Rückenschmerzen sind ein weit verbreitetes Problem in der modernen Gesellschaft, von dem etwa 85 % der Bevölkerung betroffen sind. In vielen Fällen sind die Ursachen psychosomatischer Natur. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Behandlungsmethoden, die darauf abzielen, die zugrunde liegenden körperlichen und seelischen Zusammenhänge besser zu verstehen und zu verbessern.
Das bio-psycho-soziale Schmerzkonzept
In der modernen Medizin wird von einem bio-psycho-sozialen Schmerzkonzept ausgegangen, welches Schmerz als vielschichtigen Vorgang biologischer, psychischer und sozialer Faktoren versteht.
Grundbedürfnisse und innere Konflikte
Menschen benötigen ein ausreichendes Maß an Kontrolle und Sicherheit sowie an stabilen Bindungserfahrungen. Darüber hinaus strebt jeder Mensch nach Selbstwerterhöhung und nach Lusterleben.
Wenn sich jedoch das, was erlebt wird, sehr davon unterscheidet von dem, was man sich wünscht, wie es sein sollte, entstehen innere Konflikte. Sie erledigen etwa Ihre beruflichen Aufgaben engagiert und gewissenhaft. Trotzdem werden Sie ignoriert, andere sind beliebter als Sie und werden Ihnen vorgezogen.
Der daraus resultierende innere Konflikt kann zu inneren Spannungen und vermehrtem Stresserleben führen. Die Folge können Angst, Schlafstörungen und körperliche Schmerzen sein.
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Häufig werden Lösungsversuche unternommen, die das Stresserleben weiter verstärken: Betroffene strengen sich noch mehr an, um das Gewünschte zu erreichen oder sie ziehen sich zurück, um nicht verletzt zu werden, obwohl sie sich nach Nähe und Anerkennung sehnen.
Frühere Erfahrungen und Stressverarbeitung
Bei der Stressverarbeitung spielen frühere Erfahrungen eine große Rolle, weiß die FÄ für Psychiatrie: „Wenn wir etwas Neues erleben, werden frühere Erinnerungsmuster mit den dazugehörigen Gedanken und Gefühlen aktiviert mit dem Ziel, die Situation zu bewältigen.
Im ungünstigen Fall führt dies dazu, dass wir uns in der aktuellen Situation nach alten Mustern verhalten und in unseren Möglichkeiten eingeengt sind und enttäuschende Erfahrungen sich wiederholen.“ Chronisches Stresserleben führt schließlich auch zu körperlichen Veränderungen, z. B. zu Verschiebungen im vegetativen Nervensystem und in der hormonellen Regulation.
Psychosomatische Behandlungsmethoden
Eine psychosomatische Behandlung unterstützt Patientinnen und Patienten dabei, körperliche und seelische Zusammenhänge besser zu verstehen und bessere Lösungen als bisher zu finden. Gemeinsam mit den Behandelnden entwickeln sie Ziele, die sie für sich erreichen wollen.
Um die Fähigkeit zur Schmerzbewältigung und Schmerzdistanzierung zu verbessern und die verloren gegangene Lebensqualität zurück zu gewinnen, wurden verschiedene psychosomatische Therapieverfahren entwickelt. So lernen die Betroffenen, die Schmerzen und ihre Wahrnehmung zu beeinflussen und den Gebrauch von Schmerzmitteln zu verringern bzw. sinnvoll mit anderen Therapiemöglichkeiten zu kombinieren.
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Zu den wichtigsten Therapieansätzen zählen:
- Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie zur Bearbeitung der den Schmerz verursachenden oder aufrechterhaltenden Lebensereignissen und Traumata
- "Schmerzlehre" mit verbessertem Verständnis der seelischen Funktion des Schmerzes
- Nicht verbale Kreativtherapien (z. B. Musiktherapie)
Körperbewusstsein und Leibtherapie
Jeder von uns hat, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, gelernt, seinen Körper ganz individuell „zu gebrauchen“. Erkrankt jemand psychosomatisch, ist auch der Körper immer unmittelbar betroffen und es ist an der Zeit, dieses unbewusste Umgehen mit der eigenen Körperlichkeit näher zu beleuchten.
Der Umgang mit dem eigenen Körper bzw. das Körperbewusstsein wird durch Erziehung und vorgelebte Körperkompetenz unserer Bezugspersonen geprägt und körperlich abgespeichert. Unsere körperliche Erscheinung hilft mit, das physische Potential und unser entwickeltes Selbstbild auszudrücken.
