Essstörungen: Ursachen, Formen und Behandlung

Essstörungen sind schwerwiegende seelisch-körperliche Erkrankungen, die oft im Jugendalter beginnen und unbehandelt ein Leben lang andauern können. Sie beeinträchtigen den Körper, die Psyche und die zwischenmenschlichen Beziehungen erheblich. Ein gestörtes Essverhalten ist noch keine Essstörung, aber ein Warnsignal, das beobachtet werden sollte. Ist das Essverhalten gestört, beeinträchtigt das sowohl das eigene Leben als auch die Beziehung zu anderen Menschen.

Woran erkennt man gestörtes Essverhalten?

  • Das Essverhalten folgt strengen Regeln: es wird übermäßig kontrolliert, zum Beispiel durch feste Zeiten, Pläne oder strikte Einteilung der Lebensmittel in erlaubte und verbotene Speisen.
  • Das Essverhalten ist chaotisch: Mahlzeiten werden „vergessen“, bzw. keine Zeit dafür eingeplant.
  • Das Essverhalten ist abwechselnd streng strukturiert und dann wieder chaotisch.
  • Essen ist das wichtigste Mittel zur Stressbewältigung bzw. um mit Problemen fertig zu werden.
  • Essen ist stark stimmungsabhängig, zum Beispiel bei Anspannung oder Euphorie wird mehr oder weniger gegessen als sonst.
  • Essen ist stark gewichtsabhängig: Essen wird unter dem Aspekt der Gewichtskontrolle betrachtet. Bereits eine geringe Gewichtszunahme wird mit Angst und Gegenmaßnahmen begegnet.
  • Das Essverhalten kontrolliert die Gedanken.

Essstörungen sind immer Ausdruck seelischer Konflikte, niemals nur schlechte Angewohnheiten.

Formen von Essstörungen

Aus einem gestörten Essverhalten kann sich eine Essstörung mit Krankheitswert entwickeln - vor allem dann, wenn die Betroffenen zusätzlich zu den oben erwähnten Warnsignalen auch eine gestörte Einstellung zu ihrem eigenen Körper entwickeln. Die Zahl auf der Waage bestimmt das Wohlbefinden. Auch Konflikte oder Niedergeschlagenheit führen zu Selbstzweifel am eigenen Körper. Er wird zudem kritisch beobachtet und kontrolliert. Dazu gehören mehrmals tägliches Wiegen, das Abmessen von Armen, Beinen und Taille.

Es werden drei Hauptformen von Essstörungen unterschieden:

  • Magersucht (Anorexie, Anorexia nervosa)
  • Bulimie (Ess-Brechsucht, Bulimia nervosa)
  • Binge-Eating-Störung (Heißhungerattacken, Binge-Eating-Disorder)

Vorsicht: Bei Essstörungen sind die Übergänge oft fließend. Mischformen kommen auch vor.

Magersucht (Anorexia nervosa)

Magersucht tritt gehäuft im Alter von zehn bis 25 Jahren auf. Es sind nicht nur Frauen betroffen, sondern immer häufiger auch Männer. Anorexia nervosa tritt gehäuft im Alter zwischen 10 und 25 Jahren auf und betrifft zu 90 bis 95 Prozent Frauen. Laut Richtlinien liegt eine Magersucht vor, wenn das Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter dem BMI von 17,5 liegt. Der Gewichtsverlust wurde selbst herbeigeführt durch Einschränkung der Nahrungsaufnahme, zum Beispiel durch Erbrechen, die Einnahme von Abführmitteln, übertriebene körperliche Aktivitäten oder den Gebrauch von Appetitzüglern. Die Angst, dick zu werden, ist tief verwurzelt, der eigene Körper wird meist als unförmig wahrgenommen (Körperschemastörung). Die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.

Die Krankheit kann zu einer endokrinen Störung führen. Das bedeutet, dass die Hormonproduktion verringert wird und bewirkt bei Frauen ein Aussetzen der Regelblutung, bei Männern den Verlust von sexuellem Verlangen und Potenz. Beginnt die Erkrankung vor der Pubertät, wird die Entwicklung verzögert oder gehemmt. Den Betroffenen ist ständig kalt (Untertemperatur) und sie haben einen niedrigen Blutdruck. Die Patienten haben zudem ein erhöhtes Risiko für Osteoporose.

Mangelndes Selbstwertgefühl und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper gelten als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Anorexia nervosa. Psychische Ursachen, aber auch Gewohnheiten in der Familie sowie biologische und gesellschaftliche Einflüsse spielen ebenfalls eine Rolle.

