Suizidalität bezeichnet das Erleben und Verhalten, das darauf abzielt, den eigenen Tod bewusst herbeizuführen - aktiv oder passiv. Eine solche Suizidalität kann einmalig auftreten oder chronisch werden.
Chronische Suizidalität bedeutet, dass die Betroffenen immer wieder suizidale Gedanken und Absichten entwickeln und meist bereits einen oder mehrere Suizidversuche unternommen haben.
In der psychiatrischen Literatur werden verschiedene Ausprägungen von Suizidalität unterschieden, zum Beispiel:
- Bedürfnis nach Ruhe, Pause, Veränderung und Rückzug, mit Inkaufnahme des Risikos zu sterben
- Passiver Todeswunsch - Lebensüberdruss gepaart mit dem Wunsch, zu sterben, ohne den Tod jedoch selbst zu verursachen
- Suizidgedanken - Gedanken darüber, sich das eigene Leben zu nehmen
- Suizidabsichten - konkrete Absicht, sich selbst zu töten
- Suizidimpuls - plötzlicher Impuls, sich sofort das Leben zu nehmen, mit großem Handlungsdruck
- Suizidhandlung - eine selbstschädigende Handlung mit dem Ziel eines tödlichen Ausganges
- Suizidversuch - eine Suizidhandlung, mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausganges
- Suizid - eine Suizidhandlung mit tödlichem Ausgang
Von Suizidalität abzugrenzen ist selbstschädigendes/selbstverletzendes Verhalten ohne die Absicht, sich das Leben zu nehmen (z.B. im Rahmen einer Borderline-Erkrankung).
Ziel dieser Einteilung ist es, im Einzelfall möglichst genau einschätzen zu können, welche Art von Unterstützung und Hilfe Betroffene brauchen.
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Suizidgedanken entstehen, wenn der psychische Leidensdruck eines Menschen Überhand gewinnt. Dann können sich Gedanken einstellen wie "Welchen Sinn hat das alles noch?", "Es wäre besser, tot zu sein" oder "So will ich nicht weiterleben".
Diese Gedanken können in puncto Häufigkeit und Intensität stark variieren. Je öfter sie auftreten und je drängender sie sind, desto stärker geraten Alternativen zum Suizid aus dem Blick der Betroffenen.
Stadien der Suizidalität
Ein bewährtes Modell zur Verlaufsbeschreibung der Suizidalität ist das Stadien-Modell des österreichischen Psychiaters Walter Pöldinger. Es gliedert die suizidale Entwicklung in drei Phasen:
1. Erwägung
Typisch für die erste Phase sind wiederholte suizidale Gedanken, Gefühle der Ausweglosigkeit sowie der soziale Rückzug der Betroffenen. Auch die Autoaggression, also die gegen sich selbst gerichtete Aggression, nimmt zu.
Zudem nehmen die Betroffenen suizidale Ereignisse, zum Beispiel in den Medien oder im eigenen Umfeld, aufmerksamer wahr. Sie können sich in dieser Phase aber noch von ihren suizidalen Gedanken distanzieren, sind noch fähig zur Selbststeuerung. Oft senden sie versteckte Signale aus, um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen.
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2. Ambivalenz
Im zweiten Stadium schwanken Betroffene zwischen einem selbstzerstörerischen und dem selbsterhaltenden Trieb, also zwischen ihren suizidalen Gedanken und dem Wunsch zu leben. Sie wägen die Gründe für und gegen einen Suizid gegeneinander ab.
In dieser Phase haben die Betroffenen keine Kontrolle mehr über ihre suizidalen Gedanken. Viele äußern diese außerdem erstmals direkt gegenüber Angehörigen oder Freunden. Auch beobachtet man häufig eine Art Hilferuf oder Kontaktaufnahme mit dem Hausarzt, einem Psychiater oder einer Beratungsstelle.
3. Entschluss
Diese Phase wird auch als „Ruhe vor dem Sturm“ bezeichnet. Die Betroffenen wirken häufig gelöst und entspannt, die Entscheidung ist gefallen, und die damit einhergehende Last fällt weg. Das Umfeld deutet die Ruhe der Betroffenen oft fälschlicherweise als Zeichen der Besserung. Der Suizid wird nur noch indirekt angekündigt.
Tatsächlich treffen die Betroffenen in diesem Stadium jedoch konkrete Vorbereitungen für den Suizid. Sie formulieren möglicherweise ihr Testament, verabschieden sich von Familie und Freunden oder kündigen eine längere Reise an - solche Warnsignale sollte man sehr ernst nehmen!