Psychosomatische Symptome lösen zunächst eine Unsicherheit aus - plötzlich „funktioniert“ der Körper nicht mehr so, wie wir es gewohnt waren bzw. wie er „soll“.
Die oft lange Ungewissheit über die Ursache der Beschwerden lässt ein Misstrauen gegenüber dem Körper entstehen, da dieser sich offenbar nicht mehr kontrollieren lässt. In Folge entstehen Zweifel: Für welche Aufgaben Vorhaben und Lebensentwürfen habe ich künftig überhaupt noch die nötigen körperlichen Voraussetzungen?
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Erschwerend kommt hinzu, dass psychosomatische Beschwerden kaum auf herkömmliche Therapiemethoden ansprechen. Die Patientinnen und Patienten fühlen sich dem Körper gegenüber schließlich ohnmächtig und versuchen, die vorerst unverständlichen körperlichen Signale zu verdrängen und ihn zu „bezwingen“ - nach dem Motto „das gibt sich schon wieder“.
Früher oder später kann dabei jedoch das gesamte bisherige Körper- und Selbstbild ins Wanken geraten.
„Das vorrangige therapeutische Ziel in dieser Situation ist es daher, gemeinsam mit den Betroffenen Möglichkeiten zu entwickeln, wieder Einfluss auf den Körper zu gewinnen, um die empfundene Ohnmacht in eine Eigenmächtigkeit zurück zu verwandeln“, sagt Nadja Kindlmann, Physiotherapeutin an der Psychosomatischen Tagesklinik.
Sie und ihr Kollege Josef Humpl, Physiotherapeut und akad. Atempädagoge, unterstützen die Patientinnen und Patienten dabei, indem sie Wissen über die Funktionen des Körpers (Anatomie und Physiologie) vermitteln, das individuelle Bewegungsvermögen fördern und weiterentwickeln und dabei helfen, neue Kommunikationsschienen zwischen Körper und Bewusstsein entstehen zu lassen.
„Gelingt es, die Patientinnen und Patienten wieder neugierig auf den eigenen Leib zu machen, tritt Interesse an die Stelle von Ignoranz, Ablehnung, Misstrauen, Abwertung oder Verdrängung und der wesentlichste Schritt ist getan“, weiß Josef Humpl.
All dies geschieht in vertrauensvollem Rahmen, um Neues ausprobieren zu können, begleitet durch die Therapeutinnen und Therapeuten, die zur rechten Zeit ermutigen, bestärken und Durststrecken und Rückschläge mitaushalten, bis das Fundament des Leibes wieder trägt.
Insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Essstörungen spielt die Leibtherapie eine große Rolle. Die Betroffenen lernen in Gruppensettings, den eigenen Körper wieder „neu“ zu erleben. Ihr vermeintliches „Ideal“ wird hierbei immer wieder in Frage gestellt. Gleichzeitig wird an das Abgelehnte langsam und behutsam herangeführt, um es spielerisch zu integrieren.
Musiktherapie
Musik spricht Gefühle an, dass kennt jeder: Man hört ein Lied und verknüpft, häufig binnen Sekunden, ein Erlebnis, ein Gefühl, eine Situation damit.
Musik dient aber auch als nonverbales Ausdrucksmittel, um z. B. Gefühle, Bedürfnisse, Stimmungen, innere Konflikte oder Spannungen zu transportieren, mitzuteilen und zu bearbeiten.
Dabei ist das freie musikalische Spielen und Töneproduzieren (Improvisieren) genauso zielführend wie Musikhören oder das Bewegen zur Musik. Um das musikalisch Erlebte bewusst zu machen, sind die verbale Aufarbeitung und Reflexion notwendiger Therapiebestandteil.
Am Department für Psychosomatik bieten insgesamt drei Musiktherapeutinnen und -therpeuten im stationären, tagesklinischen und auch im ambulanten Bereich Einzel- und Gruppentherapien mit unterschiedlichen Behandlungsschwerpunkten an.
Bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzstörungen werden eingeengte Beziehungsmuster reflektiert und der emotional-affektive Spielraum erweitert. Die dabei erlebten Gefühle ermöglichen es, den Schmerz umzudeuten und in neue Zusammenhänge zu stellen.
