„Long Covid als globales Problem wird uns noch lange erhalten bleiben“, sagte der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Er eröffnete mit seinem Statement die internationale Online-Konferenz „Unite to fight 2024“, die sich dem Kampf gegen Long Covid sowie ME/CFS verschrieben hat.
Die Situation der Betroffenen
Fehlen Betroffenen postviraler Syndrome praktisch weltweit ausreichend Anlaufstellen. Das ist auch in der Steiermark nicht anders. Hierzulande gibt es eine Spezialambulanz, angesiedelt am LKH Graz II, Standort Enzenbach. Die Kapazitäten sind dort allerdings beschränkt, auch tagesklinisches Angebot gibt es keines, wie die Grünen in einer Anfrage an Gesundheitslandesrat Karlheinz Kornhäusl festhielten.
In seiner Anfragebeantwortung erkennt Kornhäusl die schwierige Situation der Betroffenen an: „Betroffene von Long Covid, ME/CFS (Chronisches Erschöpfungssyndrom, Anm.) oder anderen postviralen Erkrankungen stehen in der Steiermark vor einer Odyssee, um die passende Behandlung zu finden. Sie leiden nicht nur unter den körperlichen Symptomen, sondern auch unter dem Mangel an spezialisierten Anlaufstellen.
Doch in Bezug auf das rasche Handeln verweist man dann doch auf den Bund bzw. das Gesundheitsministerium. Denn die Zuständigkeit für ein „sektorenübergreifendes Versorgungskonzept“ wird auf Bundesebene gesehen. Grundsätzlich sei aber das LKH-Univ. Klinikum Graz aufgrund des breiten Fächerangebotes und der vorhandenen Forschungsmöglichkeiten als Standort für eine solche Spezialambulanz geeignet. Allerdings sei die Frage der Finanzierung zu klären.
Fehldiagnosen und Mangelndes Wissen
Nicht nur Anlaufstellen sind das Problem, auch das Wissen über postvirale Erkrankungen wie ME/CFS. Aus diesem Grund haben Betroffene häufig das Problem, überhaupt eine richtige Diagnose zu bekommen bzw. eine adäquate Therapie zu erhalten. Denn obwohl ME/CFS von der WHO bereits im Jahr 1969 als neurologische Krankheit eingestuft wurde, werden postvirale Erkrankungen oftmals als psychische oder psychosomatische Erkrankungen fehlgedeutet und entsprechend fehlbehandelt.
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Betroffene würden daher bis zur richtigen Diagnosestellung jahrelang durch das Gesundheitssystem irren - „schwer krank, oft falsch diagnostiziert und behandelt“, sagt Astrid Hainzl, stellvertretende Obfrau der österreichischen Gesellschaft für ME/CFS.
Diagnose und Therapie von ME/CFS
Im Konsensus-Papier betonten die Fachleute, dass vor allem der Diagnose der post-exertionellen Malaise (PEM) als Hauptsymptom von ME/CFS eine entscheidende Bedeutung zukommt. Dabei handelt es sich um eine ausgeprägte und anhaltende Verstärkung aller Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung. Diese Verschlechterung bessert sich meist auch nicht, wenn Betroffene sich schonen. Durch PEM lasse sich ME/CFS auch von anderen Erkrankungen, die mit Fatigue einhergehen, unterscheiden. Etwa von einer Depression.
Eine Heilung gibt es für postvirale Erkrankungen wie ME/CFS bislang nicht. Laut den Fachleuten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz fußt die Therapie aktuell auf zwei Standbeinen. Zum einen ist dies das Pacing. Das bedeutet, dass sich Betroffene nicht über ihre persönliche Leistungsschwelle hinaus anstrengen. So soll eine Stabilisierung des Zustandes erreicht werden. Im Auge behalten kann diese Leistungsschwelle etwa über Hilfsmittel wie Pulsuhren. Das zweite Therapiestandbein ist die symptomatische Linderung der unterschiedlichen Symptome, etwa durch verschiedenste Präparate: Häufig handle es sich dabei aber um sogenannte „Off-Label“-Anwendungen.
Forderungen und Initiativen
Die Betroffenen, das wurde auch bei der Online-Konferenz deutlich, hoffen auf neue therapeutische Ansätze und vor allem auf Unterstützung von Seiten des Gesundheitssystems. Österreichs ehemaliger Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sieht bei der Multisystemerkrankung ME/CFS eine "dramatische Vernachlässigung" - und das seit Jahrzehnten. Medizin, Wissenschaft und Gesundheitspolitik müssten nun "ihre Verantwortung wahrnehmen", sagte er im APA-Interview. 2026 müsse zu einem "Jahr der Lösung und Umsetzung" werden. "Erste Priorität" sei die Einrichtung von Behandlungsstellen, auch für Kinder.
Der ehemalige deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte im Juli in einem "Spiegel"-Interview wegen fehlender Versorgung und Forschung bei ME/CFS und Long bzw. Post Covid von einem "Staatsversagen" gesprochen. Anlass war die Inanspruchnahme von Sterbehilfe durch eine schwerstbetroffene Patientin.
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Anschober verwies auf andere Krankheiten, für die es zwar ebenfalls noch keine Heilung, aber gute Versorgungsstrukturen mit spezialisierten Zentren gibt - etwa Diabetes oder Multiple Sklerose, letztere mit 137 Zentren in Österreich. "Es geht um ein Gleichziehen mit anderen schweren chronischen Erkrankungen. Es geht um kein Sonderrecht", sagte er. "Es muss Schluss sein mit den Ausreden und jetzt Tempo in die Umsetzung reinkommen.