Präsuizidales Syndrom nach Erwin Ringel
Der Psychiater Erwin Ringel befragte in den 1950er Jahren rund 750 Menschen, die einen Suizidversuch überlebt hatten. Auf Basis der Ergebnisse formulierte er das sogenannte präsuizidale Syndrom. Es beinhaltet spezifische Merkmale, die typischerweise vor einem Suizidversuch auftreten. Sie gelten als Warnzeichen und sollten immer ernst genommen werden:
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- Einengung: Die Betroffenen sehen immer weniger Wahlmöglichkeiten bzw. Alternativen zum Suizid. Die Einengung durch Wahrnehmung von negativen Gefühlen (Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung) und Gedanken (Verlust von Werten, Interessen) kann durch die eigene Lebenssituation oder bestimmte Ereignisse begründet sein (z.B. soziale Isolation, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Verlust des Partners). Sie kann aber auch auf einer psychischen Erkrankung (z.B. Depression) beruhen.
- Aggression: Die Betroffenen haben ein großes Aggressionspotenzial, können ihre Wut aber nicht nach außen zeigen und adressieren, sondern richten sie gegen sich selbst. Man spricht hier von einer Aggressionsumkehr. Gefühle von Selbstabwertung und -verurteilung, Schuld und Sinnlosigkeit beherrschen diese Aggression.
- Flucht in eine Phantasiewelt: Die Betroffenen entwickeln eine alternative Scheinwelt, da sie sich der Realität nicht mehr gewachsen fühlen. Durch das intensive Eintauchen in eine Phantasiewelt wächst die soziale Isolation. In dieser Phantasiewelt nehmen die suizidalen Gedanken immer mehr Raum ein und werden konkreter bis es schließlich zum Suizid(versuch) kommt.
Häufigkeit von Suizidalität
Im Jahr 2023 haben sich in Österreich 1.212 Menschen (hauptsächlich Männer) das Leben genommen - etwa dreimal so viele Menschen, wie im selben Zeitraum im Straßenverkehr starben.
Insgesamt ist die Anzahl der Suizide seit den 1980er Jahren deutlich rückläufig - abgesehen von einem temporären kleinen Anstieg im Jahr 2022.
In der Todesursachenstatistik sind seit 2022 auch assistierte Suizide erfasst. Ihre Zahl belief sich im Jahr 2023 auf 98 (nach 54 in 2022).
Weltweit nehmen sich laut WHO pro Jahr 726.000 Menschen das Leben. Die Dunkelziffer und die Anzahl der erfolglosen Versuche liegen weit darüber.
Ursachen und Risikofaktoren
Suizide werden in mehr als 90 Prozent der Fälle infolge einer psychischen Erkrankung verübt. Dabei handelt es sich oftmals um eine Depression. Die damit verbundenen Symptome wie Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle, innere Leere und die Unfähigkeit, Freude zu empfinden, machen die Betroffenen besonders anfällig für suizidale Gedanken, Absichten und Handlungen.
Auch Schizophrenie, bestimmte Persönlichkeitsstörungen wie Borderline sowie Suchterkrankungen steigern das Suizid-Risiko.
Weitere Risikofaktoren der Suizidalität sind zum Beispiel:
- Suizide oder Suizidversuche in der Familie oder im näheren Umfeld
- Eigene Suizidversuche in der Vergangenheit
- Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Randgruppen
- Schwierige Lebenssituationen (z.B. Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, Trennung vom Lebenspartner, Tod naher Angehöriger, zunehmendes Alter)
- Gewalterfahrungen
- Einsamkeit/soziale Isolation
- Körperliche Erkrankungen, insbesondere solche, die mit Schmerzen verbunden, entstellend oder chronisch sind
Symptome und Warnsignale
Woran lassen sich Suizidalität und Suizidgedanken erkennen? Es gibt einige Symptome und Alarmzeichen, die auf einen geplanten Suizid hinweisen können. Dazu zählen vor allem:
- Sozialer Rückzug
- Direkte oder indirekte Äußerung von Suizidgedanken
- Äußerliche Veränderungen, zum Beispiel dunkle Kleidung, ungepflegtes Erscheinungsbild
- Vernachlässigung von Ernährung und Körperpflege
- Änderung von Gewohnheiten
- Riskante Verhaltensweisen
- Abschied nehmen, persönliche Dinge verschenken, ein Testament vorbereiten
- Lebenskrisen
Von akuter Suizidalität spricht man, wenn die Betroffenen intensive lebensmüde Gedanken und konkrete Suizidabsichten haben, so dass eine akute Suizidhandlung droht. An folgenden Anzeichen lässt sich akute Suizidalität erkennen. Der Betroffene:
- Hält auch nach einem längeren Gespräch an seinen Suizidabsichten fest
- Hat drängende Suizidgedanken
- Ist hoffnungslos
- Ist sozial isoliert oder hat sich kürzlich stark zurückgezogen
- Leidet an einer akuten psychotischen Episode
- Hat schon einen oder mehrere Suizidversuche hinter sich
Was tun bei Suizidgedanken?
