Rund ein Viertel der Österreicher leidet zumindest einmal im Leben an einer Depression. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge werden Depressionen bis zum Jahr 2020 weltweit die zweithäufigste Volkskrankheit sein. Diagnose und Behandlung sind nicht immer einfach.
Der Vagus-Nerv gehört zum vegetativen, also nicht willentlich beeinflussbaren Nervensystem und ist aktiv, wenn wir ruhen, verdauen und entspannen. Er entspringt im Gehirn und teilt sich dann im Oberkörper auf. Genau dort soll die sogenannte aurikuläre Vagus-Stimulation ansetzen - also die Stimulation des Vagusnervs am Ohr. Kleine elektrische Impulse sollen den Nerv anregen und so für Entspannung sorgen. Die Vagus-Stimulation wird in der Medizin derzeit vorwiegend gegen Schmerzen eingesetzt.
Behauptungen und Realität
Anbieter von Stimulationsgeräten für das Ohr werben im Internet allerdings auch mit zahlreichen anderen angeblichen Wirkungen. Dennoch behaupten die Herstellerfirma von Nurosym als auch jene von Alpha-Stim, die Wirksamkeit der Vagus-Stimulation gegen Depression wäre wissenschaftlich belegt. Als Beweis dafür listen sie eine ganze Reihe von Studien auf ihrer jeweiligen Webseite auf.
Nein, wissenschaftlich belegt ist das nicht. Das zeigte uns eine ausgiebige Recherche in unterschiedlichen Forschungsdatenbanken. Die Studien, die die Wirksamkeit von Geräten wie Nurosym oder Alpha-Stim bei Depression belegen sollen, sind entweder stark mangelhaft oder schlichtweg frei erfunden. Transkutane aurikuläre Vagus-Stimulation scheint bei Depression also eher keine Hilfe zu sein.
Die Hersteller von Nurosym und Alpha-Stim dürfen in ihrer Werbung keine Heilsversprechen machen oder ihr Produkt zur Behandlung bestimmter Krankheiten bewerben. Das ist den Herstellerfirmen offenbar auch bewusst. Mit der Werbe-Behauptung zum Beispiel, Nurosym wäre „in der Lage, Symptome wie depressive Zustände, Herzprobleme und entzündliche Erkrankungen zu adressieren“, umgeht die Firma geschickt ein Heilsversprechen, indem sie schwammige Formulierungen verwendet. Denn was genau bedeutet es, ein Problem zu „adressieren“?
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Der Blick auf Studien
Wir haben nach Studien gesucht, in denen Menschen mit Depression teilgenommen haben, die per Zufall auf eine von zwei (oder mehreren) Gruppen aufgeteilt worden waren: eine Gruppe, die Vagus-Stimulation bekam, und eine Vergleichsgruppe, die eine wirkungslose Schein-Behandlung, also ein Placebo, bekam. Nur diese Art von Studien kann verlässlich beantworten, ob eine Behandlung wirksam ist. Bei unserer Recherche in verschiedenen Datenbanken und auf den Webseiten der Herstellerfirmen haben wir etliche Studien gefunden - die meisten davon erfüllen allerdings grundlegende wissenschaftliche Anforderungen nicht.
In manchen Studien fehlte wiederum eine Vergleichsgruppe - also eine Gruppe von Teilnehmenden, die keine Vagus-Stimulation oder Schein-Behandlung bekam. Studien ohne Vergleichsgruppe können nichts über die Wirksamkeit aussagen. Zwei weitere Studien wären zwar prinzipiell geeignet, allerdings derart mangelhaft und widersprüchlich, dass wir ihnen wenig Vertrauen schenken. Zudem wurde darin nur der Effekt unmittelbar nach der Behandlung gemessen. Ob Vagus-Stimulation Menschen mit Depression längerfristig helfen kann, kann keine von ihnen beantworten.
Eine Studie mit 160 Teilnehmenden fand einen kleinen Effekt von Vagus-Stimulation auf die Depressions-Beschwerden. Dieser Effekt war allerdings so klein, dass er wahrscheinlich nur auf dem Papier existiert, und für die Betroffenen gar nicht spürbar war. Außerdem ist die Durchführung der Studie nicht vertrauenswürdig - die Zuteilung zu den Gruppen erfolgte zum Beispiel nicht zufällig. Eine andere Studie hatte nur 22 Teilnehmende, gravierende Mängel und lieferte widersprüchliche Ergebnisse. Darin wurde außerdem nur der kurzfristige Effekt direkt nach einer Behandlung gemessen.
