Die Entwicklung ist eine Konstruktion. Sie vollzieht sich in der aktiven Auseinandersetzung einer Person mit ihrer Umwelt und das Ergebnis ist im strikten Sinne kein inneres Abbild der äußeren Realität. Welche Anteile der Lebensbedingungen überhaupt wahrgenommen und wie sie assimiliert werden bzw. welche Anpassungsprozesse sie auslösen, hängt von vielem ab.
Kognitive Entwicklung
Die bekannteste Theorie zur Intelligenzentwicklung stammt von Piaget (1975; nach Montada, 2002), der eine allgemeine Struktur der kognitiven Entwicklung aufgezeigt hat. Er unterteilt diese in vier Hauptstadien:
- die sensumotorische Phase
- das voroperative, anschauliche Denken
- das Stadium der konkret-operatorischen Strukturen
- das formal-operatorische Stadium
Das Stadium der konkret-operatorischen Strukturen (nach Piaget ab dem 5. oder 6. Lebensjahr) ermöglicht durch eine Überwindung des Egozentrismus und der Entwicklung einer Reihe neuer mentaler Operationen eine systematische Auseinandersetzung mit der Welt. Das Kind kann nun Begriffe systematisch nach wechselnden Oberbegriffen klassifizieren, es kann reversibel denken und somit schlussfolgern.
Im formal-operatorischen Stadium (ab 11 Jahren, nach Remschmidt, 1992) kann die/der Jugendliche im Denken über die gegebene Information hinausgehen. Systematische Hypothesenbildung und planvolles Experimentieren werden auch ohne direkte Beobachtung möglich. Strategien können gebildet werden, wobei Elemente der vorhergehenden Überlegungen eingeschlossen werden. Insgesamt wird durch den Aufbau immer komplexerer Strukturen das Denken beweglicher, beispielsweise werden (physikalische) Gesetze, die mehrere Lösungsmöglichkeiten bereithalten, einsichtig.
Die Fähigkeit zu Introspektion, Selbstreflexion und Selbstevaluation auf erwachsenem Niveau entsteht. Die Kinder werden zu einem langsamen und sorgfältigen Arbeitsstil fähig, da sie sich selbst Befehle geben können, sie benutzen ihn aber ohne Kontrolle von außen nicht unbedingt.
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Affektive Entwicklung
Meilensteine in der emotionalen Entwicklung vollziehen sich nach Carlson & Hatfield (1992; nach Resch, 1999) vor allem in den ersten vier Lebensjahren. Die Entwicklung verläuft von der Abhängigkeit von einer Bezugsperson, die die Emotionen des Säuglings reguliert, zur Selbständigkeit. Ein Schulkind etwa kann seine/ihre Emotionen unter entspannten Bedingungen durch Appellieren an sich selbst steuern. In schwierigen Situationen fällt es jedoch in frühere Entwicklungsphasen zurück, das heißt, es benötigt die Unterstützung einer Bezugsperson zur Regulierung des Erregungsniveaus.
Die emotionale Entwicklung lässt sich in die Entwicklung der Ausdrucks- und der Eindrucksfähigkeit unterteilen. Diese Prozesse haben die Funktion, die eigenen Handlungen bzw. die anderer zu regulieren. Mit zunehmender kognitiver Entwicklung und Erfahrung kann ein Schulkind konventionalisierte Ausdruckssymbole gebrauchen, deren Appellcharakter erkennen und sich den kulturell vorgeschriebenen Normen anpassen.
Die Trennung zwischen Ausdrucks- und Eindrucksprozessen ermöglicht eine Kontrolle des Ausdrucks und so die Entstehung einer privaten Gefühlswelt, zu der andere Personen keinen direkten Zugang haben.
Zusammenhang zwischen Kognition und Affekt
Je nach interaktioneller Erfahrung sind kognitive Schemata in verschiedenen Wirklichkeitsdomänen anders strukturiert und können zu anderen Handlungskonsequenzen führen. Affektivität und Intelligenz stehen so unlösbar miteinander in Verbindung. Affektivität kann einen beschleunigenden, modulierenden oder störenden Einfluss auf die Operationen der Intelligenz ausüben. Wissensbestände sind als affektiv-logische Schemata organisiert, in denen kognitive Wissensinhalte und affektive Erlebnisbereitschaften erfahrungsgemäß integriert sind.
