Zentrales Element der Freud’schen Theorie, das von allen psychoanalytischen Schulen geteilt wird, ist die maßgebliche Bedeutung des Unbewussten. Entgegen den gängigen psychiatrischen Auffassungen seiner Zeit verortet Freud die Ursachen neurotischer Symptome nicht im Organischen, sondern in verdrängten Triebimpulsen, Phantasien und Wünschen, die meist im Ödipuskomplex - also in der Beziehung zu den nächsten Bezugspersonen (Eltern) - ihren Ausgangspunkt nehmen.
Diese Triebimpulse werden als inakzeptabel erlebt, sie geraten mit bewussten Vorstellungen in Konflikt und werden verdrängt. Sie wirken jedoch weiter im Unbewussten und beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln. Sie tauchen in Träumen, in Versprechern oder Symptomen auf.
Der Freud’sche Ansatz besteht darin, die verdrängten Inhalte bewusst zu machen und den Konflikt in der aktuellen psychoanalytischen Situation - in der Beziehung zum/zur Analytiker*in, der sogenannten Übertragungsbeziehung - wiederzubeleben und zu bearbeiten.
Die Triebtheorie hat sich seit Freud durch verschiedenste Akzentverschiebungen zu einem in sich pluralen Feld ausdifferenziert. Während einige Vertreter*innen Ansätze aus den Objektbeziehungstheorien aufgriffen, fokussierten andere auf den Konflikt, auf die von Freud beschriebene Struktur der Psyche bestehend aus Ich, Es und Über-Ich und die Abwehrmechanismen.
Von Jean Laplanche stammt eine der wichtigsten und originellsten Weiterentwicklungen der psychoanalytischen Triebtheorie in der Tradition Freuds. Nach dem Studium der Philosophie beginnt Laplanche in den 1940er-Jahren eine Lehranalyse bei Jacques Lacan und schließlich auch ein Medizin-Studium. In den 1960er-Jahren wendet sich Laplanche von Lacans Theorien und Behandlungsansätzen ab und beginnt seine eigene unorthodoxe Annäherung an Freuds Werk.
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Während Freud den Trieb als Reiz denkt, der im Körper seinen Ausgangspunkt nimmt und eine „Arbeitsanforderung“ an die Psyche stellt, verortet Laplanche den Trieb von Anfang an in einer sozialen Situation. Das triebhaft Sexuelle entsteht im Kind durch die Einschreibung rätselhafter Botschaften aus dem Unbewussten der Erwachsenen.
Grundlagen der psychoanalytischen Theorie
Die Grundzüge der Psychoanalyse als erste umfassende Theorie des Mentalen unter besonderer Berücksichtigung unbewusster Prozesse wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Wiener Neurologen Sigmund Freud entwickelt. Freud ging davon aus, dass Triebe in der Psyche von der frühen Kindheit an eine Dynamik in Gang setzten, die bestimmend für das weitere Leben ist. Auf der Grundlage dieser Konzepte war es ihm möglich, Erklärungen für pathologische Abweichungen zu finden, die er in seiner spezifischen Therapieform, der Psychoanalyse, anwenden konnte, um Patienten zu behandeln.
Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche und auch dem Unbewussten ist freilich älter und kann bis zur Antiken Philosophie zurückverfolgt werden. Als unmittelbare Vorgänger Freuds gelten der Naturwissenschaftler Carl Gustav Carus (17891869), die Philosophen Johann Friedrich Herbart (17761804), Arthur Schopenhauer (17881860) und Friedrich Nietzsche (18441900), aber auch in den Werken bedeutender Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe und Arthur Schnitzler, besonders aber Fjodor Michailowitsch Dostojewski können literarische Analogien psychoanalytischer Theorien gefunden werden.
Der Begriff Unbewusstes taucht in einer noch unscharfen Form erstmals bei Eduard von Hartmann 1869 in Philosophie des Unbewußten auf.
Freud kommt so gesehen nicht das Verdienst zu, das Unbewusste entdeckt, sondern als Erster eine Methode zu seiner wissenschaftlichen Untersuchung gefunden zu haben. Hierfür entwickelte er insbesondere die Methoden der freien Assoziation, der Traumdeutung und der Analyse von Fehlleistungen.
