Leidet ein Mensch an einer psychischen Erkrankung, stellt das auch sein näheres Umfeld häufig vor einige Herausforderungen und Fragen. In manchen Situationen können sich Angehörige etwa sprachlos oder hilflos fühlen. Meist möchten nahestehende Personen Betroffenen helfen oder sie motivieren, Unterstützung zu suchen.
Erkennung und Umgang mit der Situation
Noch schwerer fällt es oft den Angehörigen zu erkennen, dass ihr Partner, die Freundin, das eigene Kind unter einer psychischen Erkrankung leidet. „Das braucht oft einige Zeit - aber das kann man niemandem vorwerfen. Es liegt daran, wie wir mit psychischen Erkrankungen umgehen“, so der Psychiater, der auch Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit ist.
Entscheidend ist, das Problem klar anzusprechen - den Elefanten im Raum nicht länger zu ignorieren. Leicht ist das nicht, denn psychische Erkrankungen sind noch immer ein Tabu. „Dinge, die wir nicht sehen können, begreifen wir nur schwer - das macht uns Angst“, sagt Deister.
Viele Angehörige erlebten dann aber, dass sie bei den Betroffenen offene Türen einrennen, berichtet der Psychiater. Oft sei die Erleichterung der Betroffenen groß, wenn ihre Nöte gesehen und ernst genommen würden, wenn sie mit jemandem darüber sprechen könnten.
Manchmal müsse man auch Brücken bauen: „Männer mit Depressionen haben beispielsweise große Schwierigkeiten, zu ihrer Krankheit zu stehen, weil sie nicht ins eigene Rollenbild passt. Dann ist es wichtig zu zeigen: Das ist keine Schwäche, sondern eine Erkrankung.“
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Unterstützung und Verantwortung
„Ich bleibe an deiner Seite, ich unterstütze dich“, sei daher eine wichtige Botschaft für Erkrankte. Ebenso wichtig sei es aber auch, klar zu machen, dass der Betroffene Verantwortung für seine Krankheit übernehmen und professionelle Hilfe annehmen muss.
Das einzufordern, ist ein gutes Recht der Angehörigen. Denn auch sie leiden gravierend unter der Situation - mitunter sogar mehr als der Betroffene selbst.
Wichtig für Angehörige ist, die teils verletzenden Verhaltensweisen eines psychisch Erkrankten als Teil der Krankheit zu begreifen. „Wenn böse Worte fallen, denken die Angehörigen: ‚Jetzt sagt er endlich mal die Wahrheit. Jetzt weiß ich, was er wirklich von mir denkt!‘ Das ist aber falsch!“, erklärt Deister. Was jemand während der Krankheit sagt und wie er sich verhält, sei durch sein Krankheitserleben geprägt. „Das sind Krankheitsphänomene, die sich über die Person stülpen.“
Auch Äußerungen wie: „Kümmert euch nicht um mich, lebt euer Leben. Ich muss allein klarkommen“, entspringen dann nicht dem Vertrauen in die eigene Kraft, sondern weil die Betroffenen ihre Angehörigen schützen und ihnen nicht zur Last fallen wollen.
Unterstützen können Angehörige einem Betroffenen nicht nur, indem sie ihm zuhören und ihn bestärken, sich in professionelle Behandlung zu begeben, sondern auch durch ganz praktische Hilfe. Denn die zu finden, verlangt leider oft einiges an Ausdauer und Hartnäckigkeit, die die Kranken selbst oft nicht aufbringen. Da gilt es Termine mit Hausarzt oder Psychiater zu vereinbaren, Listen mit mit möglichen Therapeuten abzutelefonieren, den Betroffenen notfalls zum Termin zu chauffieren.
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Bei allem Engagement sollten Angehörige sich aber nicht selbst zum Therapeuten machen: „Man muss rechtzeitig erkennen, dass man unterstützen, aber das Problem nicht lösen kann.“ Auch solle man nicht in die Falle tappen, sich zum stillen Co-Patienten zu machen, der ungewollt die Krankheitsmuster unterstützt.
Wenn Krankheitseinsicht fehlt
„Wenn jemand nicht die Einsicht hat, krank zu sein, wird man ihn nicht überzeugen können, Hilfe zu suchen“, warnt Deister. Das gelte insbesondere bei psychotischen Erkrankungen, bei denen die Betroffenen in einem Wahnsystem leben. In einzelnen schweren Fällen müssten die Angehörigen dann die Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass der Betroffene notfalls auch gegen seinen Willen behandelt wird, weil man ihn anders nicht schützen kann.
