Diabetes mellitus ist häufig mit psychischen Erkrankungen assoziiert. Depressive Störungen kommen bei diabetischen Patient:innen doppelt so häufig vor wie in der nicht-diabetischen Population.
Andere psychische Erkrankungen, die gehäuft mit Prädiabetes und Diabetes mellitus vorkommen, sind kognitive Dysfunktionen bis zur Demenz, auffälliges Essverhalten, Angststörungen, Schizophrenie, bipolare Störungen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen.
Die ungünstigen Auswirkungen dieser Koinzidenz auf den Stoffwechsel sind nachhaltig und manifestieren als schlechtere metabolische Kontrolle und vermehrte mikro- und makroangiopathische Komplikationen.
Bidirektionale Beziehung zwischen Diabetes und psychischen Erkrankungen
Zwischen Diabetes mellitus und bestimmten psychischen Erkrankungen besteht eine bidirektionale Beziehung. Depressionen, Angststörungen, Essstörungen und kognitive Defizite treten in der diabetischen Population gehäuft auf. Darüber hinaus können bestimmte psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen sowie bipolare Störungen zu einer erhöhten Inzidenz von Diabetes mellitus führen.
Menschen mit somatischer Morbidität in Kombination mit einer schweren psychischen Erkrankung weisen eine signifikant kürzere Lebenserwartung und eine zwei- bis dreifach erhöhte Mortalitätsrate im Vergleich zu psychisch gesunden, nur somatisch erkrankten Patient:innen auf.
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Ziel dieses Artikels ist sowohl die Sensibilisierung aller involvierten medizinischen Fachkolleg:innen sowie sonstiger mit diesem Thema befasster Berufsgruppen und Organisationen als auch die Intensivierung der komplexen therapeutischen Interventionen bei Patient:innen mit der Koinzidenz Diabetes mellitus und psychische Erkrankung.
Diabetes-spezifischer Stress
Die Anforderungen und Belastungen, die die Erkrankung Diabetes mellitus durch das erforderliche Selbstmanagement mit sich bringt, werden individuell unterschiedlich erlebt und bewertet und können zu einer erheblichen kognitiven und emotionalen Stressbelastung mit psychischer Beeinträchtigung führen. Das Auftreten von „diabetes distress“ („Diabetes spezifischer Stress“) wird bei Typ 1 und Typ 2 Diabetes beschrieben.
Psychische Symptome entwickeln vor allem Patient:innen, die durch das Selbstmanagement des Diabetes mellitus kognitiv und emotional überfordert sind. Häufig besteht ein Zusammenhang mit ungünstigen Lebensumständen. Die diagnostischen Kriterien einer Depression werden dabei nicht erfüllt, obwohl teilweise überlappende Symptome bestehen. Da sich Diagnostik, Verlauf und Therapie wesentlich voneinander unterscheiden, ist eine klare Differenzierung der Begriffe „Depression“ und „Diabetes spezifischer Stress“ bzw.
Die Prävalenz von Diabetes spezifischem Stress liegt mit 18-45 % aller an Typ 1 oder Typ 2 Diabetes mellitus erkrankten Personen relativ hoch. Da negative Auswirkungen auf HbA1c, Selbsteffektivität, Lebensqualität und Therapieadhärenz beschrieben werden, ist einerseits die Diagnostik wichtig, andererseits zeitnah zur Diagnosestellung die Teilnahme an einer Diabetesschulung erforderlich.
In dieser Schulung soll der Umgang mit körperlichen, psychischen und sozialen Anforderungen, die mit der Erkrankung einhergehen, erlernt werden. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Patient/die Patientin über ausreichende personelle, soziale und ökonomische Ressourcen verfügt und diese auch nutzen kann. Ein bestimmtes Ausmaß an individueller Stressresilienz ist erforderlich, um den eigenverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung praktizieren zu können.
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Für den Behandler stellt sich das Bild von hohem diabetesbezogenem, nicht bewältigbarem Stress häufig auch als mangelnde Therapieadhärenz dar, wobei Überlastung und Überforderung des Patienten/der Patientin dabei im Vordergrund stehen.
Für die Diagnostik sind folgende Instrumente gut validiert und zu empfehlen:
- Problem Areas In Diabetes (PAID) umfasst 20 Fragen, die sowohl emotionalen Stress als auch spezifische Belastungen des Diabetes erfassen. Eine deutschsprachige Version steht zur Verfügung.