Bei Patientinnen und Patienten mit einer Borderline- oder Essstörung hingegen geht es vor allem darum, die Wahrnehmungsfähigkeit zu fördern. Emotionale Blockaden oder unreguliertes Erleben von Gefühlen werden dabei mit musikalischen Mitteln bearbeitet. Rezeptiver Einsatz von Musik (z. B.
Achtsamkeit
Von klein an lernen wir, eher unachtsam mit uns umzugehen: Andere scheinen besser zu wissen, wann wir hungrig sind, wann wir müde sein sollten, wann wir dieses oder jenes können sollten. So müssen wir als Erwachsene Achtsamkeit häufig wieder neu lernen und in unser tägliches Leben integrieren.
In der Achtsamkeit nehmen wir Dinge wahr, wie sie im Hier und Jetzt sind. Achtsamkeit ist dieser Moment. DGKP Friedrich Marksteiner, Stationsleiter an der Abteilung für Psychosomatik, erklärt: „Der Begriff 'Achtsamkeit' sagt es bereits, wir achten darauf, was wir erleben.
Wir beobachten das Kommen und Gehen von Gedanken und Gefühlen. Wir beschreiben, was wir sehen und geben dem Erlebten Worte. Wir nehmen teil, an dem, was wir gerade tun und erleben, ohne nachzugrübeln, was gerade los ist.“ Der Effekt liegt klar auf der Hand: Die Konzentration auf etwas Bestimmtes wirkt automatisch entspannend.
Wir beschäftigen uns nur mit einer Sache. Wir nehmen etwas wahr, ohne zu urteilen, ohne zu bewerten und lassen Gedanken und Gefühle vorbeiziehen.
Jon Kabat-Zinn, emeritierter US-Professor und Molekularbiologe entwickelte für seine Patientinnen und Patienten in den späten 1970er-Jahren, ausgehend von einem buddhistischen Kontext und aufgrund eigener Erfahrungen, „Mindfulness-Based Stress Reduction“ (MBSR), ein achtwöchiges, standardisiertes und mittlerweile international anerkanntes Programm zur Stressbewältigung.
Die amerikanische Psychologin Marsha Linehan ergänzte das Programm durch hilfreiche Übungen und integrierte MBSR in das von ihr entwickelte DBT-Konzept (Dialektisch-Behaviorale-Therapie). „Achtsamkeit, in Form von MBSR, vermittelt, bildet eine der Grundlagen für die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten.
Am Department für Psychosomatik lernen sie Achtsamkeit in Theorie und Praxis kennen, wobei der Praxisteil klar im Vordergrund steht“, betont Marksteiner. In MBSR geschulte Pflegekräfte leiten die Patientinnen und Patienten in Gruppensettings an. Dabei werden verschiedene Achtsamkeitsübungen wie zum Beispiel Atmung, 5-Sinne-Übungen, achtsames Hören, Sehen, Gehen sowie der Body-Scan und vor allem auch kurze, leicht und überall anwendbare Übungen erklärt und ausprobiert.
„Die Patientinnen und Patienten finden so die für sie selbst passenden Übungen, die sie in ihren Alltag, auch nach dem Klinikaufenthalt, mühelos integrieren können“, weiß der Stationsleiter.
Achtsamkeitspraxis ist ein ständiges Üben. So gelingt es, Schritt für Schritt und immer besser, stressige Situationen, Hochspannung, starke Emotionen, aber auch kleine Veränderungen in der eigenen Stimmungslage früher wahrzunehmen und entsprechend handeln zu können.
DBT-Körpertherapie
Die Borderline Persönlichkeitsstörung geht mit Beeinträchtigungen in der Beziehung zum eigenen Körper einher, mit Gefühlen von Hass, Ekel und Scham. Der Körper wird abgelehnt, es bestehen Körperwahrnehmungsstörungen, Angst vor körperlicher Berührung und eine Störung der Körpergrenze.
Für viele Betroffene ist der Körper ein Objekt, das unlustvoll erlebt wird, hohe Spannungszustände erzeugt und Träger psychosomatischer Beschwerden wie Kopf- und Rückenschmerzen ist.
Borderline-Patientinnen und Borderline-Patienten reduzieren ihren Körper oft auf einen „Austragungsort“ destruktiver Handlungen (Selbstverletzungen wie Ritzen, Nägelbeißen etc.). Mit Unterstützung der DBT-Körpertherapie kann eine Verbesserung der Körperwahrnehmung und eine körperliche Akzeptanz erreicht werden.