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Durch die langjährige Auseinandersetzung mit den Ergebnissen aus seinen Behandlungen theoretisierte er schließlich ein aus drei Instanzen gebildetes Strukturmodell der Psyche.
Weiterhin untersuchte Freud auch Alltagsphänomene wie Mythen, Bräuche, Witze und die sogar nach ihm benannten Freudschen Fehlleistungen, welche wie die Träume zuvor bei der Wissenschaft kaum Interesse erregt hatten.
Bei jeder Darstellung der Grundlagen von Freuds Theorien muss zweierlei vorweggeschickt werden:
- dass Freuds Ansichten und Annahmen nicht in geschlossener Form vorliegen, weil er selbst fast alle seiner früheren Thesen nach und nach revidierte, weiterentwickelte oder gar verwarf, wenn sich ihm neue Erkenntnisse aufgedrängt hatten, und die späteren ohne Kenntnis der früheren unverständlich bleiben.
- dass die Psychoanalytiker der nachfolgenden Generationen diese Theorien vielfach weiterentwickelten, ergänzten oder gänzlich neue Konzepte und Theorien eingeführt haben, sodass die Psychoanalyse in ihrer zeitgenössischen Form keineswegs mit dem Werk Freuds gleichgesetzt werden darf.
Bei der Weiterentwicklung der Psychoanalyse war ein wichtiger theoretischer Schritt der von einer one-body psychology, wie Michael Balint die klassische, Freudsche Psychoanalyse bezeichnete, zu einer Mehr-Personen-Psychologie. Freuds Triebtheorie war sehr stark an dem mechanistischen Weltbild seiner Zeit orientiert. Triebe liefern hierbei die Energie, die einen komplexen psychischen Apparat in Gang setzen. Störungen entstehen durch die Fixierung der Triebenergie auf frühen Entwicklungsstufen.
Hierbei übernimmt die Umwelt des Individuums eine eher untergeordnete Rolle. Nach der Abkehr Freuds von seiner Traumatheorie stand für lange Zeit fest, dass eher unbewusste Phantasien als reale Erfahrungen die Ursachen für pathologische Entwicklungen darstellen. Die Objekte, also die Personen der Außenwelt, werden mit Triebenergie besetzt, was den eigentlichen Grund für die Aufnahme jeglicher Beziehungen darstellt.
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Diese Einstellung änderte sich erst allmählich. Heute betrachtet die Psychoanalyse viel eher die Beziehungen, in die ein Mensch eingebettet ist. Sie betrachtet seine Entwicklung und Reifung immer in Wechselwirkung mit seiner Umwelt. Hierbei stehen die Beziehungen des Menschen zu seinen engsten Bezugspersonen von seiner frühesten Kindheit an im Vordergrund. Die Psychoanalyse untersucht, wie er sich an diese frühen Beziehungen erinnert und diese in seiner Psyche repräsentiert. Auch betont die Psychoanalyse viel eher die realen Umweltbedingungen, in denen ein Mensch lebt und aufwächst, und betrachtet, wie er auf diese Bedingungen reagiert.
Heute existieren vier Hauptrichtungen der Psychoanalyse, die sich gegenseitig beeinflussen und ergänzen, einander teilweise aber auch widersprechen: die Triebtheorie, die Ich-Psychologie, die Objektbeziehungstheorie und die Selbstpsychologie. Einige Autoren, insbesondere Selbstpsychologen, plädieren dafür, die Triebtheorie endgültig aufzugeben, andere Autoren halten sie jedoch noch für nützlich.
Die Freud’sche Triebtheorie
Triebtheorie ist ein Oberbegriff für eine Reihe von Theorien aus Ethologie, Psychologie und Psychoanalyse. Ihnen allen ist die Auffassung gemeinsam, der Mensch werde wesentlich von einer Anzahl endogener (d. h. angeborener) Triebe und Grundbedürfnisse gesteuert. Die bekannteste und einflussreichste Triebtheorie entwickelte Sigmund Freud.
Nach Freud entstammt der Trieb einem körperlichen Spannungszustand. Triebe dienen allgemein der Lebens-, Art- und Selbsterhaltung. Von diesen Urtrieben unterscheidet Freud zunächst aber zwei Gruppen, und zwar die der Ich- oder Selbsterhaltungstriebe und die der Sexualtriebe.
