Antidepressiva helfen vielen Menschen aus seelischer Not. Doch sie können unerfreuliche Nebenwirkungen haben.
Warum Antidepressiva abgesetzt werden
Manche Patienten nehmen seit vielen Jahren psychisch wirksame Medikamente. Ein Beispiel dafür sind Medikamente gegen Depression, die Antidepressiva. Wenn die ursprüngliche Krankheit mit Hilfe der Medikamente überwunden ist, ergibt sich daraus der vollkommen berechtigte Wunsch, diese abzusetzen.
Beispielsweise scheint die jahrelange Einnahme von Antidepressiva unerwünschte psychologische Veränderungen zu bewirken.
Planung und Vorgehensweise beim Absetzen
Das Beenden der medikamentösen Behandlung erfordert sorgfältige Planung. Sie muss gut zwischen dem Patienten, seinem Facharzt, und (wenn erlaubt) seiner Familie, abgestimmt sein. Als Psychiater vereinbare ich gemeinsam mit Ihnen die bestmögliche Vorgangsweise. Dies erfordert das ganze psychiatrische Fachwissen und die Erfahrung.
Je nach dem genauen Präparat und Ihrer individuellen Krankheitsgeschichte ergibt sich ein bestimmter Zeitplan. Beispielsweise kann sich der Blutspiegel eines Antipsychotikums bei derselben Dosis individuell um das zehnfache unterschieden. Das richtige langsame Ausschleichen benötigt in der Regel viele Monate.
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Schon beim erstmaligen Verschreiben eines Psychoparmakons bespreche ich die oben beschriebene Problematik als Teil der Nutzen-Risiko-Abwägung mit meinen Patienten. Beispielsweise ist die Gabe eines Antidepressivums gegen eine leichte Depression nicht immer zu befürworten.
Für psychisch wirksame Medikamente soll grundsätzlich die für jeden Einzelnen niedrigste mögliche Dosis gefunden werden.
Mögliche Absetzsymptome
Antidepressiva können beim Absetzen Beschwerden verursachen. Zu den bekannten Absetzsymptomen gehören etwa Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Schwindel, Benommenheit, Reizbarkeit oder Unruhe. Manche Betroffene fühlen sich auch durch wiederkehrende Stromschlag-artige Empfindungen im Kopf beeinträchtigt.
Sie treten oft wenige Tage nach dem Absetzen auf und können bis zu sechs Wochen anhalten.
Abruptes Absetzen erhöht nicht nur die Rückfallgefahr, sondern kann auch, wie mittlerweile bekannt ist, zu Absetzphänomenen bei SSRI und auch bei dual (Serotonin und Noradrenalin) wirkenden AD führen. Die Patienten sind darüber zu informieren.
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Empfohlen wird immer eine graduelle Reduktion der Medikamente und kein abruptes Absetzen, außer bei Auftreten einer manischen Episode oder einer dringlichen medizinischen Notwendigkeit - dann kann auch abrupt abgesetzt werden.
Die Absetzphänomene insbesondere der SSRI können je nach Halbwertszeit der Medikamente innerhalb weniger Tage auftreten und sind den ursprünglichen Symptomen, auch Angstsymptomen, manchmal sehr ähnlich.
Strategien zur Vermeidung von Absetzsymptomen
Einig sind sich Fachleute: Am besten ist es, mit dem Einnehmen von Antidepressiva nicht plötzlich aufzuhören, sondern die Dosis nach und nach zu verringern. Das wird auch „Ausschleichen“ genannt. Fachleute empfehlen, Antidepressiva am Ende der Behandlung langsam und schrittweise abzusetzen. Das soll belastende Absetzsymptome möglichst geringhalten.
Wie sich diese Absetzsymptome am besten vermeiden lassen, wird schon seit geraumer Zeit diskutiert. Es ist jedoch unklar, wie gut sie Betroffenen wirklich hilft. Denn unserer Recherche zufolge wurde das nicht ausreichend erforscht.
Bei welcher Absetzgeschwindigkeit die wenigsten Probleme auftauchen, ließe sich am besten in einer Studie untersuchen, die verschiedene Geschwindigkeiten miteinander vergleicht: Eine Gruppe an Teilnehmenden würde das Antidepressivum zum Beispiel über 8 Wochen absetzen, eine andere Gruppe über 12 Wochen.
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Sinnvoll wäre auch, dass eine dritte Gruppe das Antidepressivum zum Vergleich weiternimmt. So ließe sich herausfinden, welche Probleme tatsächlich durch das Absetzen entstehen.