Dies geschieht durch die Vermittlung von körperbezogenen Fertigkeiten zur Spannungs- und Emotionsregulation. „Die Methoden zur Verbesserung der Körperwahrnehmung basieren primär auf Achtsamkeitsübungen, die die sensorischen Informationen der Körperoberfläche fokussieren.
Die Betroffenen lernen Veränderungen am Körper wahrzunehmen, ohne dies zu bewerten oder ohne das Erlebte direkt verändern zu wollen“, erklärt Brigitte Rack, Physiotherapeutin. Kennzeichnend für viele Borderline-Patientinnen und Borderline-Patienten ist, dass sie Spannungszustände und Emotionen erst wahrnehmen, wenn diese schon gravierend im Ausmaß sind.
Es müssen also zunächst Voraussetzungen geschaffen werden, die inneren Zustände rechtzeitig wahrzunehmen. Die DBT-Körpertherapie findet von Beginn des klinischen Aufenthaltes an in Einzelsettings einmal wöchentlich statt.
Zunächst werden die körperlichen Beschwerden gemeinsam eruiert bzw. ein Bewusstsein dafür geschaffen, da viele Betroffene dazu tendieren, Körpersignalen wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Konkrete Übungen zur Verbesserung gegebener Schwächen tragen zu einer Optimierung des Körpergefühls bei, wirken Ich-stützend und können auch zur Spannungsregulation eingesetzt werden.
Weiters werden die derzeitigen körperlichen Aktivitäten erfragt. „Wir ermuntern die Patientinnen und Patienten individuell, wieder gezielt sportliche Aktivitäten aufzubauen, auch um die emotionale Verletzlichkeit dadurch zu reduzieren.
Die nachfolgenden Einheiten beinhalten Übungen zur Verbesserung von Gleichgewicht, Kraft, Kondition und Koordination“, sagt Michael Reichhardt, Physiotherapeut. Die weiteren Themen der DBT-Körpertherapie reichen von der Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefensensibilität und der bewussten Steuerung und Veränderung der Körperhaltung über die Bedeutung von selektiver Aufmerksamkeit für die Aktivierung von Emotionen, die Wahrnehmung von Körpersignalen, die durch Nähe entstehen bis hin zu spezifischen Übungen zur Spannungsregulation (Vertiefung der Atmung, rhythmische Bewegungen, Aufmerksamkeitsfokussierung, Muskelarbeit).
Klinische Sozialarbeit
Klinische Sozialarbeit stellt neben der Medizin und Pflege, der Psychologie und der Psychotherapie ein grundlegendes Behandlungsangebot im Rahmen des bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells für psychosomatische Patientinnen und Patienten und deren Angehörige dar, denn die Bedeutung des sozialen Umfeldes als Irritations- oder Stabilisierungsfaktor für Erkrankungen darf nicht unterschätzt werden.
Im Mittelpunkt des Interesses steht immer die Patientinnen/der Patient mit ihren/seinen persönlichen und sozialen Ressourcen.
Die zentralen Methoden der Klinischen Sozialarbeit sind psychosoziale Beratung, Soziotherapie, Krisenintervention, Case Management und psychoedukative Gruppenarbeit. „Da die Auftragslagen in der Regel komplex sind, ist lösungs- und ressourcenorientiertes Vorgehen besonders wichtig.
In der Einzelfallarbeit ist es unerlässlich, alle individuellen, familiären, rechtlichen, finanziellen und beruflichen Belange einzubeziehen“, sagt Mag.a Sophie Prieschl, Klinische Sozialarbeiterin. Am Department für Psychosomatik - ob stationär oder in der Tagesklinik - wird sowohl in Einzel- als auch Gruppensetting gearbeitet; fallweise ergänzt durch Angehörigengespräche.
Die längere Behandlungsdauer erleichtert den Beziehungsaufbau und ermöglicht ein vertiefendes Arbeiten an den Lösungen. Häufiges Thema ist die berufliche (Wieder-)Eingliederung. „Wir sind von Anfang an bestrebt, uns an der Lebensrealität, den Ideen- und Lösungsvorschlägen der jeweiligen Patientinnen und Patienten zu orientieren und negative Folgen längerer Krankenstände abzuwenden“, betont Mag.a Daniela Grünwald, Klinische Sozialarbeiterin.
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