- Die Diabetes Distress Scale (DDS) umfasst 17 Fragen und erlaubt durch die Einbeziehung von 4 Bereichen wie emotionale Belastung, interpersonelle Belastung, Arzt-bezogener Stress und Therapie-bezogener Stress eine umfassende Beurteilung mit einer soliden Bewertungsmöglichkeit.
Depression und Diabetes
Das Risiko für das Erkranken an einer Depression ist für Patient:innen mit Diabetes mellitus etwa doppelt so hoch im Vergleich zu einer nicht-diabetischen Kontrollgruppe. In einer Metaanalyse wird die Häufigkeit der Depression bei Patient:innen mit Diabetes mellitus Typ 2 mit 17,6 % angegeben. Das entspricht einer deutlich höheren Prävalenzrate als bei Patient:innen ohne Diabetes mellitus (9,8 %).
Als ursächlich werden psychische Belastungen durch die Herausforderungen einer chronischen Erkrankung sowie gemeinsame pathophysiologische Mechanismen diskutiert. Subklinische Inflammation und Dysfunktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren (HHN)-Achse bzw. Die Interferenz der Depression mit der Qualität der Stoffwechseleinstellung dürfte von der Anzahl und Schwere der psychischen Symptome linear abhängig sein.
Ein Screening auf das Vorliegen einer Depression ist insbesondere bei Patient:innen mit problematischer Diabeteseinstellung sinnvoll und zielführend. Werden beide Fragen bejaht und wird ein durchgehender Zeitraum von mindestens zwei Wochen angegeben, sollte weiter untersucht werden, ob eine behandlungsbedürftige Depression vorliegt.
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Allerdings ist zu beachten, dass zwar die Sensitivität dieses Screening-Tests hoch, jedoch die Spezifität bei positivem Ergebnis niedrig ist, sodass neben einer ausführlichen Anamnese eine weiterführende Diagnostik, z. B.
Therapeutisch sollten Maßnahmen ergriffen werden, die sowohl die depressiven Symptome als auch die metabolische Situation auf Grund des Diabetes mellitus günstig beeinflussen. Dabei können unterschieden werden:
- psychologische Interventionen (z. B. Hierzu ist ein systematisches Review über 13 klinische Studien zur Behandlung von komorbid vorliegender Depression und Diabetes zu nennen.
- Bei mittelgradigen und schweren depressiven Episoden wird einerseits die Beiziehung von Fachärzt:innen für Psychiatrie sowie die Verordnung von antidepressiver Medikation empfohlen.
- Der Versuch einer positiven Beeinflussung des Lebensstils der Betroffenen ist entscheidend sowohl für die Besserung einer Depression als auch des Diabetes mellitus.
Als Ausdruck der bidirektionalen Beziehung zwischen Diabetes mellitus und Depression zeigte sich für depressive Patient:innen das Risiko an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken in etwa verdoppelt.
Als Ursache dafür werden ebenso inflammatorische Phänomene und eine Dysfunktion der HHN-Achse als biologische Verbindungen zwischen Depression und Diabetes diskutiert.
Auswirkungen von Antidepressiva auf den Stoffwechsel sind in Tab. 1 dargestellt.
Tab. 1 Stoffwechselwirkungen von Antidepressiva (Modifiziert nach Ress et al. [31])
Angststörungen und Diabetes
Angststörungen werden nach ICD-10-Klassifikation in phobische Störungen (Agoraphobie mit und ohne Panikstörung, soziale Phobie, spezifische (isolierte) Phobien), Panikstörung, generalisierte Angststörung, Angst und depressive Stimmung gemischt, Zwangsstörung sowie Reaktionen auf schwere Belastungen (akute Belastungsreaktion, posttraumatische Belastungsstörung) und Anpassungsstörungen eingeteilt.
Angststörungen treten bei Patient:innen mit Diabetes häufiger auf als in der nicht-diabetischen Population, wobei lediglich für generalisierte Angststörungen und für Panikstörungen ausreichende Daten vorliegen. Die Diagnostik der Angststörungen ist komplex und erfordert die Anwendung strukturierter klinischer Interviews und psychometrischer Fragebögen.
Für die Therapie ist ein Gesamtbehandlungsplan zu entwerfen, der in der Regel Psychotherapie und medikamentöse Ansätze umfasst. Als Medikamente kommen je nach Erkrankung und eventueller Komorbidität in erster Linie Antidepressiva, aber auch Pregabalin und adjuvant Benzodiazepine zum Einsatz.
