ADHS-Anzeichen bei Kleinkindern erkennen

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) wird häufig erst im Schulalter diagnostiziert, wenn Kinder Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, Anweisungen zu folgen oder mit Impulsivität kämpfen. Doch erste Hinweise auf eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) können sich bereits im Säuglings- und Kleinkindalter zeigen. Auch wenn nur eine Verdachtsdiagnose in diesen frühen Jahren gestellt werden kann, lohnt es sich für Eltern, bestimmte Verhaltensauffälligkeiten zu beobachten und wahrzunehmen.

Manche Symptome oder Auffälligkeiten können mögliche Hinweise auf eine spätere ADHS sein. Hier sind einige Merkmale, auf die Eltern achten können:

Frühe Anzeichen von ADHS bei Kleinkindern

  • Regulationsstörungen mit langanhaltenden Schreiphasen
  • Schlaf- und Essprobleme
  • Motorische Unruhe
  • Kurzer, flüchtiger Blickkontakt
  • Ablehnung von Körperkontakt
  • Geringe Frustrationstoleranz
  • Probleme beim Übergang zwischen Aktivitäten
  • Starke Reizbarkeit
  • Unregelmäßige Tagesstruktur
  • Vermehrte Ablenkbarkeit
  • Impulsivität
  • Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion

Regulationsstörungen

Regulationsstörungen sind oft die ersten Anzeichen, die Eltern wahrnehmen, wenn ihr Baby ungewöhnlich viel und lange schreit. Während viele Säuglinge Phasen des Schreiens haben, ist es bei Kindern mit späteren ADHS-Veranlagungen häufig intensiver und länger anhaltend.

Beispiel: Ein Kind schreit mehrere Stunden am Tag, selbst wenn es gefüttert, gewickelt und in einer ruhigen Umgebung ist. Beruhigungsversuche, wie das Tragen oder sanftes Schaukeln, haben wenig bis gar keinen Effekt. Solche langanhaltenden Schreiphasen können auf eine erschwerte Selbstregulation hindeuten.

Schlaf- und Essprobleme

Auch Schwierigkeiten beim Schlafen oder Essen können frühe Zeichen sein. Babys und Kleinkinder mit ADHS-Risikofaktoren haben oft einen unruhigen Schlaf oder finden schwer in den Schlaf. Beim Essen zeigen sie sich möglicherweise wählerisch oder verweigern feste Nahrung, sobald sie älter werden. Solche Kinder verlangen oft länger nach der Flasche.

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Beispiel: Ein Kleinkind wacht nachts häufig auf, braucht lange, um wieder einzuschlafen, oder verweigert die Nahrungsaufnahme regelmäßig, was oft zu Stresssituationen für die Eltern führt. Diese Schlaf- und Essprobleme können ebenfalls ein Hinweis auf eine gestörte Selbstregulation sein.

Motorische Unruhe

Während viele Kleinkinder natürlich aktiv und bewegungsfreudig sind, kann eine übermäßige motorische Unruhe auffällig sein. Kinder, die ständig in Bewegung sind, selten ruhig sitzen bleiben oder ihre Körperkontrolle nicht gut beherrschen, zeigen möglicherweise ein frühes Zeichen für ADHS.

Beispiel: Ein Kind krabbelt unaufhörlich, klettert in gefährliche Situationen und wirkt rastlos, wenn es mal ruhig sitzen soll, wie beim Essen. Diese motorische Unruhe übersteigt das normale Maß an Aktivität, das in diesem Alter üblich ist, und kann für Eltern belastend sein. Auch beim Einschlafen ergibt sich oft eine auffallende motorische Unruhe.

Kurzer, flüchtiger Blickkontakt

Blickkontakt ist ein wichtiger Teil der sozialen Kommunikation und Bindung. Während alle Babys und Kleinkinder hin und wieder ihren Blick abwenden, zeigen manche Kinder mit ADHS-Charakteristiken oft nur sehr kurzen und flüchtigen Blickkontakt. Sie scheinen schneller abgelenkt und haben Mühe, die Aufmerksamkeit auf eine Person zu richten.

Beispiel: Eltern stellen fest, dass ihr Kind beim Füttern oder Wickeln kaum Augenkontakt hält und sich schnell anderen Reizen zuwendet, z. B. Geräuschen oder Bewegungen im Raum.

