Anfang dieses Jahrtausends wurden in allen somatischen Fächern als Entgeltsystem die Diagnosis Related Groups (DRG) eingeführt. Mitte des vergangenen Jahrzehnts zogen die Fächer Psychiatrie und Psychosomatik mit dem pauschalierenden Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) nach.
Das Interesse der Leistungserbringer in der Klinik ist bei beiden Entgeltsystemen darauf ausgerichtet, Patientenversorgung wirtschaftlich zu optimieren, ohne dabei die Behandlung qualitativ zu vernachlässigen. Auf der anderen Seite versuchen die Krankenkassen möglichst sparsam mit ihren finanziellen Ressourcen hauszuhalten. Konflikte entstehen, die durch die leistungsorientierten Entgeltsysteme eigentlich hätten minimiert werden sollen.
PEPP im Fokus: Probleme, Risiken und Anreize
Dieses Fachbuch analysiert die Probleme, Risiken und Anreize des PEPP-Systems (Version 2015) anhand der Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Dafür wurden über 1.300 Fälle des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld aus dem Jahr 2014 verwendet. Zunächst wurden Fallgruppen erstellt und für die Gruppen dann Parameter wie Verweildauer (VWD), PEPP-Kodierung, Erlöseinbußen durch Fallzusammenführungen und Fallerlöse ausgewertet.
Ergänzend zu diesen Daten wurden Veränderungen der VWD, der Kodierung und zusätzliche Verlegungen zwischen G-DRG- und PEPP-System simuliert. So konnten Anreize zur Verkürzung der VWD bei paralleler Fallzahlsteigerung nachgewiesen werden. Patienten mit einem hohen pflegerischen Betreuungsaufwand sind "unlukrativ", während stationäre psychotherapeutische Behandlungen positive Deckungsbeiträge ermöglichen. Komplizierte Fälle werden benachteiligt.
DRG und PEPP als leistungsbezogene Entgeltsysteme
Diskutiert werden DRG und PEPP als leistungsbezogene Entgeltsysteme. Worin liegen die Vor- und Nachteile des PEPP- und des DRG-Entgeltsystems, die in ihrer leistungsorientierten Systematik einige Ähnlichkeiten aufweisen und welche Anreize bieten sie den beteiligten Akteuren?
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Zur Bearbeitung dieser Thematik gibt es zunächst eine kurze Einführung in die tagesgleichen Pflegesätze (TGPS), die sowohl in der Somatik als auch in der Psychiatrie vor der Gültigkeit der beiden neuen Systeme die Erlöserzielung bestimmten. Es folgt ein detaillierter Einblick in PEPP, um das erst vor wenigen Jahren eingeführte Entgeltsystem genauer zu beleuchten und ein Grundverständnis für das leistungsorientierte Prinzip aufzubauen.
Kritische Betrachtung der "Gesundheitswirtschaft" und "Gesundheitsindustrie"
"Gelegentlich schleichen sich neue Worte in die gesellschaftlichen Diskursen [Erörterungen], deren Sinn man erst erfasst, wenn es bereits zu spät ist. Es geschieht gleichzeitig vor unseren Augen und hinter unserem Rücken." So ist von "GESUNDHEITSWIRTSCHAFT" und "GESUNDHEITSINDUSTRIE" die Rede. Was wird in dieser Wirtschaft hergestellt? Wer sind die Hersteller, was sind die Waren, wer sind die Käufer?
Das Gesundheitswesen ist Teil des Sozialsystems unserer Gesellschaft, zum Wohle aller. Rendite ["Ertrag", "Gewinn"] hingegen ist zum Wohle weniger. Diese Systeme wider-sprechen sich fundamental. Es ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich.
Wenn die Ökonomie die Oberhand gewonnen hat, das Gesundheitswesen tritt ab. In einigen Wirtschaftszweigen sind derzeit höhere Renditen zu erwarten. Dies lockt Investoren an. Marketing wird wichtiger, während der Fokus auf den anvertrauten Menschen schwindet. Es findet eine Verschiebung von der Dienstleistung zur Kunden-freundlichkeit statt.
Dem liegt ein Menschen-bild zugrunde, das den einzelnen Patienten mehr als zuvor nur als defekten Mechanismus ("Mensch als Maschine") betrachtet. Heilung bedeutet aber vielmehr als lediglich die Applikation bestimmter Therapie-verfahren. Es bedarf einer ausreichenden Zuwendung zum Patienten, zu allen Facetten, die die Einzigartigkeit eines jeden Menschen betreffen, zum Sinn des (Krank-)Seins. In modernen Kliniken wird der Patient oft zum "Störfall". Dabei sind die grundlegenden Fragen, die das Kranksein aufwirft - menschliche Abhängigkeit, Hilfsbedürftigkeit, Angewiesenheit - unweigerlich dazugehörend.