Wir fanden eine einzige Studie, die verlässlich und nachvollziehbar untersuchte, ob aurikuläre Vagus-Stimulation eine Depression nachhaltig lindern kann. Sie zeigt eindeutig: Zwischen einer Vagus-Stimulation und einer Schein-Behandlung ohne Strom gibt es keinen Unterschied. Die Studie ist methodisch einwandfrei durchgeführt und sehr aussagekräftig. Die Studie lief 16 Wochen und erhob auch, ob ein eventueller Effekt noch Wochen nach der Behandlung anhalten würde. Weder das Studienteam noch die Teilnehmenden wussten, wer in welcher Gruppe war. Die Studie war vorab registriert worden.
Eingeschränktes Vertrauen trotz eindeutigem Ergebnis
Obwohl die Vagus-Stimulation in dieser Studie wirkungslos war, ist unser Vertrauen in das Ergebnis eingeschränkt. Die Studie wurde von der Herstellerfirma des Alpha-Stim-Geräts unterstützt. Die hätte grundsätzlich Interesse daran, die Wirksamkeit des Geräts nachzuweisen. Eine einzige Studie kann jedoch noch keine sicheren Antworten liefern.
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Alternative Behandlungsmethoden
Betroffenen macht nichts mehr Freude, sie fühlen sich antriebslos und niedergeschlagen. Darüber zu reden kann helfen: Gemeinsam mit einer Fachärztin oder einem Facharzt für Psychiatrie können unterschiedliche Behandlungen ausprobiert werden, von Psychotherapie über Medikamente, sogenannte Antidepressiva.
"Wir können aber den Therapieerfolg durch verschiedene Maßnahmen deutlich verbessern", erklärt Primar Christoph Silberbauer, Leiter der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am Salzkammergutklinikum Vöcklabruck. "Es stehen uns sehr gute neue Antidepressiva zur Verfügung, die sehr wirksam und gut verträglich sind. Hier ist wichtig, dass die Patienten die Medikamente regelmäßig einnehmen. Kommt es dennoch zu keiner Besserung, können andere Wirkstoffe wie zum Beispiel Lithium zusätzlich verabreicht werden. Ein weiteres Medikament, das seit kurzem sehr erfolgreich bei Therapieresistenz eingesetzt wird, ist Ketamin. "Die großen Vorteile sind die rasche Wirksamkeit und die hohe Ansprechrate. Weitere, ebenfalls sehr wirksame Methoden in der Depressionsbehandlung sind die Elektrokrampftherapie (EKT) sowie die Gleichstrombehandlung.
Weitere Verfahren
- Repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS): Mit gepulsten Magnetfeldern stimulieren Forscher bestimmte Regionen des Großhirns von Patienten. Über 20 verschiedene Studien zeigen eine signifikante Wirksamkeit in der Behandlung von therapieresistenten Depressionen.
- Elektrokrampftherapie (EKT): Ein modernes und hochwirksames medizinisches Verfahren zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen.
Elektrokrampftherapie (EKT) im Detail
Die Elektrokrampftherapie beruht auf einer elektrischer Hirnstimulation, die unter Narkose erfolgt. Dabei wird für Sekunden Strom ins Gehirn geleitet, der einen Krampfanfall auslöst. Das kann man sich ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall vorstellen, nur dass der Anfall hier gezielt und unter kontrollierten Bedingungen erfolgt.
Die EKT ist ein hochwirksames Verfahren, auf das 50 bis über 80 Prozent der Behandelten gut ansprechen. Da sie nur bei sehr schweren Erkrankungen eingesetzt wird sowie bei Patientinnen und Patienten, die zuvor nicht ausreichend auf andere Therapieverfahren angesprochen haben, ist die hohe Wirksamkeit umso beachtlicher.
Psychiater greifen auf eine EKT bei sehr schweren oder gravierenden, schwer zu behandelnden psychischen Erkrankungen zurück. Eine Indikation für eine Elektrokrampftherapie besteht beispielsweise :
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- wenn der psychische Zustand eines Patienten so gravierend ist, dass eine schnelle Entlastung notwendig ist
- der Patient schlecht auf eine vorangegangene Behandlung mit Psychopharmaka angesprochen hat (Therapieresistenz)
- der Patient Psychopharmaka schlecht verträgt
- die Risiken der EKT geringer sind als andere Behandlungsmöglichkeiten
Die Wirksamkeit der EKT nimmt mit der Dauer der Erkrankung ab. Die Elektrokonvulsionstherapie ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein zeitgemäßes und unentbehrliches Therapieverfahren bei schweren psychischen Erkrankungen. Grund hierfür ist die herausragende klinische Wirksamkeit. Die wichtigsten Indikationen sind die schwergradige unipolare oder bipolare Depression, die therapieresistente Depression und die lebensbedrohliche Katatonie bei Schizophrenie.
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