Autismus im Schulalltag: Herausforderungen und Chancen für inklusive Bildung

Eine Fachtagung zum Thema Autismus im Schulalltag brachte vom 15.11.2024 bis 16.11.2024 rund 250 Teilnehmer:innen - aus Wissenschaft und Praxis, außerschulisch und schulisch - aus ganz Tirol zusammen, um Potentiale und Perspektiven von Inklusion für Kinder aus dem Autismus-Spektrum auszuloten. Entsprechend groß war das Interesse.

Die Bedeutung von Wissen und alternativen Lösungsansätzen

Silvia Pixner kennt die Schwierigkeiten von Kindern und Lehrpersonen im Schulalltag sehr gut. Sie forscht, bildet aus und ist gut vernetzt. Die HS-Professorin für Inklusive Pädagogik an der PH Tirol leitet auch die Fachstelle Gender-, Diversitätskompetenz und Inklusion. Lernstörungen und Inklusion zählen zu ihren zentralen Arbeitsschwerpunkten.

Silvia Pixner sieht v.a. zwei Schlüssel zur erfolgreichen Inklusion: einerseits Wissen, etwa über die Ursachen von herausforderndem Verhalten, andererseits alternative Lösungswege. Inklusiv können pädagogische Zugänge sein, aber auch das Wissen um spezifische Bedürfnisse wie Ruhe oder Struktur, auf die mit alternativen Ideen eingegangen werden kann.

Inklusive Settings nehmen Rücksicht auf die Bedürfnisse aller Kinder einer Klasse: Mädchen, Buben, Kinder mit Hochbegabung oder mit Lernschwäche, mit unterschiedlichen Erstsprachen etc.

Steht beispielsweise kein Raum für kurze Ruhephasen zur Verfügung, können Kopfhörer genutzt werden. Auch kleinteilige räumliche Strukturen, die sich über Tischsettings wie Tischinseln herstellen lassen, sorgen für mehr Ruhe und Struktur. Solche Möglichkeiten tun allen Kindern gut, besonders, wenn Kinder einen schlechten Tag haben. Auch Visualisierungen nutzen mehreren Kindern - jenen, die einfach Bilder bevorzugen oder Kindern mit anderer Erstsprache als Deutsch. Mit einer solchen inklusiven Haltung wird gleichzeitig das soziale Miteinander gestärkt.

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Die wertvollen Stärken und Potenziale von Kindern mit Autismus

HS-Prof.in Univ.-Doz.in Dr.in Silvia Pixner, Leiterin der Fachstelle Gender-, Diversitätskompetenz und Inklusion an der PH Tirol und Organisatorin der Tagung: „Kinder mit Autismus bringen wertvolle Stärken und einzigartige Potenziale mit, die das gemeinsame Lernen bereichern können. Ihre besondere Art, die Welt wahrzunehmen und Informationen zu verarbeiten, fördert oft analytisches Denken, außergewöhnliche Aufmerksamkeit fürs Detail und eine große Ausdauer im Verfolgen von Interessen.

Unser Ziel ist es, dass jedes Kind, unabhängig von seinen individuellen Herausforderungen und Stärken, einen Platz im Schulalltag findet. Ein inklusives Lernumfeld, das Rücksicht auf die Bedürfnisse aller nimmt, fördert das Verständnis und die Empathie innerhalb der Klasse und stärkt so das soziale Miteinander.“

Vizerektorin Margit Raich: „Wir freuen uns, dass es Silvia Pixner mit dieser Tagung gelungen ist, Expert:innen, Praktiker:innen und Betroffene zum Thema „Autismus im Schulalltag“ miteinander ins Gespräch zu bringen. Das große Interesse unterstreicht die Bedeutung des Themas und das Bedürfnis vieler Menschen nach Handlungsanleitungen.

Als Pädagogische Hochschule haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, gesellschafts- und bildungspolitisch relevante Bereiche zu fördern. Dazu zählt Inklusion, die wir mit einer eigenen Fachstelle für Gender-, Diversitätskompetenz und Inklusion in Hochschule und Bildungslandschaft vorantreiben. Die aktuelle Tagung ist ein sichtbarer Teil dieser Arbeit. Wir möchten damit Raum schaffen, in dem Interessierte sich zu praxisrelevanten Themen der Inklusion vernetzen und voneinander lernen. Dadurch ist es einerseits möglich, mit Inklusion verbundene Ängste und Unsicherheiten im schulischen Kontext abzubauen.

„Es ist von großer Bedeutung, dass wir die Stärken von Kindern mit Autismus anerkennen. Viele von ihnen zeigen bemerkenswerte Fähigkeiten in bestimmten Bereichen, sei es in Mathematik, Kunst oder Technik. Diese Talente gilt es zu fördern und in den Schulalltag zu integrieren.

