Psychisch-somatische Schmerzen: Ursachen und Behandlung

Psychosomatische Störungen äußern sich durch ganz unterschiedliche, chronische körperliche Symptome. Das Spektrum reicht von unerklärbarem Schmerzen wechselnder Intensität, oder auch Lokalität über unklare Symptome des Herzens bis hin zu Beschwerden im Magen-Darm-Trakt.

Was ist eine somatoforme Störung?

Eine somatoforme Störung liegt vor, wenn jemand wiederholt verschiedene körperliche Symptome hat, die trotz mehrfach durchgeführter Untersuchungen mit negativen Testergebnissen bestehen bleiben. Die körperlichen Beschwerden sind dabei sehr unterschiedlich und betreffen eventuell jedes Körperteil oder Organ.

Diagnose

Zur Abklärung bei Verdacht auf eine somatoforme Störung findet im ersten Schritt eine ausführliche Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) statt. Dabei werden auch psychisch belastende Faktoren abgefragt. Zum Beispiel im Beruf, der Familie oder die eigene Gesundheit betreffend. Oder ob es sehr einschneidende Erlebnisse gab (z.B. Tod eines geliebten Menschen, Jobverlust etc.). Ebenso erfolgt eine körperliche Untersuchung.

Weitere Abklärungen können je nach Beschwerden notwendig sein (z.B. Laboruntersuchungen, EKG) etc. Bis zur endgültigen Diagnosestellung werden mitunter auch Fachärztinnen/Fachärzte verschiedener Richtungen hinzugezogen. Eine somatoforme Störung darf als Diagnose prinzipiell erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn organische Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen wurden.

Gleichzeitig muss eine sogenannte positive psychische Diagnostik vorliegen. D.h., die Beschwerden können auf psychologischem Hintergrund erklärt werden. Bei langanhaltenden oder neu dazugekommenen Beschwerden kann die Ärztin/der Arzt weitere Untersuchungen in die Wege leiten, um keine organischen Krankheiten zu übersehen. Jedoch ist nicht jede mögliche Untersuchung auch sinnvoll.

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Darum wird gut abgewogen, welche Abklärungen vorteilhaft sein könnten und welche (wiederholten) Untersuchungen eher kontraindiziert sind. Denn solche können es erschweren, dass Betroffene für einen psychischen Zusammenhang der Erkrankung erkennen können. Funktionelle Körperbeschwerden werden meist durch verschiedene körperliche, psychische und soziale Faktoren hervorgerufen.

Bei der Diagnose und Therapie geht es für die Patientinnen/Patienten auch darum, mögliche Ursachen und Zusammenhänge ihrer Beschwerden nachvollziehen zu können. Hierbei ist wichtig zu wissen, dass psychosomatische Reaktionen oft zeitversetzt einsetzen. Das erschwert, dass die/der Betroffene ihre/seine Symptome in Zusammenhang mit lebensgeschichtlichen Ereignissen bringt.

Symptome

Das Hauptmerkmal einer somatoformen Störung sind körperliche Symptome, die der Patient zwar nicht willentlich kontrolliert oder vortäuscht, für die es aber auch keine körperliche Erklärung gibt. Die Beschwerden sind dabei grundsätzlich in allen Organsystemen möglich. Am häufigsten geht eine somatoforme Störung mit folgenden Symptomen einher:

  • Symptome im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems: Brustschmerz, Druckgefühl, Herzstechen oder Herzstolpern
  • Symptome im Bereich des Magen-Darm-Trakts: Bauchschmerzen, Verdauungsprobleme mit Verstopfung und/oder Durchfall, Übelkeit, Völlegefühl
  • Symptome im urogenitalen Bereich: Schmerzen beim Wasserlassen, häufiges Wasserlassen, Unterbauchschmerzen
  • Symptome im Bereich der Atmung: Gefühl der Luftnot, Kurzatmigkeit
  • Symptome im Bereich der Muskeln und Gelenke: Rückenschmerzen, Schmerzen in Armen und Beinen, Kribbeln

