Möglichkeit zu geben, die Situation selbst zu klären. Falls Sie den Eindruck haben, dass Ihr Eingreifen hilfreich ist, können Sie dem Kunden mit Verständnis begegnen.
- Beispiel 2: Ein Ausländer wird in der Bahn beleidigt und angepöbelt.
Wie reagiere ich als unbeteiligte Person? Hilfreich finde ich hier die Tipps der französischen Illustratorin Marie-Shirine Yener. Sie empfiehlt, sich gegenteilig zu verhalten und die ausländische Person in ein freundliches Gespräch zu verwickeln. Dadurch geben Sie der Person Sicherheit und dem Aggressor keine Aufmerksamkeit.
- Beispiel 3: Eine Frau wird in einer Bar aufdringlich angebaggert und bedrängt.
Wie reagiere ich in diesem Fall, vor allem als Frau? Hier kommt es darauf an, wie sicher Sie sich fühlen. Wird die Frau etwa von einer Gruppe bedrängt, holen Sie Hilfe. Ist es eine einzelne Person, kann ich mich als Frau so verhalten, als wäre sie meine beste Freundin. So können sie flüsternd fragen, ob sie Hilfe benötigt. Falls ja, verwickeln Sie sie in ein Gespräch und gehen mit ihr weg.
- Beispiel 4: Eine Schülergruppe mobbt ein einzelnes Kind.
Wie kann man in diesem Fall einschreiten? Beobachten Sie genau, ob die Grenze zwischen einfachem Ärgern und Mobbing überschritten wird. Falls anwesend, bitten Sie eine verantwortliche Person, zum Beispiel ein/e Lehrer/in, einzuschreiten. Als Außenstehende und nicht verantwortliche Person würde ich nicht eingreifen, da die Schüler auch weiterhin in einer Gruppe sind, wenn ich wieder weg bin. Das kann dazu führen, dass der Schüler noch stärker gemobbt wird. Falls Gewalt im Spiel ist, kommen ebenfalls wieder die Regeln für Zivilcourage zum Einsatz.
- Beispiel 5: Ein Kollege lässt seine schlechte Laune an einem anderen Kollegen aus.
Raushalten oder einmischen? Achten Sie dabei darauf, dass Sie sich nicht in den Streit der beiden verwickeln lassen. Sie können im Anschluss an die Situation mit einem oder beiden jeweils unter vier Augen sprechen. Dem aggressiven Kollegen können Sie die Rückmeldung geben, dass sein Ton oder seine Worte auf Sie geringschätzig gewirkt haben - am besten mithilfe eines Zitats aus der Situation - und mit ihm darüber ins Gespräch kommen. Genauso können Sie den angegriffenen Kollegen fragen, ob Sie aus seiner Sicht etwas tun können, um die Situation zu verbessern.
Wie Erregungszustände das Denken verändern
Forscher des Instituts für Psychologie der Universität Innsbruck zeigen in einer aktuellen Studie, dass sich stark negative wie auch extrem positive Situationen auf die Fähigkeit des Gehirns auswirken, Vorgänge in der Umgebung richtig einzuordnen. Nach dem Betrachten erregender Szenen waren die Teilnehmer schlechter darin, wiederzugeben, wo sich Objekte befanden oder in welcher Reihenfolge Ereignisse geschahen: Sie waren weniger in der Lage, räumliche und sequentielle Zusammenhänge implizit zu erfassen.
Die in dem Magazin „Frontiers in Behavioral Neuroscience“ veröffentlichte Studie zeigt, dass es in herausfordernden Situationen für Menschen schwieriger ist, zu erfassen, wo sie sich räumlich befinden und was um sie herum geschieht. Bisherige Forschung konnte zeigen, dass Erinnerungen im Langzeitgedächtnis, die unter hoher Erregung, wie etwa in stressreichen oder gefährlichen Situationen, entstanden sind, häufig wenig in den unmittelbaren Kontext eingebettet waren und Ereignisse weniger detailreich abbildeten.
„Dieser Umstand macht Fehlerinnerungen wahrscheinlicher und macht es uns schwerer zu unterscheiden, ob eine neue Situation ähnlich der erinnerten Situation und deshalb vielleicht gefährlich ist. Doch wie wirkt sich hohe Erregung im Hier und Jetzt aus? Kontextinformationen sind unter anderem notwendig, um sich selbst und Ereignisse augenblicklich in Raum und Zeit zu verorten“, erklärt Thomas Maran vom Institut für Psychologie.
Im Vergleich zur neutralen Szene minderte sowohl die Sexszene als auch die gewalttätige Szene die Fähigkeit der Teilnehmer, sich zu merken, wo bestimmte Objekte gewesen sind, oder Sequenzen zu lernen und damit richtige Vorhersagen zu treffen.
Thomas Maran und seine Kollegen sehen die Antwort in den Abläufen im Gehirn, welche diesen Denkleistungen zugrunde liegen, verweisen aber dabei auf die Notwendigkeit weiterer Studien mit bildgebenden Verfahren. Mehrere Forschungsergebnisse unterstützen die Vermutung, dass der Hippocampus - ein für die Gedächtnisbildung wichtiges Hirnareal - stark in das Erlernen und Rekonstruieren von räumlichen und zeitlichen Details involviert ist.
„Eine Hemmung dieser Funktion im Gehirn angesichts einer potenziell gefährlichen Situation könnte uns davon abhalten, den Kontext einer Situation zu erschließen und jenen Effekt verursachen, den wir in unserer Studie am konkreten Verhalten zeigen konnten“, sagt Thomas Maran. „Vom Kontext losgelöstes Handeln ist reflexartig und damit weniger komplex und anspruchsvoll.
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