Toxische Beziehungen: Psychologische Einblicke und Warnsignale

Jeder wünscht sich für sein Kind, dass es gesunde, glückliche Beziehungen führt. Doch manchmal geraten Jugendliche in sogenannte toxische Beziehungen - Beziehungen, die ihnen mehr schaden als guttun. Für Eltern ist das eine herausfordernde Situation.

Was ist eine toxische Beziehung?

Der Begriff "toxisch" steht für etwas, das schädlich oder giftig ist. Doch was heißt das im Zusammenhang mit Beziehungen? Eine toxische Beziehung ist eine, die nicht guttut - sie kann belastend, einschränkend und energieraubend sein. Oft haben in solchen Beziehungen die eigenen Bedürfnisse kaum Platz, das Gegenüber übt möglicherweise viel Kontrolle und Manipulation aus. Außerdem sind toxische Beziehungen häufig von grenzüberschreitendem Verhalten geprägt.

Das kann sich auf verschiedene Weisen zeigen - psychisch, körperlich oder auch sexuell. Oft beginnt dieses Verhalten fast unbemerkt und wird mit der Zeit immer deutlicher und belastender. Eine toxische Beziehung zeichnet sich durch Regelmäßigkeit und ein gezieltes Muster aus. Es geht darum, dass eine Person in der Beziehung immer wieder unterdrückt oder herabgesetzt wird. Oft wird ein Ungleichgewicht bemerkbar - ein spürbares „Machtgefälle“.

Es fehlt in den allermeisten Fällen dann auch die Möglichkeit, diese Dynamik nachhaltig zu verändern. Mitzubekommen, dass das eigene Kind sich in einer toxischen Beziehung befindet, kann sehr belastend sein. Obwohl oft, wenn man von einer toxischen Beziehung spricht, als erstes an Partnerschaften gedacht wird, sind es nicht nur Liebesbeziehungen, die toxisch sein können. Auch Freundschaften, Beziehungen zwischen Eltern und Kindern oder anderen Menschen im nahen Umfeld können toxische Dynamiken entwickeln. Da dieses Problem jedoch häufig in Liebesbeziehungen von Jugendlichen vorkommt, möchten wir uns im folgenden Artikel darauf konzentrieren. Auch wenn vieles für andere Fälle von solchen Beziehungen ebenfalls zutreffen und hilfreich sein kann.

Was ist keine toxische Beziehung?

Bevor auf potenzielle Warnsignale eingegangen wird, ist es vorab wichtig, klarzustellen, was keine toxische Beziehung ist. Sie ist klar von einem einmaligen Streit zu unterscheiden, in dem gemeinsame Lösungen für Schwierigkeiten erarbeitet werden können und trotz des emotionalen Aufruhrs Respekt vorhanden ist. Dass sich Ihr Nachwuchs in seiner Beziehung manchmal unverstanden oder mit den eigenen Gefühlen nicht wahrgenommen fühlt, gehört zu dem Erleben in fast jeder Beziehung dazu.

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Warnsignale einer toxischen Beziehung

Anzeichen dafür, dass die Beziehung Ihres Kindes toxisch ist:

