Hypochondrie: Eine umfassende Betrachtung

Hypochondrie ist ein vielschichtiges Phänomen, das sowohl im medizinischen als auch im alltäglichen Kontext unterschiedliche Bedeutungen hat. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der Hypochondrie, von ihrer historischen Entwicklung bis zu modernen Therapieansätzen.

Wortherkunft und Begriffsgeschichte

Die ursprüngliche Wortschöpfung erfolgte durch Galenos: Der Begriff hängt mit dem griechischen χ?νδρος („chondros“ für Knorpel) zusammen. Gemeint sind die Rippenknorpel, unter (?π? „hypo“) welchen man damals den Ursprung der Gemütskrankheiten vermutete.

Man ging davon aus, dass die Milz für diese Art von Beschwerden verantwortlich sei, weshalb die Hypochondrie vormals „Milzsucht“ genannt wurde.

Hypochondrie im Alltag

Im Alltagssprachgebrauch wird der Begriff Hypochondrie unklar definiert gebraucht und ist negativ besetzt. Hypochonder wird auch als abfällige Bezeichnung eines wehleidigen oder um seine Gesundheit besorgten Menschen bezeichnet, der vermehrt auf Veränderungen von Körperfunktionen achtet und auch geringfügige Körpersignale als möglichen Ausdruck schwerer Erkrankungen interpretiert.

Man spricht laienhaft auch von einer eingebildeten Krankheit (siehe Molière, Der eingebildete Kranke). Dies ist vor allem in Hinblick auf von echter, klinischer Hypochondrie Betroffene problematisch, da diese Menschen nicht wehleidig, sondern schwer psychiatrisch erkrankt sind und mitunter auch erheblich belastende Symptome verspüren können.

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Eine übertriebene Selbstbeobachtung kann auch bei psychisch gesunden Menschen zu Fehlwahrnehmungen und häufigen Arztbesuchen führen, wobei auch ausführliche und wiederholte Untersuchungen keine körperliche Ursache der Beschwerden ergeben.

Die leicht zugänglichen Möglichkeiten, sich über Internetportale zu Krankheitssymptomen zu erkundigen, führt zu neuen Formen der Krankheitsangst, wie zum Beispiel zur so genannten „Cyberchondrie“. Da Betroffene oft durch intensives Recherchieren im Internet eine Symptomverstärkung erleben, hat sich im ärztlichen Fachjargon auch der Begriff Morbus Google eingebürgert.

Hypochondrie in Medizin und Psychologie

Anders als in der Alltagssprache, ist die Hypochondrie im medizinischen Sinne klar definiert. Das entsprechende Krankheitsbild wurde früher als Hypochondrie bezeichnet, wird aber heutzutage entsprechend der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-10) unter „F45.2“ als Hypochondrische Störung definiert.

Im amerikanischen Klassifikationssystem DSM-5, das seit Mai 2013 Gültigkeit besitzt, wurde die hypochondrische Störung durch die Diagnosen Somatic Symptom Disorder (dt.: Körpersymptomstörung) und Illness Anxiety Disorder (dt.: Krankheitsangststörung) ersetzt. Diese beiden Diagnosen berücksichtigen, dass es zwei bisweilen unabhängig voneinander auftretende Seiten hypochondrischer Symptomatik gibt, namentlich medizinisch unerklärliche Symptome (somatoforme Komponente) und Krankheitsangst (Angstkomponente).

Es gibt Schätzungen, wonach jeder 20. Patient unter Symptomen leidet, die sich aus medizinischer Sicht in ihrer Schwere der Beeinträchtigung nicht erklären lassen. Die Prävalenz der Hypochondrie im Sinne einer echten klinischen Störung liegt jedoch deutlich niedriger, wobei es auch zu schweren Verläufen mit überwertigen Ideen und hypochondrischem Wahn kommen kann.

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Typischerweise haben die Betroffenen bereits viele medizinische Untersuchungen hinter sich und wechseln häufig den Arzt („Doctor Hopping“ oder „Doctor Shopping“ genannt). Kennzeichnend für die hypochondrische Störung nach ICD-10 ist die Tatsache, dass der Patient fürchtet, an einer bestimmten Krankheit (z. B. Krebs) zu leiden. Das Klagen über körperliche Symptome steht nicht im Vordergrund.

Je nach Ausprägungsgrad der Symptomatik ist der Betroffene mehr oder weniger durch den Arzt überzeugbar, dass seine Befürchtungen unbegründet sind. Je schwerer die Symptomatik, desto weniger ist dies möglich.

Zur Behandlung sind Psychotherapie und der Einsatz von bestimmten Psychopharmaka erfolgversprechend.

Bei nachhaltiger Ausprägung ist Hypochondrie eine ernst zu nehmende Störung, die quälend sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Umgebung sein kann. Nach den Ergebnissen einer großen WHO-Studie zählt Deutschland international zu den Spitzenreitern für hohe Krankheitsangst. Die Krankheit tritt bei Frauen und Männern etwa gleich häufig auf.

