Max Liebermann: Der jüdische Arzt und seine Darstellung in "Vienna Blood"

Der Brite Matthew Beard spielt in der britisch-österreichischen Krimiserie „Vienna Blood“ die Hauptrolle des jüdischen Ermittlers und Freud-Verehrers Max Liebermann. Die ersten Folgen wurden in Wien gedreht, nun fungiert Budapest als Wien-Double. Das reale Vorbild für die Figur war einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Impressionismus, der Maler Max Liebermann, der als Jude und aufrechter Deutscher im Jahr 1933 aus Protest gegen die Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialisten die Kunstakademie verließ. Entsetzt über die Nazi-Umtriebe, verbrachte er die zwei verbleibenden Jahre bis zu seinem Tod zurückgezogen in Berlin.

Ihm setzte der Londoner Psychiater und Schriftsteller Frank Tallis mit seinen Max-Liebermann-Krimis ein Denkmal. Und diesen als England stammenden Juden, der von Sigmund Freuds Theorien geradezu besessen ist, spielt Matthew Beard mit großer Leidenschaft: „Ich habe mich immer schon für Psychologie und Psychoanalyse interessiert. Ich habe englische Literatur studiert und für viele meiner Essays Methoden aus der Psychoanalyse verwendet. Ich weiß also viel über Psychologie. Ich weiß nicht, ob ich etwas über mich gelernt habe, aber ich verbringe viel Zeit damit, meine Träume zu analysieren.“

Die Rolle des Max Liebermann in "Vienna Blood"

Für den Schauspieler ist Vienna Blood eine Art vielfältiger Reiseführer. Für die Psychoreise ins eigene Ich, für eine Zeitreise zurück ins Fin de Siècle und als touristische Anleitung zu den Sehenswürdigkeiten von Wien und Budapest. Die Rolle des jüdischen Psychiaters und Profilers hat ihn auch in seinen Wahrnehmungen der politischen Stimmungen der Länder, die er bereist, sensibilisiert: „Natürlich habe ich - wie wahrscheinlich wir alle - in der Schule Wesentliches über europäische Geschichte gelernt, vor allem über die Geschehnisse, die zum Zweiten Weltkrieg führten und über die Rolle, die Großbritannien dabei gespielt hat. Erstaunlicherweise hat mir die Konfrontation mit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die Stimmung des Fin de Siècle, noch viel mehr die Augen in Bezug auf die heutige Zeit geöffnet.“

Augenöffner seien vor allem intensive Gespräche mit Regisseur Robert Dornhelm sowie seine Lektüre von Literatur aus dieser Zeit gewesen - und da wiederum vor allem Stefan Zweigs Die Welt von Gestern. Er habe einmal gehört, dass es sich bei dieser Autobiografie um den längsten Abschiedsbrief vor einem Selbstmord handle, „aber relevant für meine Vorbereitung auf die Liebermann-Rolle und die Dreharbeiten in Wien waren nicht seine depressiven Gedankenspiele rund um die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Vielmehr war es seine Jugend in Wien. Er ist in der Zeit aufgewachsen, in der auch die Kriminalromane von Frank Tallis spielen.“

Was den jungen Star aus Großbritannien deprimiert, ist die Tatsache, dass die Menschen aus den Fehlern der Vergangenheit nichts oder zu wenig gelernt haben: „Wie könnte es sonst sein“, sagt er in unserem Interview in einer Drehpause, „dass der Antisemitismus wieder - oder noch immer? Auch in den neuen Folgen wird ihm Inspektor Oskar Rheinhardt (dargestellt von Juergen Maurer) zur Seite stehen. Als Kriminalpolizist slowakischer Herkunft weiß er vor allem bei bizarren und schier unlösbaren Mordfällen, was zu tun ist. Er ruft Max Liebermann zu Hilfe, der die jeweiligen Täter anhand Freudscher Fehlleistungen und verräterischer Stolperer überführt.

