Der Erfolg von "Fifty Shades of Grey" hat viele Fragen aufgeworfen, insbesondere warum diese Geschichte, die eine von der empirischen Norm abweichende Sexualpräferenz, den Sadomasochismus, darstellt, vor allem Frauen anzieht. Neunzig Prozent der Konsumenten sind schließlich Frauen.
Laut der Soziologin Illouz ist die kontrollierte Unterwerfung, wie im Film, eine Kompromissmöglichkeit, die Frauen heute viel häufiger ergreifen als früher. Viele schaffen die Lösung des Konfliktes jedoch auch ohne Ritualisierung im Sinne des Sadomasochismus.
Im Kern handelt es sich um eine Liebesgeschichte - im Hintergrund spielt sich das Gleiche ab wie in einem Trivialroman der Jahrhundertwende: Wie erobere ich einen Mann? Zum anderen wird es angereichert mit bestimmten sexuellen Themen, die eine Art von Sadomasochismus darstellen.
Heute ist es so, dass man aufgrund der Liberalisierung und der ökonomischen Unabhängigkeit der Frau annehmen kann, dass die Frauen mehr zu ihren biologisch-sexuellen Bedürfnissen stehen. Sie müssen sich nicht mehr für eine Ehe vorbereiten, sind sich ihrer sexuellen Bedürfnisse viel bewusster und leben diese auch mehr aus.
Zu der bereits erwähnten ökonomisch größeren Unabhängigkeit kommt etwas hinzu, was in der Sexualität immer ein gewisser Reiz ist: sich einem starken Mann zu unterwerfen und ihm die Kontrolle über sich zu überlassen. Das verträgt sich jedoch mit dem Selbstbild einer emanzipierten Frau nicht so ganz. Eine Lösung für den Konflikt zwischen Emanzipation und Unterwerfungslust wäre, zu sagen: Ich bin es auf beschränktem Gebiet, z.B. indem ich mit ihm einen "Kontrakt" schließe, der ihm erlaubt, mich in bestimmten Grenzen zu dominieren.
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Die Rolle von Schmerz und Unterwerfung
Schon bei Richard von Krafft-Ebing hat der Schmerz eine symbolische Bedeutung: er steht für Unterwerfung. Er hatte früher auch einmal die Hypothese vertreten, dass die Schmerz- und Lustfasern nebeneinander verlaufen und sich gegenseitig steigern. Da ist auch etwas Wahres dran: jede Art von Grunderregung erleichtert eine andere Erregung. Bereits Casanova, der Ratschläge gab, wie man Frauen verführt, sagte: Es ist wunderbar, wenn man im Gewitter mit einer Frau in der Kutsche fährt, sie ein bisschen Angst hat und man sie beschützen kann.
Sie ist auch eine Art Liebesbeweis. Als würde man sagen: Ich bin zu allem bereit, was du von mir willst. Ich hole dir den Mond vom Himmel, küsse deine Füße oder ertrage eben Schmerzen. Die Drohung, sich umzubringen, wenn die Liebe nicht erwidert wird, hat viele Schattierungen und Bedeutungen. Unter anderem: Du bist mir so viel wert, dass ich mein Leben für dich gebe.
Gerade bei traumatisierten Menschen ist es oft so, dass ein in der Kindheit erlebtes Trauma mittels Sexualisierung in einen Triumph umgekehrt wird.
Im Hinblick auf den Sadomasochismus bedeutet das beispielsweise - wie es bereits Robert Stoller beschrieben hat - dass ein in der Vergangenheit geschlagenes Kind nun selbst das Schlagen inszeniert. Es übernimmt die Kontrolle, indem es schlägt oder den Schlagenden in seinen Schlägen kontrolliert.
Man muss sehr vorsichtig sein mit den Begriffen gesund und krank. In der Psychiatrie und Psychotherapie sprechen wir eher von einer Störung oder Funktionsbeeinträchtigung. Inzwischen hat man sich darauf geeinigt, nur solche Störungen in die Krankheitskataloge ICD und DSM zu nehmen, die etwas mit Selbstverletzung oder Fremdverletzung zu tun haben.
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Solange jemand beispielsweise in einem Club mit anderen Menschen Schlagerituale auslebt und niemand darunter massiv leidet, gilt das nicht als Krankheit oder Störung. Wenn es jedoch gegen den Willen einer anderen Person passiert, wird es als Störung (Disorder) bezeichnet. Bei der Pädophilie und beim Exhibitionismus gestaltet sich das jedoch anders.
In den 50er und 60er Jahren wurde man in der Psychiatrie zunehmend selbstkritischer und dachte, man müsse aufpassen, dass die Psychiatrie nicht von der Gesellschaft missbraucht werde.
Einerseits meinte man, wenn sich einvernehmlich zwei erwachsene Menschen dazu finden, miteinander Sex zu haben, dann schaden sie damit niemandem. Andererseits zeigte sich, dass Sexualität nicht von vornherein ein auf Fortpflanzung ausgerichteter menschlicher Instinkt ist. Die Sexualität setzt sich aus einer ganzen Gruppe von Instinkten zusammen, die im günstigsten Fall zur Fortpflanzung führen, aber keineswegs immer und überall.
Bindungsfähigkeit und Sexualität
Was die Dialektik zwischen Beziehungsfähigkeit und Perversion betrifft, so ist diese bereits wunderbar im Kamasutra, das ungefähr 250 nach Christus verfasst wurde, beschrieben. Dort gibt es einerseits die ekstatische, leidenschaftlicher Lust, wie sie bei einer Orgie erlebt werden kann: Alle Körperöffnungen werden aktiv sowie passiv stimuliert. Und andererseits die Liebe eines Liebespaars, das sich in die Augen schaut und sich erkennt. Die körperliche Erregung ist dabei in ein persönliches Verschmelzungserleben integriert.
