Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters: Eine Definition

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie hat sich aus der allgemeinen Psychiatrie entwickelt und bildet heute ein eigenständiges medizinisches Fachgebiet. Sie befasst sich mit Prävention, Diagnostik und Behandlung psychischer, psychosomatischer und neurologischer Störungen im Kindes- und Jugendalter. Rund jeder fünfte junge Mensch unter 18 Jahren ist psychisch auffällig.

Viele psychische Erkrankungen treten bereits im Kindes- und Jugendalter auf. Um deren Behandlung kümmert sich ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Der Facharzt versucht, diese zu identifizieren und mit geeigneten Mitteln zu therapieren. Die Tätigkeit von Fachärzten auf diesem Gebiet überschneidet sich mit der von entsprechend ausgerichteten Psychotherapeuten. Der Unterschied: ein Facharzt darf Störungen auch medikamentös behandeln, ein Psychotherapeut nicht. Ob sich Medikamenteneinsatz bei einer Therapie empfiehlt, ist fallabhängig.

Berufsbilder im Bereich der psychischen Gesundheit

Bei psychischen Beschwerden kann die Hausärztin oder der Hausarzt die erste Ansprechstelle sein. Weiters gibt es Ärztinnen und Ärzte im Bereich Allgemeinmedizin und verschiedener Fachrichtungen, die Weiterbildungsdiplome der Ärztekammer absolviert haben. Somit haben sie erweitertes Fachwissen im Bereich der psychischen Gesundheit bzw. Fachärztinnen bzw. Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin haben eine Facharztausbildung im Bereich der Prävention, Diagnose und Behandlung von psychischen Krankheiten, Störungen sowie Verhaltensauffälligkeiten absolviert. Dies schließt auch forensische Psychiatrie, Rehabilitation sowie fachspezifische Begutachtungen mit ein.

Fachärztinnen bzw. Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin haben eine Facharztausbildung im Bereich der Prävention, Diagnostik und Behandlung, fachspezifischer Begutachtung sowie Rehabilitation von Krankheiten, Störungen, Verhaltensauffälligkeiten sowie entwicklungsbedingten psychischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters absolviert. Darüber hinaus sind sie berechtigt, ihre Patientinnen bzw. Patienten bei Bedarf auch im Erwachsenenalter weiter zu betreuen, und zwar so lange, bis eine Übernahme durch eine Fachärztin oder einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin erfolgen kann. Diese Übergangsbetreuung ist bis zum 25. Lebensjahr möglich.

Auch Gesundheitspsychologinnen und Gesundheitspsychologen bzw. klinische Psychologinnen und Psychologen unterstützen im Bereich der psychischen Gesundheit bzw. die Erhaltung und Förderung der Gesundheit bzw. die Erstellung von gesundheitspsychologischen Befunden und Gutachten.

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Zu den Tätigkeiten von klinischen Psychologinnen und Psychologen zählen unter anderem: klinisch-psychologische Diagnostik bezogen auf das Gesundheitsverhalten sowie Gesundheitserleben, das Erstellen von klinisch-psychologischen Befunden und Gutachten und die klinisch-psychologische Behandlung von Verhaltensstörungen, psychischen Veränderungen und Leidenszuständen.

Psychotherapie soll dazu beitragen, psychische Störungen mit Krankheitswert zu lindern oder zu heilen.

Die Facharztausbildung in Österreich

Die Facharztausbildung ist in der österreichischen Ärzte-Ausbildungsordnung 2015 (ÄAO 2015) geregelt. Für die Weiterbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sind persönliche Voraussetzungen wie Empathie, Kommunikationsfähigkeit und Interesse an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen erforderlich.

Die Basisausbildung ist eine Grundlagenausbildung für die Tätigkeit als Klinikarzt, die jeder angehende Facharzt durchlaufen muss. Sie liefert das klinische Rüstzeug für die Facharztausbildung. Die Ausbildung erfolgt in einem Krankenhaus - üblicherweise in verschiedenen Stationen. Der genaue Ablauf wird von jedem Ausbildungskrankenhaus festgelegt.

In der Sonderfach-Schwerpunktausbildung werden sechs fachbezogene Module und ein wissenschaftliches Modul angeboten. Drei Module müssen belegt werden. Die Sonderfach-Grundausbildung ist als Breitenausbildung ausgelegt. Alle fachspezifischen Gebiete der Sonderfach-Schwerpunktausbildung werden hier überblicksartig behandelt.

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Darüber hinaus geht es um typische Entwicklungsprozesse und Entwicklungsstörungen im jungen Alter, kinder- und jugendpsychiatrische Krankheitsbilder, deren Untersuchung, Diagnostik, Behandlungsmethoden, Möglichkeiten von Prävention, Rehabilitation, Rückfallprophylaxe und mehr. Der angehende Facharzt erwirbt vergleichbare Kompetenzen wie ein Psychotherapeut.