Essstörungen und Diabetes
Die Klassifikation von Essstörungen erfolgt nach dem ICD-10-Code in Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, Essattacken bei anderen psychischen Störungen, nicht näher bezeichnete Essstörungen und andere.
Die häufig diskutierte Annahme der erhöhten Prävalenz von Anorexie und Bulimie konnte bei Diabetes mellitus Typ 1 bis dato in Studien nicht bestätigt werden. Für Patient:innen mit Diabetes mellitus Typ 2 liegen in der Literatur Hinweise vor, die auf ein vermehrtes Auftreten von Bulimie, Binge Eating Disorder und andere Essstörungen wie Night Eating Disorder schließen lassen.
Die Diagnostik erfolgt mittels Anamnese sowie ergänzend durch strukturierte klinische Interviews und/oder Fragebögen bzw. Die Therapie der Wahl bei Essstörungen besteht in psychotherapeutischen Interventionen wie z. B.
Borderline-Persönlichkeitsstörung und Diabetes
Der Verlauf einer kombinierten Erkrankung von Diabetes mellitus und Borderline-Persönlichkeitsstörung wird durch die z. T. erhebliche Beeinträchtigung der Impulskontrolle und die Schwierigkeiten bei der Beziehungsgestaltung geprägt, was sich auch auf die medizinische Betreuung auswirkt.
Die Patient:innen fallen z. B. durch besonders schlechte Therapieadhärenz, selbstschädigendes Verhalten oder Substanzmissbrauch auf. In einer aktuellen Studie lag die altersstandardisierte Prävalenz von metabolischem Syndrom bei Borderline-Patient:innen 2‑fach höher als in der psychisch gesunden Kontrollgruppe (23,3 % vs. 10,6 %). Die Prävalenz von Diabetes mellitus wird mit 9 % angegeben.
Psychische Erkrankungen und erhöhtes Diabetesrisiko
Die Prävalenz von Typ 2 Diabetes ist bei Patient:innen mit schizophrenen, schizoaffektiven und bipolaren Erkrankungen 2‑ bis 3‑fach höher als in der Normalbevölkerung. Patient:innen mit einer schweren psychischen Störung erkranken an Diabetes mellitus im Durchschnitt 10-20 Jahre früher als die psychisch gesunde Bevölkerung.
Die Ursachen dafür dürften nach aktuellem Wissensstand multifaktoriell sein, wobei folgende zu nennen sind: krankheitsspezifische Faktoren, niedriger sozioökonomischer Status, in dessen Folge ungesunder Lebensstil (Rauchen, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel), ungenügende medizinische Versorgung und nicht zuletzt ungünstige Nebeneffekte bestimmter Psychopharmaka.
Die meisten Studien zeigen, dass metabolische Auffälligkeiten bald nach Behandlungsbeginn mit Neuroleptika auftreten, die bei ca. 12-13 % dieser Patient:innen zu einem manifesten Diabetes mellitus führen. Ebenso kommt es zu einer Kumulation weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Adipositas, Dyslipidämie und metabolischem Syndrom.
Neuere wissenschaftliche Daten weisen auf einen gemeinsamen Vulnerabilitätsfaktor für Diabetes mellitus, metabolisches Syndrom und Schizophrenie hin.
Prädiabetes
Laut einer amerikanischen Studie hat einer von drei erwachsenen Amerikanern Prädiabetes. Und schlimmer noch: Über 84 Prozent der Prädiabetiker bemerkten ihre Erkrankung und den erhöhten Blutzucker nicht. Ein Prädiabetes besteht dann, wenn die Blutzuckerwerte höher sind als der Normalwert, jedoch noch nicht im Bereich des Diabetes mellitus liegen.
Die Diagnose Prädiabetes ist eine besonders wichtige Erkenntnis. Jede Mahlzeit, die wir zu uns nehmen, erhöht automatisch den Blutzucker - das ist ein ganz natürlicher Vorgang. Abhängig davon was Sie essen oder trinken, ist der Anstieg größer oder kleiner. Bei einer gesunden Person reagiert die Bauchspeicheldrüse auf die Erhöhung des Blutzuckers und schüttet ausreichend Insulin aus.