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Herausforderungen und Lösungsansätze im Schulalltag

Schulen sind immer öfter mit verhaltensauffälligen Kindern konfrontiert. Diese oftmals als störend empfundenen Verhaltensweisen sollten aber auf keinen Fall als bewusste Provokation, Bösartigkeit, Arroganz oder als das Ergebnis falscher Erziehung aufgefasst werden. Denn sie sind Symptome der ASS und der/die SchülerIn kann auf Grund seiner Beeinträchtigung in diesen Momenten (noch) nicht anders reagieren.

Mögliche Unterstützungsmaßnahmen:

  • Rückzugsmöglichkeiten schaffen
  • Bei verbalen Aufforderungen, die an die ganze Klasse gerichtet sind, den/die betroffene(n) SchülerIn zusätzlich persönlich und mit Namen ansprechen
  • Aufgabenstellungen möglichst konkret und strukturiert vorgeben - Vermeidung von offenen Aufgabenstellungen (z.B. Was weißt du über Säugetiere?)
  • Wichtige Informationen oder Aufgabenstellungen immer auch visuell darbieten
  • Positives Feedback, wie beispielsweise Lob, gezielt einsetzen, um den/r SchülerIn zu verdeutlichen welche Verhaltensweisen gewünscht sind
  • Eventuelle Spezialinteressen können als Belohnung eingesetzt werden, um die Motivation für die Erledigung von Aufgaben zu erhöhen (z.B. Für das Fertigstellen eines Arbeitsblattes bekommt der/die SchülerIn einen Stempel.

Die Situation im Burgenland

An Burgenlands Schulen werden rund 200 Kinder und Jugendliche mit diagnostiziertem Autismus unterrichtet - nicht immer so, dass die Betroffenen und deren Eltern damit zufrieden sind. Jede Schule agiert anders.

In der Bildungsdirektion wird das Fehlen von genauen Richtlinien damit begründet, dass das Spektrum von Wahrnehmungs- und Entwicklungsstörungen extrem groß ist. Manche Lehrerinnen und Lehrer bräuchten Unterstützung. Es gebe Beratung und auch sehr viel Literatur dazu, sagte der Leiter der Schulpsychologie, Klaus Fandl. Es habe auch etliche Fortbildungsseminare von der Pädagogischen Hochschule gegeben.

Ausgebildete Sonderpädagoginnen kämen an Schulen und seien beratend tätig, ergänzte der Schulqualitätsmanager für Inklusion, Franz Jeschko. Es gebe auch Schulsozialarbeiterinnen, die einbezogen werden könnten.

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Probleme und Lösungsansätze aus Sicht des "Verein Autismus Burgenland"

Man höre immer von Problemen für betroffene Kinder an Schulen, sagte die Präsidentin des „Verein Autismus Burgenland“, Petra Ipsits-Lindner am Donnerstagabend im „Burgenland heute“-Gespräch. Das betreffe vor allem Schulen, an denen zuvor noch keine Kinder mit ASS unterrichtet worden seien, komme aber auch in Schulen vor, an denen schon viele betroffene Kinder gewesen seien, denn das Autismus-Spektrum habe viele Facetten und nicht jedes Kind sei dann gleich. Das häufigste Problem sei das Unverständnis der Diagnose, so Ipsits-Lindner.

Es gibt in der Ausbildung der Pädagogen kein fundiertes Wissen über das Autismus-Spektrum und den Umgang damit, dementsprechend werde dann nicht auf das Kind eingegangen. Aufklärung über ASS für Lehrkörper, Schulassistenz und Nachmittagsbetreuung ist aus Sicht von Ipsits-Lindner das Wichtigste, um die Lage für die Kinder zu verbessern. Nach Meinung des „Verein Autismus Burgenland“ müsse das schon in der Grundausbildung des Lehrpersonals ein Thema sein.

Erfolgsgeschichten und die Bedeutung von Unterstützung

Beim Jugendredewettbewerb in Oberschützen saß heuer mit Manuel Koller ein ehemaliger Gewinner in der Jury, der auch Autist ist. „In der Volksschule hat man mich mehr oder weniger als jemanden abgetan, der einfach eine Lernschwäche hatte und schon fast in die Sonderschule gehörte“, erzählte Koller. Mit der Zeit hätten die Pädagoginnen und Pädagogen aber auch seine Talente entdeckt und speziell gefördert.

Manuel Koller hatte Glück und konnte maturieren, obwohl Zahlen ihn komplett überfordern. Es sei für ihn in der Ecole Güssing schwer gewesen, in der höherwertigen Mathematik zurechtzukommen. Er habe aber das Glück gehabt, dieses Defizit „durch das hervorragende Kollegium, durch Pädagogen und durch meine Freunde in der Klasse“ lange genug ausgleichen zu können, um mit einem „Genügend“ abschließen zu können.

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