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Ablehnung von Körperkontakt

Ein weiteres mögliches Zeichen für ADHS im frühen Kindesalter kann eine Abneigung gegen Körperkontakt sein. Während viele Kinder die körperliche Nähe ihrer Eltern genießen, zeigen manche Babys und Kleinkinder eine klare Abwehrhaltung.

Beispiel: Ein Kind windet sich, wenn es gehalten oder umarmt wird, und bevorzugt es, auf Abstand zu sein. Auch das Tragen oder Kuscheln kann für solche Kinder eher unangenehm sein, was oft das Bindungserleben der Eltern beeinflusst.

Geringe Frustrationstoleranz

Kinder mit einer Veranlagung zu ADHS zeigen oft eine niedrige Schwelle für Frustration und Wutausbrüche. Schon bei kleineren Herausforderungen oder Wartezeiten können sie ungeduldig oder wütend reagieren.

Beispiel: Ein Kind beginnt zu weinen oder zu schreien, wenn es etwas nicht sofort bekommt oder wenn ein Spielzeug nicht so funktioniert, wie es das möchte.

Probleme beim Übergang zwischen Aktivitäten

Diese Kinder haben häufig Schwierigkeiten, von einer Aktivität zur nächsten zu wechseln und zeigen sich unflexibel im Umgang mit Veränderungen.

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Beispiel: Wenn das Spiel endet oder es Zeit ist, ins Bett zu gehen, reagiert das Kind oft mit intensiven Protesten oder einem Wutanfall.

Starke Reizbarkeit

Babys und Kleinkinder, die auf viele Reize stark oder überempfindlich reagieren, haben möglicherweise Schwierigkeiten, ihre Reaktionen zu regulieren.

Beispiel: Das Kind reagiert auf laute Geräusche, helles Licht oder plötzliche Veränderungen sehr empfindlich und wird schnell unruhig oder beginnt zu weinen.

Unregelmäßige Tagesstruktur

Kinder mit einem späteren ADHS-Risiko haben oft Schwierigkeiten, eine regelmäßige Tagesstruktur zu entwickeln. Schlaf- und Wachzeiten sind oft unregelmäßig, und auch Essgewohnheiten können stark schwanken.

Beispiel: Das Kind hat keinen festen Rhythmus für Schlaf- und Wachzeiten, und auch die Essenszeiten sind unbeständig, was den Alltag der Eltern erschwert.

Vermehrte Ablenkbarkeit

Ein weiteres Merkmal kann eine hohe Ablenkbarkeit sein. Diese Kinder verlieren schnell das Interesse an einer Tätigkeit und sind durch jede kleine Veränderung im Raum abgelenkt.

Beispiel: Beim Spielen mit einem Spielzeug wendet sich das Kind sofort einem anderen Gegenstand zu, wenn es etwas Neues oder Unbekanntes sieht.

Impulsivität

Auch im frühen Kindesalter können Anzeichen für Impulsivität auftreten. Diese Kinder handeln schnell, ohne nachzudenken, und haben oft Mühe, sich zu beherrschen.

Beispiel: Ein Kind greift nach Dingen, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen (z. B. nach einem heißen Getränk) oder zieht an anderen Kindern, um deren Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion

Kinder mit ADHS-Anzeichen können bereits im Kleinkindalter Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Kindern oder Erwachsenen zeigen. Sie finden es unter Umständen schwer, mit anderen zu spielen oder sich in soziale Situationen einzufügen.

Beispiel: Ein Kind greift andere Kinder an, um Spielzeug zu bekommen, oder hat Schwierigkeiten, sich in einer Spielgruppe einzufügen, weil es die Interaktionen nicht versteht oder oft unterbricht.

Warum sollten Eltern auf diese Merkmale achten?

Diese frühen Anzeichen bedeuten nicht zwangsläufig, dass ein Kind ADHS entwickelt. Viele dieser Verhaltensweisen sind auch bei anderen Kindern normal und verschwinden von selbst. Dennoch kann es hilfreich sein, ein genaues Auge darauf zu haben und eine Dokumentation zu führen. Wenn sich diese Auffälligkeiten häufen oder die Entwicklung des Kindes nachhaltig beeinflussen, ist es ratsam, eine frühe Beratung oder Abklärung in Anspruch zu nehmen. Frühzeitige Interventionen und Unterstützung können später dabei helfen, mit möglichen Herausforderungen besser umzugehen.

