ADHS: Neue Medikamente und Behandlungsansätze in Österreich

Die Gesundheitssysteme in der EU sind historisch gewachsen und trotz verschiedener Harmonisierungen weitgehend Sache der einzelnen Staaten. Diese Informationen richten sich vor allem an jene, die gerade nach Österreich übersiedelt/gezogen/gezogen sind oder vorhaben, dies zu tun, und weiterhin Rezepte für ihre ADHS-Medikamente brauchen.

Das österreichische Gesundheitssystem

In Österreich legt die Bundesverfassung fest, "dass die Sozialversicherung nach dem Prinzip der Selbstverwaltung durchzuführen ist. In Österreich steht nur der kleinere Teil der niedergelassenen Ärzteschaft in einem Vertragsverhältnis mit den Krankenkassen. Diese Ärzt*innen sind "Kassenärzt*innen". Sie rechnen die erbrachten Leistungen direkt mit den Krankenkassen ab. Ärzt*innen ohne Kassenvertrag arbeiten als "Wahlärzt*innen". Die Leistungen sind privat zu bezahlen, Rezepte teilweise auch, wenn sie nicht zu „Kassenrezepten umgeschrieben“ werden können. Die Kasse erstattet ("refundiert") nach Einreichung der Belege einen Anteil von in der Regel 80% des Tarifs, den die Kasse für eine Leistung in der Honorarordnung festgelegt hat. Besteht eine private "Zusatzversicherung", wird der Eigenanteil je nach Vertragsbedingungen mehr oder weniger vollständig übernommen.

Wenn Sie eine solche Karte haben, können Sie Leistungen bei Kassenärzt*innen in Anspruch nehmen, müssen aber vorher verschiedene Formalitäten erledigen. Im vertragsärztlichen Bereich hat im Jahr 2005 eine grüne Chipkarte, die e-Card, den Krankenschein als Versicherungsnachweis abgelöst.

Verschreibung von ADHS-Medikamenten in Österreich

Für einen Teil der Medikamente ist die Verordnung "bewilligungspflichtig". Dies betrifft alle ADHS-Medikamente mit Ausnahme der nicht retardierten Methylphenidat-Tabletten (Ritalin®- und Medikinet®-Tabletten). Der Bewilligungsprozess wird seit 2005 fast ausschließlich direkt in der Kassenordination über das elektronische Gesundheitsnetz der Sozialversicherung abgewickelt (bis dahin musste das Rezept grundsätzlich zur Krankenkasse gebracht und dort vorgelegt und abgestempelt werden). Inzwischen sind größere wahlärztliche Ordinatinen ebenfalls verpflichtend an das Netz angeschlossen. Die Daten über die beabsichtigte Verordnung werden mit einer medizinischen Begründung an die Gegenstelle bei der Sozialversicherung übermittelt, wo deren Ärzt*innen dann die meisten Verordnungen genehmigen oder zunächst Rückfragen stellen.

Methylphenidat in Tablettenform und verzögert freigesetzt (Ritalin®/Ritalin-LA®, Medikinet®/Medikinet retard® (entspricht Medikinet adult® in D), Concerta® u. Rezepte für jegliche Form von Methylphenidat und Amphetaminsulfat sind Suchtgiftrezepte. Sie mussten und müssen zum Teil auch weiterhin mit einer nummerierten Suchtgiftvignette versehen werden ("grünes Pickerl"). Die elektronische Verschreibung mit ihren Sicherheitsmerkmalen wird der Vignette inzwischen gleich gehalten.

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Rezepte für abgepackte Präparate aus dem Heilmittelverzeichnis können seit 1. Juli 2023 elektronisch ausgestellt werden. Diese Rezepte können mit Ihrer e-Card in jeder Apotheke im Inland abgerufen und ausgefolgt werden. Rezepte für magistraliter anzufertigende Mittel (z. B. Kapseln mit Amphetaminsulfat) können allerdings derzeit nicht elektronisch verschrieben werden.

Da es fast überall längere Wartezeiten für fachärztliche Termine in Kassenordinationen gibt, ist es auf jeden Fall sinnvoll, wenn Sie möglichst einen Vorrat Ihrer Medikamente an Ihren neuen Wohnort mitnehmen. Bei Fachärzt*innen, die keinen Vertrag mit Ihrer Krankenkasse haben, können Sie manchmal rascher einen Termin bekommen (siehe oben, "Wahlarztsystem"). Immer mehr Hausärzt*innen verschreiben inzwischen auch Erwachsenen fachärztlich verordnete ADHS-Medikamente weiter und tun dies auf Anfrage vielleicht auch für Sie, selbst wenn Sie Ihren vereinbarten psychiatrischen Ersttermin vor Ort noch nicht hatten, wenn Sie die bisherige Verordnung nachweisen können. Spätestens nach diesem Termin brauchen Allgemeinärzt*innen aber einen aktuellen fachärztlichen Befund in Form eines Arztbriefes. Bringen Sie auf jeden Fall einen Nachweis über Ihre ADHS-Diagnose und/oder frühere Verordnungen.