Das Hormon bindet den Zucker im Blut und transportiert ihn in die Körperzellen. Es kann passieren, dass der Körper nicht genügend Insulin produzieren und daher nicht ausreichend Zucker aus dem Blut abbauen kann. Eine solche unzureichende Insulinausschüttung haben vor allem Menschen, die unter Diabetes Typ 1 leiden.
In diesem Fall gewöhnt sich der Körper quasi an den hohen Insulinspiegel - bestimmte Rezeptoren werden für das Hormon unempfindlicher, sodass weniger Blutzucker abgebaut wird.
Menschen mit Prädiabetes können sowohl eine unzureichende Insulinausschüttung als auch eine geringe Insulinempfindlichkeit haben, oder sogar beides - und das auch noch ganz unterschiedlich stark ausgeprägt. Daher versuchen Forscherinnen und Forscher derzeit, Prädiabetiker, die ähnliche Ausprägungen haben, in Kategorien einzuteilen.
Ein Prädiabetes kann verschiedene schwerwiegende Folgen haben. Eine davon ist eine weitere Verschlechterung des Blutzuckerwertes und somit Erkrankung an Diabetes. Wenn Sie einen Prädiabetes haben, besteht jedes Jahr ein Risiko von fünf bis zehn Prozent, dass Sie an Diabetes erkranken [1]. Darüber hinaus können Menschen bereits im Stadium des Prädiabetes schwerwiegende Folgeerkrankungen erleiden. Denn der langfristig erhöhte Blutzuckerspiegel kann einige Organe dauerhaft schädigen.
Der wohl wichtigste Treiber von Prädiabetes und Diabetes ist Übergewicht aufgrund von Bewegungsmangel und Überernährung.
Prädiabetes verläuft meist asymptomatisch. Das bedeutet, dass Menschen mit einem erhöhten Blutzuckerspiegel in der Regel nicht bemerken, dass Sie erkrankt sind. Besonders tückisch daran ist, dass es dadurch sehr schwer ist, den Prädiabetes zu diagnostizieren und rechtzeitig einzugreifen.
Studien zufolge hatten die meisten Menschen mit einem Diabetes zuvor einen Prädiabetes [6]. Es gibt drei verschiedene Methoden, mit denen sich der Blutzucker bestimmen lässt. Studien zeigen jedoch, dass nicht immer alle drei Kriterien zutreffen. So zeigte eine deutsche Studie an 4.009 Personen mit Prädiabetes, dass nur 12 Prozent der untersuchten Personen alle drei Diagnosekriterien vorwiesen.
Das Risiko, einen Diabetes zu entwickeln, liegt für Prädiabetiker jährlich bei fünf bis zehn Prozent. Studien haben gezeigt: Wenn Menschen mit Prädiabetes nur ein wenig abnehmen, kann das bereits die Entwicklung eines Diabetes und Schäden an den Organen verzögern [8]. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2002 zeigte, dass eine Gewichtsreduktion von fünf Kilogramm das Diabetesrisiko um 55 Prozent senkte [6].
Wissenschaftler*innen empfehlen eine ausgewogene, kalorienarme und ballaststoffreiche Kost. Achten Sie also darauf, viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte sowie Nüsse in Ihren Mahlzeiten zu kombinieren. Diese Lebensmittel können erwiesenermaßen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ 2 entgegenwirken [9].
Steigern Sie Ihre Aktivität langsam, um motiviert zu bleiben. Legen Sie doch beispielsweise einen kleinen Spaziergang ein. Bereits 1.000 zusätzliche Schritte am Tag können sich positiv auf Ihre Gesundheit auswirken.
Nicht nur Prädiabetes, sondern auch Rauchen erhöht Ihr Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung.
Verursacht wird der Prädiabetes entweder durch eine nicht ausreichende Ausschüttung von Insulin oder eine Insulinresistenz.
Prädiabetes wird stark von Übergewicht, schlechter und Überernährung sowie Bewegungsmangel beeinflusst.
Bei einem diagnostizierten Prädiabetes können Sie aktiv darauf einwirken, dass sich Ihre Blutzuckerwerte nicht weiter verschlechtern und dass keine Folgeerkrankungen entstehen.
Achten Sie auf ein gesundes Körpergewicht durch eine ausgewogene Ernährung, die reich an Gemüse, Obst und Vollkorn ist, um Ihrem Körper weniger Kalorien und mehr Ballaststoffe zuzuführen. Bewegen Sie sich außerdem ausreichend.
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