Psychodynamische Psychotherapie: Anwendungsbereiche und Besonderheiten

Die Psychodynamische Psychotherapie umfasst alle analytisch begründeten Vorgehensweisen, die methodische Varianten des Verfahrens darstellen. Die Psychodynamische Psychotherapie gründet auf der Psychoanalyse und ihren Weiterentwicklungen. Die Behandlungsprinzipien der PP bestehen in einer Bearbeitung lebensgeschichtlich begründeter unbewusster Konflikte und krankheitswertiger psychischer Störungen in einer therapeutischen Beziehung unter besonderer Berücksichtigung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand.

Die analytische Psychotherapie (AP) ist die zusammenfassende Bezeichnung für eine bestimmte in Deutschland von der gesetzlichen Krankenkassenversorgung zugelassene Form der Psychotherapie. Es ist die Bezeichnung für eine psychoanalytisch begründete Langzeittherapie.

Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernehmen derzeit drei Psychotherapieverfahren: die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie. Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie gehören zu den psychoanalytisch begründeten Verfahren, das heißt, sie basieren theoretisch auf der Psychoanalyse und deren Weiterentwicklung. Die analytische Psychotherapie umfasst jene Therapieformen, die zusammen mit der neurotischen Symptomatik den neurotischen Konfliktstoff und vor allem die zugrunde liegende Struktur (Persönlichkeit) des Patienten behandeln und dabei das therapeutische Geschehen mit Hilfe der Übertragungs-, Gegenübertragungs- und Widerstandsanalyse unter Nutzung regressiver Prozesse in Gang setzen und fördern.

Die analytische Psychotherapie fokussiert Persönlichkeitsanteile, lebensüberdauernde Muster im Erleben und Verhalten, von Denk- und Bewertungsprozessen wie v. a. auch Muster in Beziehungen. Die analytische Psychotherapie ist eine Langzeittherapie und kann in Einzelsitzungen oder Gruppen durchgeführt werden.

Eine analytische Psychotherapie ist besonders dann angezeigt, wenn der Patient „an sich selbst leidet“, oder zum Beispiel wenn sich beim Patienten im Lebensverlauf keine rechte Lebenszufriedenheit einstellt bzw. eine überdauernde tiefe diffuse Lebensunzufriedenheit besteht oder zum Beispiel der Patient an eingeengten Erlebens- und Verhaltensweisen leidet. Ebenso bei einer durchgängig verfestigten chronisch neurotischen Entwicklung, die in eine tiefe Grundstörung eingebettet ist, wenn also aus der Biografie gewachsene und verfestigte neurotische Strukturen (Grundpersönlichkeit) und ihre Muster bereits im Inneren aufgrund ihres schweren neurotischen Charakters eigenen Krankheitswert entwickelt haben.

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Eine weitere Indikation für die analytische Psychotherapie stellt die bereits Jahre andauernde Chronifizierung einer psychischen Erkrankung dar. Des Weiteren gehören zum Indikationsspektrum einer analytischen Psychotherapie verschiedene Persönlichkeitsstörungen (vor allem die narzisstische, histrionische, anankastische, ängstlich-vermeidende, abhängige und schizoide Persönlichkeitsstörung). Modifikationen einer analytischen Psychotherapie können dann notwendig sein, wenn zum Beispiel bei strukturellen Störungen und Traumafolgen eine zu starke therapeutische Regression vermieden werden muss und eher an den für diese Krankheitsbilder charakteristischen aktuellen interpersonellen Störungsmustern und der Schwierigkeit der Selbstregulation gearbeitet werden soll.

Der Begriff analytische Psychotherapie wird darüber hinaus auch zur Abgrenzung von der „klassischen“ Psychoanalyse verwendet, die hauptsächlich auf den psychotherapeutischen Techniken von Sigmund Freud basiert. Die hauptsächlichen Unterscheidungsmerkmale sind:

  • Dauer: Eine klassische Psychoanalyse ist prinzipiell zeitlich unbegrenzt, und kann viele Jahre andauern. Bei der analytischen Psychotherapie werden klarere Zielvorgaben gesetzt.
  • Setting: Das Setting der klassischen Psychoanalyse ist in der Regel mehrmalige Behandlungsstunden pro Woche, wobei normalerweise drei bis fünf Sitzungen angestrebt werden. Die analytische Psychotherapie ist hinsichtlich des Settings offen. Sie wird sowohl in Liegendbehandlung als auch gegenübersitzend zwei bis drei Mal in der Woche durchgeführt.