Der Triebdrang, welcher vom körperlichen ausgehend einen seelischen Niederschlag bildet (die sog. Triebrepräsentanzen), erfolgt stetig neu (auch nach erfolgter Befriedigung wieder) und vom Willen des Ich-Bewusstseins unabhängig; dieses vermag jedoch die Verwirklichung der Wünsche umweltangemessen zu lenken und sogar zurückzudrängen. Die Triebenergie selbst hat Freud als Libido bezeichnet, ihre Gesetzmäßigkeit als Lustprinzip.
„Nach der Entstehung“: Primärtriebe sind von Geburt an vorhanden und sichern die Erhaltung der Art und des einzelnen Individuums. Zu ihnen zählen das Bedürfnis nach Nahrung, Wasser, Sauerstoff, Ruhe, Sexualität und Entspannung. Die Sekundärtriebe (z. B. das Bedürfnis nach Anerkennung und Sicherheit), entwickeln sich zwischen dem ersten halben und zweiten Lebensjahr.
„Nach der Funktion“: Hierbei unterscheidet man zwischen dem Lebenstrieb (Eros), zu dem alle lebenserhaltenden und die Erhaltung der Art unterstützenden Triebe zählen, und dem Todestrieb (Thanatos), der den Drang beschreibt, zum Anorganischen und Unbelebten zurückzukehren.
Der Triebbegriff taucht bei Freud erst 1905 in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie auf. In der ersten Phase seines Werks hatte er die Symptome seiner Patienten auf Traumatisierungen zurückgeführt. Am 21. September 1897 schrieb er aber an seinen Freund Wilhelm Fließ, er sei zur Einsicht gekommen, „dass es im Unbewussten ein Realitätszeichen nicht gibt, sodass man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann“.
So entwickelte er das Konzept der unbewussten Phantasien und Wünsche, die ab 1905 durch eine Theorie der Triebe, die als Urgrund der Phantasien zu sehen seien, fundiert wird.
Freuds Verwendung des Triebbegriffs ist nicht immer einheitlich gewesen. So schrieb er 1905: „Unter einem Trieb können wir zunächst nichts anderes verstehen als die psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle, zum Unterschiede vom Reiz, der durch vereinzelte und von außen kommende Erregungen hergestellt wird.
Freud beschreibt hier den Trieb als psychische Größe, jedoch ist sein Triebkonzept äußerst schwankend, uneinheitlich und von ständigen Umformulierungen gekennzeichnet.
Freud beschreibt die zentralen Qualitäten des Triebes wie folgt: „Die Quelle des Triebes ist ein erregender Vorgang in einem Organ und das nächste Ziel des Triebes liegt in der Aufhebung des Organreizes“[6] „Auf dem Wege von der Quelle zum Ziel wird der Trieb psychisch wirksam. Wir stellen ihn vor als einen gewissen Energiebetrag, der nach einer bestimmten Richtung drängt. (…) Das Ziel kann am eigenen Körper erreicht werden, in der Regel ist ein äußeres Objekt eingeschoben, an dem der Trieb sein äußeres Ziel erreicht; sein inneres bleibt jedes Mal die als Befriedigung empfundene Körperveränderung.“ (Freud [1933] 1982, Band 1, 530).
Auslöser ist also ein interner Reiz, der eine gewisse als unangenehm empfundene Triebspannung weckt. Für diese Aufgabe stellt der Trieb einen gewissen Energiebetrag bereit. Hierbei ist wichtig, dass der Mensch dem Triebreiz als einem inneren Reiz nicht, wie meist einem äußeren Reiz, ausweichen kann. Er kann deshalb der Triebspannung nicht entgehen, ohne den Trieb zu befriedigen, wenngleich er die Triebbefriedigung eine Zeit lang aufschieben kann. Je länger der Aufschub, desto größer wird die aversive Spannung und der Wunsch nach Triebbefriedigung.
Die Qualität des Triebes wird durch sein Triebziel bestimmt. In die Haupttriebe dieser Modelle lassen sich alle anderen Triebe als Unter-Triebe integrieren.