Grundlagen der ADHS-Diagnostik

ADHS erfordert eine sorgfältige Diagnostik. Welche Kriterien müssen vorliegen, um die Diagnose ADHS zu stellen? Für die Diagnose ADHS müssen in Österreich bestimmte Kriterien vorliegen. Diese orientieren sich an den Kriterien der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD). Dort wird auch genau beschrieben, wie sich Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität äußern können.

  • diese Anzeichen sind bereits vor dem siebten Geburtstag aufgetreten.
  • das Verhalten wird in mehr als einer Umgebung beobachtet.
  • der Alltag ist durch das Verhalten stark beeinträchtigt.
  • andere psychische Erkrankungen sind keine Ursache für das auffällige Verhalten.

Tätigkeiten werden oft abgebrochen (z.B. Vergesslichkeit im Alltag. Häufige Unruhe (z.B. häufiges Aufstehen während man ruhig sitzen sollte (z.B. überstarker Bewegungsdrang („wie angetrieben“). Andere Menschen werden häufig unterbrochen (z.B. Schwierigkeiten zu warten, bis man an der Reihe ist. Die Diagnose kann besonders schwierig sein, wenn das Verhalten nicht ganz so auffällig bzw. behandlungsbedürftig ist. Mehrere Untersuchungstermine ermöglichen es dann, die Situation besser einschätzen zu können. Dabei erfolgt z.B. eine ausführliche Entwicklungsdiagnostik des Kindes oder eventuell auch eine Verhaltensbeobachtung.

Ein weiteres internationales Klassifikationssystem, das bei ADHS international angewandt wird, ist das sogenannte DSM. Nähere Informationen welche Rolle es bei ADHS spielt, finden Sie auf www.gesundheitsinformation.de.

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Therapeutische Säulen bei ADHS

Die Therapie von ADHS besteht aus mehreren Säulen, die einander ergänzen. Der Einsatz von Medikamenten wird genau abgewogen und ist nur bei deutlicher Beeinträchtigung und Leidensdruck empfohlen. Gemeinsam mit der Ärztin/dem Arzt entscheiden die Betroffenen, welche Therapiemöglichkeiten infrage kommen. Es kann sein, dass der Behandlungsbedarf nicht so groß ist oder dass doch eine umfassendere Therapie notwendig ist.

Eine wichtige Maßnahme ist die Aufklärung über ADHS von Eltern, Familie und Betreuungspersonen aus dem sozialen Umfeld (etwa Kindergarten oder Schule). Die Aufklärung über die Erkrankung wird Psychoedukation genannt und erfolgt z.B. in Form von Elternschulungen. Bei einer Elternschulung erfahren die Eltern mehr über ADHS (was es ist, wie es auf den Körper wirkt etc.) und den Umgang damit.

ADHS hat meist Auswirkungen auf den Alltag im Kindergarten oder der Schule. Daher ist eine Zusammenarbeit zwischen Eltern, Kindern, den behandelnden Personen und dem Kindergarten bzw. der Schule hilfreich. So können zum Beispiel Lernbedingungen angepasst werden (z.B. Übungen im Unterricht). Klare Botschaften und Regeln, eine gut geplante Tagesstruktur, das Vermeiden von Überforderung oder immer wieder mal ein gerechtfertigtes Lob sind zudem hilfreich.

Bei der psychotherapeutischen Behandlung von Schulkindern mit ADHS wird unter anderem mittels verhaltenstherapeutischen Maßnahmen gelernt, die Gefühle besser zu regulieren oder Probleme zu lösen. Das schulische sowie soziale Umfeld wird mit einbezogen. Mittels Psychoedukation soll das Verständnis für die Störung gefördert werden. In einer Gruppentherapie können Jugendliche z.B. auch ihre sozialen Fähigkeiten in Kontakt mit Gleichaltrigen verbessern.

Medikamentöse Behandlung von ADHS

Medikamente kommen bei ADHS ab dem Alter von sechs Jahren zum Einsatz. Das am häufigsten verwendete Medikament bei ADHS ist der Wirkstoff Methylphenidat. Tritt keine erwünschte Wirkung ein, kann auch eine Behandlung mit den Wirkstoffen Atomoxetin, Guanfacin oder Lisdexamfetamin eine Alternative sein. Dexamphetamin und Lisdexamfetamin sind nur für Kinder und Jugendliche zugelassen, wenn vorher eine Behandlung mit Methylphenidat versucht wurde. Guanfacin verschreibt die Ärztin/der Arzt erst, wenn andere Mittel unverträglich oder wirkungslos waren.

