Die Triebtheorie ist ein Oberbegriff für eine Reihe von Theorien aus Ethologie, Psychologie und Psychoanalyse. Ihnen allen ist die Auffassung gemeinsam, der Mensch werde wesentlich von einer Anzahl endogener (d. h. angeborener) Triebe und Grundbedürfnisse gesteuert. Die bekannteste und einflussreichste Triebtheorie entwickelte Sigmund Freud.
Nach Freud entstammt der Trieb einem körperlichen Spannungszustand. Triebe dienen allgemein der Lebens-, Art- und Selbsterhaltung. Von diesen Urtrieben unterscheidet Freud zunächst aber zwei Gruppen, und zwar die der Ich- oder Selbsterhaltungstriebe und die der Sexualtriebe.
Der Triebdrang, welcher vom körperlichen ausgehend einen seelischen Niederschlag bildet (die sog. Triebrepräsentanzen), erfolgt stetig neu (auch nach erfolgter Befriedigung wieder) und vom Willen des Ich-Bewusstseins unabhängig; dieses vermag jedoch die Verwirklichung der Wünsche umweltangemessen zu lenken und sogar zurückzudrängen.
Die Triebenergie selbst hat Freud als Libido bezeichnet, ihre Gesetzmäßigkeit als Lustprinzip.
Die zentralen Qualitäten des Triebes
Freud beschreibt die zentralen Qualitäten des Triebes wie folgt: „Die Quelle des Triebes ist ein erregender Vorgang in einem Organ und das nächste Ziel des Triebes liegt in der Aufhebung des Organreizes“
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„Auf dem Wege von der Quelle zum Ziel wird der Trieb psychisch wirksam. Wir stellen ihn vor als einen gewissen Energiebetrag, der nach einer bestimmten Richtung drängt. (…) Das Ziel kann am eigenen Körper erreicht werden, in der Regel ist ein äußeres Objekt eingeschoben, an dem der Trieb sein äußeres Ziel erreicht; sein inneres bleibt jedes Mal die als Befriedigung empfundene Körperveränderung.“ Auslöser ist also ein interner Reiz, der eine gewisse als unangenehm empfundene Triebspannung weckt.
Für diese Aufgabe stellt der Trieb einen gewissen Energiebetrag bereit. Hierbei ist wichtig, dass der Mensch dem Triebreiz als einem inneren Reiz nicht, wie meist einem äußeren Reiz, ausweichen kann. Er kann deshalb der Triebspannung nicht entgehen, ohne den Trieb zu befriedigen, wenngleich er die Triebbefriedigung eine Zeit lang aufschieben kann.
Je länger der Aufschub, desto größer wird die aversive Spannung und der Wunsch nach Triebbefriedigung. Die Qualität des Triebes wird durch sein Triebziel bestimmt.
Ein Trieb verlangt die ihm eigene Befriedigung und meist auch ein ihm eigenes Objekt, trotzdem kann eine gewisse Menge der ursprünglichen Triebenergie auf ein anderes Ziel verschoben werden und dadurch befriedigt werden. Diesen Vorgang nennt Freud Sublimierung.
Die Phasen der psychosexuellen Entwicklung
Sigmund Freuds Theorie der psychosexuellen Entwicklung bildet die psychische Entfaltung des Menschen in Abhängigkeit von seiner sexuellen Reifung ab und bildet den Angelpunkt der Psychoanalyse.
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Freud unterteilt den psychosexuelle Entwicklungsverlauf in fünf Phasen. Zunächst ist das Sexualstreben des Kindes an bestimmte erogene Zonen des eigenen Körpers gebunden: in der oralen Phase (bis zum Ende des 1. Lj.) an den Mund und die Nahrungsaufnahme; in der analen Phase (2. - 3. Lj.) an den After und das Absetzen bzw. Zurückhalten von Stuhl; in der phallischen Phase (4. - 5. Lj.) an das Geschlechtsteil.
Das zuvor autoerotische Sexualstreben ist nun erstmals, in der Konstellation des Ödipuskomplexes, auf eine andere Person - den gegengeschlechtlichen Elternteil - gerichtet. Die Auseinandersetzung mit dem Ödipuskomplex stellt die Weichen für die weitere Charakterentwicklung. Nach einer Ruhephase der sexuellen Entwicklung in der Latenzphase (6. - 12. Lj.) wird in der genitalen Phase (13. - 18. Lj.) die psychosexuelle Reife erreicht.
Das Gelingen oder Misslingen von Lösungen früher Grundkonflikte ist entscheidend für die weitere psychische Entwicklung und die psychische Gesundheit überhaupt. Werden Bedürfnisse einzelner psychosexueller Entwicklungsphasen nicht angemessen, sondern in zu geringem oder zu hohem Maße befriedigt, so kann es nach psychoanalytischer Vorstellung zu einer Fixierung auf die für die entsprechende Phase typische Triebbefriedigung kommen: Die Triebobjekte und die Befriedigungsformen des Triebes bleiben dann auch im Erwachsenenalter, jenseits der Phasengrenzen, infantil, und in Konfliktlagen können typische regressive Verhaltensweisen auftreten.