Suizidale Gedanken sollten immer ernst genommen werden - von den Betroffenen selbst, aber auch von Angehörigen und Freunden. Leider ist noch das Vorurteil weit verbreitet, wonach jemand, der davon spricht, sich das Leben zu nehmen, dies nicht tut. Das ist falsch!
Es ist sogar oft das Gegenteil der Fall: Viele lebensmüde Menschen kündigen ihren Suizid an - direkt oder indirekt, etwa durch Äußerungen wie "Das macht alles keinen Sinn mehr", "Ich kann nicht mehr" oder Ähnliches.
Im ersten Schritt kann ein offenes Gespräch mit einem engen Vertrauten helfen, wo die oft quälenden Gedanken ausgesprochen werden.
Behandlung von akuter Suizidalität
Zur Behandlung von akuter Suizidalität werden zunächst meist dämpfende, beruhigende Medikamente eingesetzt. Ist die akute Gefährdung abgeklungen, schließen sich psychotherapeutische Gespräche an. Ob die Behandlung in der Klinik oder ambulant fortgesetzt wird, hängt davon ab, wie hoch das Suizidrisiko des Betroffenen eingeschätzt wird.
Einige Beispiele für wichtige Elemente der Behandlung von akuter Suizidalität:
- Risikofaktoren wie problematische soziale Kontakte oder Drogenkonsum werden möglichst ausgeschaltet.
- Betroffene werden engmaschig überwacht, sodass sie keinen Zugang zu potenziellen Suizid-Werkzeugen wie Waffen oder Medikamente haben.
- Manchmal sind Psychopharmaka angezeigt, um eine zugrundeliegende psychische Erkrankung zu behandeln.
- Manche Therapeuten schließen einen Nicht-Suizid-Vertrag mit dem Patienten ab. Dieser willigt damit in die Behandlung ein und erklärt, sich während der Therapie nichts anzutun. Der Vertrag ist natürlich nicht rechtlich bindend, stärkt aber das Vertrauensverhältnis und die Compliance - also die Bereitschaft des Patienten, aktiv an der Behandlung mitzuwirken.
- Suizidalen Menschen fehlt oft eine feste Tagesstruktur, die ihnen im Alltag Halt gibt. Teil der Behandlung sind deshalb oft konkrete Strukturierungshilfen, etwa in Form von gemeinsam erarbeiteten Tagesplänen.
- Ein Verhaltenstraining kann Suizidgefährdeten helfen, ihre Emotionen zu regulieren und Konflikte besser zu bewältigen.
- Mit Selbstsicherheitsübungen und Kommunikationstraining lassen sich die sozialen Kompetenzen der Betroffenen verbessern.
- Kognitive Therapieverfahren zielen darauf ab, den dysfunktionalen Denkstil zu verändern, der von Hoffnungslosigkeit, Selbstabwertung, Grübeln und negativer Zukunftsbewertung geprägt ist.
- Die Einbindung von Angehörigen oder engen Freunden kann den Therapieerfolg unterstützen.
Hinweise für Angehörige
Sie machen sich Sorgen um einen Angehörigen und fragen sich: Was tun bei Suizidalität? Der wichtigste Rat lautet: Seien Sie da! Lassen Sie den Betroffenen nicht allein und kümmern Sie sich um ihn.
Weitere wichtige Ratschläge:
- Offen reden: Sprechen Sie das Thema Suizidalität aktiv an. Bleiben Sie dabei ruhig und sachlich. Befürchtungen, den Suizid zu forcieren, indem man ihn thematisiert, sind unbegründet. Für die Betroffenen ist es meist sehr erleichternd, die oft schambehafteten, quälenden suizidalen Gedanken mit einem vertrauten Menschen teilen zu können.
