In Österreich leiden mehr als 800.000 Menschen an Angsterkrankungen, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Unter dem Begriff Angststörungen werden verschiedene Symptome wie Schlafstörungen, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Erregung zusammengefasst.
Das gemeinsame Ziel von Chemikern und Pharmakologen ist es, angstlösende Arzneistoffe zu entwickeln, die besser verträglich sind und weniger unerwünschte Wirkungen haben.
Die traditionelle Anwendung von Baldrian
In der Volksmedizin wird Baldrian seit dem 18. Jahrhundert bei Symptomen wie Schlaflosigkeit, Stress, Reizbarkeit und Angstzuständen angewendet.
Wirkstoffe und ihre Wirkung
Die Heilkraft der Pflanze steckt hauptsächlich im ätherischen Öl des Wurzelstocks (Rhizom) und der Wurzeln. Es setzt sich aus einer Vielzahl von wirkungsvollen Komponenten zusammen. Der Hauptinhaltsstoff von Baldrianöl ist Bornylacetat.
Weitere Inhaltsstoffe sind unter anderem:
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- β-Caryophyllen
- Valeranon
- Valerenal
- Bornylisovalerat
- Valerensäure
Aus klinischen Studien ist bekannt, dass die Inhaltsstoffe mit bestimmten Andockstellen eines Botenstoffes (GABA-Rezeptoren) in Nervenzellen wechselwirken. Das führt zu einer entspannenden und entkrampfenden Wirkung. Wissenschaftlich ist jedoch nicht bewiesen, ob die Baldrian-Wirkung von einem einzelnen Inhaltsstoff ausgeht oder ob mehrere Bestandteile zur Wirksamkeit beitragen.
Neben dem ätherischen Öl sind in Baldrian (je nach Art) 0,5 bis 2 Prozent Valepotriate enthalten. Sie wirken krampflösend und verleihen der Pflanze ihren charakteristischen Geruch.
Valerensäure und GABAA-Rezeptoren
Vor zwei Jahren zeigte das Team um Steffen Hering, Leiter des Departments für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Wien, erstmals, dass der Naturstoff Valerensäure aus Baldrian einen bestimmten Typ von sogenannten GABAA-Rezeptoren auf Nervenzellen stimuliert. Dadurch wird die Erregbarkeit von Nervenzellen gehemmt. In weiterführenden Untersuchungen wurde herausgefunden, dass Valerensäure eine angstlösende und schlaffördernde Wirkung hat.
Hering ist überzeugt: "Wir sind auf einem guten Weg, auf Basis der Valerensäure neue, angstlösende Wirkstoffe zu finden, die für die Entwicklung von Arzneistoffen geeignet sind. Einige der bisher untersuchten Substanzen haben bereits eine deutlich stärkere Wirkung als der Naturstoff aus dem Baldrian selbst.
Synthetische Derivate der Valerensäure
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt von Johann Mulzer, Professor am Institut für Organische Chemie der Universität Wien, und Steffen Hering synthetisierte Jürgen Ramharter (Organische Chemie) nicht nur den Naturstoff Valerensäure, sondern stellte auch Derivate, d.h. von der Valerensäure abgeleitete Wirkstoffe, her. Sophia Khom erklärt: "Mehrere der synthetisierten Derivate sind im Vergleich zur Valerensäure deutlich stärker wirksam. Bei einer der neu synthetisieren Verbindungen war die Wirkung auf den Rezeptor mehr als doppelt so stark."
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Weniger unerwünschte Wirkungen
Die in der Praxis häufig verordneten Benzodiazepine (ein bekannter Vertreter ist "Valium") führen schnell zur Abhängigkeit und verursachen unerwünschte Wirkungen, wie zum Beispiel Tagesmüdigkeit ("hang over"), Gangunsicherheit und Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit.
Das Team um Hering geht davon aus, dass die aus Baldrian gewonnene Valerensäure nur auf bestimmte Subtypen von GABAA-Rezeptoren wirkt. Daraus schließt Post-Doc Sophia Khom folgendes: "Der große Vorteil dessen wäre, dass dadurch nur ganz bestimmte Hirnareale stimuliert werden, so weniger Nebenwirkungen entstehen und das Abhängigkeitspotenzial vermindert werden könnte."