„Welche Triebe darf man aufstellen und wie viele? Dabei ist offenbar der Willkür ein weiter Spielraum gelassen. Man kann nichts dagegen einwenden, wenn jemand den Begriff eines Spieltriebes, Destruktionstriebes, Geselligkeitstriebes in Anwendung bringt, wo der Gegenstand es erfordert und die Beschränkung der psychologischen Analyse es zulässt.
Ein Trieb verlangt die ihm eigene Befriedigung und meist auch ein ihm eigenes Objekt, trotzdem kann eine gewisse Menge der ursprünglichen Triebenergie auf ein anderes Ziel verschoben werden und dadurch befriedigt werden. Diesen Vorgang nennt Freud Sublimierung.
Kritik an der Triebtheorie
Die freudsche Triebtheorie wurde unter anderem von einer Gruppe von Psychoanalytikern kritisiert und revidiert, die später als Neo-Psychoanalytiker bezeichnet wurden. Zu ihnen gehören u. a. Harald Schultz-Hencke, Karen Horney, Erich Fromm, Harry Stack Sullivan, Frieda Fromm-Reichmann und Clara Thompson.
Die Hauptrichtung der Kritik verdächtigte die Triebtheorie, ein mechanistisch-biologistisches Überbleibsel aus dem 19. Jahrhundert zu sein. Auch wurde das Menschenbild Freuds mit dessen Annahme des Todes- und Destruktionstriebes als kulturpessimistisch kritisiert.
Die Neopsychoanalytiker wollten die Psychoanalyse als eine Theorie der menschlichen Beziehungen neu begründen (vgl. auch Objektbeziehungstheorie). Strittig ist, ob sie damit wesentliche kritische Gehalte der freudschen Psychoanalyse preisgegeben haben.
Weitere Vertreter der Psychoanalyse wie Otto F. Kernberg sehen die Triebe als aus den Affekten entstandene, also als sekundäre Erscheinung an. Freud sah den Trieb noch als „innersomatische Reizquelle“, an der Grenze von Somatischem und Psychischem, er sei durch Affektäußerung zu erkennen. Damit nähert sich Kernberg dem Modell des motivationalen Systems an, das grundlegende Bedürfnisse als Motivation innerhalb des psychischen Systems zusammenfasst.
Andere Autoren wie Joseph D. Lichtenberg und Martin Dornes sehen die Triebtheorie an sich, und damit auch die Verwendung des Begriffes „Trieb“ im freudschen Sinne, als widerlegt an. Lichtenberg geht, gestützt auf Heinz Hartmann und die Entwicklung der amerikanischen Selbstpsychologie nach Kohut, stattdessen von motivationalen Systemen aus, zu denen auch die menschliche Sexualität zu rechnen ist.
Fundamentale Kritik an der psychoanalytischen Triebtheorie stammt von Autoren, die sich inzwischen von der Psychoanalyse gelöst haben, z. B. Alice Miller, Thomas Mertens, Jeffrey Masson, Dörte von Drigalski, Hilarion Petzold. Ihr Vorwurf lautet, dass die Triebtheorie der Psychoanalyse einerseits den Opfern sexuellen Missbrauchs in keiner Weise gerecht werde. Denn auf Basis der Triebtheorie kann aus dem/der Missbrauchten als „Opfer“ der/die Missbrauchte als „Täter“ gemacht werden.
Andererseits hat sich erst mit Aufgeben der Triebtheorie umgekehrt die Verurteilung der Täter als Gewalttäter durchgesetzt, ohne dass für diese ein z. B. Bedeutenden Einfluss auf die neuere Kritik an der Trieblehre hatte der Schüler, Wegbegleiter und enge Vertraute Freuds Sándor Ferenczi, der in seinen letzten Schaffensjahren zunehmend auf die Grenzen psychoanalytischer Dogmatik aufmerksam machte.
Ferenczi betonte zuletzt den Einfluss exogener, also traumatisierender Faktoren auf die Entwicklung der Psyche und fragte insbesondere nach dem Einfluss der Erwachsenenleidenschaftlichkeit auf die unfertige Kinderseele. Damit aber stellte er nicht nur das klassische analytische Modell auf den Kopf, welches das Kind als Triebsubjekt gegenüber einer Welt inzestuös begehrter oder im Dienste der infantilen Sexualität zu beseitigender Objekte vorsieht, sondern zugleich auch den Kern der Freudschen Lehre in Frage, den sogenannten Ödipuskomplex als möglichen Effekt der Triebhaftigkeit der Eltern gegenüber dem Kind als Objekt.