Dazu kommt ein fachübergreifendes, wissenschaftliches Modul, das auf eine Tätigkeit in Forschung und Lehre vorbereiten soll. Es befasst sich u.a. mit Indikationsstellung für zusätzliche Therapieformen wie z. B. Begutachtungen zu unterschiedlichen Fragestellungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Strafrecht, Familien- und Pflegschaftsrecht, Zivilrecht inkl. Vernetzung mit anderen relevanten Einrichtungen im psychosozialen Feld (AMS, Psychosozialer Dienst, Jugendintensivbetreuung, Bewährungshilfe, u.

Für die Facharztprüfung ist die Österreichische Ärztekammer zuständig. Sie wird zentral organisiert und findet in strukturierter mündlicher Form statt. Die Prüfung besteht aus vier Stationen mit je zwei Prüfern und ist insgesamt auf vier Stunden angelegt. Dabei werden acht Falldarstellungen aus der Praxis behandelt. Die Darstellung erfolgt mit Medienunterstützung (Video, Tonband usw.). Der angehende Facharzt muss das jeweilige Krankheitsbild herausarbeiten, Interaktionsprozesse beurteilen sowie eine Therapie entwickeln und begründen. Theoretische Inhalte werden mit in die Prüfung einbezogen.

Im Rahmen der Facharztausbildung in Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Österreich müssen angehende Fachärzte ein Logbuch führen. Dieses dient der Dokumentation ihrer praktischen Erfahrungen und Fortschritte während der Ausbildung. Es umfasst die detaillierte Aufzeichnung von spezifischen Ausbildungsinhalten, wie durchgeführten Diagnosen, Therapien und praktischen Fertigkeiten. Das Logbuch stellt sicher, dass alle erforderlichen Kompetenzen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie erworben werden. Darüber hinaus ist es eine Grundlage für die regelmäßige Evaluation durch die Ausbildungsinstitution und wird bei der Facharztprüfung berücksichtigt.

In Österreich gab es laut Ärztestatistik 2023 256 Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. 140 Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Medizinische Psychotherapie. Gut die Hälfte davon ist ausschließlich angestellt tätig, eine knappe Hälfte mit eigener Ordination. Jeder vierte Facharzt verfügt sowohl über eine Anstellung als auch über eine Ordination.

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Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie können in Krankenhäusern, in medizinischen Versorgungszentren und Ambulanzen oder freiberuflich mit eigener Praxis - alleine oder gemeinsam mit anderen Kollegen - arbeiten. Ein weiteres mögliches Arbeitsfeld sind Erziehungs- und Jugendwohnheime. Eine Tätigkeit in Forschung und Lehre findet in erster Linie an Hochschulen bzw.

Fachärzte aller Fachrichtungen sollten sich ständig weiterbilden, um in ihrem Fachgebiet auf dem aktuellen Stand zu bleiben und den fachärztlichen Standard zu halten. Wer tiefer in ein Themengebiet eintauchen und seine Karriere in der Kinder- und Jugendpsychiatrie fördern will, kann diverse Weiterbildungen und Spezialisierungen im Fach anstreben. Eine der Optionen ist die Weiterbildung in Psychotherapie, die auf verschiedene Methoden wie Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Therapie oder systemische Therapie ausgerichtet sein kann. Eine weitere Möglichkeit ist die Spezialisierung auf bestimmte Altersgruppen, etwa durch Weiterbildung in der Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern oder der Adoleszentenpsychiatrie.

Historischer Hintergrund in Österreich

Die Geschichte unseres Faches in Österreich im engeren Sinne ist erst sehr kurz - seit 1975 respektive 2007, allerdings wurden in den Zeiten davor im Namen der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter dem Deckmantel höchsten wissenschaftlichen Interesses Kinder und Jugendliche ihren Eltern weggenommen, gequält und getötet, weil sie als „unwertes Leben“ befunden worden waren.

Das Sonderfach Kinder- und Jugendpsychiatrie (infolge KJP genannt) wurde in Österreich erst 2007 durch die neue Ärzteausbildungsordnung ins Leben gerufen. Das hatte einen ausgeprägten Entwicklungsschub zur Folge, doch gerade dadurch wurden die vorhandenen Mängel des Faches noch deutlicher. Bei aller Freude über die Schaffung dieses Faches und der folgenden Ereignisse gilt es aber auch sich der Geschichte des Faches und seiner Vorläufer zu stellen.

Die Jahrhundertwende in Wien - wie auch in den übrigen Großstädten Europas - war eine Zeit rasanter und oft gegenläufiger Entwicklungen. Das damals aufkommende „liberale Bekenntnis im weitesten Sinne forderte von seinen Anhängern die Überantwortung des Herzens, des Verstandes und des Willens an eine Welt, die durch rationale regulative Grundsätze geordnet war“ [42].

In diese Zeit fällt auch die Entdeckung des Individuums und der Seele als Objekt der Wissenschaft [32] und damit auch des Kindes als eigenständiges Wesen. Die Kulturgeschichtlerin Ellen Key [30] ruft das „Jahrhundert des Kindes“ aus und verarbeitet in ihrer weithin beachteten Publikation darwinistische und im weitesten Sinne auch eugenische Theorien.

