Suizidalität: Psychologie, Ursachen und Behandlung

Die Möglichkeit, über den eigenen Tod nachzudenken und ihn aktiv herbeizuführen, ist eine Realität des menschlichen Handlungsvermögens. Prinzipiell kann daher jeder Mensch Suizidgedanken entwickeln und suizidale Handlungen setzen.

Verständnis von Suizidalität

Suizidalität bezeichnet alle Gedanken, Verhaltensweisen und Handlungen eines Menschen, die darauf abzielen, sich das Leben zu nehmen. Sie kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und steht oft mit einer psychischen Erkrankung in Verbindung. Bei akuter Suizidalität ist rasches Handeln angezeigt, die Betroffenen brauchen schnellstmöglich psychiatrische Hilfe.

Definitionen und Ausprägungen

  • Passiver Todeswunsch: Lebensüberdruss gepaart mit dem Wunsch zu sterben, ohne den Tod jedoch selbst zu verursachen.
  • Suizidgedanken: Gedanken darüber, sich das eigene Leben zu nehmen.
  • Suizidabsichten: Konkrete Absicht, sich selbst zu töten.
  • Suizidimpuls: Plötzlicher Impuls, sich sofort das Leben zu nehmen, mit großem Handlungsdruck.
  • Suizidhandlung: Eine selbstschädigende Handlung mit dem Ziel eines tödlichen Ausganges.
  • Suizidversuch: Eine Suizidhandlung, mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausganges.
  • Suizid: Eine Suizidhandlung mit tödlichem Ausgang.

Es gibt keine einheitliche Theorie der Suizidalität. Suizidales Verhalten ist immer das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels neurobiologischer, psychologischer und sozialer Faktoren und kann nur unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit und der jeweils individuellen psychosozialen Situation und Belastung verstanden werden.

Ursachen und Risikofaktoren

Viele Menschen werden aufgrund einer akuten psychosozialen Krisensituation sehr ernsthaft suizidal, für die dies aber die einzige suizidale Episode im Leben bleibt. Dem gegenüber geraten etwa 20 bis 30 % jener Menschen, die einen Suizidversuch unternommen haben, wiederholt in suizidale Krisen. Man spricht von chronischer Suizidalität.

Suizide werden in mehr als 90 Prozent der Fälle infolge einer psychischen Erkrankung verübt. Dabei handelt es sich oftmals um eine Depression. Die damit verbundenen Symptome wie Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle, innere Leere und die Unfähigkeit, Freude zu empfinden, machen die Betroffenen besonders anfällig für suizidale Gedanken, Absichten und Handlungen.

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Weitere Risikofaktoren der Suizidalität sind zum Beispiel:

  • Suizide oder Suizidversuche in der Familie oder im näheren Umfeld
  • Eigene Suizidversuche in der Vergangenheit
  • Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Randgruppen
  • Schwierige Lebenssituationen (z.B. Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, Trennung vom Lebenspartner, Tod naher Angehöriger, zunehmendes Alter)
  • Gewalterfahrungen
  • Einsamkeit/soziale Isolation
  • Körperliche Erkrankungen, insbesondere solche, die mit Schmerzen verbunden, entstellend oder chronisch sind

Krisen werden durch äußere belastende Ereignisse wie Todesfälle, Trennungen, Krankheitsdiagnosen oder plötzlichen Arbeitsplatzverlust ausgelöst. Das Befinden Betroffener verschlechtert sich und die Situation spitzt sich rasch zu. Bewältigungsmöglichkeiten, die sonst zur Verfügung stehen, gehen verloren. Es entwickeln sich Gefühle von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit und verschiedene psychische und physische Symptome. Selbstwert und Identität sind in Frage gestellt und das normale psychische Funktionsniveau ist erheblich beeinträchtigt. Eine suizidale Handlung kann Betroffenen dann als letzter Ausweg erscheinen.

Suizidale Menschen sind verzweifelt, ihr Spielraum engt sich erheblich ein. Viele Betroffene glauben, dass sie auf diese Weise ihre eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten wieder erweitern können. Wo quälende Ausweglosigkeit das Denken und Fühlen beherrscht, eröffnet sich eine neue Perspektive und ein neuer Weg. Solange der Mensch am Leben ist, gibt es auch andere Auswege.

Ein tragfähiges Beziehungsangebot kann einen solchen Ausweg weisen und ist daher wesentlich für jede Form der Behandlung, sowohl der Krisenintervention als auch der Psychotherapie suizidaler Menschen.

Psychodynamische Aspekte

In tiefenpsychologischen Theorien wird Suizidalität nicht nur als ein Zeichen seelischer Dekompensation, sondern darüber hinaus als eine psychische Funktion aufgefasst. Diese wird dann eingesetzt, wenn intrapsychische oder interpersonelle Krisen nicht mehr anders handhabbar scheinen. So gesehen kann Suizidalität eine regulierende, manchmal auch stabilisierende Funktion haben.

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Die zentralen konflikthaften Themen des suizidalen Menschen sind der Umgang mit Aggression, die Selbstwertregulation und der Umgang mit nahen Beziehungen.