- Ernst nehmen: Nehmen Sie die Suizidgedanken ernst und werten Sie sie nicht. Vermeiden Sie unbedingt Äußerungen wie "Das wird schon wieder" oder "Jetzt reiß dich mal zusammen". Auch wenn Ihnen die geschilderten Probleme nicht gravierend erscheinen - die Betroffenen sehen das infolge ihrer verengten Denk- und Wahrnehmungsmuster völlig anders.
- Professionelle Hilfe organisieren: Zögern Sie nicht, professionelle Hilfe zu suchen.
Suizidalität und Geschlecht
Männer sind häufiger von Suizid betroffen als Frauen. Männer sterben dreimal bis viermal so häufig durch Suizid wie Frauen. Hierbei gilt es allerdings zu bedenken, dass die Suizidraten nur die Zahl der vollzogenen Suizide beinhalten. Suizidversuche kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern.
Der Grund, warum Männer so häufig durch Suizid sterben, kann mit verschiedenen Faktoren in Zusammenhang stehen. Bei vielen Ehepaaren ist es z.B. nach wie vor der Fall, dass insbesondere die Frau die Pflege sozialer Beziehungen und Kontakte übernimmt. In der Folge sind Männer bei Trennung oder Tod der Frau - zumindest vorerst - mit einem Verlust oder einer Einschränkung des sozialen Lebens konfrontiert.
Ebenso könnte Suizidalität bei Männern mit beruflichem Stress verbunden sein. Männertypische Berufe gehen möglicherweise mit sozialer Isolation, Trennung von der Familie und großer Verletzungsgefahr einher.
Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen bzw. Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung haben ein höheres Risiko für Depressionen, Suizidgedanken und suizidales Verhalten.
Interaktionelles Geschehen und therapeutische Beziehung
Wenn Menschen direkt oder indirekt mitteilen, dass sie nicht mehr leben wollen, ist dies zunächst als ein interaktionelles Geschehen zu verstehen. Daher ist das Beziehungsangebot das zentrale Element jeder Form der Behandlung, sowohl der Krisenintervention als auch der Psychotherapie suizidaler Menschen. Voraussetzung für eine konstruktive therapeutische Arbeit ist eine tragfähige Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn.
Die zentralen konflikthaften Themen des suizidalen Menschen sind der Umgang mit Aggression, die Selbstwertregulation und der Umgang mit nahen Beziehungen.
Es zeigt sich, dass es viele Menschen gibt, die auf Grund einer akuten psychosozialen Krisensituation sehr ernsthaft suizidal werden, für die dies aber die einzige suizidale Episode im Leben bleibt.
Dem gegenüber geraten etwa 20 bis 30 % jener Menschen, die einen Suizidversuch unternommen haben, wiederholt in suizidale Krisen. Man spricht von chronischer Suizidalität. Das Suizidrisiko von Menschen, die bereits einen oder mehrere Suizidversuche unternommen haben, ist vierzig Mal höher als in der Normalbevölkerung. Ca. 5-10 % sterben innerhalb von 10 Jahren nach dem ersten Versuch durch Suizid. Bei diesen Menschen finden sich oft sehr ernste Psychopathologien.
Besonders gefährdet sind Personen mit affektiven Störungen (depressive und bipolare Störungen), mit Psychosen, Borderline- und antisozialen Persönlichkeitsstörungen, Alkohol‑, Drogen- und Medikamentenmissbrauch und Essstörungen.
Psychodynamik suizidaler Entwicklungen
In tiefenpsychologischen Theorien wird Suizidalität nicht nur als ein Zeichen seelischer Dekompensation, sondern darüber hinaus als eine psychische Funktion aufgefasst. Diese wird dann eingesetzt, wenn intrapsychische oder interpersonelle Krisen nicht mehr anders handhabbar scheinen. So gesehen kann Suizidalität eine regulierende, manchmal auch stabilisierende Funktion haben.
Die gemeinsame Ausgangshypothese der tiefenpsychologischen Theorie formuliert Freud in Trauer und Melancholie: „Kein Neurotiker verspürt Selbstmordabsichten, der solche nicht von einem Mordimpuls gegen andere auf sich zurückwendet“ (1917, S. 205). Er postuliert also einen Aggressionskonflikt und deutet die Suizidhandlung als Wendung der Aggression gegen die eigene Person.
| Kategorie | Anzahl |
|---|---|
| Suizide insgesamt | 1.212 |
| Assistierte Suizide | 98 |
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