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Die Rolle des Arztes im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Patientenwohl
Um ein guter Arzt zu sein, muss man in einer Vertrauensatmosphäre arbeiten können, denn man braucht Freiräume, um den besten Weg für den Patienten zu finden. Vertrauen bedeutet, den Ärzten einen Ermessensspielraum einzuräumen. Die Qualität der Therapieentscheidung hängt zu einem großen Teil ab von der Qualität des Gesprächs und der Qualität der gedanklichen Synthese der verschiedenen Informationen. Diese Qualitätsfaktoren sind weder sichtbar noch messbar.
Die Medizin wird übersteuert, mal hierhin, mal dorthin. Faktisch bleibt den Einrichtungen keine andere Wahl, als den Anreizen zu folgen. Die Protagonisten des P4P gehen offensichtlich davon aus, dass sich die Ärzte ohne Belohnung nicht genügend Mühe geben, um eine gute Medizin zu realisieren. Diese Annahme ist jedoch ausdrücklich zu bestreiten.
Es soll belohnt werden, was eigentlich selbst-verständlich ist. Die Motivation ist längst schon da, sie muss nicht künstlich gesteigert werden. Zum anderen ist zu befürchten, dass P4P einen grundsätzlichen Wertewandel in der Medizin befördert.
Je mehr aber nun auf P4P gesetzt wird, desto mehr wird man genau diese Haltung für obsolet erklären, ja in die Defensive drängen. Anreize können Einstellungen verändern. Es werden immer mehr Menschen angezogen, die auf extrinsische Motivierungen stärker ansprechbar sind. Die Prämisse läuft also auf eine verdeckte Negativbewertung der gegenwärtigen ärztlichen Tätigkeit hinaus.
Vertrauensverhältnis vs. Vertragsverhältnis
Die Abkehr von der Vorstellung der Medizin als eigenständiger Profession, die der Gesellschaft das Versprechen gibt, sich in erster Linie nach Maßgabe des Patientenwohls zu organisieren, ist problematisch. Anstelle der Professionalität soll nun mehr das Geld als Garant des Patientenwohls fungieren. Der Rückgriff auf finanzielle Anreize verdrängt also das Konzept professioneller Autonomie.
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Wer tatsächlich gute Qualität will, muss in die Ressource Arbeitszufriedenheit investieren, den Ärzten ermöglichen, sich mit ihrer Arbeit zu identifizieren, mit dem Grundgefühl, sich ohne Scheuklappen und ohne künstliche Belohnungssysteme ganz auf die Patienten einlassen zu können.
Gesundheitssysteme im Stresstest
In den letzten Jahren haben Gesundheitssysteme europaweit einen intensiven Stresstest durchgemacht. Systemische Probleme wie Personalmangel, Lieferengpässe und Gesundheitskompetenz der Bevölkerung (Health Literacy) sind nicht nur in Österreich auf der Agenda der Gesundheitsplaner und -politiker.
Gesundheitskompetenz ist nicht bloß Wissen über die eigene Gesundheit, sondern auch Wissen über und Orientierung im Gesundheitssystem. Besorgniserregend ist daher die Abnahme der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, was die Bedeutung der Gesundheitsförderung auf verschiedenen Ebenen, einschließlich Schulen und Arbeitsplätzen, unterstreicht.
Die Rolle von Prävention und Health Literacy
Heidrun Thaiss betonte in ihrem Vortrag die große Bedeutung der Gesundheit in Deutschland und forderte ein umfassendes Umdenken hin zu Prävention. Eine ihrer Hauptbotschaften war, dass Wissen allein - die Daten sprechen eindeutig für Prävention - nicht ausreicht; man muss ins Tun kommen. An den verhältnismäßig mickrigen Ausgaben für Prävention zeigt sich hingegen, dass Prävention weiterhin an letzter Stelle kommt; wachsende Herausforderungen lassen sich so nicht meistern.
Besondere Sorge äußerte sie angesichts der Zunahme von psychischen Erkrankungen, Anorexie und Übergewicht bei jungen Menschen - insbesondere in sozial benachteiligten Schichten - und forderte eine Säule zur Förderung der psychischen Gesundheit. Sie beleuchtete außerdem die Zusammenhänge zwischen Chancengerechtigkeit, Prävention und gesundheitsfördernden Lebensumgebungen. Sie warnte vor der üblichen “Projektitis” - einer übermäßigen Ausrichtung auf kurzfristige Projekte im Gesundheitswesen und betonte hingegen die Notwendigkeit struktureller Veränderungen.
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