Die gemeinsame Ausgangshypothese der tiefenpsychologischen Theorie formuliert Freud in Trauer und Melancholie: „Kein Neurotiker verspürt Selbstmordabsichten, der solche nicht von einem Mordimpuls gegen andere auf sich zurückwendet“ (1917, S. 205). Er postuliert also einen Aggressionskonflikt und deutet die Suizidhandlung als Wendung der Aggression gegen die eigene Person. Diesen Konflikt versteht er als eine Reaktion auf den subjektiv unerträglichen Verlust eines realen oder phantasierten, emotional als unverzichtbar erlebten Objekts.

Noch besser verstehbar werden derartige Dynamiken durch das Konzept der narzisstischen Krise (Henseler 1984). Charakteristisch für Menschen, die eine Unsicherheit dem eigenen Selbst gegenüber haben, ist, dass sie eine unrealistische Einschätzung der eigenen Person mit einem ständigen Schwanken zwischen Größen- und Allmachtsphantasien und Minderwertigkeitsgefühlen und eine unrealistische Einschätzung der Objekte und der zwischenmenschlichen Beziehungen haben und sich daher immer wieder Tendenzen zu Idealisierung und Entwertung zeigen.

Tabelle: Risikofaktoren und psychische Dynamiken

Risikofaktor/Dynamik Beschreibung
Psychische Erkrankungen Depression, Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen
Soziale Faktoren Isolation, Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, Verlusterlebnisse
Psychodynamik Aggressionskonflikte, narzisstische Krisen, Selbstwertprobleme

Symptome und Warnsignale

Es gibt einige Symptome und Alarmzeichen, die auf einen geplanten Suizid hinweisen können. Dazu zählen vor allem:

  • Sozialer Rückzug
  • Direkte oder indirekte Äußerung von Suizidgedanken
  • Äußerliche Veränderungen, zum Beispiel dunkle Kleidung, ungepflegtes Erscheinungsbild
  • Vernachlässigung von Ernährung und Körperpflege
  • Änderung von Gewohnheiten
  • Riskante Verhaltensweisen
  • Abschied nehmen, persönliche Dinge verschenken, ein Testament vorbereiten
  • Lebenskrisen

Behandlung und Intervention

Wenn Menschen direkt oder indirekt mitteilen, dass sie nicht mehr leben wollen, ist dies zunächst als ein interaktionelles Geschehen zu verstehen. Daher ist das Beziehungsangebot das zentrale Element jeder Form der Behandlung, sowohl der Krisenintervention als auch der Psychotherapie suizidaler Menschen. Voraussetzung für eine konstruktive therapeutische Arbeit ist eine tragfähige Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn.

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Bei akuter Suizidalität ist rasches Handeln erforderlich. Zur Behandlung werden zunächst meist dämpfende, beruhigende Medikamente eingesetzt. Ist die akute Gefährdung abgeklungen, schließen sich psychotherapeutische Gespräche an. Ob die Behandlung in der Klinik oder ambulant fortgesetzt wird, hängt davon ab, wie hoch das Suizidrisiko des Betroffenen eingeschätzt wird.

Einige Beispiele für wichtige Elemente der Behandlung von akuter Suizidalität:

  • Risikofaktoren wie problematische soziale Kontakte oder Drogenkonsum werden möglichst ausgeschaltet.
  • Betroffene werden engmaschig überwacht, sodass sie keinen Zugang zu potenziellen Suizid-Werkzeugen wie Waffen oder Medikamenten haben.
  • Manchmal sind Psychopharmaka angezeigt, um eine zugrundeliegende psychische Erkrankung zu behandeln.
  • Manche Therapeuten schließen einen Nicht-Suizid-Vertrag mit dem Patienten ab.
  • Suizidalen Menschen fehlt oft eine feste Tagesstruktur, die ihnen im Alltag Halt gibt.
  • Ein Verhaltenstraining kann Suizidgefährdeten helfen, ihre Emotionen zu regulieren und Konflikte besser zu bewältigen.
  • Mit Selbstsicherheitsübungen und Kommunikationstraining lassen sich die sozialen Kompetenzen der Betroffenen verbessern.
  • Kognitive Therapieverfahren zielen darauf ab, den dysfunktionalen Denkstil zu verändern.
  • Die Einbindung von Angehörigen oder engen Freunden kann den Therapieerfolg unterstützen.

Umgang mit Suizidgefährdeten: Hinweise für Angehörige

Sie machen sich Sorgen um einen Angehörigen und fragen sich: Was tun bei Suizidalität? Der wichtigste Rat lautet: Seien Sie da! Lassen Sie den Betroffenen nicht allein und kümmern Sie sich um ihn. Weitere wichtige Ratschläge:

  • Offen reden: Sprechen Sie das Thema Suizidalität aktiv an. Bleiben Sie dabei ruhig und sachlich.
  • Ernst nehmen: Nehmen Sie die Suizidgedanken ernst und werten Sie sie nicht.
  • Professionelle Hilfe organisieren: Zögern Sie nicht, professionelle Hilfe zu organisieren.

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