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Das Wesen der Übertragung hat der jüdische Doktor Liebermann bereits in früheren Folgen so schön erklärt wie manch anderes Theorem auch. Und doch ist Liebermann unzufrieden mit allerhand, mit seinen Beziehungen zu Frauen, mit der politischen Lage im Wien der Jahrhundertwende. Für Zweifel und Kritik an der Psychoanalyse und ihren Übertragungen ist also reichlich Platz, nicht nur gegenüber dem Kriminalbeamten Rheinhardt. Vienna Blood liegt ganz im Trend des Psychoanalytiker-Krimis.

Die historische Kulisse: Wien um 1900

In der gesellschaftspolitischen und kulturellen Atmosphäre der Donaumonarchie-Metropole sind die Kontraste und Umbrüche zwischen alter und neuer Zeit spürbar: Im Wien des Fin de Siècle sind Kunst, Kultur, philosophische Zirkel, Wissenschaft und Entdeckerfreude zu Hause, aber auch der Antisemitismus von Bürgermeister Karl Lueger und das Aufkeimen des Faschismus, von dem auch der junge Hitler während seiner Wiener Zeit geprägt wurde. „Wenn man nur als Tourist nach Wien kommt, bleibt dieser Teil der Geschichte meist hinter den prachtvollen Fassaden der Donaumonarchie verborgen.

Nun hat der Schauspieler erstmals Budapest besucht, denn die ungarische Hauptstadt fungiert für die nächsten Folgen als Wien-Double. „Budapest ist fast so schön wie Wien“, meint Beard - und relativiert diesen Eindruck gleich wieder: „Vielleicht, weil wir in Straßen und Gassen dieser Stadt drehen, die eigentlich in Wien sein sollten und bewusst nach dieser Ähnlichkeit ausgesucht wurden. Ich werde sicher auch in Budapest viel herumwandern und viele Museen aufsuchen. Und es wird mir vieles gefallen. Da wirkt sogar Max Liebermann etwas verunsichert: Matthew Beard mit Luise von Finckh als Clara Weiss.

Sigmund Freud und die Psychoanalyse

Sigmund Freud (geboren am 6. Mai 1856 als Sigismund Schlomo Freud in Freiberg in Mähren, Kaisertum Österreich; gestorben am 23. September 1939 in London, Vereinigtes Königreich) war ein österreichischer Arzt, Neurophysiologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker und Religionskritiker. Er ist der Begründer der Psychoanalyse und gilt als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Seine Theorien und therapeutischen Methoden werden bis heute angewandt, diskutiert und kritisiert.

Freuds damals neue Vorstellungen einer großen Bedeutung kindlicher sexueller Konfliktlagen und Traumata bei der Entstehung von Neurosen fanden zunächst wenig Resonanz in der Ärzteschaft, sodass er eine lange Phase der Ausgrenzung durchlebte, bevor sich, ausgehend von Wien, allmählich ein Kreis von Anhängern um ihn scharte, um die psychoanalytische Lehre weiterzuentwickeln und zu verbreiten. Grundlegendes Werk zur Erforschung des Unbewussten war Freuds 1899 erschienenes Buch Die Traumdeutung. Populär wurde auch seine Studie Zur Psychopathologie des Alltagslebens von 1904. Daraus sind bis heute berühmt die später nach Freud benannten Fehlleistungen.

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Seine 1916/17 veröffentlichten Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse kommen einem Lehrbuch am nächsten und gelten bis heute als Freuds meistgelesenes Werk. Hohe Bekanntheit hat daraus das Strukturmodell der Psyche mit den drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich. Besonders in seinem Spätwerk zeigte sich Freud als scharfer Religionskritiker. Eine kritische Auseinandersetzung mit Freuds Lehrmeinungen ließ schon unter seinen frühen Anhängern nicht lange auf sich warten. Eigene Lehren entwickelten erst Alfred Adler, dann auch der von Freud zunächst als Nachfolger vorgesehene C. G. Jung.