Wann welches Organ oder Organsystem durch die somatoforme Störung betroffen ist, ist bei jedem Patienten unterschiedlich. Hierbei spielen der kulturelle Hintergrund, frühere Erkrankungen und die Identifikation mit Krankheitssymptomen bei Mitmenschen eine Rolle.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für eine somatoforme Störung sind komplex, Experten vermuten hier ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Dabei gibt es verschiedene Erklärungsansätze für die Entstehung einer somatoformen Störung:

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Das psychoanalytische Modell geht davon aus, dass innere psychische Konflikte auf der "Bühne des Körpers" ausgetragen werden und sich somit nach außen in Form von körperlichen Beschwerden und organischem Leiden äußern. Häufig zeigt sich die somatoforme Störung in Form einer generalisierten Angst, die sich vom Patienten keiner bestimmten Ursache zuordnen lässt.

Der lerntheoretische Erklärungsansatz setzt ein erlerntes, immer wieder auftretendes und sich dadurch verstärkendes Verhaltensmuster für die somatoforme Störung voraus. Es entsteht ein Teufelskreis, der vom Patienten nur schwer aus eigener Kraft zu durchbrechen ist.

Auch verschiedene neurobiologische Modelle werden aktuell diskutiert. Da manche somatoforme Störung oft auch Verwandte ersten Grades betrifft, ist eine gewisse Vererbbarkeit nicht auszuschließen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass bei Patienten mit einer somatoformen Störung das Immunsystem und das Nervensystem sowie deren Hormone in Stresssituationen stärker reagieren als bei Gesunden.

Als Risikofaktoren für eine somatoforme Störung gelten emotionale Stresssituationen, unbewusste Konflikte und seelisch belastende Prozesse. Bestimmte Persönlichkeitstypen sind außerdem anfälliger für eine somatoforme Störung als andere: Die ängstlich-selbstunsichere Persönlichkeitsstruktur leidet oft unter einem Gefühl der Hilflosigkeit und der Wertlosigkeit.

Behandlung

Es gibt keine einheitliche Therapie für die verschiedenen Formen von somatoformer Störung. Die Therapie wird vielmehr individuell an jeden Patienten angepasst. Falls mit der somatoformen Störung zusätzlich psychiatrische oder körperliche Erkrankungen assoziiert sind, müssen diese ebenfalls behandelt werden. Die Linderung solcher Begleiterkrankungen bessert in vielen Fällen auch die somatoforme Störung.

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Erfolgt bereits in einem frühen Stadium eine Behandlung, liegt der Schwerpunkt auf ärztlicher, psychotherapeutischer oder klinisch-psychologischer Beratung und Beruhigung - in dem Sinne, dass keine körperliche Erkrankung vorliegt. Bei lang andauernden, sehr belastenden Beschwerden wird dabei zusätzlich ein therapeutischer Schwerpunkt auf Information und Selbsthilfe - etwa im Rahmen einer Psychoedukation empfohlen.

Bei schwereren Verläufen umfasst eine Behandlung zusätzlich Psychotherapie (z.B. Ansätze aus der Verhaltenstherapie, der Psychoanalyse oder Hypnosepsychotherapie). Dabei können auch Achtsamkeitstechniken zur Anwendung komme sowie ggf. auch psychosoziale Unterstützungsmöglichkeiten zur Alltagsbewältigung.

Die Anwendung von Medikamenten sollte bei somatoformen Störungen eher zurückhaltend erfolgen. Am ehesten kommen Antidepressiva zur Anwendung. Es können u.a. auch Physiotherapie oder Ergotherapie hilfreich sein. Wenn eine Behandlung früh beginnt, kann ein chronischer Verlauf möglicherweise verhindert werden.

Schonung oder Vermeidungsverhalten bzw. nicht notwendige Diagnostik und Therapie kann sich negativ auf den Verlauf auswirken. Die Beschwerden und die Behandlung sollten in regelmäßigen Abständen unter die Lupe genommen werden. Wirkt die Behandlung? Welche Beschwerden sind aktuell vorhanden? Die Therapie erfordert mitunter Geduld. Es ist sinnvoll, Schritt für Schritt Therapieziele zu setzen.