Konzentrative Bewegungstherapie (KBT)

Die Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) ist seit 2001 in Österreich als Psychotherapeutisches Verfahren anerkannt. Sie ist eine leib- und bewegungsorientierte psychotherapeutische Methode und gehört als tiefenpsychologisch fundiertes Verfahren zum Psychodynamischen Cluster.

In diesem Beitrag sollen die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der KBT als Teil des psychodynamischen Clusters beschrieben werden. Zunächst wird der Fokus dabei auf die Besonderheiten der KBT gelegt und für die KBT spezifische theoretische Grundlagen erläutert.

In der KBT gehen wir davon aus, dass der Körper der Ort des psychischen Geschehens ist. Körper und Psyche sind untrennbar miteinander verbunden und jedes Phänomen, das sich im Körper, im Ausdruck, im Verhalten zeigt, ist Ausdruck psychischer Repräsentanzen.

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Konzentratives Wahrnehmen der Bewegung beschreibt eine erfahrbereite Haltung gleichschwebender Aufmerksamkeit. Bewegung und Wahrnehmung sind miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Jean Piaget führte 1947 aus, wie sich aus diesem kinaesthetischen Gestaltkreis auf der Vorstufe der sensumotorischen Intelligenz begriffliches Denken und Sprechen in gegenseitiger Wechselwirkung entwickeln (verbaler Gestaltkreis). Helmuth Stolze (1972/1984) verknüpfte diese beiden Gestaltkreise zum Gestaltkreis des Begreifens. Begreifen besteht also in der Verbindung von Wahrnehmen, Bewegen, Denken und Sprechen.

Wahrnehmung wird in der KBT im Sinne von Maurice Merleau-Ponty (1974) als Zusammenspiel von Sinnesempfindung und Erfahrung (erworben durch die subjektive Lebens- und Lerngeschichte) verstanden. Antonio Damasio (2007) beschreibt Körper und Gehirn (und damit Geist) als einen unauflöslichen Organismus. In der KBT werden durch das konzentrative Wahrnehmen und die Versprachlichung des Wahrgenommenen die Koppelungen von bestimmten Sinnesqualitäten und Erfahrungen und deren emotionaler Gehalt bewusst.

Den Patient:innen werden in der Therapie, basierend auf diagnostischen Einschätzungen und den gemeinsam vereinbarten Therapiezielen „Angebote“ zu Bewegung und körperlicher Wahrnehmung sowie zur Symbolisierung und Interaktion gemacht. Die anschließende bzw. begleitende Versprachlichung und Bearbeitung fördert das ganzheitliche Begreifen, das Verstehen des Erlebten vor dem Hintergrund der eigenen Lebens- und Lerngeschichte. Der Begriff des Angebotes, in Abgrenzung zur Übung, betont die Möglichkeit, dieses auch ablehnen oder umgestalten zu können sowie den assoziativen Charakter - es gibt kein „richtig“ oder „falsch“.

Für die KBT als tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapiemethode liegt der Schwerpunkt, so wie bei den anderen Schulen dieses Clusters, auf dem dynamisch Unbewussten. Bereits seit ihrer Anerkennung als Psychotherapiemethode orientiert sich die KBT hierbei an der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD), die mittlerweile in der 3. Fassung vorliegt (Arbeitskreis OPD 2023). Das Ziel der OPD ist die operationalisierte Erfassung psychoanalytischer Konzepte (Übertragung, Gegenübertragung, Konflikt, Struktur, Abwehr) als Basis der Therapieplanung. Diese grundlegenden psychodynamischen Konzepte werden in drei Achsen erfasst (Arbeitskreis OPD 2023): Beziehung, Konflikt und Struktur.

Die Achse Beziehung umfasst die Identifizierung des repetitiven dysfunktionalen Beziehungsmusters sowie relevante Aspekte des Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehens. Die Achse Konflikt gründet in der psychoanalytischen Konflikttheorie und beschreibt sieben mögliche biografisch repetitiv-motivationale Konfliktthemen, die aus Entwicklungsaufgaben entstehen. Die Achse Struktur umfasst basale Fähigkeiten und Dispositionen, das „Grundgerüst der Persönlichkeit“.