Zur Hüterin von Freuds Erbe wurde seine Tochter Anna Freud, die sich zur Psychoanalytikerin ausbilden ließ, selbst publizierte und ihren 1923 an Gaumenkrebs erkrankten Vater bei Vorträgen und Kongressen vertrat. Sie blieb auch bei ihm, als er nach der Bücherverbrennung 1933 in Wien ausharrte und begleitete ihn nach dem Anschluss Österreichs 1938 ins Londoner Exil.

Freuds jüdische Herkunft und familiärer Hintergrund

Freud wurde als Sohn jüdischer Eltern aus Galizien in Freiberg in Mähren (tschechisch Příbor) - damals Teil des Kaisertums Österreich, heute in Tschechien - geboren und hieß ursprünglich Sigismund Schlomo Freud. Sein Vater Jacob Freud war Wollhändler, entstammte einer chassidischen Familie, war bei Sigmunds Geburt bereits 40 Jahre alt und in dritter Ehe mit der wesentlich jüngeren Amalia Nathansohn verheiratet.[2] Jacob Freud las zwar die Bibel in hebräischer Schrift und vermittelte seinem Sohn die Faszination für die Geschichten des Alten Testaments, gab die religiösen Bräuche seiner chassidischen Vorfahren aber auf und ließ nur noch einzelne jüdische Feste als Familienfeste feiern.

Sigmund Freud hatte zwei ca. 20 Jahre ältere Halbbrüder aus der ersten Ehe seines Vaters, die Österreich aber noch in seinen Kindertagen verließen, um in Manchester ihr Auskommen zu suchen. Der nach ihm geborene jüngere Bruder Julius starb noch vor Freuds zweitem Geburtstag; seine Schwester Anna wurde zum Jahresende 1858 geboren.[4] Als der im Tuchhandel tätige Jacob Freud in Freiberg für sich keine Zukunftsperspektive mehr sah, zog die Familie 1859 erst nach Leipzig und wegen einer für Leipzig nicht erteilten Aufenthaltsgenehmigung weiter nach Wien, wo sie in den von Juden bewohnten Quartieren der Leopoldstadt unterkam und in der Folgezeit noch mehrfach umzog.

Einen argen Reputationsverlust erlitt die Familie 1865, als Jacobs Bruder Josef Freud wegen des Verdachts auf Verbreitung gefälschter russischer Rubel festgenommen und 1866 zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde,[6] die er bis 1870 absitzen musste. Polizeiberichten zufolge führte die Spur nach Manchester, wo sich Jacobs Söhne Emmanuel und Philipp Freud aufhielten, ohne dass diese jedoch erwähnt wurden.

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Freuds Ausbildung und Karriere

Nach dem Besuch einer privaten Volksschule ging Freud ab 1865 auf das Leopoldstädter Communal-Realgymnasium. Das auf das Erlernen der alten Sprachen und den Erwerb historischen Wissens zentrierte humanistische Bildungsangebot kam Freuds Anlagen und Interessen entgegen. Gelesenes vermochte er nach eigenem Bekunden auch in längeren Passagen auswendig herzusagen. Unter den Geschwistern hatte er als einziger einen eigenen Raum in der Wohnung, den er mehr und mehr mit Büchern füllte. Um beim Lesen keine Zeit zu verlieren, nahm er hier auch oft seine Mahlzeiten ein. Seinen Schwestern half er bei den Hausaufgaben, verlangte aber energisch Rücksichtsnahmen auf den eigenen Pauk- und Studienbetrieb.

Für die Vorbereitung der Reifeprüfung an den zeitgenössischen österreichischen Gymnasien war umfängliches Auswendiglernen über Monate nötig.[10] Wechselnde Stimmungslagen des Hoffens, Schwankens, der Bestürzung und Erheiterung begleiteten Freud in der Abschlussprüfung im Juli 1873, die mit glänzenden Ergebnissen für ihn endete. In sieben Fächern erreichte er die Bestnote: „Vorzüglich“. Die Übertragungsaufgabe ins Altgriechische bestand aus 33 Versen der Sophokles-Tragödie König Ödipus.