Bulimie (Bulimia nervosa) - Essen und Erbrechen

Zentrales Merkmal der Bulimie sind Heißhungerattacken, die von Betroffenen nicht mehr kontrolliert oder gesteuert werden können. Sie verspüren ein Verlangen nach Lebensmitteln, die ohne Lust am Essen gierig verschlungen werden. Das Gefühl für Hunger und Sättigung ist oft gestört bzw. verloren gegangen. Gleichzeitig besteht eine krankhafte Angst vor einer Gewichtszunahme. Aus dieser Furcht heraus kommt es zu selbst herbeigeführtem Erbrechen, Fasten, Missbrauch von abführenden Medikamenten oder exzessivem Sport.

Betroffene können leicht untergewichtig, normalgewichtig oder übergewichtig sein - man sieht ihnen die Erkrankung oft nicht an. Das bulimische Verhalten findet meist heimlich statt, und das Erbrechen wird als zunehmend beschämend erlebt. Viele Betroffene fühlen sich der Krankheit ohnmächtig ausgeliefert und ekeln sich vor sich selbst. Durch das ständige Erbrechen ist der Elektrolythaushalt gestört, die Speiseröhre erhält Risse, und es kommt zu Zahnschädigungen.

Binge-Eating-Störung (Essanfälle) - Essen außer Kontrolle

Von einer Binge-Eating-Störung spricht man, wenn regelmäßig Essanfälle auftreten. Im Unterschied zur Bulimie werden anschließend keine Gegenmaßnahmen wie Erbrechen, Fasten oder Medikamenteneinnahme ergriffen, um eine Gewichtszunahme zu verhindern. Diese Essanfälle machen sich bei Betroffenen auch auf der Waage bemerkbar: Sie sind übergewichtig oder adipös. Die Betroffenen spüren einen Kontrollverlust - sie können nicht mehr kontrollieren, was oder wie viel sie essen.

Solche Essanfälle müssen mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg auftreten, damit man von einer Binge-Eating-Störung sprechen kann.

Gut zu wissen: Binge-Eating haftet das Vorurteil an, eine Essstörung mit geringem Krankheitswert und damit geringer Behandlungsbedürftigkeit zu sein - das ist jedoch falsch. Auch diese Essstörung ist bedrohlich und hat unbehandelt ernste Folgen.

Nicht jeder Übergewichtige leidet automatisch unter einer Binge-Eating-Störung. Adipositas, also krankhaftes Übergewicht bzw. Fettsucht, kann viele andere Ursachen haben, etwa hormonelle Einflüsse oder eine genetische Veranlagung.

Orthorexia nervosa - wenn gesundes Essen zur Sucht wird

„Krankhaftes Gesundessen“ wird zu den Zwangsstörungen gezählt. Diese Essstörung wurde vom Mediziner Dr. Steve Bratman definiert und ist die jüngste unter den bisher bekannten Essstörungen. Laut Definition haben die Betroffenen den Zwang, sich gesund zu ernähren. Es besteht eine große Furcht vor Chemikalien, Fett und Zusatzstoffen, sodass Orthorektiker ihre Lebensmittelauswahl stark einschränken und zwanghaft nur „sichere“ Nahrungsmittel verzehren.

Im Gegensatz zu Anorexia und Bulimia nervosa steht hier statt der Quantität eher die Qualität einer Speise im Vordergrund.

ARFID (Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder)

Bei dieser Form der Essstörung schränken Menschen ihre Nahrungsaufnahme ein. Anders als bei bisher erwähnten Erkrankungen haben Betroffene allerdings kein verzerrtes Bild von ihrem Körper. Vielmehr fokussiert sich diese Form, die kurz auch ARFID genannt wird, auf ein sehr wählerisches Essverhalten. Das kann sowohl die Textur, den Geruch, die Farbe aber auch den Geschmack betreffen. Zu diesen ARFID zählt etwa die Orthorexie.

Adipositas und die Psyche

Adipositas beschreibt starkes Übergewicht, das auf verschiedene Ursachen zurückgehen kann. Eine der häufigsten Gründe ist die Aufnahme von zu viel energiereicher Nahrung. Wenn der Körper diese Energie nicht verbraucht, wird sie in Form von Fett gespeichert. Das überschüssige Fettgewebe wirkt sich negativ auf den Körper aus und begünstigt eine Reihe von Erkrankungen. Dazu gehören unter anderem Diabetes mellitus Typ 2, die Verengung von Blutgefäßen durch Ablagerungen sowie Bluthochdruck. Auch die seelische Gesundheit kann unter Übergewicht leiden.

Adipositas ist keine klassische Essstörung, sondern eine chronische und zugleich behandelbare Erkrankung. In Österreich tritt sie immer öfter auf - zuletzt waren rund 17 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren betroffen.