  • Seine Grenzen werden nicht respektiert. Beispielsweise wird von ihm erwartet, dass es zu jeder Uhrzeit und im Urlaub erreichbar ist.
  • Ihr Kind wirkt trauriger, angespannter, unter Stress oder mehr Druck und belasteter als früher. Achtung! Es ist wichtig, dies von üblichen Stimmungsschwankungen oder Veränderungen in der Pubertät abzugrenzen!
  • Ihr Kind wird emotional erpresst. Z.B. hat es Angst, dass sich der oder die Partner:in etwas antut, wenn es nicht sofort zu ihr oder ihm kommt.
  • Die Symmetrie in der Beziehung stimmt nicht. Sie ist nicht auf Augenhöhe, sondern Ihr Kind wird klein gemacht (beschämt, bestraft etc.) oder auf einen Podest gehoben (z.B. „Du bist die einzige Person, die mich versteht! Ohne dich kann ich nicht leben!“). Manchmal passiert auch beides abwechselnd!
  • Ihr Kind wird körperlich oder auch psychisch verletzt.
  • Es wird runtergemacht oder kleingehalten.
  • Es isoliert sich sozial immer mehr von anderen Menschen, der Familie, Freundinnen oder Freunden.
  • Es fühlt sich ohnmächtig/ausgeliefert.
  • Die Stimmung Ihres Nachwuchses ist abhängig von der der Partnerin oder des Partners.
  • Bei „falschem“ Verhalten wird es bestraft. Beispielsweise geht der oder die Partner:in emotional auf Distanz, wenn Ihr Kind etwas macht, was er oder sie nicht wollte wie z.B. mit anderen Freundinnen oder Freunden Zeit verbringen.
  • Der Nachwuchs vernachlässigt sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse und geht zum Beispiel Hobbys nicht mehr nach.
  • Der Selbstwert und das Selbstbewusstsein leiden unter der Beziehung.
  • Außenstehende beobachten und melden zurück, dass etwas nicht passt.
  • Viele Kapazitäten Ihres Kindes werden davon eingenommen, über die andere Person und das Verhalten ihr gegenüber nachzudenken. Im Sinne von „Was würde die andere Person davon halten, wenn ich…?“
  • Ihrem Kind werden Schuldzuweisungen gemacht bzw. wird es viel kritisiert. Zum Beispiel wird die Schuld für potenziell grausames Verhalten der Partnerin oder des Partners Ihrem Kind zugeschoben.
  • Ihr Kind wird Opfer von „Gaslighting“. Das ist eine Form psychischer Gewalt, bei der der betroffenen Person die eigene Wahrnehmung und die eigenen Gefühle so oft abgesprochen werden, dass sie anfängt, an ihrer eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Sie hinterfragt zunehmend sich, ihre eigenen Empfindungen und die Realität, ist stark verunsichert und kann sich ab einem gewissen Punkt sogar total orientierungslos fühlen.

Wie kommt es zu toxischen Beziehungen?

Oft ist es nicht nur schwer, dabei zuzusehen, wie das eigene Kind leidet, sondern auch nicht nachvollziehbar, wie es in einer Beziehung stecken kann, die ihm offensichtlich nicht mehr guttut und möglicherweise sogar schadet. Da ist es vollkommen verständlich, sich die Frage zu stellen, wie das überhaupt sein kann. Neben oft manipulativen Taktiken, die wir bereits bei den Warnsignalen erwähnt haben, gibt es unterschiedliche Gründe, weshalb sich das Kind in erster Linie auf so eine Beziehung eingelassen hat und sich in weiterer Folge dazu entscheidet, in ihr zu bleiben.

Dies lässt sich möglicherweise damit erklären, dass in einer Phase des Erwachsenwerdens, die durch viel Unsicherheit geprägt ist, das Kind sich nach einer scheinbar “starken” Person sehnt, die einem sagt, wo es langgeht und ihm das Gefühl von Orientierung und Sicherheit gibt. Ein weiteres übliches Muster ist, dass die starke Zuwendung, der Besitzanspruch und die Aufmerksamkeit, die am Beginn solcher Beziehungen gewöhnlich ist, die Sehnsucht nach einer „besonders starken Liebe“ zu erfüllen verspricht. Die Fixierung der anderen Person beweise nur, wie wichtig die oder der Partner:in für sie ist. Nimmt die Beziehung dann eine schwierige Kehrtwende, bleibt oft die Hoffnung, es könnte wieder so werden wie zu Beginn. Manchmal schürt die andere Person diese Hoffnung, indem es Ihrem Kind beispielsweise verspricht, sich zu verändern, sich auch ein paar Tage daran hält, romantische Gesten oder Geschenke macht.

Was können Eltern tun?

Seien Sie sich also bewusst, dass die Person im Leben Ihres Nachwuchses eine wichtige Funktion erfüllt, oder sie zumindest hat. Zeigen Sie Verständnis und tun Sie die andere Person nicht einfach ab. Zeigen Sie echtes Interesse an Ihrem Kind, daran, wie es ihm geht, was es macht und was es beschäftigt. Dabei geht es auch darum, Gespräche unabhängig der schwierigen Situation in der Beziehung zu führen. Bieten Sie schöne gemeinsame (und unbeschwerte) Zeiten an, in denen sich Ihr Kind selbst gut spüren kann und merkt, dass es sein darf, wie es ist. Signalisieren Sie, dass Sie nicht gegen den oder die Partner:in, sondern für Ihr Kind sind.