Beide Aspekte lernen wir in der Kindheit im Kontakt mit unseren Bezugspersonen. Einerseits ein Grundgefühl für Lust, andererseits entsteht eine Bindung zwischen Mutter und Kind, die zur inneren Repräsentation von Elternfiguren führt. Diese begleiten den Menschen ein Leben lang und spielen in Liebesbeziehungen eine Rolle.
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In der Bindungsforschung hat man festgestellt, dass etwa sechzig Prozent der Menschen so etwas wie ein sicheres Bindungsgefühl entwickeln. Dieses geht mit einem Grundoptimismus und einem Vertrauen in sich und die Menschen einher. Jugendliche, die einen sicheren Bindungsstil erworben haben, gehen eher sogenannte romantische Liebesbeziehungen ein als jene mit einem unsicheren Bindungsstil.
Für Menschen, die unsicher gebunden sind, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sie vermeiden Sexualität ganz oder sie bevorzugen eine anonyme Sexualität bzw. eine, die nicht viel Beziehung beinhaltet, weil sie Angst haben, in eine Abhängigkeit zu geraten. Man spricht dann auch von Bindungsangst.
Für Menschen, die Beziehungen vermeiden, weil sie negative Erlebnisse hatten, ist die Gefahr relativ groß, dass sie den Kick der Sexualität wie ein Suchtmittel benützen. Im harmlosesten Fall werden sie abhängig von Pornografie oder massiv promisk. Das Ausleben eines besonders starken Lustreizes, der nicht in eine Beziehung integriert wird, trägt die Gefahr in sich, eine eigene Dynamik zu bekommen und sich wie eine Sucht zu steigern.
Wir alle müssen unsere unterschiedlichen Bedürfnissen in eine gewisse Balance bringen. Solange diese Balance so funktioniert, dass wir nicht massiv Angst haben und halbwegs angepasst in der Gesellschaft leben können, hat der Arzt und der Therapeut sein Recht verloren.
Wenn ein Mensch mit seinem Fetischismus gut zurecht kommt, dann soll er das auch. Es hat gar keinen Sinn herumzudoktern. Es kann aber durchaus sein, dass jemand, der jahrelang beispielsweise in einem sadomasochistischen Arrangement lebt, irgendwann bemerkt, dass ihm etwas fehlt. Seine Beziehungen haben etwas Leeres, und seine Bedürfnisse werden nicht ausreichend erfüllt.
Narzissmus und Persönlichkeitsstörungen
Otto Kernberg, eine Kapazität für Persönlichkeitsstörungen, hat Phänomene wie den pathologischen Narzissmus und die Borderline-Störung neu für die Psychiatrie definiert.
Zu einem normalen Narzissmus gehören Ehrgeiz, Selbstsicherheit und die Unabhängigkeit von der Meinung anderer. Wer an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, hat ein verzerrtes Selbstkonzept und Selbstgefühl. Er hat idealisierte Vorstellungen von sich selbst.
Diese Patienten verlieben sich sehr schnell und idealisieren den Partner ebenso rasch, aber sie ernüchtern nach ein paar Monaten oder sogar Wochen schnell wieder. Dann kommt es zur Abwertung und Abwendung. In schweren Fällen gehen solche Menschen von einer Beziehung in die nächste.
Partner haben für sie vorrangig die Funktion, sie zu bewundern und ihr Selbstgefühl zu stärken. Menschen mit einer solchen Störung enden oft in Einsamkeit und Isolation.
Neid ist ein wichtiger Faktor in der pathologischen Struktur des Narzissmus. Manchmal wählen solche Patienten auch entsetzlich unscheinbare Partner, damit sie einerseits noch mehr strahlen können, und sich aber auch davor schützen, den anderen wegen seines guten Aussehens beneiden zu müssen. Ich hatte einmal einen Patienten, der konnte es einfach nicht ertragen, dass seine Partnerin beim Geschlechtsverkehr mehr Lust als er selbst empfand.
Es gibt viele sogenannte Genies, die jedoch unfähig sind, schwer zu arbeiten. Sie können ihr Talent nur dann entwickeln, wenn damit keine Arbeit und keine Investition verbunden ist.
Mit zunehmendem Alter greifen Therapien besser, denn da wächst auch der Leidensdruck. Im Alter von 20, 30, vielleicht auch noch 40 Jahren funktioniert diese Art von Leben mit dem Glauben an ein grandioses Selbst und dem schnellen Wechsel von Beziehungen und vorübergehenden Idealisierungen irgendwie noch. Doch dann - mit dem langsamen Schwinden der Schönheit, der Macht und der beginnenden Konfrontation mit Krankheiten - kann es auch zu einer entsetzlichen Einsamkeit kommen. Für solche Menschen sind Alterungsprozesse besonders schwer zu verkraften.
Tabelle: Vergleich von normalem und pathologischem Narzissmus
| Merkmal | Normaler Narzissmus | Pathologischer Narzissmus |
|---|---|---|
| Selbstgefühl | Stabil und realistisch | Verzerrt und idealisiert |
| Beziehungen | Gegenseitig und erfüllend | Einseitig und ausbeuterisch |
| Empathie | Vorhanden | Reduziert oder fehlend |
| Neid | Gering oder nicht vorhanden | Stark und zerstörerisch |