Für die Handlungsregulation wirken Emotion und Motivation zusammen. Motivation zum Handeln ist die Verwirklichung eines angenehmen bzw. die Vermeidung eines unangenehmen Zustands. Emotionen sollen dabei Geschehnisse in ihrer Bedeutung für die Motivbefriedigung bewerten und die eigenen oder fremden Handlungen in motivdienlicher Weise ausrichten. Subjektiv werden Motivationen meist als Handlungsantriebe empfunden. in der Entwicklungspsychologie gilt jedoch, dass sie der individuellen Handlungsregulation dienen.
Im Laufe des Lebens bilden sich aus den Motivationen wiederkehrende Motive heraus, die Steuerung von Handlungen wird zunehmend von äußeren Gefühlsauslösern in das Selbst hineinverlegt. Über die Triebdynamik bleiben jedoch direkte, unreflektierte Beziehungen zwischen Gefühl und Handlung bestehen.
Die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub ist eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben und bedeutet die willentliche Regulation von Emotionen und damit auch die bewusste Steuerung von Handlungen. Erst diese Fähigkeit macht eingehende Beschäftigung mit einem Inhalt möglich. Eine interessante Tätigkeit kann die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub fördern. Voraussetzung für die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub ist das Zeitverständnis als kognitive Leistung und die Fähigkeit, die eigenen Intention und die des Gegenübers nebeneinander zu repräsentieren. Dies gelingt durch willkürliche Aufmerksamkeitslenkung, durch willkürliche Beeinflussung von Emotionssymptomen (z.B.
Neugierverhalten
Ein besonders wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist das Neugierverhalten. Sternberg (1985; nach Holodynski & Oerter, 2002) unterscheidet die motivationale Komponente, die den Antrieb liefert, sich Neuem zuzuwenden, und die kognitive Komponente, die nach neuer Information sucht. In Wechselwirkung mit dem Bindungsverhalten und der Angst angesichts unbekannter Reize tritt das Erkundungssystem in Kraft, wenn das Bindungssystem gesättigt ist. Am Beginn der Erkundung steht die visuelle Exploration. Zum Zusammenhang von Neugier, Angst und Problemlösen lässt sich feststellen, dass große Neugier zu höheren Leistungen beim Problemlösen führt.
Soziale Kognition und Moralentwicklung
Soziale Kognition umfasst das Wissen über psychische Vorgänge von Menschen und den akuten Prozess des Verstehens von Einzelpersonen, sozialen Gruppen und ihrer Beziehungen. Soziale Kognitionen spielen in der Interaktion eine Art .Feuerwehr., wenn die Routine versagt. Sie bestimmen als Modelle wesentlich das soziale Handeln.
Im Alter von etwa 8 Jahren werden in der Beschreibung von Menschen statt äußerer Merkmale Eigenschaften wichtig. Ab 9 Jahren können Kinder äußerlich beobachtbare Verhaltensweisen mit inneren, psychischen Umständen oder interpersonalen Beziehungen begründen. Die Komplexität von Deutungen der psychischen Ursachen von Verhalten nimmt bis in das mittlere Erwachsenenalter zu. Die Möglichkeit zur Perspektivenübernahme wächst mit der kognitiven Entwicklung.
Die erwähnten Normen des Zusammenlebens, die in soziale Kognitionen eingehen, sind ihrerseits von der individuellen Moral geformt. Das Konzept der Moral ist ein kulturabhängiges Konstrukt. Hier kann nicht auf die umfangreichen Diskussionen eingegangen werden; allgemein will die Psychologie die Entwicklung und Sozialisation des normbezogenen Wissens, Erlebens beschreiben und erklären. Normen regulieren Handeln über diesbezügliches Wissen und Verstehen, über Anerkennung ihres Geltungsanspruchs und ihre Befolgung.