Diagnose von ADHS

Eine zuverlässige Diagnose kann ExpertInnen zufolge frühestens ab dem 6. Lebensjahr gestellt werden. Nicht jedes quengelige, schwer zu beruhigende Baby hat ADHS und nicht jedes ADHS-Kind zeigte als Baby Verhaltensauffälligkeiten! ADHS äußert sich unterschiedlich. Das erschwert die Diagnose. Nicht immer sind alle Symptome erkennbar. ADHS-Symptome ähneln zudem oft altersgemäßen Verhaltensweisen.

ADHS-Diagnosekriterien

Für die Diagnose ADHS müssen bestimmte Kriterien nach dem Klassifikationssystem ICD-10 erfüllt sein. ADHS-typisch ist ein ungewöhnliches Maß an Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.

Kriterium Unaufmerksamkeit

Bei ADHS lassen sich mindestens sechs der folgenden ADHS-typischen Symptome von Unaufmerksamkeit erkennen. Sie treten seit wenigstens sechs Monaten auf und sind nicht auf eine altersgemäße Entwicklungsphase zurückzuführen. Die Betroffenen:

  • beachten Einzelheiten nicht genau oder machen Flüchtigkeitsfehler
  • haben Mühe, sich längerfristig zu konzentrieren
  • scheinen oft nicht zuzuhören, wenn sie direkt angesprochen werden
  • führen oft Anweisungen nicht vollständig aus oder beenden Aufgaben nicht
  • haben Mühe, Aufgaben und Tätigkeiten planvoll abzuwickeln
  • vermeiden oder verweigern oft Aufgaben, die anhaltende Konzentration erfordern
  • verlieren häufig Dinge wie Spielzeug oder Hausaufgabenhefte
  • werden leicht durch unwesentliche Reize abgelenkt
  • sind oft vergesslich bei Alltagstätigkeiten

Kriterium Hyperaktivität, Impulsivität

Außerdem äußert sich ADHS in mindestens sechs der folgenden ADHS-typischen Hyperaktivitäts-Impulsivitäts-Symptome. Auch diese treten seit mindestens sechs Monaten auf und sind nicht auf eine altersgemäße Entwicklungsphase zurückzuführen. Die Betroffenen:

  • zappeln oder winden sich auf dem Stuhl
  • sitzen ungern und verlassen oft den Sitzplatz, auch dann, wenn Sitzen erwartet wird
  • rennen oft herum oder klettern überall hoch, auch in unpassenden Situationen
  • sind ruhelos, umtriebig oder benehmen sich oft wie von einem Motor angetrieben
  • sind beim Spielen meist sehr laut
  • reden oft übermäßig viel
  • platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor Fragen komplett gestellt sind
  • haben oft Mühe zu warten, bis sie an der Reihe sind
  • unterbrechen oder stören häufig andere bei Unterhaltungen oder Spielen

Bei Kindern mit ADHS beobachtet man diese Symptome typischerweise bereits vor dem siebten Lebensjahr. Die Anzeichen treten nicht nur daheim oder nur in der Schule auf, sondern in mindestens zwei verschiedenen Umfeldern.

Für die Diagnose ADHS müssen zudem deutliches Leiden oder Schwierigkeiten bei sozialen Kontakten, beim Lernen oder im beruflichen Bereich bestehen.

Vorbereitung auf den Arztbesuch

Eltern können sich auf den Arztbesuch, bei dem eine mögliche ADHS bei ihrem Kind abgeklärt werden soll, auf folgende Weise vorbereiten:

  • Beobachten und beschreiben Sie das Verhalten Ihres Kindes: Gibt es aktuelle kritische Ereignisse, die Ursache des ruhelosen Verhaltens sein könnten? Wann treten die Aufmerksamkeitsstörungen auf (Tageszeit, Schultage etc.)?
  • Sprechen Sie mit den Betreuern Ihres Kindes (z.B. Großeltern, Betreuer in Kindergarten, Schule oder Hort) über dessen Verhalten.