Obwohl die Adipositas im Vergleich zu Anorexie und Co. keine psychische oder psychiatrische Störung ist, gibt es oft psychische Faktoren, die zur Aufrechterhaltung des Übergewichts beitragen. Auffallend ist, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen häufiger an Adipositas leiden. Man spricht dann von Begleiterkrankungen, die im Fachjargon auch Komorbidität genannt werden. Das bedeutet, dass Betroffene neben ihrer Grunderkrankung auch an einer oder mehreren weiteren Erkrankungen leiden.

Wie wirken Diäten auf Körper und Psyche?

Wenn Essgewohnheiten das Ziel verfolgen, das Körpergewicht zu halten beziehungsweise zu reduzieren, spricht man von „gezügeltem Essverhalten“ oder umgangssprachlich einer „Diät“. Eine Diät ist noch keine Essstörung, sondern vielmehr ein gezieltes, oft zeitlich begrenztes Verhalten, um das Essverhalten zu kontrollieren. Problematisch wird es, wenn eine Diät extrem strikt wird und das gesamte Essverhalten dominiert. In solchen Fällen kann sie ein Anzeichen oder aber der Beginn für eine Essstörung sein.

Bei einer Diät wird die Zufuhr von Nahrung nicht durch Hunger, sondern durch kognitive, also gedankliche, Kontrolle geleitet. Je strenger diese Kontrolle abläuft, desto größer die Chance, dass negative Folgeerscheinungen auftreten. Darunter fallen etwa Heißhungeranfälle und der explizite Hunger auf Süßes.

Während einer Reduktionsdiät, wie eine bewusst reduzierte Aufnahme von Kalorien auch genannt wird, passt sich der Körper an die geringere Kalorienzufuhr an: Er senkt seinen Energieverbrauch. Um eine ausgewogene Energiebilanz zu erreichen, reicht eine geringere Nahrungsaufnahme aus. Kehrt man nach der Diät jedoch zu alten Essgewohnheiten zurück, reagiert der Körper darauf: Überschüssige Kalorien werden dann bevorzugt als Fett gespeichert. Gleichzeitig wird der Energieverbrauch wieder erhöht, da der Körper versucht, eine neue Balance zwischen Kalorienaufnahme und -verbrauch herzustellen. Dieser Prozess führt oft dazu, dass das Gewicht wieder auf das ursprüngliche Niveau oder darüber hinaus ansteigt - der sogenannte Jojo-Effekt.

Da das Essverhalten durch ständige Einschränkung und Verbote beeinflusst wird, entsteht unweigerlich ein verstärkter Kontrollzwang. Dieser kann in Folge zu einer Reihe an negativen Auswirkungen führen, nicht nur einer späteren Gewichtszunahme. Denn egal welche Diät eingehalten wird, Diäten setzen den Körper immer unter Stress.

Psychisch ist so eine Diät aus verschiedenen Gründen belastend: Einerseits kreisen die Gedanken verstärkt um die selbst auferlegten Essens-Regeln. Aber auch aus evolutionsbiologischen Gründen ist es sehr schwierig, mit Diäten abzunehmen. Das liegt daran, dass Stress immer schon gleichbedeutend mit Gefahr war. Und in Gefahrensituationen hatte der Körper nicht das Ziel, an Gewicht zu verlieren.

Hilfsangebote in Österreich

In Österreich gibt es eine Vielzahl an Hilfsangeboten für Menschen, die mit Essstörungen aller Art zu kämpfen haben - sowohl für Kinder als auch für Jugendliche und Erwachsene. Die Palette reicht von professionellen Beratungsdiensten über spezialisierte Therapeutinnen und Th...

Seit über 20 Jahren bietet sowhat als größte Einrichtung Österreichs eine ambulante Behandlung auf Krankenkasse an. Liegt eine diagnostizierte Essstörung vor, kann hier bis zu zwei Jahren ein interdisziplinäres medizinisch-psychotherapeutisches BH-Programm ambulant auf Kassenkosten an den Standorten Wien, Mödling und St. Pölten in Anspruch genommen werden. Ebenso bietet sowhat unterschiedliche Formen der Angehörigenbegleitung und Behandlung für PrivatpatientInnen an.

Tabelle: Übersicht über die Hauptformen von Essstörungen

Essstörung Merkmale Verhaltensweisen
Magersucht (Anorexie) Bewusste Reduktion der Nahrungsaufnahme, Untergewicht, Angst vor Gewichtszunahme Vermeidung von hochkalorischen Speisen, selbstinduziertes Erbrechen, exzessive körperliche Aktivität
Bulimie Wiederholte Essanfälle, Angst vor Gewichtszunahme Erzwungenes Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, Fasten, übermäßiger Sport
Binge-Eating-Störung Wiederholte Essanfälle, Kontrollverlust Schnelles Essen, Essen bis zum Völlegefühl, Essen ohne Hunger
Orthorexie Zwanghaftes Streben nach gesunder Ernährung Einschränkung der Lebensmittelauswahl, Vermeidung von "ungesunden" Lebensmitteln

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