In Anlehnung an Piaget entwickelt Kohlberg (1963, nach Montada, 2002) ein Modell der Moralentwicklung. Es berücksichtigt stärker die persönliche Lebensgeschichte der Person und fragt nicht nach dem Alter, sondern nach den Bedingungen, unter denen ein bestimmtes Stadium der Moralentwicklung zu erreichen ist. Auf das vormoralische Niveau (Entscheidungsbegründung durch mächtige Autoritäten, danach eigene Interessen) folgt das Niveau der konventionellen Moral (regelkonformes Verhalten, um gute Beziehungen zu den Bezugspersonen aufrechtzuerhalten, danach Orientierung an übergreifenden Systemen wie Religion), woran das Niveau der postkonventionellen Moral (Verständnis des Systems als veränderbarer Gesellschaftsvertrag, danach Suche nach abstrakten, allgemeingültigen ethischen Prinzipien) anschließt.
Persönlichkeit und Temperament
Zur Entwicklung der Persönlichkeit gibt es eine Vielzahl von Theorien und Modellen, zum Einen differenzielle Ansätzen zur Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen und zum Anderen prozessorientierte Konstruktionen. Unter den Letztgenannten basieren die psychodynamischen Identitäts- und Selbstkonzeptentwicklungstheorien auf der Idee der normativen Entwicklungskrisen.
Temperament bezeichnet einen spezifischen Teil der Persönlichkeit, nämlich affektiven Ausdruck, motorische Aktivität und Reizsensibilität und die daraus resultierenden Verhaltensweisen. Unter verschiedenen Modellen zu Temperamentseinteilung ist besonders Cloningers (1993, 1994; nach Resch, 1999) Konzept mit anderen klinischen Theorien kompatibel. Die folgenden Temperamentsdimensionen werden eng mit neurologischen und hormonellen Mechanismen in Verbindung gebracht. Die Dimension der Schadensvermeidung umfasst das Ausmaß, mit dem das Kind und die/der Jugendliche versucht, nicht in eine potentiell bedrohliche Auseinandersetzung verwickelt zu werden. Sie beinhaltet z.B.
Es wird deutlich, wie unterschiedlich Kinder/Jugendliche in Abhängigkeit der jeweiligen Kombination von Temperamentsfaktoren auf dieselbe Situation reagieren.
Jede Entwicklung wird maßgeblich von den Umweltbedingungen beeinflusst, also von den sozialen Interaktionen und Bindungserfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen, die entscheiden, ob sich ein/e Kind/Jugendliche sicher genug fühlt, um sich auf neue Herausforderungen einlassen zu können, und von den Anregungen, die die Umgebung zur Auseinandersetzung bietet.
Schmerz als Beispiel für die Interaktion
Der Schmerz entsteht erst dann, wenn bestimmte Hirnregionen aktiviert werden, d.h. wenn wir eine Verletzung am Körper haben, wird über das Nervensystem ein Signal zum Gehirn geschickt. Die sensorische Komponente ist die Wahrnehmung der reinen Empfindung an jener Körperstelle, an der die Verletzung stattgefunden hat. Sowohl in unserer Reaktion auf Schmerz, als auch bei unserer Wahrnehmung von Schmerz sind Affekte beteiligt. In der Regel löst Schmerz einen unangenehmen Gefühlzustand aus. Aber auch umgekehrt haben Affekte einen Einfluss. Schmerz - wenn er nicht chronisch ist - hat die Funktion uns zu warnen.
Starke Affekte können somit dazu beitragen, dass wir den Schmerz intensiver und bedrohlicher wahrnehmen als sonst. So haben beispielsweise Rückenschmerzen für jemanden mit einer Krebserkrankung eine andere Bedeutung, als für eine schwangere Frau, die sich auf ihr Kind freut. Die Gedanken, die mit dem Schmerz verbunden sind, beeinflussen ebenfalls die Wahrnehmung über den Grad der Belastung. Während der sensorische Teil des Schmerzes dem somatischen Bereich zugeordnet werden kann, zählen der affektive und kognitive Teil zu den psychischen Prozessen. Diese drei Komponenten sind jedoch immer vorhanden und beeinflussen sich gegenseitig.
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