Ärztliche Untersuchung

ADHS kann sich unterschiedlich äußern. Das erschwert die Diagnose. Nicht immer sind alle Anzeichen der Störung vorhanden. Auch lassen sich die ADHS-Symptome oft nur schwer von altersgemäßen Verhaltensweisen abgrenzen.

Deshalb können nur erfahrene Spezialisten die Diagnose ADHS stellen, beispielsweise Fachärzte und -ärztinnen für Kinder- und Jugendmedizin oder Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Befragung der Eltern, Bezugspersonen und Lehrer

Für eine ADHS-Diagnostik bei Kindern befragt der Spezialist oder die Spezialistin Eltern und andere Bezugspersonen zu Sozial-, Lern-, Leistungsverhalten und der Persönlichkeitsstruktur des Kindes. Folgende Fragen könnte Inhalt des Erstgesprächs sein:

  • Kann sich Ihr Kind längere Zeit auf eine Tätigkeit konzentrieren?
  • Ist Ihr Kind zappelig, wenn es stillsitzen soll?
  • Redet Ihr Kind häufig dazwischen oder auch besonders viel?
  • Ist Ihr Kind leicht ablenkbar?

Die Lehrer können wertvolle Auskunft zur intellektuellen Leistungsfähigkeit und zum Aufmerksamkeitsverhalten des kleinen Patienten geben. Schulhefte geben anhand von Ordnung, Führung, Schrift und Einteilung ebenfalls Hinweise auf eine mögliche Störung. Zeugnisse dokumentieren die schulischen Leistungen.

Gespräch mit dem Kind

Für die Abklärung einer möglichen ADHS sind auch Angaben des Kindes selbst hilfreich. Man kann es zum Beispiel fragen, ob es sich gut konzentrieren kann, sich von sozialen Gruppen ausgeschlossen oder generell nicht zugehörig fühlen.

Da dies sehr heikle Fragen sind, kann es sinnvoll sein, dass Eltern solche Themen bereits vor dem Arztbesuch mit ihrem Kind besprechen.

Körperliche Untersuchungen

Der Arzt oder die Ärztin untersucht die motorische Koordinationsfähigkeit des Kindes und beurteilt sein Verhalten bei der Untersuchung. Dazu beobachtet er oder sie die Kooperationsfähigkeit, Gestik, Mimik, Sprache und Lautäußerungen des Kindes.

Eine Messung der Hinströme im EEG ist nur erforderlich, wenn zum Beispiel der Verdacht auf Epilepsie besteht.

Verhaltensbeobachtung

Während des Gesprächs und der Untersuchungen beobachtet der Arzt oder die Ärztin das Kind und achtet auf Verhaltensauffälligkeiten.

Manchmal helfen Videoaufnahmen, die Diagnose eines ADHS zu sichern. Anhand solcher Aufzeichnungen können Mediziner hinterher den Eltern die Auffälligkeiten ihres Kindes in Mimik, Gestik und Körpersprache oder die Aufmerksamkeitsabbrüche demonstrieren.

Außerdem zeigen die Aufzeichnungen die Reaktion der Eltern im Umgang mit dem Kind.

Wiederholte Aufnahmen während einzelner Termine dokumentieren den Therapieverlauf.

Fragebögen

Um ADHS festzustellen, verwenden Spezialisten spezielle Fragebögen, mit denen sich verschiedene ADHS-typische Verhaltensweisen strukturiert erfassen lassen.

Wichtig sind dabei Verhaltensauffälligkeiten und Besonderheiten, die Lernen, Leistung oder später den Beruf betreffen. Weitere Themen sind die Familiensituation und Erkrankungen in der Familie.

Auch fragt der Spezialist oder die Spezialistin im Gespräch mit den Eltern beziehungsweise Betroffenen nach Besonderheiten während der Schwangerschaft, der Geburt und in der Entwicklung sowie nach Vorerkrankungen und derzeitigen sonstigen Beschwerden.

Besonders bei erwachsenen Patienten sind auch Fragen zu Nikotin-, Alkohol-, Drogenkonsum und psychiatrischen Erkrankungen relevant.

Abgrenzung der ADHS von anderen Störungen

Wichtig ist es, ADHS von anderen Problemen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Auf psychologischer Ebene kann das beispielsweise eine verringerte Intelligenz oder eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) sein. Auch eine Zwangsstörung kann eine ADHS-ähnliche Hyperaktivität verursachen.

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