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Fallbeispiel: Frau P.

Eine Familienbegleiterin der Frühen Hilfen nimmt Kontakt zu einer Psychotherapeutin auf und sucht einen Therapieplatz für Frau P, eine junge Mutter mit Depressionen und Essstörung. Frau P kommt allein zum Erstgespräch und schildert Erschöpfung, Antriebslosigkeit und Freudlosigkeit seit der Geburt ihres Sohnes. Sie berichtet von einer anorektischen Phase in der Adoleszenz und aktuellen Heißhungerattacken mit anschließendem Erbrechen. Im Gespräch fragt sie immer wieder um Rat, gibt gleichzeitig an, dass sie nicht wisse, was sie tun solle. Für sich selbst Wünsche und Ziele zu formulieren ist ihr zu Beginn der Therapie nicht möglich.

Im folgenden Abschnitt werden diagnostische Überlegungen entsprechend den Achsen der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik beschrieben. Die ersten Hypothesen werden bereits im bzw. durch die Reflexion des im Erstgespräch Erfahrenen gebildet. Als Informationsquelle dienen dabei neben den verbal geäußerten Informationen der Patientin alle szenisch-interaktionellen Informationen (z. B. Atmosphäre, Übertragung und Gegenübertragung).

Hinsichtlich der Einschätzung der Beziehung bzw. des Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehens, ist das Ziel der OPD‑3 die so genannte Beziehungsdynamische Formulierung. Diese besteht aus vier interpersonellen Perspektiven:

  • Selbsterleben der Patientin im Kontakt mit anderen: Frau P erlebt sich immer wieder so, dass sie sich kümmert und viel Freiraum lässt.
  • Erleben der anderen aus Sicht der Patientin: Frau P erlebt andere immer wieder so, dass sie durch diese angeleitet wird und diese sich ihr aufdrängen.
  • Selbsterleben der Therapeutin: die Therapeutin erlebt sich im Kontakt so, dass sie sich sehr kümmert und anleitet oder Freiraum lässt.

Der Kernaffekt des Konflikts Kontrolle vs. Unterwerfung (K2) ist die unerträgliche Hilflosigkeit, die unbedingt abgewehrt werden muss und in der Gegenübertragung spürbar wird. Dazu passt das interpersonelle Verhalten von Frau P, das von Passivität geprägt ist. Als weiteres Thema im Sinne der innerpsychischen Konflikte zeigt sich das Konfliktthema Versorgung vs. Autarkie (K3). Hinsichtlich der strukturellen Fähigkeiten kann von einem mäßigen Integrationsniveau ausgegangen werden.

Basierend auf der Einschätzung des Strukturniveaus ergibt sich die angemessene therapeutische Haltung. Bei Frau P. ist es auf Grund der Einschätzung als mäßig integriert sinnvoll, in Anlehnung an Rudolf (2006) sich bildlich gesprochen neben die Patientin zu stellen. Das Strukturniveau beeinflusst in der Folge auch die konkreten Angebote. Je besser integriert das Strukturniveau ist, desto deutlicher treten die Konflikte hervor (Konfliktspannung und neurotische Konflikte) und desto besser ist die Bearbeitung dieser Konflikte in der Psychotherapie möglich.

Die Konfliktthemen sowie die repetitiv-dysfunktionalen Beziehungsmuster können direkt mit KBT-Angeboten aufgegriffen werden. Exemplarisch werden nun Angebote bzw. Angebot ‚Platz gestalten bzw. wählen‘: Die Therapeutin lädt Frau P, die zu Beginn der Stunde von großer Erschöpfung und körperlichen Schmerzen berichtet, ein, sich im Therapieraum einen möglichst feinen Platz für die heutige Stunde einzurichten. Frau P fällt dies schwer, sie schaut sich unsicher im Raum um, gibt an, es sei eh ganz fein am Stuhl. Hier zeigt sich die dem Konfliktthema Kontrolle vs. Unterwerfung typische Beziehungsdynamik: Die Patientin ist fügsam, aber passiv in einem Ausmaß, das die therapeutische Arbeit erschwert.

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