Im angelsächsischen Wissenschaftsbetrieb wird Hypochondrie bzw. bestimmte Formen dieser Erkrankung, entgegen der sonst üblichen Einordnung als somatoforme Störung, dem so genannten „Zwangsspektrum“ zugeordnet (engl.: „OCD Spectrum Disorders“). Dies insbesondere dann, wenn nicht die Beobachtung von Körpersignalen im Vordergrund steht, sondern die obsessive Angst zu erkranken.

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Häufig kommen bei dieser Ausprägung auch die für Zwangsstörungen so typischen Zweifel zur Geltung, z. B. an der Kompetenz des Arztes oder diesen richtig verstanden zu haben. Die Einordnung bestimmter hypochondrischer Symptombilder in das Spektrum der Zwangskrankheiten ist jedoch mehr von akademischem Interesse, da beide Erkrankungen mit derselben Form der Verhaltenstherapie und denselben Medikamenten (vor allem SSRI) behandelt werden können.

Kennzeichen der Hypochondrie

Studien konnten zeigen, dass Patienten mit Hypochondrie im Gegensatz zu anderen psychosomatischen Patienten mehr Ängste und falsche Überzeugungen über Krankheiten, eine höhere Aufmerksamkeit auf Körperempfindungen, häufiger Ängste vor dem Tod und mehr Misstrauen gegenüber den Meinungen von Ärzten äußerten. Dies, obwohl sie mehr medizinische Behandlungen im Vergleich mit den anderen Patienten aufsuchten.

Ebenso konnte gezeigt werden, dass sich Hypochondrie vor allem in folgenden drei Dimensionen äußert:

  • Beschäftigung mit dem eigenen Körper
  • Krankheitsangst
  • Überzeugung vom Vorhandensein einer Krankheit, obwohl sich der eigenen Gesundheit medizinisch rückversichert wird

Erklärungsmodelle

Menschen mit Hypochondrie sind in der Lage, ihren Körper wesentlich besser interozeptiv wahrzunehmen. Zusätzlich neigen sie dazu, diese Wahrnehmungen zu fehlinterpretieren (vgl. auch mit der Panikstörung) und als gefährlich einzustufen.

Im Rahmen der Störung steigt die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper und mögliche Krankheitssymptome, was zu physiologischen Veränderungen führen kann, die wiederum als bedrohlich wahrgenommen werden können. Dies kann zu einem Kreislauf (Rückkoppelung) mit kognitiver Verzerrung/Einengung führen.

Letzterer Prozess kann bei allen Menschen vorübergehend beobachtet werden: Neue Informationen über bzw. erhöhte Aufmerksamkeit (z. B. durch AIDS-Kampagnen oder im Rahmen des Medizinstudiums) für eine Krankheit können dazu führen, dass man verstärkt nach Anzeichen dieser Krankheit sucht und verstärkt überlegt, ob man erkrankt sein könnte.

Therapie

Eine Möglichkeit der Therapie kann die Kognitive Verhaltenstherapie sein.

Subgruppen

Spezifische monosymptomatische Formen der Hypochondrie sind:

  • Bromosis (von lateinisch bromus „Gestank“): Vorstellung, man würde einen üblen Geruch verströmen
  • Parasitosis: Vorstellung, man wäre von Parasiten (speziell Würmern oder Spinnen) befallen, die im Körper wachsen, speziell bei unter der Haut wachsenden Parasiten der sogenannte Dermatozoenwahn
  • Dysmorphophobie: Vorstellung, man sei missgebildet, entstellt oder allgemein abstoßend hässlich
  • Stuhlganghypochondrie: dem Stuhlgang wird eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet
  • Nosophobie: Beim Nosophobiker steht die generalisierte Angst vor Krankheiten im Vordergrund, auch unabhängig von wahrgenommenen Symptomen. Sie versuchen in der Regel „möglichst gesund zu leben“ oder halten sich von anderen Menschen mit Krankheiten fern, um eine Ansteckung zu verhindern.

Differenzialdiagnosen

Da auch andere psychische Krankheiten Symptome aufweisen können, die der klassischen Hypochondrie sehr ähnlich sind, sollte die Diagnose einer eigenständigen hypochondrischen Störung erst nach ausführlicher Differenzialdiagnostik gestellt werden. Auch die Abgrenzung zu den anderen somatoformen Störungen ist von Bedeutung.

Vor der Diagnose einer Hypochondrie muss daher ausgeschlossen werden, ob nicht andere Störungen vorliegen, welche die Symptome besser erklären bzw. ob Begleiterkrankungen vorliegen.

Hypochondrie als Symptom kann unter anderem im Rahmen folgender psychischer Erkrankungen auftreten:

  • Depression
  • Wahn­störung
  • Zwangsstörung
  • Schizophrenie
  • Angststörung
  • Konversionsstörung

Geschichte

Sigmund Freud rechnete die Hypochondrie zusammen mit der Neurasthenie und der Angstneurose zu den Aktualneurosen.

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