Sie können Ihrem Nachwuchs nichts vormachen - es wird spüren, wenn Sie den oder die Partner:in nicht mögen. Sie können eine klare Haltung vertreten (z.B. „Ich mag es nicht, wie XY dich behandelt“), die Sie ihm allerdings nicht immer wieder um die Nase binden müssen. Versuchen Sie auch zu sehen, was die wichtige Person für Ihren Nachwuchs bedeutet und was für den oder die Partner:in spricht, damit Sie auch diese Seiten miteinbringen können. Man vertraut sich leichter einer Person an, von der man keine Belehrung oder Verurteilung befürchten muss. Sätze wie „Ich hab es dir doch gesagt!“ sind nicht hilfreich.

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Geht die Belastung schon länger und haben Sie sich mit Ihrem Nachwuchs schon viel darüber gestritten, können Sie sich für etwaigen Druck, den Sie aufgebaut haben könnten, entschuldigen. Bieten Sie gegebenenfalls professionelle Unterstützung oder Hilfe durch eine außenstehende Person an. Beispielsweise können Sie Ihrem Kind anbieten, sich an die 147 - Rat auf Draht Notrufnummer zu wenden, wenn es eine unabhängige Person zum Reden braucht. Erklären Sie, dass solche Unterstützungsangebote genau dafür da sind und es sich nicht unbedingt um einen akuten Notfall handeln muss. Vielleicht kennen Sie sonst jemanden aus Ihrem Freundes- oder Familienkreis, dem sich Ihr Kind anvertrauen könnte.

Fragen Sie Ihren Nachwuchs direkt, was es sich für Unterstützung wünschen würde oder was es brauchen könnte, um sich in dieser Zeit nicht allein zu fühlen und öffnen zu können. Auch weiterführende Hilfe, wie Psychotherapie, psychologische Beratung oder Behandlung, kann sehr hilfreich sein. Tut sich Ihr Kind schwer, seine Grenzen zu wahren bzw. grenzüberschreitenden Anforderungen der Partnerin oder des Partners Stand zu halten, kann es manchmal hilfreich sein, sich dem Nachwuchs als „Sündenbock“ anzubieten. Es kann Ihrem Kind beispielsweise leichter fallen, zu sagen „Ich kann nicht kommen, weil meine Eltern es verbieten“, als dass es vielleicht sagt „Heute möchte ich nicht mehr zu dir kommen“.

Selbstverständlich sollte dies nicht der einzige Ausweg sein. In manchen Fällen kann dies Ihren Nachwuchs jedoch entlasten bzw. es in einem ersten Schritt einfacher machen, ein bisschen Distanz zur Situation oder dem anderen Menschen zu bekommen. Verbünden Sie sich mit Ihrem Nachwuchs und fragen Sie ihn, was er braucht und möchte, und wie Sie ihn dabei unterstützen können. Eine etwaige Ablösung aus einer toxischen Beziehung kann viel Zeit brauchen. Daher ist es wichtig, Ihren Nachwuchs geduldig zu begleiten und auch auszuhalten, wenn er Entscheidungen trifft, die ihm nicht guttun. Bauen Sie keinen Druck auf und seien Sie Ihrem Kind ein Gegenüber, dass gleichzeitig Position beziehen kann und ein offenes Ohr hat.

Kann ich mein Kind dazu zwingen, Schluss zu machen?

Kinder haben das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Diese Rechte sind sowohl in internationalen als auch in österreichischen Rechtsgrundlagen verankert. Die genannten Rechtsnormen schützen das Recht von Kindern und Jugendlichen, eigene Freundschaften und Beziehungen zu führen, solange das Kindeswohl nicht gefährdet ist. In der Praxis bedeutet es, dass Eltern in Österreich (ohne schwerwiegenden Grund) ihre Kinder nicht zwingen dürfen, eine Freundschaft oder Beziehung zu beenden. Sie können versuchen, Einfluss zu nehmen, zwingen im Sinne von rechtlich durchsetzen können Sie ein Beziehungsende aber nicht.

Abgesehen davon, dass so gut wie keine rechtliche Handhabe besteht, ist es nicht ratsam, zu versuchen, das eigene Kind zu etwas zu zwingen, weil die Beziehung stark darunter leiden könnte. Möglicherweise könnte das Ihr Kind nur noch mehr isolieren oder es dazu bringen, die belastende Beziehung im Geheimen zu führen. Sollte sich Ihr Kind von dem oder der Partner:in trennen wollen, unterstützen Sie es, indem Sie es fragen, wie Sie das am besten tun können. Auch dann, wenn es die ersten Male nicht gelingt und das Kind wieder „zurückkehrt“.