Hat man das Mittel nur über kurze Zeit eingenommen, ist meistens kein langsames Reduzieren der Dosis nötig. Fachleute gehen davon aus, dass Absetzsymptome erst dann auftreten, wenn Betroffene das Mittel länger als acht Wochen eingenommen haben.
Ursachen von Absetzsymptomen
Wie Absetzsymptome entstehen, ist noch nicht geklärt. Häufig verwendete Antidepressiva erhöhen die Konzentration des Nerven-Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Fachleute vermuten, dass sich die Nervenzellen daran gewöhnt haben und beim Absetzen zu wenig eigenes Serotonin produzieren.
Das dürfte jedoch nicht die einzige Erklärung sein. Beispielsweise könnten auch negative Erwartungen eine Rolle spielen.
Alternativen zur medikamentösen Behandlung
Bei einer Depression gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die wichtigsten sind Psychotherapie und Medikamente. Welche Therapie am besten geeignet ist, hängt von mehreren Dingen ab: etwa wie schwer die Depression ist, wie die persönlichen Lebensumstände sind und wie sich die Erkrankung entwickelt.
Im Falle einer klaren Verbesserung des Zustandes des Patienten sollte an dieser Stelle nochmals überlegt werden, ob psychotherapeutische Maßnahmen auch im Sinne einer Bearbeitung der Situation, einer Stabilisierung und Vorsorge zu empfehlen und zu organisieren sind.
Wie viel und welche Psychotherapie kann der Hausarzt mit dem Patienten besprechen.
Lichttherapie: Die Lichttherapie, die ursprünglich nur bei der Herbst-Winter-Depression eingesetzt wurde, kann durchaus bei allen Depressionsformen angewendet werden. Auch hier ist innerhalb einer Woche zu erkennen, ob jemand davon profitiert oder nicht. Bei der Lichttherapie verwendet man Lichtlampen mit einer Lichtstärke von 10.000 Lux, bei einer Entfernung von ca. Die Empfehlungen schwanken zwischen 30 Minuten und einer Stunde morgens als Impulsgeber bis zu zweimal am Tag.
Gewichtszunahme als Nebenwirkung von Antidepressiva
Menschen, die Antidepressiva einnehmen, legen häufig deutlich an Gewicht zu. Wie viel das ist, hängt auch von der Wahl des Wirkstoffs ab.
Das kann Betroffene dazu veranlassen, die Medikamente zu früh abzusetzen - und so möglicherweise einen Rückfall zu erleiden.
Andererseits sind Nebenwirkungen für die Bereitschaft der Patientinnen und Patienten, die Therapie umzusetzen (Compliance) eine wichtige Rolle. Bei der Suche nach einer geeigneten Therapie ist daher wichtig, Wirksamkeit und Nebenwirkungen abzuwägen. Neben der Gewichtszunahme sind das bei Antidepressiva beispielsweise Übelkeit, Mundtrockenheit, Verdauungsprobleme, sexuelle Beschwerden und Abgeschlagenheit.
Übergewicht geht zudem mit den bekannten Risiken für Krankheiten einher, von Diabetes über Herzleiden bis hin zu Krebserkrankungen.
Studie zu Gewichtszunahme bei Antidepressiva
Forschende des Harvard Pilgrim Health Care Institute haben untersucht, bei welchen Wirkstoffen das Risiko, an Gewicht zuzulegen, besonders hoch ist - und bei welchen niedriger. Dazu werteten sie Daten von mehr als 180.000 Personen aus, die erstmalig Antidepressiva eingenommen hatten.
Das Forschungsteam um Joshua Petimar verglich das Gewicht der Teilnehmenden sechs, zwölf und 24 Monate nach Beginn der Behandlung - abhängig von den Antidepressiva, die diese eingenommen hatten.
Dabei konzentrierten sich die Forschenden auf acht gängige Antidepressiva: Sertralin, Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin, Bupropion, Duloxetin und Venlafaxin. Als gesundheitlich relevant bewertete die Forschungsgruppe eine Zunahme von mindestens fünf Prozent des Körpergewichts.
Das geringste Risiko für zusätzliche Kilos brachte dabei der Wirkstoff Bupropion mit. Im Vergleich zu Menschen, die das gängigere Antidepressivum Sertralin einnahmen, war das Risiko einer relevanten Gewichtszunahme für Bupropion-Anwendende um 15 bis 20 Prozent geringer.
Die beiden Wirkstoffe basieren auf unterschiedlichen Wirkmechanismen: Bupropion erhöht den Spiegel der beiden psychisch aktiven Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin. Dopamin verstärkt unter anderem den Antrieb, während Noradrenalin den Körper bei physischer und psychischer Belastung aktiviert (Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer, SNDRI).