Freud, der auch mit dem Gedanken an ein Studium der Rechtswissenschaft gespielt hatte, entschied sich - in der Absicht, Naturforscher werden zu wollen - für Medizin und immatrikulierte sich im Sommer 1873 an der Universität Wien. Sein Interesse galt dabei vor allem der menschlichen Natur und ihrer Erforschung.[12] Der Andrang auf das Fach war so groß - Anfang der 1870er Jahre studierten an der medizinischen Fakultät der Universität Wien ca. 1.300 Studenten -, dass dort bereits damals die anonyme Atmosphäre einer Massenuniversität herrschte.[13]

Freud war von vornherein entschlossen, seine akademischen Interessen nicht auf die Ausbildung als Mediziner zu beschränken. So nahm er bald auch an Vorlesungen Franz Brentanos über Logik, aristotelische Erkenntnistheorie und Empirismus teil und begann Brentanos psychologische Schriften zu lesen. Seit Herbst 1874 betrieb Freud seinen eigenen Philosophiezirkel, teils mit früheren Schulkameraden, und widmete sich unter anderem Feuerbachs Werk Das Wesen des Christentums mit Aussagen zur Religionskritik, die ihn dauerhaft beeindruckten.[16]

Im Sommer 1875 besuchte er seine Halbbrüder in Manchester und zeigte sich hinfort von englischer Lebensart äußerst positiv eingenommen. Anschließend nahm ihn der Zoologe Carl Claus - von Peter Gay zu den „erfolgreichsten und fruchtbarsten Propagandisten Darwins in deutscher Sprache“ gezählt - als Famulus in sein Labor auf und verschaffte ihm die Möglichkeit, an der von ihm eingerichteten Versuchsstation für Meeresbiologie in Triest Forschungsarbeit an Aal-Hoden zu leisten.[17] 1876 wechselte Freud in das Labor des Physiologen Ernst Wilhelm von Brücke, in dessen Auftrag er, hauptsächlich mikroskopierend, bis 1882 arbeitete und forschte. Die Untersuchungen bezogen sich auf das Nervensystem niederer Fische und im Vergleich dazu auf das menschliche.

Vor den Abschlussprüfungen seines Medizinstudiums hatte Freud 1879 noch seinen einjährigen Militärdienst im Wiener Sanitätskorps zu absolvieren. Da er seine Dissertation Über das Rückenmark niederer Fische bereits vor den Prüfungen abgeschlossen hatte, wurde er schon am Tag nach Bestehen der letzten medizinischen Prüfung auch zum Doktor der Medizin promoviert.[18] Das mit 17 Jahren früh begonnene Medizinstudium endete für den 25-Jährigen vergleichsweise spät. Noch mehr als ein Jahr nach der Promotion setzte Freud seine physiologische Forschung in Brückes Labor fort.

Schon während des Studiums hatte er einem Freund geschrieben, dass er es bei der Berufsvorbereitung vorziehe, lieber „Tiere zu schinden“ als „Menschen zu quälen“.[20] Als er jedoch im April 1882 Martha Bernays kennenlernte und zu heiraten begehrte, musste er eine deutliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse anstreben. Ende Juli 1882 nahm Freud eine Beschäftigung als Assistenzarzt im Wiener Universitätsklinikum an, um auf klinischem Gebiet Kenntnisse zu erwerben, die ihm für den anschließend geplanten Betrieb einer eigenen Praxis nützlich sein sollten.