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Achten Sie darauf, nicht wieder Druck aufzubauen - fragen Sie nach, woran es liegt, was es bräuchte und wie Sie es am besten begleiten können. Manchmal bedeutet das auch einfach „da zu sein“. Es ist viel Geduld gefragt. Es kann helfen, sich vor Augen zu führen, wie schwierig eine Trennung sein kann, da möglicherweise viel Manipulation und das Gefühl von Abhängigkeit im Spiel sind. Abgesehen davon wird es auch schöne Seiten in der Beziehung gegeben haben. Kommunikation öffnet Türen, Zwang verschließt sie.

Narzissmus und toxische Beziehungen

In den letzten Jahren hat der Ausdruck "toxische Beziehung" die Psychologie und klinische Psychiatrie erobert, besonders jene Bereiche, wo von „toxisch dysfunktionalen Beziehungen“ und ihren Folgen gesprochen wird. Dem liegt meist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) zugrunde. Meist wird das Opfer ebenfalls systemisch überzeugt sein, dass es „immer an den/die Falsche/n“ kommt. Das narzisstische und auch das Opfer Element sind meist schon in der Kindheit eingeübte Muster, die sich bis in die Jugend und in die Erwachsenenalter weiterziehen.

Typischerweise tun sich diese Personen schwer damit, die Kontrolle zu verlieren. Meist wird - bewusst oder unbewusst - manipuliert, isoliert und abgeschottet. Das Umfeld kann diese Entwicklung erkennen, das Opfer meist lange nicht. Hochphasen einer „toxisch dysfunktionalen Beziehung“ sind allerdings oft dennoch sehr fruchtbar. Das Opfer fühlt sich durch den, vom Partner entwickelten, Elan und die daraus resultierende Kreativität, die Aufmerksamkeit, die oft im Außen entstehende Dynamik, aufgewertet. In diesen Zeiten werden z. B. gemeinsam Startups gegründet, es werden viele Reisen gemacht oder Projekte erfolgreich beendet. Allerdings sind diese Hochphasen dann jäh vorbei. Und das Opfer wird komplett entwertet, isoliert und kontrolliert. Dieser Kreislauf ist extrem schwer zu durchbrechen.

Es geht hier tatsächlich um das Gleichgewicht der Kräfte. Sobald die individuelle Freiheit eines Menschen in einer Beziehung massiv eingeschränkt wird und diese Unfreiheit mit Zwang durchgesetzt und eingefordert wird, sprechen wir von einer „toxisch dysfunktionalen Beziehung“. Diese kann schon in jungen Jahren unter Freunden erfahren werden. So sehr diese Begriffe heute aber zu leichtfertig verwendet werden, so sehr kann auch positive Bewusstseinsbildung durch Eltern und Kinder erfolgen. Früher stolperte man von einer Abhängigkeit in die nächste, einfach, weil man nicht über diese Themen sprach.

Wer gerne gibt und dies freiwillig, ohne jeglichen Zwang, der wird kein Opfer sein. Wie ein Sprichwort sagt: „Liebe setzt Freiheit voraus“. Dafür braucht es aber auch einen gesunden Selbstwert, der in unserer Arbeit, als Familienberatungsdienst, im Fokus steht. Wesentlich sind demnach die Freiwilligkeit und damit die Freiheit der Entscheidungsfähigkeit des Menschen. In einer „toxisch dysfunktionalen Beziehung“ sind diese Elemente zerstört. Aber nur, wenn die Entscheidungsfähigkeit eines Opfers wiederhergestellt ist, kann dieses Erkenntnis üben und damit beginnen, aus einer solchen Beziehung, und letztlich aus der Opferrolle, auszusteigen. Das ist im Grund der Kern unserer Beratungstätigkeit.

Umgang mit Schuld in toxischen Beziehungen mit Narzisst*innen

Besonders empathische Menschen sind ein leichtes Opfer der narzisstischen Schuldzuweisung. Diese wollen für andere nur das Beste und verfolgen daher oftmals einen moralischen Ansatz, bei dem sie den Anderen bzw. das Wohl der Anderen über ihr eigenes stellen.

Wenn Schuld ein großes Thema in jemandes Leben ist - man will niemand etwas schuldig sein, fühlt sich schnell schuld usw. - dann ist diese Person ein leichtes Opfer für narzisstische Menschen. Diese geben nämlich gerne allen andern die Schuld für ihr Verhalten.