Sertralin hingegen gehört zur Klasse der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), die sehr viel häufiger verschrieben werden. Das Hormon Serotonin kann die Stimmung aufhellen und Ängste reduzieren.
Allerdings beobachteten die Forschenden auch innerhalb derselben Wirkstoffklasse unterschiedliche Auswirkungen auf das Körpergewicht.
Beispielsweise war in den ersten sechs Monaten der Einnahme das Risiko einer relevanten Gewichtszunahme für Anwendende der beiden SSRI Escitalopram und Paroxetin um jeweils 15 Prozent höher als unter Sertralin. Im Vergleich zu Bupropion bedeutet das einen Unterschied von mindestens 30 Prozent.
Ebenfalls ein SSRI ist das mit Abstand am häufigsten eingesetzte Medikament Citalopram. Die Wahrscheinlichkeit, unter der Therapie zuzunehmen, ist nicht wesentlich höher als bei Sertralin. Das SSRI Fluoxetin birgt ein etwas niedrigeres Risiko für eine deutliche Gewichtszunahme als Citalopram.
Venlafaxin gehört zu einer dritten Wirkstoffklasse, den sogenannten Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI). Es bringt ein etwas höheres Risiko mit sich für eine Gewichtszunahme als Citalopram und Sertralin.
„Diese Studie liefert wichtige Hinweise für das Ausmaß der Gewichtszunahme, die nach der Einnahme einiger der häufigsten Antidepressiva zu erwarten ist“, sagte Hauptautor und Studienleiter Petimar. „Ärzte und Patienten können diese Informationen unter anderem nutzen, um die für sie richtige Wahl zu treffen.“
Wichtige Kriterien bei der Medikamentenwahl
Das wichtigste Kriterium für ein Medikament ist sicherlich die möglichst umfassende Hilfe für den erkrankten Menschen. Und das ist nicht immer gegeben. Ein Wirkstoff, der bei einem Menschen mit Depressionen gut wirkt, schlägt bei dem anderen möglicherweise gar nicht an.
Der Grund dafür zeichnet sich in der Forschung zunehmend ab: So scheinen den Symptomen sehr unterschiedliche Mechanismen zugrunde zu liegen - Umwelteinflüsse spielen ebenso eine Rolle wie genetische Faktoren.
Zusätzliche Aspekte
Neben der Zielsetzung, wann sich welche Symptome der Depression durch die medikamentöse Behandlung verbessern sollten, ist auch die Besprechung möglicher Nebenwirkungen - vor allem auch für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient - wichtig. Eine vorübergehende Verstärkung der inneren Unruhe, anhaltende Schlafstörungen und Lebensüberdruss gehören zu den wichtigsten Symptomen bzw. Nebenwirkungen - auch das ist dem Betroffenen näherzubringen. Wichtig ist es, dem Patienten anzubieten, dass man als Vertrauensperson zur Verfügung steht. Nur wenige Patienten nehmen diese Einladung auch in Anspruch, aber es beruhigt!
Die Vorgangsweise im Falle einer Verschlechterung oder eines Rückfalls sollte gemeinsam mit der betroffenen Person, wenn möglich schriftlich, festgelegt werden.
Medikamente mit serotonergem Wirkmechanismus zeichnen sich eher durch Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö, aber vor allem am Anfang durch Unruhe aus. Die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung der SSRI sollte mehr Beachtung finden, da diese unerwünschte Wirkung bei Herzinfarktpatienten womöglich von Vorteil sein kann. Einige der AD können zur Gewichtszunahme führen. Ebenso können bei dieser Art von Medikamenten in der längerfristigen Therapie sexuelle Funktionsstörungen eine Rolle spielen. EKG-Veränderungen sind bei allen neueren AD nicht zu erwarten. Trizyklische AD sind hinsichtlich Wirksamkeit noch immer zu empfehlen und sollten unbedingt mit EKG-Kontrollen, v.a. beim älteren Menschen, angewendet werden. Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen bzw.
Antidepressiva in Schwangerschaft und Stillzeit
Wenn eine Schwangerschaft während laufender antidepressiver Therapie eintritt, so sind in den ersten Wochen in aller Ruhe Nutzen/Risiko mit der betroffenen Frau und, falls erwünscht, mit der Familie zu besprechen. Die gute Nachricht: Insgesamt sind AD während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht kontraindiziert und weniger problematisch als bislang angenommen. Eine klare Indikationsstellung durch den Facharzt sowie eine Abwägung von Kosten-Nutzen-Risiko bei hoher Rückfallwahrscheinlichkeit sollen besprochen und dokumentiert werden. Fortsetzung der antidepressiven Medikation über ca.
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