Dabei können vorhandene Ressourcen wiederentdeckt und Problemlösungsstrategien entwickelt werden. Welche Maßnahmen individuell zu einem passen, wird im Rahmen eines therapeutischen Gesprächs besprochen. Betroffene können dann darauf achten, was davon Ihnen persönlich besonders gut tut und dies versuchen, in den Alltag einzubauen. Prinzipiell sind Maßnahmen hilfreich, die das Gefühl vermitteln, aktiv etwas für sich zu tun.

Das erfordert zwar oft Überwindung und Kraft, erweist sich jedoch meist als sehr unterstützend. Alle notwendigen und zweckmäßigen Diagnose- und Therapiemaßnahmen werden von Ihrem zuständigen Sozialversicherungsträger übernommen. Bei bestimmten Leistungen kann ein Selbstbehalt oder Kostenbeitrag anfallen.

Psychotherapeutische Verfahren

Aus den bisherigen Interventionsstudien und evidenzbasierten Leitlinien lässt sich ableiten, dass Psychotherapie heute als Therapie der Wahl gilt, während bis heute keine evidenzbasierte Pharmakotherapie vorliegt. In der aktuellen Leitlinie zur Psychotherapie bei somatoformen Störungen lassen sich zahlreiche Wirksamkeitsnachweise für kognitive Verhaltenstherapie und für psychodynamische Psychotherapie belegen, mit Einschränkungen auch für Hypnose bzw. Hypnotherapie.

Grundsätzlich wird bei der Entstehung und Chronifizierung somatoformer Schmerzsymptome von einem Aufschaukelungsprozess ausgegangen, bei dem es durch Veränderungen in der Wahrnehmung körperlicher Empfindungen, Aufmerksamkeitsfokussierung auf Körpervorgänge und kognitiven Verzerrungen zum Symptomerleben kommt. Das somatoforme Schmerzerleben findet auf einer zentralnervösen Ebene statt, wird von den Betroffenen aber peripher lokalisiert.

Ein zentrales Element der somatoformen Schmerzverarbeitung ist die selektive Aufmerksamkeitsfokussierung auf den Körper. Zwischen afferenten Körpersignalen und der bewussten Wahrnehmung von Schmerz vermitteln kognitive Verarbeitungsprozesse, durch die normalerweise ein Großteil dieser somatosensorischen Afferenzen gefiltert wird.

Prädisponierende Faktoren

Prädisponierend für die Entstehung somatoformer Schmerzen ist die intrapsychische Verknüpfung von körperlichen und/oder seelischen Schmerzerfahrungen mit affektzuständigen und ungünstigen Beziehungserfahrungen in der Kindheit und Jugend. Ein zentrales Element der somatoformen Schmerzverarbeitung ist die selektive Aufmerksamkeitsfokussierung auf den Körper.

Wichtige Aspekte in der Behandlung

Entscheidend für die Behandlungsmotivation dieser Patientengruppe ist die Initialphase der Aufklärung und Gesprächsführung, die üblicherweise im Rahmen der psychosomatischen Basisversorgung durch Hausärzte und niedergelassene Fachärzte stattfindet. Die dafür entwickelten Psychoedukationskonzepte enthalten standardisierte Schulungsunterlagen über das Störungsbild (was bedeutet somatoform?), mögliche differentialdiagnostische Aspekte (Abgrenzung von Depression, Angststörung etc.), sowie die Vermittlung von geeigneten Gesprächstechniken zur Motivationsförderung und Aktivierung der PatientInnen.

Auch in der Schmerzpsychotherapie wird ein schrittweises Vorgehen empfohlen, beginnend mit psychoedukativ-symptomorientierten Therapieelementen, dem später symptomübergreifende (kognitiv- emotionale und interpersonelle) Interventionen folgen.

Aktuelle psychodynamische Modelle zu somatoformen Schmerzen sind - entgegen früherer psychoanalytischer Konzepte, die primär konfliktbezogen formuliert waren - stark interpersonell ausgerichtet und strukturbezogen. Diese Modelle beruhen auf der zentralen Annahme einer unzureichenden Differenzierung von negativen Affekten und Körperbeschwerden in der Kindheit, weniger auf zugrunde liegenden psychischen Konflikten und Belastungen.

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