Anwendungsgebiete von Baldrian
Der Gemeine Baldrian (Valeriana officinalis) wird innerlich bei leichter nervöser Anspannung und Schlafstörungen angewendet. Seine Wirksamkeit für diese Anwendungsgebiete ist medizinisch anerkannt.
Baldrian wird aber nicht nur als pflanzliches Beruhigungsmittel angewendet. Traditionell nutzt man ihn auch bei geistiger Überanstrengung, Konzentrationsschwäche, gegen Stress und Reizbarkeit, Angst, Hysterie und bei weiteren nervlich bedingten Leiden verschiedener Organe und Körperteile. Die klinische Wirksamkeit in diesen Bereichen ist jedoch wissenschaftlich noch nicht ausreichend belegt.
Eine muskelentspannende Wirkung erzielt die Heilpflanze in Vollbädern.
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Häufig kommt die Frage auf, ob Baldrian gegen Demenz hilft. Klar ist, dass ein langfristig gestörter Schlaf dazu beträgt, dass die hirneigene Abfallentsorgung nicht richtig funktioniert. Dadurch wird Alzheimer begünstigt. Da das pflanzliche Beruhigungsmittel das Einschlafen und Durchschlafen erleichtert, hat es indirekt einen Einfluss.
Hinweise aus einzelnen Studien gibt es außerdem, dass Baldrian hilfreich ist bei:
- Hitzewallungen in der Menopause
- Schmerzen infolge des prämenstruellen Syndroms (PMS)
- Restless-Legs-Syndrom
Wie wird Baldrian angewendet?
Sie können Baldrian entweder als Hausmittel nutzen und selbst Baldriantee sowie Vollbäder mit Baldrian zubereiten. Oder Sie greifen zu Fertigpräparaten auf Basis der Heilpflanze.
Baldrian als Hausmittel
Zur Zubereitung von Baldriantee übergießen Sie einen Teelöffel zerkleinerte Baldrian-Wurzel (3 bis 5 Gramm) mit 150 Milliliter kochendem Wasser.
Lassen Sie den Aufguss 10 bis 15 Minuten abgedeckt ziehen und seihen Sie dann ab. Trinken Sie zwei- bis dreimal täglich sowie vor dem Schlafengehen eine frisch zubereitete Tasse Baldriantee.
Haben Sie etwas Geduld: Seine volle Wirkung zeigt Baldrian erst nach etwa 5 bis 14 Tagen.
Bei der Anwendung von Baldriantee bei Kindern und Jugendlichen bis 15 Jahren wird eine geringere Gesamttagesdosis empfohlen:
- ein bis drei Jahre: 0,5 - 1 Gramm
- vier bis neun Jahre: 1 - 3 Gramm
- 10 bis 15 Jahre: 2 - 3 Gramm
Bei Nervosität, Anspannung und Schlafstörungen können Erwachsene sich auch ein Vollbad mit Baldrian bereiten. Übergießen Sie dazu 100 Gramm des Baldrian-Wurzelstocks mit zwei Liter heißem Wasser. Diesen Aufguss schütten Sie dann ins Badewasser (etwa 34 bis 37 Grad).
Für eine muskelentspannende Wirkung sollten Sie für 10 bis 20 Minuten baden.
Hausmittel auf der Basis von Heilpflanzen haben ihre Grenzen. Wenn Ihre Beschwerden über einen längeren Zeitraum bestehen, trotz Behandlung nicht besser oder sogar schlimmer werden, sollten Sie immer einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen.
Fertigpräparate mit Baldrian
Der pulverisierte Wurzelstock von Baldrian wird zur Herstellung von Baldriandragees und -tabletten verwendet. Die höher konzentrierten Extrakte werden in flüssiger Form als Baldriantropfen oder -säften und in getrockneter Form als Baldriantabletten, -dragees und löslichen Instant-Tees angeboten. Außerdem gibt es Baldriansprays.