Schon Sigmund Freud selbst hatte zum sexuellen Missbrauch von Kindern durch Erwachsene publiziert, z. B. in Die Ätiologie der Hysterie. Zudem widerrief Freud seine Theorie der Hysterie schon ein Jahr später wieder.
Eine kritische Sicht auf die Triebtheorie als Kernstück der Psychoanalyse ist häufig bei ehemaligen Psychoanalytikern zu erkennen. So wurde z. B. Kindsmissbrauch und Kindesmisshandlung insbesondere von Alice Miller thematisiert, welche die Triebtheorie ebenso ablehnte wie auch die Psychoanalyse insgesamt, da innerhalb dieser Traumen der Kindheit immer nur als kindliche Erzeugungen aufgefasst werden (können), wodurch die Realität von Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung geleugnet würde.
Die Ursache dafür sieht Miller in der inneren Logik der Psychoanalyse begründet, die exogene Ursachen zu Gunsten von inneren Triebkonflikten marginalisiere und deren Bedeutung systematisch verkenne.
Traumatheorie
Bis 1897, der sogenannten Frühphase der Psychoanalyse, steht Freud ganz unter dem Eindruck der Behandlung hysterischer Patientinnen, die ihm eine vielfältige Symptomatik präsentierten und häufig von sexuellen Übergriffen in ihrer Kindheit berichteten. Aufgrund dessen betonte Freud die zentrale Stellung, welche Traumatisierungen (primär, aber nicht nur sexueller Natur) in der Entstehung von psychischen Erkrankungen zukommt.
Später revidierte er diese Auffassung weitgehend zugunsten anderer Faktoren: Das Hauptaugenmerk liegt nunmehr auf inneren Konflikten und den entsprechenden Phantasien; an die Stelle der sog. Verführungs- bzw. Traumatheorie tritt die triebtheoretische Begründung psychopathologischer Zustände. Die geschilderten Missbrauchserlebnisse - deren skandalöse Häufigkeit Freuds erster Theorieentwurf nahelegt entfalten, sofern sie nicht eben nur als Phantasieproduktion (die die Tatsache der infantilen Masturbation ebenso verschleiert wie ihren vornehmlich inzestuösen Vorstellungsinhalt darstellt) zu gelten haben, demnach nur im Rahmen der ödipalen Triebdynamik ihre pathogene Wirkung. Die Traumatheorie, mithin die Erkundung der realen, individuellen Kindheitsgeschichte wird, auf Grund nunmehr behaupteter faktischer Unnachweisbarkeit, durch das überindividuelle, triebtheoretisch argumentierende Ödipus-Modell ersetzt.
Die Abkehr Freuds von der Traumatheorie ist zu einem Skandalon der späteren Psychoanalysekritik geworden.
Objektbeziehungstheoretisch orientierte Psychoanalytiker wie René A. Spitz und Massud Khan haben im Gegensatz zu einmalig auftretenden Extremtraumatisierungen noch die Wichtigkeit so genannter kumulativer Traumatisierungen bzw. Mikrotraumatisierungen herausgestellt. Hierbei handelt es sich um unzählige Male wiederholte Erschütterungen der kindlichen Persönlichkeit durch ein konstant unzureichendes Milieu. Die fatalen Auswirkungen so einer mangelnden Akzeptanz des Kindes auf das in Entstehung befindliche Selbst wurden von Heinz Kohut herausgearbeitet.
Insbesondere Psychoanalytiker, die Kinder von KZ-Überlebenden in Behandlung hatten, konnten zudem feststellen, dass schwer traumatisierte Menschen, die ihre katastrophalen Erfahrungen nicht verarbeiten konnten, ihr Trauma in modifizierter Form an die nächste Generation weitergeben (transgenerationale Traumatisierung).
Heute gibt es eine ganze eigene Domäne, welche sich der Analyse und Behandlung von traumatischen Erfahrungen verschrieben hat und verschiedene psychoanalytische Ansätze zu integrieren versucht: die Psychotraumatologie.
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