Dabei werden oft Ursache und Wirkung verdreht. Eine besonders perfide Form von Gaslighting by the way. Ein Begriff der Psychologin Jennifer Freyd beschreibt dieses narzisstische Tool sehr gut. Sie hat diese spezielle narzisstische Form der Schuldumkehr, die häufig von narzisstischen Menschen (oder anderen manipulativen) Menschen eingesetzt wird, DARVO genannt. Die Buchstaben in DARVO stehen für:

  • Deny (Leugnen)
  • Attack (Angreifen)
  • Reverse Victim and Offender (Täter und Opfer umkehren)

Wird dieser Trick einmal angewandt, hilf Bewusstheit: Wie hat die Auseinandersetzung genau angefangen? Wenn ein Bedürfnis geäußert wird, es anschließend jedoch nur noch um den vermeintlichen Ton geht und nicht mehr um das Bedürfnis, sollte das Gespräch unbedingt zurück auf das Bedürfnis (Anliegen) gebracht werden. Diese Technik nennt sich Broken Record (Gesprungene Schallplatte). Das Opfer lässt sich nicht mehr vom eigentlichen Thema abbringen.

Toxische Männlichkeit

„Die Abwehrreaktionen gegen den Begriff der toxischen Männlichkeit beruhen oft auf einem Missverständnis“, sagt Björn Süfke im Gespräch mit der FURCHE. Süfke ist Psychologe und Autor mehrerer Sachbücher zum Thema. Männer müssten sich durch den Begriff keineswegs angegriffen fühlen - ganz im Gegenteil: „Der Begriff heißt toxische Männlichkeit, nicht toxischer Mann.“ Es gehe also nicht um „den Mann“ an sich, sondern um ein Konzept von Männlichkeit, um eine Konstruktion des „Mann-Seins“, die das Potenzial habe, nicht nur anderen, sondern auch den Männern selbst zu schaden.

Wer sich mit der „toxischen Männlichkeit“ auseinandersetzen will, muss also zunächst einmal ein gutes Stück zurückgehen. Zu Fragen über Geschlechterunterschiede, Rollenbilder und Sozialisation. Und zu Konstanten in diesen Bereichen.

Dazu gehört, dass Frauen im Schnitt mehr und häufiger über ihre Emotionen sprechen und sich aktiver mit ihnen auseinandersetzen. Während Männer eher dazu neigen, gerade so genannte „schwache“ Emotionen wie Angst, Trauer oder Hilflosigkeit zu verdrängen - und innere Abwehrmechanismen dagegen zu entwickeln.

„Männer bekommen den Umgang mit Gefühlen fast abtrainiert“, sagt Süfke. Auch wenn diese Tendenz heute natürlich nicht mehr so ausgeprägt sei wie etwa vor 60 Jahren. Bevor vor allem die Frauenbewegung dazu beitrug, sowohl weibliche als auch männliche Rollenbilder zu hinterfragen.

Weil diese Gefühle aber für alle Menschen alltägliche Begleiter sind, entstand ein heikles Dilemma: Wie umgehen mit Emotionen wie Angst und Trauer, die zwar das (Wohl-)Befinden merklich beeinträchtigen, aber oft so verdrängt sind, dass sie gar nicht als die eigentliche Emotion wahrnehmbar werden - sondern nur als starkes Unwohlsein oder dumpfe innere Leere?

Deshalb sind Männer etwa anfälliger für viele Suchterkrankungen, werden ungleich öfter körperlich gewalttätig, ruinieren sich ihre Gesundheit häufiger durch übermäßige Arbeit und sterben früher als Frauen. Selbst bei terroristischen Anschlägen und Amokläufen - beide weitgehend männlich dominiert - steht das Scheitern am männlichen Selbstbild oft im Hintergrund einer Ereigniskette.

Dass männliche Kompensationsstrategien nicht nur zu fremd-, sondern auch zu selbstschädigendem Verhalten führen können, zeigen nicht nur die deutlich höheren männlichen Alkoholikerraten (fast drei Viertel der Alkoholkranken sind Männer), sondern auch die Suizidraten, die bei Männern um ein Vielfaches höher liegen als bei Frauen. In den beiden vergangenen Jahren etwa töteten sich in Österreich jeweils fast viermal so viele Männer wie Frauen.

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