In der Chirurgie, für die ihm das handwerkliche Geschick und Zutrauen fehlten, blieb er nur wenige Wochen und wechselte dann mit einer Empfehlung Meynerts in die von Hermann Nothnagel geführte innere Abteilung, in der er sich aber ebenfalls eher schlecht als recht aufgehoben fühlte. So ergriff er ein halbes Jahr später eine Gelegenheit, in Meynerts psychiatrischer Klinik unterzukommen. Dort bekam er es mit drastischen Krankheitsbildern zu tun, für deren Behandlung Psychopharmaka noch nicht zur Verfügung standen. Jeweils nach Beendigung des Dienstes an den Patienten gegen 19 Uhr begab sich Freud für hirnanatomische Studien in Meynerts Labor.

Mit der medizinischen Verwendung der damals neu in sein Blickfeld geratenen Substanz Kokain hatte Freud in doppelter Hinsicht kein Glück: Die von ihm angeregte Verwendung als örtliches Betäubungsmittel ging als wissenschaftliches Verdienst mangels näherer Beschäftigung nicht auf sein Konto, sondern auf das von Carl Koller, der die lokalanästhetische Wirkung des Kokains am Auge untersuchte und publizierte. Freuds an dem befreundeten Arztkollegen Ernst von Fleischl vorgenommene und als unbedenklich angesehene Behandlung einer Morphiumabhängigkeit mittels Kokain-Ersatzgaben zeigte nur anfänglich deutlichen Erfolg, erzeugte aber ebenfalls die fatale Sucht nach Dosissteigerung.

Parallel zu seiner klinischen Ausbildung stellte Freud seine Arbeitsergebnisse in neun wissenschaftlichen Aufsätzen zusammen und legte sie zwei Jahre später am 21. Januar 1885 als wissenschaftlichen Nachweis für sein Habilitationsgesuch, dem „Löblichen Professoren-Kollegium der Wiener medizinischen Fakultät“ vor. Er wurde dabei von Meynert, Nothnagel und Brücke unterstützt. Auch das Professorium und schließlich das Erziehungsministerium stimmten am 9. September 1885 der Ernennung zum Privatdozenten an der Universität Wien zu.

Um die Lehrbefugnis aufrechterhalten zu können, bot Freud in den folgenden Jahren in jedem Semester ein Kolleg an. Unmittelbar nach Erlangung der Privatdozentur im September 1885 erhielt Freud die Zusage für ein von ihm beantragtes sechsmonatiges Reisestipendium für Nachwuchswissenschaftler und verbrachte es bei Jean-Martin Charcot an der Pariser Salpêtrière, weil die dortige Neuropathologie als die seinerzeit fortschrittlichste überhaupt galt. Nachhaltig beeindruckend für auswärtige Gäste der Einrichtung waren vor allem Charcots im wöchentlichen Turnus vor Fachpublikum stattfindende Patienten-Vorführungen mit Diagnose-Erhebung, bei denen oft eine Hypnotisierung der Kranken die Feststellung der jeweils typischen Krankheitssymptome erleichtern sollte. Auch gab Charcot regelmäßig herausragende Beispiele belebender Vortragskunst in Vorlesungen.

Normalerweise wurden Privatdozenten an der Universität Wien nach vier bis fünf Jahren zum Professor ernannt, so etwa der Neurologe Julius Wagner von Jauregg, der im gleichen Jahr wie Freud Privatdozent geworden war. Freud jedoch hatte diesbezüglich drei Probleme: Seine wissenschaftlichen Thesen waren innerhalb der Universität äußerst umstritten; als Jude hatte er nur wenige Beziehungen zum Erziehungsministerium; und er weigerte sich, die Beziehungen, über die er verfügte, wirksam einzusetzen, obwohl ihm viel an dem Titel lag: Die Beförderung zum Professor „erhebt den Arzt in unserer Gesellschaft zum Halbgott für seine Kranken“.