Siegmund Freud (1856-1939) begründet mit seiner „Traumdeutung“ 1900 in Wien die Psychoanalyse und schafft so die Grundlage für die Entwicklung der Psychotherapie.

Das erste KJP-Fachbuch wird 1867 von Henry Maudsley (1835-1918, Insanity of early life) in England und im deutschen Sprachraum 1887 von Hermann Emminghaus (1845-1904; „Die psychischen Störungen des Kindesalters“) veröffentlicht. Der Begriff „Kinderpsychiatrie“ wurde 1899 durch den französischen Psychiater Marcel Manheimer-Gommés (1870-1936) eingeführt [16, 53].

Leo Kanner, ein großer amerikanischer Kinderpsychiater, sieht in seiner „History of child psychiatry“ [29, 36] die Entstehung der KJP als Folge von drei wesentlichen Gegebenheiten im Umkreis der Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert: der Einführung der Psychometrie (z. B. die erste Version des Stanford-Binet Intelligenz Test 1905), der Fortschritte der Psychiatrie (z. B. werden die Leistungen Emil W. Kraeplins (1856-1926) als Beispiel angeführt) und die „Bewegung für Mental Health“, deren amerikanischer Zweig 1909 gegründet wurde.

Als erste klinische Einrichtungen für Kinderpsychiatrie werden die Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme in Bonn von Otto Löwenstein (1889-1965; [51]) bzw. die Kinderabteilung der Nervenklink in Tübingen angeführt [15].

In Österreich entsteht 1911 die Heilpädagogische Station an der Universitätskinderklinik Wien, gegründet von deren Leiter, Clemens von Pirquet (1874-1929), der die Leitung dieser Station dem Kinderarzt Erwin Lazar (1877-1932) übertrug. Die heilpädagogische Station als erste österreichische Vorläuferstation der heutige Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde von 1911-32 von Lazar geleitet. Bis 1932 war sie eine klassische Beobachtungsstation mit 15 Betten. Ziel der Aufnahme war die Erstellung einer Prognose über die Persönlichkeit des jugendlichen „Missetäters oder Verwahrlosten“.

Nach dem Tod Lazars wurde 1932 zuerst Valerie Bruck und ab 1935 Hans Asperger als Arzt an die Heilpädagogische Station berufen [5]. 1937 fanden drei wichtige internationale Kongresse, wegen der Weltausstellung, in Paris statt: der 1. Internationale Kongress für Kinderpsychiatrie, der 2. Internationale Kongress für psychische Hygiene und der 11. Internationale Kongress für Psychologie [13].

1939 wurde in Wiesbaden eine Arbeitsgemeinschaft für Kinderpsychiatrie gegründet, die die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Kinderpsychiatrie und Heilpädagogik vorbereiten sollte [41]. Diese Gründung fand während der 1. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderpsychiatrie und Heilpädagogik 1940 in Wien statt. Die Leitung hatte der Kinderarzt Hans Asperger, anfangs arbeitete auch noch Jakelius an dieser Station.

1940 eröffnete die Stadt Wien die Wiener städtische Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“, unterteilt in eine Nervenklinik (Kinderfachabteilung) und ein Erziehungsheim [33]. 789 Kinder wurden im Pavillon 15 ermordet [18], die sterblichen Überreste sind am Zentralfriedhof 2002 in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt worden.

Asperger schien nie als aktiver Nationalsozialist auf, er setzte sich so gut er konnte für „seine“ Patienten ein [3, 37, 44], dennoch wurden auch einige Kinder von der Heilpädagogischen Station und der Universitäts-Kinderklinik an den Spiegelgrund transferiert [18].

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs und den Nürnberger Prozessen wurde einigen Nazi-Ärzten der Prozess gemacht, aber einige konnten entkommen. So konnten viele von ihnen als anerkannte medizinische Autoritäten lange Zeit in der österreichischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielen siehe z. B. Hans Asperger versuchte zwischen 1949 und 1955 mit allen Kräften ein Extraordinariat für Heilpädagogik zu schaffen, was aber sowohl der eigene Chef (Karl Kundratitz (1889-1975)) und das Professorenkollegium abgelehnt hatten als auch im Ministerium keinen Erfolg nach sich zog.

Ausgehend von der Heilpädagogischen Station in Wien entstanden in mehreren Bundesländern ähnliche Stationen. Die Heilpädagogik war auch nach Ende des 2. Weltkrieges lange Zeit in einem stark biologistischen Denken verhaftet, Diagnosen wurden wie Etiketten verwendet und hatten zukunftsweisende Konsequenzen.

1956 wurde „Abteilung für Entwicklungs-gestörte Kinder“ im Altersheim Lainz gegründet und ab 1975 in einem neuerrichteten Pavillon im Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel verortet.

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