Die einzelnen Phasen im Detail
- Orale Phase (1. Lebensjahr): Die Mundregion ist das primäre Bezugsorgan. Säuglinge verbringen viel Zeit damit, am Daumen oder Zehen zu lutschen. Es kommt zu einem Auftreten von Lustgefühlen.
- Narzisstische Phase (2. Lebensjahr): In dieser Phase beschäftigt sich das Kind mit sich selbst (Autoerotismus). Es entwickelt ein Gefühl für sich selbst (Narzissmus).
- Anale Phase (2.-3. Lebensjahr): In dieser Phase geht es um das Ausscheiden und Zurückhalten der Exkremente. Das Kind lernt den Konflikt zwischen Hingabe und Zurückhalten. Es muss sich den Erfordernissen der Umwelt anpassen. Eine Fixierung in dieser Phase kann zu bestimmten Persönlichkeitstypen führen. Reinlichkeit spielt eine große Rolle.
- Phallische Phase (4.-5. Lebensjahr): Die Genitalien werden in dieser Phase zu erogenen Zonen. Das Kind entdeckt den Unterschied zwischen den Geschlechtern und erlebt möglicherweise Angst vor Bestrafung. Bei Mädchen kommt es zum Penisneid. Der Ödipuskomplex bestimmt diese Phase. Das Kind begehrt den andersgeschlechtlichen Elternteil und rivalisiert mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Durch die Unterdrückung der sexuellen Wünsche wird der Ödipuskomplex beigelegt. Es kommt zur Entwicklung des Über-Ich (Gewissen). Störungen in dieser Phase können zu einer "hysterischen" Persönlichkeitsstruktur führen.
- Latenzphase (6.-7. Lebensjahr): In dieser Phase tritt eine scheinbare Unterbrechung der sexuellen Entwicklung ein. Sexuelle Regungen werden abgewehrt und verdrängt. Die Kinder suchen Kontakte vor allem beim gleichen Geschlecht.
- Genitale Phase (ab dem 8. Lebensjahr): Es kommt zu einer Wiederbelebung der sexuellen Triebe sowie zu einer Hinwendung zum anderen Geschlecht. Diese Phase steht für die sexuelle und emotionale Reifung gegenüber.
Kritik an der Triebtheorie
Die freudsche Triebtheorie wurde unter anderem von einer Gruppe von Psychoanalytikern kritisiert und revidiert, die später als Neo-Psychoanalytiker bezeichnet wurden. Zu ihnen gehören u. a. Harald Schultz-Hencke, Karen Horney, Erich Fromm, Harry Stack Sullivan, Frieda Fromm-Reichmann und Clara Thompson.
Die Hauptrichtung der Kritik verdächtigte die Triebtheorie, ein mechanistisch-biologistisches Überbleibsel aus dem 19. Jahrhundert zu sein. Auch wurde das Menschenbild Freuds mit dessen Annahme des Todes- und Destruktionstriebes als kulturpessimistisch kritisiert.
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Die Neopsychoanalytiker wollten die Psychoanalyse als eine Theorie der menschlichen Beziehungen neu begründen (vgl. auch Objektbeziehungstheorie). Strittig ist, ob sie damit wesentliche kritische Gehalte der freudschen Psychoanalyse preisgegeben haben.
Andere Autoren wie Joseph D. Lichtenberg und Martin Dornes sehen die Triebtheorie an sich, und damit auch die Verwendung des Begriffes „Trieb“ im freudschen Sinne, als widerlegt an.
Fundamentale Kritik an der psychoanalytischen Triebtheorie stammt von Autoren, die sich inzwischen von der Psychoanalyse gelöst haben, z. B. Alice Miller, Thomas Mertens, Jeffrey Masson, Dörte von Drigalski, Hilarion Petzold.
Ihr Vorwurf lautet, dass die Triebtheorie der Psychoanalyse einerseits den Opfern sexuellen Missbrauchs in keiner Weise gerecht werde. Denn auf Basis der Triebtheorie kann aus dem/der Missbrauchten als „Opfer“ der/die Missbrauchte als „Täter“ gemacht werden.
Zudem widerrief Freud seine Theorie der Hysterie schon ein Jahr später wieder. „Ich glaube an meine Neurotica nicht mehr“ hieß es in einem Brief vom 21. September 1897.
Eine kritische Sicht auf die Triebtheorie als Kernstück der Psychoanalyse ist häufig bei ehemaligen Psychoanalytikern zu erkennen.
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