Den Durchbruch brachte der Kontakt einer seiner einflussreichen Patientinnen (Baronin Ferstl) zum Unterrichtsminister, dem sie versprach, ihm für eine geplante staatliche Galerie ein Bild zu schenken. So wurde Freud erst 17 Jahre nach seiner Habilitation am 22. Februar 1902 mit nunmehr 45 Jahren außerordentlicher Professor.[27] Neben seinen wöchentlichen Vorlesungen bot er ab dem Wintersemester 1915 eine besondere Vorlesung am Samstag an, die auch für die Öffentlichkeit zugänglich war und nicht nur von seinen Schülern, sondern auch von Patienten und anderen, an der Psychoanalyse interessierten Personen wahrgenommen wurde: die Einführung in die Psychoanalyse.

Die Verwendung der Hypnose als Behandlungsmethode hatte Freud bereits bei dem ihm aus Meynerts Klinik bekannten und befreundeten Arztkollegen Josef Breuer kennengelernt; und er versuchte sich nach den Pariser Erfahrungen auch selbst an ihr, als er sich im April 1886 mit eigener Praxis selbstständig machte. Daneben kümmerte er sich während der zehn folgenden Jahre um den Aufbau und Betrieb der neurologischen Ambulanz am Ersten öffentlichen Kinder-Krankeninstitut im 1. Familie Freud 1898. Vorne: Sophie, Anna and Ernst Freud. Mitte: Oliver und Martha Freud, Minna Bernays. Aufgang zu Freuds Wohnung und Praxis in der Berggasse 19. Couch.

Mit der eigenen Privatpraxis, die allerdings zunächst nur spärliche Einnahmen erbrachte, schienen nun auch die Voraussetzungen für eine Eheschließung gegeben. Nach vierjähriger Verlobungszeit heirateten Sigmund Freud und Martha Bernays am 13. September 1886 standesamtlich im Rathaus von Wandsbek bei Hamburg; tags darauf folgte die Trauung nach jüdischem Ritus.[30] In den Jahren 1887 bis 1895 brachte Martha Freud sechs Kinder zur Welt: Mathilde (1887-1978), Jean-Martin (1889-1967), Oliver (1891-1969), Ernst (1892-1970), Sophie (1893-1920) und Anna (1895-1982). 1891 bezog die Familie die Wohnung in der Wiener Berggasse 19, Freuds Domizil bis 1938.

Kurz nach Beendigung der in Travemünde verbrachten Flitterwochen stieß Freud im Oktober 1886 mit einem Vortrag Über männliche Hysterie in der Wiener Gesellschaft der Ärzte auf teils heftige Ablehnung, die auch sein vormaliger Förderer Meynert zum Ausdruck brachte, indem dieser männliche Hysterie als ein abwegiges „Spezifikum französischer Dekadenz“ bezeichnete und damit die Erträge von Freuds Parisreise herabwürdigte. In der Folge sah sich Freud von den klinischen Kapazitäten in der Wiener Ärzteschaft weitgehend isoliert und ins Abseits gestellt. Seine an nervösen Erkrankungen leidenden, vorwiegend weiblichen Patienten behandelte Freud mit den bereits erprobten Verfahren, darunter neben der Hypnose auch Elektrotherapie. Anfang der 1890er Jahre kehrte er sich aber davon ab.

Einen bedeutenden Beitrag in der Entstehungsgeschichte der Psychoanalyse leistete auch Josef Breuer, der den Fall der „Anna O.“ (Bertha Pappenheim) in den mit Freud gemeinsam publizierten Studien zur Hysterie schilderte. Die von Breuer 1880 begonnene Behandlung, über die Freud orientiert war, ließ trotz letztlich ausgebliebenen Heilungserfolgs erkennen, dass eine therapeutische Gesprächssituation und -dynamik die wirksame Behandlung von Krankheitssymptomen ermöglichte. Bis in die frühen 1890er Jahre, so Gay, versuchte Freud nach Art Breuers, durch Hypnose zu therapeutischen Effekten zu gelangen. Doch manche Patienten ließen sich von ihm nicht hypnotisieren; unzensiertes Sprechen stellte sich ihm dann als überlegenes Untersuchungsmittel dar. Dass nervöse Krankheitserscheinungen auf Vererbung beruhten, wie von C...

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