Beachten Sie für die Art der Anwendung und richtige Dosierung bitte immer die Packungsbeilage des betreffenden Präparates oder fragen Sie hierzu Ihren Arzt oder Ihre Apothekerin. So erfahren Sie auch mehr über die jeweilige Höchstdosis.
Valepotriaten wird eine erbgutschädigende Wirkung nachgesagt. Jedoch sind sie im Baldriantee kaum und in Baldrian-Fertigpräparaten aus Deutschland gar nicht vorhanden.
Welche Nebenwirkungen kann Baldrian auslösen?
Manchmal treten leichte Baldrian-Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Schwindel oder Juckreiz auf. Sehr selten kommt es außerdem zu Herzrasen. In hohen Mengen schadet Baldrian der Leber.
Auch wenn Sie zu viel Baldrian nehmen, kommt es eventuell zu Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Tödlich ist eine Überdosis Baldrian aber nicht.
Zur langfristigen Anwendung gibt es bisher keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, weshalb davon eher abgeraten wird.
Was Sie bei der Anwendung von Baldrian beachten sollten
Halten Sie bei der Anwendung von bei Baldrian die Dosierung ein, die Ihnen von Ihrem Arzt, Ihrer Apothekerin oder der Packungsbeilage empfohlen wird.
Bei bekannter Allergie gegen Baldrian sollten Sie die Heilpflanze nicht anwenden.
Wegen fehlender wissenschaftlicher Untersuchungen sollten Schwangere, Stillende sowie Kinder unter zwölf Jahren keine Baldrian-Präparate einnehmen beziehungsweise vorher ärztliche Rücksprache halten.
In Baldriantropfen und -tinkturen ist oftmals Alkohol enthalten. Sie eigenen sich damit nicht für Minderjährige, Schwangere und trockene Alkoholiker und Alkoholikerinnen - alkoholfreie Präparate sind hier ratsamer.
Nehmen Sie Baldrian nicht zusammen mit Alkohol ein.
Zwischen Baldrian und der Pille zur Verhütung sind keine Wechselwirkungen bekannt.
Ansonsten sollten Sie wegen möglicher Wechselwirkungen zuerst mit Ihrem Arzt oder Ihrer Apothekerin, wenn Sie noch andere Arzneimittel wie Schlafmittel (Benzodiazepine, Barbiturate), Blutdrucksenker oder Johanniskrautpräparate einnehmen.
Möglicherweise kann Baldrian die Reaktionsfähigkeit beeinflussen. Daher sollten Sie bis zwei Stunden nach der Einnahme nicht Auto fahren.
Wo Sie Baldrian und seine Produkte erhalten
In Ihrer Apotheke oder Drogerie erhalten Sie Baldrian-Präparate zur innerlichen und äußerlichen Anwendung. Sie können den wilden Baldrian auch selbst sammeln und daraus Tees oder Vollbäder bereiten. Seien Sie sich jedoch sicher, dass es sich um die richtige Pflanze handelt, da einige dem Baldrian ähnliche Pflanzen giftig sind.
Was ist Baldrian?
Der Arznei-Baldrian (Gemeiner Baldrian) gehört zur Familie der Baldriangewächse (Valerianaceae). Heimisch ist die mehrjährige, bis über einen Meter hohe Pflanze in Europa und den gemäßigten Zonen Asiens, wo sie hauptsächlich an feuchten und schattigen Standorten zu finden ist.
Die fiederblättrige Pflanze trägt weiß bis hellrosa gefärbte Blüten, angeordnet in Büscheln (sogenannten Trugdolden).
Heutzutage werden V. officinalis und verwandte Arten mit beruhigenden Eigenschaften (wie V. edulis, V. fauriei, V. jatamansi) nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika und Japan angebaut. Denn die aromatisch riechenden, unterirdischen Wurzelstöcke mit den daran hängenden, büscheligen Wurzeln werden zur Herstellung zahlreicher Fertigarzneimittel verwendet.
Übrigens wurde Baldrian schon im antiken Griechenland und Rom als Heilpflanze geschätzt.
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