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Die medikamentöse Therapie wird von regelmäßigen Kontrolluntersuchungen begleitet. Treten Nebenwirkungen auf, sollen Eltern dies der Ärztin/dem Arzt mitteilen. Die Vor- und Nachteile der Medikamenteneinnahme werden von dem Kind/Jugendlichen, Eltern und Ärztin/Arzt gemeinsam abgewogen. Medikamente bei ADHS sollten im Zuge einer umfassenden Therapie zum Einsatz kommen. Das bedeutet, dass nicht nur Medikamente eingenommen werden. Begleitend werden soziale, psychotherapeutische und pädagogische Maßnahmen gesetzt. Die Medikamente können die Symptome lindern, solange sie eingenommen werden.

Überblick über gängige ADHS-Medikamente

Hier ist eine Übersicht über die gängigen Medikamente bei ADHS:

Substanz Wirkungsweise Wirksamkeit Wirkdauer
Methylphenidat Wirkt auf den Dopamin-Stoffwechsel im Gehirn, erhöht Dopaminkonzentration Hilft in der Mehrheit der Fälle 1 bis 3 Gaben pro Tag, neuere Retardpräparate gewährleisten Wirkdauer von 6 bzw. 12 Stunden
Atomoxetin Beeinflusst Noradrenalin(NA)-Stoffwechsel, NA wird langsamer in die Zelle wiederaufgenommen und wirkt so länger Effektivität eher geringer als die von Methylphenidat, kann bei Patienten wirksam sein, die nicht auf Methylphenidat ansprechen Kontinuierliche Wirkung über den gesamten Tag

Neue Forschungsergebnisse und Therapieansätze

Weltweit wird an den Ursachen und der Behandlung von Parkinson, ADHS oder Suchtkrankheiten geforscht. Ein wesentlicher Aspekt dabei: der Dopamin-Transporter DAT. DAT hat eine besondere Eigenschaft: Es ist entscheidend für den Dopamin-Haushalt. Dieser chemische Botenstoff reguliert im Gehirn Aspekte wie Motivation, Aufmerksamkeit und Belohnung. DAT sorgt dafür, dass dieses Dopamin wieder entfernt wird, wenn es seine Aufgabe erfüllt hat.

Die Studie mit dem Titel „Revealing the location and dynamics of a concealed binding site in the dopamine transporter“, die nun in Nature Communications publiziert wurde, verwendet innovative Kraftspektroskopie, um die Interaktionskräfte zwischen verschiedenen Substanzen und dem DAT-Protein aufzuschlüsseln. Mit Erfolg: Durch diese extrem präzise Messmethode (die Auflösung reicht bis zu einzelnen Molekülen) ist es gelungen, zwei Andockstellen zu identifizieren, an denen Substanzen (z.B. „Durch die Erkenntnisse zu dieser bislang unbeobachteten Bindungsmöglichkeit von Substanzen ergeben sich für die Zukunft wieder neue Möglichkeiten, neuropsychiatrische Erkrankungen gezielt behandeln zu können“, verdeutlicht Harald Sitte vom Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien.

Je nach Andockstelle unterscheidet sich, wie lange und wie stark sich Substanzen an DAT binden können - eine enorm wichtige Frage für die Wirksamkeit von Substanzen. Die Forscher:innen gingen aber noch einen Schritt weiter und haben Mutationen des DAT-Proteins getestet, um mehr über die Bindung von Substanzen zu erfahren. „Das ist ein bedeutender Schritt in unserem Verständnis von DAT und seiner Rolle in der Neurotransmission“, betont Hinterdorfer. Und das ist von entscheidender Bedeutung: „Auf Basis dieser Erkenntnisse könnten Medikamente entwickelt werden, die sich nur an bestimmte Stellen an DAT binden“, so Hinterdorfer. Auf diese Weise könnte die Wirkung der Medikamente gezielter entfaltet werden.

Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Umwidmung von Amlodipin, einem bewährten Blutdruckmedikament, zur Behandlung von ADHS-Symptomen. „Unsere Forschung zeigt, dass Amlodipin als bereits zugelassenes Medikament eine schnelle Behandlungsoption für ADHS darstellen könnte“, erklärt Dr.

Weitere Therapieansätze

Auch klinisch-psychologische Behandlungstechniken werden eingesetzt. Mithilfe einer Ergotherapeutin/eines Ergotherapeuten werden etwa Fähigkeiten in Bezug auf Bewegung, Ausführung von Alltagstätigkeiten oder sozialem Austausch verbessert, das Selbstbewusstsein wird gestärkt. Es gibt Hinweise, dass Ausdauersport bei ADHS hilfreich ist. Allerdings ist dies wissenschaftlich noch nicht ausreichend überprüft. Eltern und Kinder empfinden Sport jedoch oft als hilfreich.

Andere immer wieder mit ADHS in Verbindung gebrachte Maßnahmen wie Neurofeedback, Diäten/Ernährungsumstellungen, pflanzliche Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel sind unzureichend erforscht.

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