Und dann gibt es auch noch die Fälle, in denen der Betroffene schlicht nicht bereit ist, sich helfen zu lassen. „Dann muss man sich trennen und gehen. Das ist dann sehr traurig, aber dann ist es manchmal so“, sagt der Psychiater.
Selbstfürsorge
Sein Rat an alle Angehörigen: „Achtet auf euch selbst und holt euch im Zweifel Hilfe!“ Sich aufzuopfern, funktioniert auf Dauer nicht. Kraft tanken in der Begegnung mit psychisch gesunden Menschen, Hobbies pflegen, sich Freiräume schaffen - das sind Voraussetzungen, um nicht selbst krank zu werden.
Hilfreich kann es auch sein, sich angesichts der Belastung selbst eine therapeutische Unterstützung zu suchen. Insbesondere aber gibt der Austausch mit anderen Angehörigen Kraft - und das sind viele.
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Daher gibt es fast überall Selbsthilfegruppen für Angehörige von Patienten verschiedenster seelischer Erkrankungen - von Sucht über Depressionen bis zu Schizophrenie.
Verbesserte Hilfsmöglichkeiten
Die gute Nachricht für Erkrankte wie Angehörige ist: Die meisten seelischen Erkrankungen lassen sich inzwischen sehr gut behandeln - wenn auch nicht immer vollständig heilen.
Deister hat vor 40 Jahren seine Arbeit als Psychiater begonnen. „Seither haben sich die Behandlungsmöglichkeiten dramatisch verbessert“, berichtet er. Das gelte auch für Medikamente, aber noch viel mehr für psychotherapeutische und psychosoziale Maßnahmen.
Praktische Informationen und Unterstützung
Informationen über die jeweilige Krankheit sowie Austausch mit anderen Angehörigen oder Beratungsgespräche können helfen. Der Alltag mit einem Menschen, der an einer psychischen Erkrankung leidet, kann Angehörige stark fordern. Es ist normal, dass verschiedene Gefühle auftauchen, zum Beispiel Angst, Traurigkeit, Schuldgefühle oder etwa Wut. Zudem ist es sehr gut nachvollziehbar, dass eine solche Situation überfordern kann und man alleine nicht mehr weiter weiß.
- Sich über die Erkrankung informieren: Symptome und Krankheitsverlauf zu kennen hilft, Anzeichen richtig zuzuordnen und Betroffene besser zu verstehen sowie zu unterstützen.
- Darüber reden: Mit jemandem Vertrauten über die eigenen Situation zu sprechen entlastet meist. Da sich seelische Krankheiten auf menschliche Beziehungen auswirken, kann auch eine Beratung sehr hilfreich sein. Professionelle Helfer:innen oder andere Angehörige bringen zudem eine andere Sicht auf die Dinge mit.
- Auf sich selbst achten: Es ist wesentlich, auch auf sich zu schauen. Wenn es Ihnen selbst schlecht geht, können Sie andere nicht so gut unterstützen.
- Verständnisvoller, aber konsequenter Umgang mit Betroffenen: Zuhören und Mitgefühl sind wichtig, damit Menschen mit einer psychischen Erkrankung sich verstanden fühlen.
In der Broschüre „Wissens-Wert“ von HPE sind viele praktische Informationen für Angehörige angeführt.
Psychiatrischer Notfall
Bei einem psychiatrischen Notfall droht oft Lebensgefahr, zum Beispiel bei Risiko der Selbstschädigung. Eine akute Verschlechterung eines Krankheitszustandes mit schweren Folgen ist möglich. Daher ist bei einem psychiatrischen Notfall rasche medizinische Hilfe unumgänglich!
Auslöser für sogenannte psychosoziale Krisen sind etwa belastende Lebensereignisse oder veränderte Lebensumstände. Betroffene Personen können diese nicht mit ihren üblichen Strategien zur Problemlösung bewältigen. In der Folge kommt es zu Schwierigkeiten, das Berufsleben sowie soziale Leben zu meistern. Durch rechtzeitiges Handeln ist es möglich, Folgeerkrankungen oder gefährliche Situationen (z.B. Suizid) zu vermeiden.
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