Als zweiten wichtigen Punkt nannte der Ex-Minister die soziale Absicherung der Betroffenen. Insbesondere die Verwehrung von Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension oder (des temporären) Rehagelds stelle ein großes Problem dar, ähnlich verhalte es sich beim Pflegegeld.
Als dritten dringenden Punkt nannte Anschober eine "echte Forschungsoffensive". Er verwies auch auf private Initiativen wie jene der We&Me-Stiftung der Bäckereifamilie Ströck, die sich der Erforschung von ME/CFS verschrieben hat und in deren Beirat er vertreten ist.
Aus- und Fortbildungsnotwendigkeiten sieht Anschober auch im hausärztlichen Bereich, damit dort das Krankheitsbild als solches überhaupt einmal erkannt wird - und die Betroffenen an (die geforderten) Behandlungsstellen weitergeschickt werden können. Auch würden viele Betroffene selbst nicht an postvirale Erkrankungen denken.
Kritik übte Anschober an der jahrzehntelangen Praxis der Fehldeutung von ME/CFS als psychische Erkrankung - womit Betroffene auch heute noch oftmals konfrontiert sind. "Es ist ein System der Abschiebung der Verantwortung entstanden, in diesen letzten Jahrzehnten.
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Ein wichtiges Anliegen ist Anschober auch die Prävention bezüglich Infektionen: So wünscht sich der Ex-Politiker den von Experten immer wieder geforderten Einbau von Entlüftungsanlagen bzw. Luftfiltern in öffentlichen Gebäuden wie Schulen - idealerweise gekoppelt mit erneuerbaren Energieanlagen.
Mit der Corona-Pandemie sind post-akute Infektionssyndrome (PAIS) verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt - und damit auch ME/CFS. Die Zahl der Betroffenen stieg (und steigt) auch durch die Covid-19-Erkrankungen stark an. Laut Angaben der MedUni Wien dürften in Österreich aktuell zwischen 70.000 und 80.000 Personen von ME/CFS betroffen sein.
Die Online-Konferenz "#UniteToFight2024"
Die Coronapandemie hat post-akute Infektionssyndromen (PAIS) wie ME/CFS oder Long- bzw. Post-Covid weltweit stark ansteigen lassen. Am 15./16. Mai findet dazu eine - von Betroffenen organisierte - Online-Konferenz statt, die unter dem Titel "#UniteToFight2024" internationale Top-Experten versammelt.
Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat eine Videobotschaft angekündigt. Die Konferenz soll nicht nur dazu dienen, mittels Vorträge zahlreicher Forscher das Thema postviraler Infektionssyndrome (PAIS) einem breiten Publikum zugänglich zu machen, sondern auch die Aufmerksamkeit auf diese Erkrankungen zu lenken, die seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, Wissenschaft und bei Ärzten nur wenig Beachtung finden.
ME/CFS etwa wurde seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits im Jahr 1969 als neurologische Krankheit eingestuft, dennoch mangelt es bis heute an Forschung und Wissen um diese Problematik. Auch werden post-akute Infektionssyndrome oftmals als psychische oder psychosomatische Erkrankungen fehlgedeutet und entsprechend fehlbehandelt, worauf in den vergangenen Wochen auch österreichische Wissenschafter und Wissenschafterinnen wiederholt aufmerksam gemacht hatten.
Ziel sei es, die größte jemals zu Long-Covid oder ME/CFS abgehaltene Konferenz auf die Beine zu stellen - dies habe man mit Stand Mitte April rund 3.000 Anmeldungen bereits erreicht. Wunschziel wäre eine Teilnehmerzahl von 10.000 Personen. Auch soll "UniteToFight" dazu dienen, die wissenschaftlichen Themen in neuem Gewand "mitten in die Gesellschaft" zu bringen, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren und die Forschung anzutreiben.
Das Besondere sei, dass "UniteToFight" aus einer Patienteninitiative heraus entstanden ist und dass hier in einer leicht verständlichen Form die Thematik präsentiert werden soll, sagte Burka zur APA. "Es ist ganz wichtig, dass sich mehr Menschen für ME/CFS einsetzen, auch jene, die nicht von ME/CFS betroffen sind."
Stingl sagte zu seiner Teilnahme, es sei "wichtig", das Wissen über ME/CFS "in die Breite zu tragen". Dass sich Betroffene ihre eigene Konferenz organisieren müssen, sei eine "bemerkenswerte Geschichte und bezeichnend für den Umgang mit dem Thema", verwies auch er auf die Problematik, dass postvirale Infektionssyndrome nach wie vor ein Schattendasein führen.
Der deutsche Gesundheitsminister Lauterbach sagte den Organisatoren eine Video-Grußbotschaft zu, wie dessen Büro gegenüber der APA mitteilte. "Das Bundesgesundheitsministerium begrüßt von Patientinnen und Patienten organisierte Veranstaltungen sehr", hieß es in einem Statement. "Sie tragen zu besserer Information, Verständnis und einem produktiven Austausch zwischen Betroffenen, Wissenschaft und Politik bei."
Um dieses Ziel zu erreichen, fördert das Ministerium ab 2024 im Rahmen eines mehrjährigen Förderschwerpunkts die versorgungsnahe Forschung zu Long-Covid, im Fokus stehen dabei Modellprojekte. Durch die Schaffung eines Netzwerks soll der Informationsaustausch angeregt, Versorgungsforschung initiiert und so die Versorgung der Betroffenen verbessert werden. Insgesamt stehen dafür bis zu 81 Millionen Euro (2024 bis 2028) zur Verfügung, verwies man auf bereits fixierte Beschlüsse.
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